Urteil des VG Gießen vom 28.03.2001

VG Gießen: öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, vollziehung, verfügung, begründungspflicht, erlass, verkehr, telekommunikation, post, nutzungsänderung

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Gericht:
VG Gießen 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 G 562/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 2 S 1 Nr 4 VwGO, §
80 Abs 5 VwGO, § 3 BImSchG,
§ 22 BImSchG, § 29 Abs 1
BauGB
(Begründung des Sofortvollzugs eines Nutzungsverbotes
für Mobilfunkanlage)
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um die sofortige Vollziehung einer Nutzungsuntersagung
mit Zwangsgeldandrohung für eine Mobilfunkanlage.
Mit Schreiben vom 20.03.2000 kündigte die Antragstellerin gegenüber der
Antragsgegnerin die Errichtung einer Mobilfunkanlage auf dem Grundstück ... an.
Ihr war zuvor durch das Bundesamt für Post und Telekommunikation eine
Standortbescheinigung für diese Anlage erteilt worden, nach der der
Sicherheitsbereich für die insgesamt drei Antennen jeweils 3,51 m (horizontal) und
1,11 m (vertikal) beträgt. Die Errichtung und Inbetriebnahme der Mobilfunkanlage
erfolgte bis zum 27.04.2000.
Auf die Eingabe eines Nachbarn teilte die Antragsgegnerin diesem mit Schreiben
vom 18.04.2000 mit, dass diese Mobilfunkanlage gem. § 63 Abs. 2 Nr. 2a HBO
baugenehmigungsfrei sei. Mit weiterem Schreiben vom 08.07.2000 teilte sie dem
Nachbarn mit, dass nach dem gültigen Bebauungsplan 18/6 der Antragsgegnerin,
der ein "Allgemeines Wohngebiet (WA)" festsetzt, in Bezug auf die Mobilfunkanlage
keine Bedenken bestünden.
Mit 18 gleichförmigen Schreiben vom 10.02.2001 wurden mehr als 30 weitere
Nachbarn und nochmals der vorgenannte Nachbar bei der Antragsgegnerin gegen
die vorgenannte Mobilfunkanlage unter Hinweis auf den Beschluss des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 19.12.2000 - 4 TG 3629/00 - vorstellig. Ohne
Anhörung untersagte daraufhin die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit dieser
am 07.03.2001 zugestellter Verfügung vom 27.02.2001 die Nutzung der
Mobilfunkanlage ab dem 07.03.2001 und gab ihr auf, ihr bis spätestens zum
12.03.2001 eine Bestätigung darüber vorzulegen, seit wann die Mobilfunkanlage
nicht mehr genutzt werde. Hinsichtlich dieser Grundverfügung ordnete sie die
sofortige Vollziehung an. Für die Nichtbefolgung der Nutzungsuntersagung drohte
die Antragsgegnerin ein Zwangsgeld von 5.000,00 DM an und wies darauf hin,
dass bei Missachtung dieser Anordnung dieses Zwangsgeld wiederholt in gleicher
Höhe festgesetzt werde, bis Folge geleistet worden sei. Zur Begründung des
Nutzungsverbotes ist (unter Punkt 3. "Begründung") folgendes ausgeführt: "Bei der
auf dem nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 6 innerhalb eines
allgemeinen Wohngebietes liegenden Wohngebäude ... angebrachten
Mobilfunkanlage handelt es sich unter Zugrundelegung des Beschlusses des
Verwaltungsgerichtshofes Kassel vom 19. Dezember 2000 aufgrund der
Nutzungsänderung um ein baugenehmigungspflichtiges Vorhaben. Eine
diesbezügliche Baugenehmigung wurde nicht erteilt." Die Anordnung der
sofortigen Vollziehung ist (unter Punkt 4. "Sofortvollzug") folgendermaßen
begründet: "Für die Anordnung des Sofortvollzuges besteht ein besonderes
öffentliches Interesse i.S.v. § 80 Abs. 3 VwGO. Ohne Anordnung der sofortigen
Vollziehung würde die Einlegung eines Rechtsbehelfes dazu führen, dass das
Nutzungsverbot zunächst nicht beachtet werden müsste. Dies muss aufgrund der
zuvor genannten Begründung verhindert werden. Andernfalls würde die
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zuvor genannten Begründung verhindert werden. Andernfalls würde die
Rechtsordnung auch demjenigen, der sich über das formelle Baurecht
hinwegsetzt, gegenüber dem gesetzestreuen Bauantragsteller zumindest einen
zeitlichen Vorteil verschaffen und einen Anreiz zur Gesetzesverletzung bieten,
nicht zuletzt im Hinblick auf die Dauer der Verwaltungsstreitverfahren
einschließlich Vorverfahren."
