Urteil des VG Gelsenkirchen vom 11.11.2005

VG Gelsenkirchen: beiladung, streitverkündung, aufenthalt, verjährungsfrist, rechtskräftiges urteil, örtliche zuständigkeit, zustellung, tod, unterbrechung, rechtssicherheit

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 19 K 824/04
Datum:
11.11.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 K 824/04
Schlagworte:
Sozialleistung, Leistungsträger, Erstattung, Verjährung, Hemmung,
Unterbrechung, Beiladung, einfache Streitverkündung, Rechtskraft
Normen:
SGB X §§ 113, 120 Abs 2; SGB VIII §§ 89a, 86 Abs 6; BGB n.F. § 204
Abs 1 Nr 6; EGBGB Art 229 § 6 Abs 1; VwGO §§ 65, 121
Leitsätze:
Der Antrag auf (einfache) Beiladung eines Sozialleistungsträgers hemmt
nicht die Verjährung eines in einem späteren Klageverfahren gegen ihn
geltend gemachten Erstattungsanspruchs.
Der Antrag auf (einfache) Beiladung hat nicht die verjährungshemmende
Wirkung der Zustellung einer Streitverkündung.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor
der Vollstreckung entsprechend Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten, die die Klägerin für die
Vollzeitpflege des am 13. September 1981 geborenen D. -S. T. (im Folgenden:
Hilfeempfänger) in dem Zeitraum nach dem Tod seiner leiblichen Mutter im August 1995
bis Oktober 1998 geleistet hat.
2
Die verstorbene Mutter des Hilfeempfängers hatte seit Juli 1981 ihren Wohnsitz in S1. .
Der Hilfeempfänger ist in einer Klinik in S1. geboren worden. Eine Vaterschaft ist nicht
anerkannt oder gerichtlich festgestellt worden. Er leidet u.a. an einem Morbus Down und
wurde nach der Geburt aus der Klinik in S1. in die Vestische Kinderklinik in E. verlegt.
Das Jugendamt der Beklagten ist von der Kinderklinik seit Dezember 1981 gebeten
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worden, den Hilfeempfänger in einer Pflege- bzw. Adoptivfamilie unterzubringen, weil
die Eltern eine Übernahme des Kindes in keinem Fall erwünschten. Daraufhin gewährte
die Beklagte Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege durch Unterbringung des
Hilfeempfängers seit 2. April 1982 im Haushalt der Familie T. in N. . Auch nach dem
Umzug der Pflegefamilie in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin im Juni 1987
erkannte die Beklagte die Übernahme der durch die Vollzeitpflege entstehenden
Kosten, für deren Gewährung zwischenzeitlich die Klägerin zuständig geworden war,
an. Am 7. September 1993 ist das Sorgerecht auf die Familie T. übertragen worden.
Nach dem Tod der Mutter am 19. August 1995 widerrief die Beklagte ihr
Kostenanerkenntnis unter Hinweis darauf, dass es nunmehr nicht mehr auf den
gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter ankomme.
4
Nachdem das Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes
Schleswig-Holstein eine Kostenerstattung abgelehnt hatte, forderte die Klägerin mit
Schreiben vom 21. November 1996 den Landschaftsverband Westfalen- Lippe zur
Kostenerstattung auf, weil im vorliegenden Fall für die örtliche Zuständigkeit der
tatsächliche Aufenthalt des Kindes maßgeblich sei. Sie machte geltend: Die Mutter des
Hilfeempfängers habe sich seinerzeit geweigert, den Hilfeempfänger mit nach Hause zu
nehmen. Er sei deshalb vor Hilfebeginn in Kliniken untergebracht gewesen und habe
nicht bei seiner Mutter in S1. einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen können. Der
Landschaftsverband Westfalen-Lippe trat dieser Auffassung entgegen mit der
Begründung, Kinder erlangten grundsätzlich mit der Geburt ihren gewöhnlichen
Aufenthalt dort, wo auch die Mutter den gewöhnlichen Aufenthalt habe. Es sei
unerheblich, ob das Kind tatsächlich in die mütterliche Wohnung aufgenommen worden
sei.
