Urteil des VG Gießen vom 05.12.2003

VG Gießen: gleiche zeit, abschleppen, widerspruchsverfahren, fahrzeug, vorverfahren, verwirkung, verwaltungsgebühr, berechnungsgrundlage, rückerstattung, abholung

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Gericht:
VG Gießen 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 E 4475/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 113 Abs 1 VwGO, § 14 Abs 1
VwGOAG HE, § 4 Abs 3 S 1
VwKostG HE
Abschleppen eines Kraftfahrzeuges bei ausgelegter
Mobilfunknummer; Höhe einer Widerspruchsgebühr.
Leitsatz
Abschleppen an Parkuhr
Tatbestand
Mit der Klage wendet die Klägerin sich gegen die kostenrechtliche
Inanspruchnahme für das Abschleppen ihres Kraftfahrzeuges. Die Klägerin ist
Halterin eines Pkw Fiat mit dem amtlichen Kennzeichen ... .
Am 29.06.1999 stellte ein Hilfspolizeibeamter der Beklagten kurz vor 11.00 Uhr
fest, dass der am 28.06.1999 an der Parkuhr Nr. 97 in der B. Straße als geparkt
festgestellte Pkw noch immer an der abgelaufenen Parkuhr Nr. 97 stand. Um
10.56 Uhr wurde ein Abschleppunternehmen angefordert, welches den Pkw um
11.30 Uhr abschleppte. In dem Bericht über die Sicherstellung führte der für die
Beklagte tätig gewordene Hilfspolizeibeamte aus, das Fahrzeug habe unerlaubt
und ordnungswidrig seit mindestens 28.06.1999, 14.03 Uhr, an der abgelaufenen
Parkuhr Nr. 97 gestanden und dabei die zulässige Höchstparkzeit von 60 Minuten
um mehr als sechs Stunden überschritten. Lichtbilder des an der abgelaufenen
Parkuhr stehenden Kraftfahrzeuges der Klägerin sind in der Akte beigefügt.
Bei Abholung des Kraftfahrzeuges beim Abschleppunternehmen entrichtete die
Klägerin dem Abschleppunternehmen Gebühren in Höhe von 281,70 DM, die
seitens des Abschleppunternehmens auf den anwaltlichen Schriftsatz vom
06.08.2001 an die Klägerin erstattet wurden.
Daraufhin stellte das Abschleppunternehmen unter dem 09.08.2001 der Beklagten
Abschleppkosten in Höhe von 171,12 DM zuzüglich einer Herausgabegebühr von
20,-- DM in Rechnung und erhob auf diesen Betrag eine Mehrwertsteuer von 16 %,
woraus sich ein Gesamtbetrag von 232,69 DM errechnet.
Mit Kostenbescheid vom 16.08.2001 forderte die Beklagte die Klägerin auf, für die
Abschleppmaßnahme betreffend ihr Kraftfahrzeug 292,69 DM zu zahlen. Dieser
Betrag setzte sich zusammen aus den von der Firma S. berechneten
Abschleppkosten zuzüglich einer Verwaltungsgebühr von 60,-- DM.
Hiergegen legte die Klägerin am 14.09.2001 Widerspruch ein, den sie mit
Schriftsatz vom 26.11.2001 im Wesentlichen damit begründete, mindestens eine
der drei Abschleppmaßnahmen sei unverhältnismäßig gewesen. Bei einem
weiteren Fall lägen zwei Ordnungswidrigkeitsanzeigen vor, die sich einander
widersprächen. Es gehe um den gleichen Ort, die gleiche Zeit und zwei
verschiedene Anzeigen. Außerdem könne es sein, dass die Klägerin ihre
Handynummer sichtbar im Fahrzeug ausgelegt habe. In welchem der drei
Abschleppfälle dies geschehen sei, müsse noch recherchiert werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2003 wies das Regierungspräsidium Gießen
den Widerspruch der Klägerin gegen den Kostenbescheid der Beklagten vom
16.08.2001 zurück und setzte gleichzeitig für das Widerspruchsverfahren Kosten in
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16.08.2001 zurück und setzte gleichzeitig für das Widerspruchsverfahren Kosten in
Höhe von 66,-- Euro fest.