Mit Schreiben vom 07.03.2001 legte die Antragstellerin gegen diese Verfügung
Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entscheiden worden ist.
Mit bei Gericht am 09.03.2001 eingegangenem Telefax hat die Antragstellerin um
vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Die Antragstellerin führt unter näherer Darlegung im einzelnen aus, die Anordnung
der sofortigen Vollziehung sei bereits formell rechtswidrig. Darüber hinaus bestehe
kein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung, weil sich das
Nutzungsverbot als offensichtlich rechtswidrig erweise. Außerdem bestehe kein
besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung, weil es an dem nach der
Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zusätzlich erforderlichen
Beschleunigungsinteresse fehle. Durch die Abschaltung der Mobilfunkanlage würde
ein gravierender Versorgungsengpass entstehen, der zu finanziellen Ausfällen und
zu einem schwerwiegenden Imageverlust führen werde.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 07.03.2001 gegen den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 27.02.2001 wieder herzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie führt aus, nach der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs sei
davon auszugehen, dass die hier streitbefangene Mobilfunkanlage der
Baugenehmigung bedürfe und mangels einer solchen formell baurechtswidrig sei.
Sie sei auch der Auffassung, dass eine Baugenehmigung für das mit Schreiben
vom 20.03.2000 mitgeteilte Vorhaben der Errichtung und Inbetriebnahme einer
Mobilfunkanlage weder fiktiv durch Zeitablauf zustande gekommen sei noch
zukünftig erteilt werden könne. Eine Entscheidung in der Sache sei allerdings noch
nicht ergangen. Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin habe eine
Abwägung stattgefunden und das öffentliche Interesse sei hinreichend begründet
worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und den der beigezogenen Behördenakte (1 Hefter) Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines
Rechtsbehelfs gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt auf
Antrag des Betroffenen ganz oder teilweise wiederherstellen. Ein solcher Antrag ist
begründet, wenn das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des
Verwaltungsaktes gegenüber dem Privatinteresse des Antragstellers, die
Vollziehung bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf hinauszuschieben,
nicht überwiegt. Das ist dann der Fall, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich
rechtswidrig ist, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen
Verwaltungsaktes kann kein vorrangiges öffentliches Interesse bestehen.
Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der angefochtene
Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig und seine Vollziehung eilbedürftig ist. In
allen anderen Fällen entscheidet bei summarischer Beurteilung des Sachverhalts
eine Abwägung der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen, die für oder
gegen die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, über die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 29.05.1985 - 3 TH 815/85 -).
Nach diesen Maßstäben besteht kein überwiegendes Vollzugsinteresse, da die
Nutzungsuntersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27.02.2001 aus jedem
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Nutzungsuntersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27.02.2001 aus jedem
der nachgenannten Gründe offensichtlich rechtswidrig ist und die Antragstellerin in
ihren Rechten verletzt (§ 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO); deshalb ist
keine Eilbedürftigkeit gegeben.
Das Gericht vermag allerdings den Ausführungen der Antragstellerin zu einer
formellen Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht zu
folgen. Ein Verstoß gegen die in § 80 Abs. 3 VwGO normierte Begründungspflicht
für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nicht gegeben. Bei § 80 Abs. 3
Satz 1 VwGO handelt es sich um ein formelles Erfordernis. Da in der Verfügung
unter Punkt 4. und der Überschrift "Sofortvollzug" eine Begründung gegeben
worden ist, die über die schlichte Wiederholung des Gesetzeswortlautes
hinausgeht, ist dem Begründungserfordernis bereits Genüge getan. Dass diese
Begründung im Ergebnis nicht zu tragen vermag, ist an dieser Stelle nicht
entscheidend, schlägt aber in der Entscheidung an anderer Stelle durch.