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Im Rahmen der von der Klägerin gegen den Landschaftsverband Westfalen- Lippe beim
Verwaltungsgericht N. (9 K 2474/00) am 12. August 2000 erhobenen Klage ist die
Beklagte gemäß dem in der Klageschrift gestellten Antrag durch Beschluss vom 11.
April 2003 beigeladen worden, weil ihre rechtlichen Interessen durch die Entscheidung
in dem anhängigen Verfahren berührt würden. Durch rechtskräftiges Urteil vom 13.
August 2003 - die Zustellung des Urteils an die Klägerin erfolgte am 26. August 2003 -
ist die Klage mit der tragenden Begründung abgewiesen worden, die
Kostenerstattungspflicht der Beklagten habe sich durch den Tod der Mutter des
Hilfeempfängers nicht geändert. Der Hilfeempfänger habe vor Hilfebeginn zunächst bis
zur Weigerung seiner Mutter im Dezember 1981, ihn zu sich zu nehmen, seinen
gewöhnlichen Aufenthalt bei seiner Mutter in S1. gehabt. Damit habe er während der
letzten sechs Monate vor Beginn der Hilfeleistung im Sinne des § 86 Abs. 4 Satz 2 SGB
VIII seinen gewöhnlichen Aufenthalt in S1. gehabt, so dass die Beklagte nach § 86 Abs.
4 Satz 2 SGB VIII weiterhin erstattungspflichtiger örtlicher Träger sei.
6
Die Klägerin beantragte daraufhin erneut im November 2003 bei der Beklagten die
Erstattung der für den Hilfeempfänger aufgewendeten Kosten. Die Beklagte lehnte eine
Kostenerstattung mit Schreiben vom 25. November 2003 ab und erhob zugleich die
Einrede der Verjährung.
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Die Klägerin hat am 17. Februar 2004 Klage erhoben.
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Sie macht geltend: Die Beklagte sei auch nach dem Tod der Kindesmutter zur
Kostenerstattung verpflichtet gewesen, wie sich aus den Ausführungen im Urteil des VG
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N. ergebe. Es sei regelmäßig davon auszugehen, dass die Mutter die Absicht gehabt
habe, das Kind nach Beendigung des Krankenhausaufenthaltes zu sich zu nehmen, so
dass dieses regelmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter begründe. Erst
durch die Weigerung der Kindesmutter im Dezember 1981 sei der gewöhnliche
Aufenthalt des Hilfeempfängers in S1. beendet worden.
Der Kostenerstattungsanspruch sei nicht verjährt. Die Verjährung sei nach der
sinngemäß geltenden Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB durch die beantragte
Beiladung der Beklagten im Verfahren vor dem VG N. gehemmt worden. Da es keine
Streitverkündung im Verwaltungsprozess gebe, müssten Grundsätze der
Streitverkündung auf das Institut der Beiladung nach der VwGO übertragen werden. Die
Beteiligung Dritter im Verwaltungsprozess sei der Parteidisposition entzogen, deshalb
sei für den Beginn der Verjährungshemmung nicht auf die Zustellung des
Beiladungsbeschlusses, sondern auf den Zeitpunkt der Zustellung des
Beiladungsantrages - Mitte August 2000 - abzustellen. Der Anspruch verjähre sechs
Monate nach Rechtskraft des Urteils, mithin nicht vor dem 26. März 2004, also nach
Klageerhebung am 17. Februar 2004. Da es um einen identischen
Kostenerstattungsanspruch gegen einen von zwei Trägern der öffentlichen Jugendhilfe
gehe und der Rechtsstreit gegen den Landschaftsverband Westfalen- Lippe präjudiziell
gewesen sei, sei durch das klageabweisende Urteil des VG N. entschieden worden,
dass die Beklagte die Kostenerstattung schulde. In einem solchen Fall aber habe
aufgrund der in § 113 SGB X angeordneten entsprechenden Anwendbarkeit des § 204
Abs. 1 Nr. 6 BGB die Beiladung in einem Verwaltungsprozess die Wirkung einer
Streitverkündung.