Am 10.10.2003 hat die Klägerin Klage erhoben.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, der Widerspruchsbescheid sei
hinsichtlich der in der Begründung enthaltenen Zeitangaben widersprüchlich. Diese
Ungereimtheiten hingen damit zusammen, dass verschiedene
Ordnungswidrigkeitsanzeigen mit verschiedenem Inhalt erstattet worden seien.
Das Risiko der Unaufklärbarkeit, welche Anzeige falsch sei, treffe nicht den Bürger,
sondern den Anzeigeerstatter. Zudem habe im Fahrzeug eine Handynummer
ausgelegen, was die Abschleppmaßnahme als rechtswidrig erscheinen lasse.
Insoweit werde auf die Rechtsprechung des OVG Hamburg vom 14.08.2001 Bezug
genommen. Auch werde der Widerspruchsvortrag zur Verwirkung aufrecht
erhalten.
Die Klägerin beantragt
den Kostenbescheid des Beklagten vom 16.08.2001 und den
Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Gießen vom 10.09.2003
aufzuheben sowie die Hinzuziehung des Bevollmächtigten der Klägerin im
Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Gründe des
Widerspruchsbescheides vom 10.09.2003 aus, bei der Beklagten seien in der
Datenverarbeitung keinerlei Aufzeichnungen mehr über Ordnungswidrigkeiten
aufgezeichnet. Eine Aufklärung habe insoweit nur durch die Klägerin erfolgen
können, was nicht geschehen sei. Auch könne nicht nachvollzogen werden, ob in
dem Kraftfahrzeug ein Zettel mit einer Rufnummer der Klägerin ausgelegen habe.
Selbst wenn dies der Fall gewesen sei, sei auf die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts hinzuweisen.
Mit Beschluss vom 01.12.2003 hat die Kammer, nachdem den Beteiligten zuvor
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist, den Rechtsstreit nach § 6
Abs. 1 VwGO dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen und mit Schriftsätzen
vom 28.10.2003 (Klägerin) und vom 25.11.2003 (Beklagte) haben die Beteiligten
sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen
Verfahren einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten
Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen
sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im
Übrigen dagegen unbegründet. Der angefochtene Kostenbescheid des
Oberbürgermeisters der Beklagten vom 16.08.2001 und der den Widerspruch in
der Sache zurückweisende Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums
Gießen vom 10.09.2003 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren
Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Aufgrund des vor Ort festgestellten Sachverhaltes durfte der für die Beklagte tätig
gewordene Hilfspolizeibeamte das Abschleppen des klägerischen Kraftfahrzeuges
auf Kosten der Klägerin veranlassen. Das Kraftfahrzeug parkte im Zeitpunkt der
Feststellungen am 29.06.1999 seit mindestens 28.06.1999, 14.03 Uhr, an der
Parkuhr Nr. 97 in der B.straße im Stadtgebiet der Beklagten, wobei die Parkuhr
abgelaufen war. Die Tatsache, dass die Parkuhr abgelaufen war, ergibt sich
eindeutig aus den in der Behördenakte befindlichen Lichtbildern. Damit erscheint
die veranlasste Abschleppmaßnahme insgesamt als rechtmäßig und entgegen der
Auffassung der Klägerin nicht fehlerhaft. Die Maßnahme erscheint auch nicht
deshalb fehlerhaft, weil die Klägerin vorträgt, sie habe möglicherweise im
Kraftfahrzeug deutlich sichtbar ihre Mobilfunktelefonnummer ausgelegt. Allein
dieser Vortrag genügt nicht, um eine Pflicht des Hilfspolizeibeamten zu begründen,
die Klägerin von dem eingetretenen Verkehrsverstoß zu benachrichtigen und sie
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die Klägerin von dem eingetretenen Verkehrsverstoß zu benachrichtigen und sie
zum Wegfahren aufzufordern. Die Klägerin kann sich insoweit nicht auf die
Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Hamburg berufen, denn dieser
Rechtsprechung kann nach der auf das Urteil des OVG Hamburg ergangenen
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.02.2002 ( 3 B 149/01, NJW
2002, 2122) nicht mehr gefolgt werden (VG Gießen, Urteil vom 20.09.2002, 10 E
1547/02 m.w.N.).