Zunächst fehlt es in der auf die §§ 61 Abs. 1 und 2, 78 Abs. 1 HBO gestützten
Nutzungsverbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 27.02.2001 an einer der
Begründungspflicht des § 39 Abs. 1 HVwVfG genügenden Begründung. Die
Begründungspflicht ist ein wesentliches Erfordernis jedes rechtsstaatlichen
Verfahrens. Die Verwaltung soll ihr Handeln überprüfen, den Beteiligten sollen die
die Entscheidung tragenden Gründe offenbart und der Widerspruchsbehörde und
den Gerichten soll die Kontrolle der Verwaltung ermöglicht werden (vgl. statt vieler
Kopp, VwVfG, 5. Aufl. 1991, § 39 Rdnr. 2 ff. m. w. N.). Im Bereich der
Eingriffsverwaltung gebietet die Begründungspflicht zumindest die Nennung der
Befugnisnorm und knappe Ausführungen zu deren tatbestandlichen
Voraussetzungen. Die Begründung von Ermessensentscheidungen soll nach § 39
Abs. 1 Satz 2 HVwVfG auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die
Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Vorliegend ist
bereits nicht eindeutig klargestellt, ob die Nutzungsverbotsverfügung auf § 78 Abs.
1 HBO - dies ist die einschlägige Befugnisnorm - oder auf § 61 Abs. 2 HBO - dies
ist die von dem spezielleren § 78 Abs. 1 HBO verdrängte Generalbefugnisnorm -
gestützt wird. Die Begründung des Nutzungsverbotes erschöpft sich im Übrigen in
den vorstehend wiedergegebenen beiden Sätzen. Unter Punkt 3. der Verfügung ist
ausgeführt, bei der auf einem Wohngebäude angebrachten Mobilfunkanlage
handele es sich unter Zugrundelegung des Beschlusses des
Verwaltungsgerichtshofes Kassel vom 19.12.2000 - das Aktenzeichen ist nicht
genannt - aufgrund der Nutzungsänderung um ein baugenehmigungspflichtiges
Vorhaben. Eine Baugenehmigung sei nicht erteilt worden. Diese Ausführungen
genügen der Begründungspflicht nicht, da sie die der Entscheidung zugrunde
liegende Sachlage unvollständig berücksichtigen und nicht erkennen lassen, dass
der Antragsgegner im Außenverhältnis unmissverständlich geäußert hatte, dass
eine Genehmigungsfreiheit bestehe und die Mobilfunkanlage bauplanungsrechtlich
zulässig sei. Mithin ist völlig außer Betracht geblieben, aufgrund welcher
Vorgeschichte eine Baugenehmigung nicht beantragt bzw. erteilt worden war.
Einzige Ermächtigungsgrundlage für das bauordnungsbehördliche Nutzungsverbot
ist § 78 Abs. 1 HBO. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn
bauliche Anlagen oder andere Anlagen oder Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 Satz 2
HBO oder Teile von ihnen gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche
Vorschriften über Errichtung, Änderung, Instandhaltung oder Nutzung dieser
Anlagen und Einrichtungen verstoßen, u. a. die Nutzung untersagen, wenn nicht
auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Dem
Tatbestandsmerkmal "wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände
hergestellt werden können", das in besonderem Maße dem grundgesetzlichen
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. BVerfGE 15, 226; 19, 342; 23, 127; 69, 161;
76, 256), der zudem einfachgesetzlich nach den §§ 3 Abs. 1 Satz 3, 4 HSOG zu
beachten ist, Rechnung trägt, wird nicht genügt. Die ergangene
Nutzungsverbotsverfügung verletzt deshalb die Antragstellerin offensichtlich in
ihren Rechten, da sie solchermaßen unverhältnismäßig ist. In der Verfügung selbst
finden sich keinerlei Ausführungen zu der Frage der Verhältnismäßigkeit. Hierzu ist
festzustellen, dass die Mobilfunkanlage zu einem Zeitpunkt errichtet wurde, in
dem aufgrund der Freistellungsvorschriften der Hessischen Bauordnung und auch
anderer Landesbauordnungen allgemein, so auch von den Beteiligten (s. o.), der
obersten Bauaufsichtsbehörde (vgl. den Erlass des Hessischen Ministeriums für
Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung "Baugenehmigungsfreiheit für
Mobilfunksendeanlagen und Mobilfunkempfangsanlagen" vom 12.03.2001 - VII 3-
64 b 12/13-1/2001 -) und dem erkennenden Gericht (vgl. den Beschluss vom
29.08.2000 -1 G 2224/00 - davon ausgegangen wurde, dass die Anbringung einer
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29.08.2000 -1 G 2224/00 - davon ausgegangen wurde, dass die Anbringung einer
Mobilfunkanlage wie der streitbefangenen an einem bestehenden Gebäude nach §
63 Abs. 2 Nr. 2a HBO baugenehmigungsfrei ist. Die Antragstellerin hat im
Vertrauen auf diese Rechtslage die Mobilfunkanlage unter hohem
Investitionsaufwand errichtet. Sie ist auch von der Antragsgegnerin, der gegenüber
sie die beabsichtigte Errichtung mit Schreiben vom 20.03.2000 mitgeteilt hatte,
nicht auf die Erforderlichkeit eines Baugenehmigungsverfahrens hingewiesen
worden. Die Antragsgegnerin hat im Gegenteil ausdrücklich gegenüber einem bei
ihr vorstellig gewordenen Nachbarn die Auffassung vertreten, eine
Genehmigungspflicht bestehe nach dieser Vorschrift nicht und die Mobilfunkanlage
sei zudem bauplanungsrechtlich zulässig. Nach dieser Vorgeschichte hätte es der
Antragsgegnerin oblegen, als milderes Mittel gegenüber einem Nutzungsverbot
die nach § 78 Abs. 2 HBO eingeräumte Möglichkeit zu nutzen, von der
Antragstellerin zu verlangen, dass nachträglich ein Bauantrag gestellt wird.