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Die Klägerin beantragt,
11
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 29.520,00 EUR zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
14
Sei macht geltend: Der Erstattungsanspruch sei verjährt, weil er nicht innerhalb von vier
Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die Erstattungsansprüche entstanden seien,
gegenüber der Beklagten geltend gemacht worden sei, so dass die Ansprüche
spätestens mit Ablauf des Jahres 2002 verjährt gewesen seien. Die Verjährungsfrist sei
durch die Beiladung der Beklagten im Verfahren 9 K 2474/00 vor dem VG N. nicht
gehemmt worden. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 6
BGB scheide aus, weil die Rechtsinstitute der Streitverkündung und der Beiladung nicht
gleichgestellt werden könnten. In Fällen einfacher Beiladung stehe es im Ermessen des
Gerichts, ob und wann eine Beiladung erfolge, die Streitverkündung im Zivilprozess
unterliege demgegenüber der Parteidisposition. Auch sei die Position des
Beigeladenen beschränkt darauf, eine der Hauptparteien im Prozess zu unterstützen; er
könne seine Interessen nicht selbständig vertreten.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte einschließlich der beigezogenen Gerichtsakte des VG N. (9 K 2474/00)
und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten und des
Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe Bezug genommen.
16
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
17
Die zulässige Leistungsklage ist unbegründet.
18
Es kann offen bleiben, ob auf Grund der durch die Beiladung bedingten
Rechtskrafterstreckung (§§ 121 Nr. 1, 63 Nr. 3, 65 VwGO) aus den Gründen des
rechtskräftigen Urteils des VG N. ungeachtet der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2002 - 5 C 46.01 - (FEVS 54, 198)
davon auszugehen ist, dass die Beklagte auch für den hier streitigen Zeitraum nach § 89
a SGB VIII zuständige Erstattungspflichtige geblieben ist. Nach dieser Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts setzt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts
auch bei minderjährigen Kindern eine tatsächliche Aufenthaltsnahme voraus, die nicht
durch den bloßen Willen eines personensorgeberechtigten Elternteils, in seiner
Wohnung einen gewöhnlichen Aufenthalt für das Kind zu begründen, ersetzt werden
kann. Der Hilfeempfänger hat indes niemals tatsächlich seinen Aufenthalt bei seiner
Mutter genommen.
19
Der Erstattungsanspruch der Klägerin ist jedenfalls nach § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X,
der auf Grund der Übergangsregelung des § 120 Abs. 2 SGB X in der ab 1. Januar 2001
geltenden Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I, 1983) Anwendung
findet (SGB X n.F.), verjährt. Eine abschließende Entscheidung bis zum 1. Juni 2000
über die Erstattungsansprüche lag noch nicht vor. Die Beklagte hatte die Ansprüche
weder befriedigt noch war über diese rechtskräftig gerichtlich gegenüber der Beklagten
entschieden worden. Soweit Erstattungsansprüche nach § 113 Abs. 1 SGB X a.F.
verjährt gewesen sein sollten, war auch über diese noch nicht abschließend
entschieden, weil die Verjährung erst auf Einrede zu beachten ist, eine solche von der
Beklagten aber erst auf das erneute Erstattungsverlangen der Klägerin mit Schreiben
vom 25. November 2003 erhoben worden ist.
20
Vgl. dazu VG Gelsenkirchen u.a. Urteil vom 22. Juli 2005 - 19 K 624/04 -.
21
Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X n.F. verjähren Erstattungsansprüche in vier Jahren
nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von
der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über dessen
Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Da im vorliegenden Verfahren wegen der
Zuständigkeitsregelung des § 86 Abs. 6 SGB VIII eine Leistungspflicht der Beklagten als
erstattungspflichtiger Leistungsträgerin im Hinblick auf die Gewährung von
Vollzeitpflege nicht in Betracht kommt, ist § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X n.F. - ebenso wie
im Anwendungsbereich des § 97 BSHG - dahin zu verstehen, dass er die vierjährige
Verjährungsfrist an die Entstehung des Erstattungsanspruchs,
22
vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 23. Januar 2003 - 12 LC 527/02 -, FEVS 54, 564,
23
oder an die Kenntnis des erstattungsberechtigten Leistungsträgers von seinem
Erstattungsanspruch knüpft.