Im Übrigen nimmt das Gericht insoweit insgesamt Bezug auf die zutreffenden
Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Gießen
vom 10.09.2003 und sieht von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Ergänzend hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin sich nicht auf
Verwirkung berufen kann. Sie selbst hat den durch die Abschleppmaßnahme
verursachten Betrag bei Abholung des Kraftfahrzeuges an das
Abschleppunternehmen gezahlt und diesen Betrag erst mit anwaltlichem
Schriftsatz vom 06.08.2001 zurückgefordert. Ausgehend von der Zahlung des
Betrages am Abholtag hatte die Beklagte keinerlei Veranlassung, in dieser Sache
weiter tätig zu werden. Dieses Erfordernis trat erst ein im Zeitpunkt des
Verlangens auf Rückerstattung und der hierauf tatsächlich erfolgten
Rückerstattung. Ausgehend von diesem Zeitablauf kann dem Kostenbescheid vom
16.08.2001 der Einwand der Verwirkung des geltend gemachten Anspruchs nicht
entgegengehalten werden. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass die im
Widerspruchsbescheid enthaltene Sachverhaltsdarstellung keineswegs
widersprüchlich ist, sondern sich mit dem aktenkundigen Abschleppvorgang in
Übereinklang bringen lässt. Nach den Feststellungen des Hilfspolizeibeamten
wurde das Abschleppunternehmen um 10.56 Uhr angefordert und das
Kraftfahrzeug um 11.30 Uhr abgeschleppt. Von daher erscheint es nicht
widersprüchlich, dass das Kraftfahrzeug bis 11.30 Uhr an der abgelaufenen
Parkuhr abgestellt war, um 11.00 Uhr aber das Abschleppen veranlasst wurde.
Als rechtswidrig und die Klägerin in ihren Rechten verletzend erweist sich der
Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Gießen vom 10.09.2003 jedoch
insoweit, als in Ziffer 3 die Kosten für das Widerspruchsverfahren auf über 20,--
Euro festgesetzt wurden. Bei der Kostenberechnung, die für das
Widerspruchsverfahren nach § 14 Abs. 1 HessAGVwGO i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 des
Hessischen Verwaltungskostengesetzes zu erfolgen hatte, geht das
Regierungspräsidium zunächst von einer unrichtigen Berechnungsgrundlage aus.
Berechnungsgrundlage in diesem Sinne kann nämlich nur die seitens der den
Erstbescheid erlassenden Behörde festgesetzte Verwaltungsgebühr, hier 60,-- DM,
sein. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts
(Urteil vom 18.10.2002, 10 E 2292/02 und Urteil vom 19.05.2003, 10 E 935/03).
Danach beträgt die für das Widerspruchsverfahren rechtmäßig festzusetzende
Gebühr maximal 75 % von 60,-- DM (entspricht 30,68 Euro), woraus sich ein
Betrag von ca. 23,-- Euro errechnet. In Anbetracht dessen, dass das
Regierungspräsidium Gießen ähnlich gelagerte Sachverhalte mehrfach mit
Widerspruchsbescheid zu entscheiden hatte und hinsichtlich im Kraftfahrzeug
ausgelegter Telefonnummern bereits ein Urteil der erkennenden Kammer besteht
(20.09.2002, 10 E 1547/02), hält das Gericht die Ausschöpfung des
Maximalrahmens von 75 % nicht für angemessen, sondern erachtet eine Gebühr
für das Widerspruchsverfahren von 20,-- Euro als der Sach- und Rechtslage
ausreichend Rechnung tragend. Die darüber hinausgehende Gebührenfestsetzung
ist demnach aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und
berücksichtigt das jeweilige Obsiegen bzw. Unterliegen der Beteiligten. Der
Ausspruch zur Erforderlichkeit der Hinzuziehung des Bevollmächtigten im
Vorverfahren beruht auf § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, weil es der rechtsunkundigen
Klägerin nicht zuzumuten war, das Vorverfahren ohne einen rechtskundigen
Bevollmächtigten durchzuführen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und Abwendungsbefugnis folgt
aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß § 13 Abs. 1 GKG auf 207,87 Euro
festgesetzt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.