Zudem ist die für die Befolgung des Nutzungsverbots gesetzte Frist offensichtlich
rechtswidrig. Faktisch ist der Antragstellerin keine solche Frist eingeräumt worden.
Der Antragstellerin wurde die Nutzung der Mobilfunkanlage ab dem 07.03.2001
untersagt. Ausweislich der bei der Behördenakte befindlichen Zustellungsurkunde
erfolgte die Zustellung dieser Nutzungsverbotsverfügung am gleichen Tag, dem
07.03.2001. Damit war der Antragstellerin ohne Einräumung einer Frist
aufgegeben, die streitgegenständliche Mobilfunkanlage abzuschalten. Vor diesem
ausgeführten Hintergrund eine Nutzungsuntersagung zu erlassen und dies ohne
jegliche Befolgungsfrist, verletzt das Übermaßverbot als Bestandteil des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§§ 3 Abs. 1 Satz 3, 4 Abs. 2 HSOG). Zudem
wäre auch eine einwöchige Frist vor diesem Hintergrund sowie angesichts des
Untätigbleibens der Antragsgegnerin über einen Zeitraum von einem Jahr, der von
der Antragstellerin angeführten erheblichen wirtschaftlichen Folgen und der von
der Antragsgegnerin unterlassenen Anhörung (§ 28 HVwVfG) offensichtlich
rechtswidrig.
Weiter enthält die streitgegenständliche Verfügung keinerlei Ermessensausübung
und verstößt damit gegen § 40 HVwVfG. Ziel der Ermessensausübung ist die
verwaltungsmäßig richtige Entscheidung. Deshalb muss nach § 40 HVwVfG die
Entscheidung sachlich, hinreichend, d. h. sämtliche Gesichtspunkte tatsächlicher
und rechtlicher Natur berücksichtigend (vgl. Hess. VGH, RiA 1989, 275), sowie dem
Zweck der Ermessenseinräumung entsprechend und mithin nicht von
sachfremden Überlegungen geleitet sein (grdl. z. B. Drews/Wacke/Vogel/Martens,
Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 378 ff.). Nach § 114 Satz 1 VwGO sind die
Ermessensüberschreitung und der Ermessensfehlgebrauch - dazu zählt auch der
Ermessensausfall - gerichtlicher Überprüfung zugänglich. Nach der ständigen
Rechtsprechung des erkennenden Gerichts darf zwar die Behörde bei einem
Einschreiten gegen einen rechtswidrigen Zustand im Regelfall ihre
Ermessenserwägungen darauf beschränken, dass sie zum Ausdruck bringt, ihr
gehe es um die Beseitigung dieses rechtswidrigen Zustandes (so auch BVerwG,
NJW 1986, 393), denn dem der Behörde für Nutzungsuntersagungen in § 78 Abs. 1
HBO eingeräumten Ermessen ist die Tendenz eigen, die der Sache nach gebotene
Pflicht zum Einschreiten zu verwirklichen. Das behördliche Ermessen wird durch
diese Norm - es ist in ihr nicht eingeschränkt - eröffnet, um jedenfalls in
Ausnahmefällen zu ermöglichen, von dem an sich gebotenen Einschreiten
abzusehen, wenn dies nach den konkreten Umständen opportun ist (vgl. OVG
Thüringen, Beschluss vom 27.06.1996 - 1 EO 425/95 -, ThürVBl. 1997, 16; Urteil
vom 11.12.1997 - 1 KO 674/95 -, ThürVBl. 1998, 137 m. w. N.). Vorliegend drängt
sich auf, dass ein solcher Ausnahmefall gegeben ist. Welche
Ermessenserwägungen in diesem Zusammenhang anzustellen gewesen wären,
ergibt sich aus dem ermessenslenkenden, den Beteiligten bekannten
vorgenannten Erlass des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und
Landesentwicklung gegenüber den Unteren Bauaufsichtsbehörden vom
12.03.2001. Darin wird ausgeführt, dass ein dringendes Bedürfnis im Hinblick auf
die Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, gegen bestehende
Mobilfunkantennenanlagen bauaufsichtlich einzuschreiten, derzeit nicht gegeben
sei, da es sich bei den Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
nicht um abschließende Entscheidungen in der Hauptsache handele. Außerdem
sei bei bereits bestehenden Antennenanlagen die gesundheitliche
Unbedenklichkeit durch eine Standortbescheinigung des Bundesamtes für Post
und Telekommunikation festgestellt. Im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens
sei deshalb ein sofortiges Einschreiten nicht geboten. Die Feststellung der
planungsrechtlichen Zulässigkeit könne, falls sich die Rechtsprechung des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs festigen sollte, in einem späteren Verfahren
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Hessischen Verwaltungsgerichtshofs festigen sollte, in einem späteren Verfahren
aufgearbeitet werden. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Mobilfunkbetreiber
einen Versorgungsauftrag hätten und inzwischen unbestreitbar ein öffentliches
Interesse an flächendeckenden Mobilfunknetzen zur Sicherung der Versorgung
breiter Bevölkerungsschichten mit mobilen Telekommunikationseinrichtungen
bestehe. Da in dieser Hinsicht in der streitgegenständlichen Verfügung keinerlei
Ausführungen gemacht worden sind, ist das Nutzungsverbot auch wegen eines
vollständigen Ermessenausfalls offensichtlich rechtswidrig.
Der vorgenannte Erlass des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und
Landesentwicklung an die Unteren Bauaufsichtsbehörden lag der Antragsgegnerin
zu dem Zeitpunkt, als sie die Nutzungsuntersagung erließ, noch nicht vor. Der
Erlass ist ihr aber mit gerichtlicher Verfügung vom 16.03.2001 übermittelt worden.
Gleichwohl hat sie nicht von der ihr nach § 114 Satz 2 VwGO eingeräumten
Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihre Entscheidung im Hinblick auf das
auszuübende Ermessen zu überdenken. Sie hat vielmehr mit Schriftsatz vom
16.03.2001 auf die gerichtliche Verfügung mitgeteilt, dass der Sofortvollzug nicht
aufgehoben werde.
Weiter hat die Antragsgegnerin außer Betracht gelassen, dass die Antragstellerin
für die streitbefangene Mobilfunkanlage die vorgenannte Standortbescheinigung
des Bundesamtes für Post und Telekommunikation vorgelegt hatte, die schädliche
Umwelteinwirkungen i. S. d. §§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 Satz 1 BImSchG i.
V. m. der 26. BImSchV (BGBl. 1996 I, S. 1966) sowie insoweit zugleich ein Verstoß
gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot nach § 15 BauNVO
ausschließt (vgl. BVerfG, NJW 1997, 2509; BVerwG, NVwZ 1996, 1023; Bay. VGH,
NVwZ 1998, 419; Sächs. OVG, DÖV 1998, 431; VGH Bad.-Württ., NVwZ 1998, 416;
Hess. VGH, Beschl. v. 29.07.1999 - 4 TG 2118/99 -). Auch dies belegt einen
Ermessensfehlgebrauch und führt zur Unverhältnismäßigkeit der gesetzten Frist
und zur fehlenden Eilbedürftigkeit in Bezug auf das faktisch ohne Frist verfügte
Nutzungsverbot.
Gleiches folgt aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin entgegen ihrer
gegenüber einem Eingeber schriftlich geäußerten Auffassung,
bauplanungsrechtliche Bedenken bestünden nicht, diese Einschätzung ohne
Begründung nicht aufrecht erhält. Insoweit hätte sie sich zwingend auch mit der
Frage auseinandersetzen müssen (§ 39 Abs. 1 HVwVfG), ob es sich bei der
streitbefangenen Mobilfunkanlage - diese ist der Antragsgegnerin seit einem Jahr
bekannt gewesen - überhaupt um ein Vorhaben i.S.v. § 29 Abs. 1 BauGB handelt.
Voraussetzung dafür ist, dass die Mobilfunkanlage städtebauliche Relevanz hat, d.
h. die in § 1 Abs. 5 BauGB genannten Belange in einer Weise berührt, die geeignet
ist, das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit verbindlich regelnden Bauleitplanung
hervorzurufen (vgl. BVerwGE 44, 59). Da die Erscheinungsformen der
Sendeanlagen des Mobilfunks nach Größe und konkreter Ausgestaltung vielfältig
sind und zudem der jeweilige Standort in die Beurteilung einzubeziehen ist, muss
die Frage der städtebaulichen Relevanz in jedem einzelnen Fall gesondert geprüft
werden. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Standort exponiert oder
weniger exponiert ist (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 21.06.1999 - CE 98.3374 -) oder ob
die Anlage die städtebauliche Ordnung durch Störung des Ortsbildes
beeinträchtigt (vgl. BVerwG, BauR 1993, 315; Stellungnahme des Hessischen
Städtetages in INF. HSTT 3/2001, S. 60). Selbst wenn hier ein Vorhaben i. S. d. §
29 Abs. 1 BauGB zu bejahen sein sollte, hätte angesichts der Verbreitung des
Mobilfunks, wodurch dieser der Grundversorgung der Bevölkerung mit
Telekommunikationseinrichtungen dient (vgl. die §§ 17, 18 TKG), geprüft werden
müssen, ob die Mobilfunkanlage im festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet (§ 4
BauNVO) nicht als dem Gebiet dienende Versorgungseinrichtung (§ 14 Abs. 2 Satz
2 BauNVO) hätte zugelassen werden müssen (vgl. König/Roeser/Stock, BauNVO, §
14 Rdnr. 33 ff.; Fickert/Fieseler, BauNVO, 6. Aufl., § 14 Rdnr. 11, 11).
Weiter hätte die Frage, ob die streitbefangene Mobilfunkanlage ein Vorhaben i. S.
d. § 29 Abs. 1 BauGB ist, im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin beigezogene
Eilentscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes - sofern man dieser
überhaupt eine über den entschiedenen Einzelfall hinausgehende Bedeutung
beimessen kann (vgl. den vorgenannten Erlass vom 12.03.2001) - geprüft werden
müssen im Hinblick auf die Frage, ob es sich überhaupt um eine
Nutzungsänderung handelt. Auch dies ist nicht geschehen.
Die genannten Bedenken folgen zudem daraus, dass keine bauordnungsrechtliche
Relevanz der streitbefangenen Mobilfunkanlage geprüft wurde. Bei derartigen
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Relevanz der streitbefangenen Mobilfunkanlage geprüft wurde. Bei derartigen
zumeist stabförmigen Mobilfunksendeanlagen spricht anders als bei
Parabolantennen (vgl. dazu Hess. VGH, HessVGRspr. 1999, 28) viel dafür, dass sie
keine gebäudegleiche Wirkung haben und deshalb nicht nach § 6 Abs. 9 HBO
abstandsflächenrelevant sind. Überdies wurde, wenn eine
Abstandsflächenrelevanz zu bejahen sein sollte, nicht geprüft, ob konkret der nach
§ 6 Abs. 5 HBO erforderliche Abstand eingehalten wird oder nicht.
Zusammenfassend ergibt sich, dass das Nutzungsverbot und der diesbezügliche
Sofortvollzug aus jedem der vorgenannten Gründe keinen Bestand haben kann.
Deshalb besteht nach alledem kein vorrangiges öffentliches Interesse an der
sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung, so dass insoweit die
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin wieder herzustellen
ist.
Dies alles gilt auch in Bezug auf die für sofort vollziehbar erklärte Verpflichtung, bis
zum 12.03.2001 eine Bestätigung vorzulegen, seit wann die Anlage nicht mehr
genutzt werde.
Da es aufgrund des zuvor Ausgeführten derzeit an einer vollziehbaren
Grundverfügung fehlt, hat auch der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs gegen die in Punkt 2. der Verfügung enthaltene
Zwangsgeldandrohung Erfolg (§ 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz
2 VwGO, § 16 HessAGVwGO). Der gestellte Antrag ist in dieser umfassenden Weise
zu verstehen, da ausweislich des Antragswortlautes die aufschiebende Wirkung
des Widerspruches in Bezug auf den genannten Bescheid begehrt wird (§ 88
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.