24
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 13. Dezember 2002 - 19 K 7084/00 -, NDV - RD 2003, 42;
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Januar 2004 - 12 A 11823/03 -. OVG - FEVS 55,
424.
25
In beiden Fällen lief die Verjährungsfrist spätestens am 31. Dezember 2002 - für
26
Leistungen aus dem Jahr 1998 - ab.
Die Erstattungsansprüche waren fortlaufend mit der tatsächlichen Leistungserbringung
entstanden.
27
Vgl. BSG, Urteil vom 22. August 2000 - B 2 U 24/99 A -, FEVS 52, 145; VG
Gelsenkirchen, Urteil vom 13. Dezember 2002 - 19 K 1588/00 -.
28
Die Verjährungsfrist begann danach jeweils am 1. des Jahres, in dem die
Erstattungsansprüche durch die tatsächliche Erbringung der Leistung entstanden waren,
d.h. für die zuletzt im Jahre 1998 erbrachten Leistungen am 1. Januar 1999, so dass
diese mit Ablauf des Jahres 2002 - ebenso wie die Erstattungsansprüche auf Grund der
in den vorangegangen Jahren erbrachten Leistungen - verjährt waren.
29
Die vierjährige Verjährungsfrist war auch dann spätestens Ende 2002 abgelaufen, wenn
es auf die Kenntnis des erstattungsberechtigten Leistungsträgers von seinem
Erstattungsanspruch ankommt. Die Klägerin wusste nämlich bereits seit Erbringung
ihrer Hilfeleistungen, dass ihr Erstattungsansprüche zustanden, wie sich aus ihren
Erstattungsbegehren an die Beklagte oder den Landschaftsverband Westfalen-Lippe
ergibt. Selbst wenn es - weitergehend - auf die Kenntnis des erstattungsberechtigten
Leistungsträgers von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über
dessen Erstattungspflicht ankäme,
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vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 13. Dezember 2002, a.a.O,
31
war die Verjährung ebenfalls am 31. Dezember 2002 abgelaufen, weil die Beklagte der
Klägerin mit Schreiben vom 23. August 1995 mitgeteilt hatte, wegen des Todes der
Mutter des Hilfeempfängers nicht mehr verpflichtet zu sein, die Kosten zu erstatten.
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Die Verjährung ist durch die beantragte Beiladung der Beklagten nach den gemäß §
113 Abs. 2 SGB X sinngemäß geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs
weder im Sinne des § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB in der seit 1. Januar 2002 geltenden
Fassung durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November
2001 (BGBl. I, 3138) (BGB n.F.) gehemmt noch im Sinne des § 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB in
der zuvor geltenden Fassung (BGB a.F.) unterbrochen worden. Die in den genannten
Vorschriften des BGB als verjährungsunterbrechendes oder - hemmendes Ereignis
genannte (Zustellung der) Streitverkündung ist nicht entsprechend mit der im
vorliegenden Verfahren beantragten einfachen Beiladung gleichzusetzen, so dass offen
bleiben kann, welche Vorschrift des BGB vorliegend anwendbar ist. Ist § 113 SGB X in
der Neufassung anwendbar, dürfte allerdings nach dem die Hemmung in Bezug
nehmenden Wortlaut des § 113 Abs. 2 SGB X n.F. die Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 6
BGB n.F. greifen, auch wenn die Vorschriften des BGB n.F. über die Verjährung nach
Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB (nur) auf die am 1. Januar 2002 bestehenden und noch nicht
verjährten Ansprüche Anwendung finden. Die auf Leistungen bis zum Ende des Jahres
1997 beruhenden Erstattungsansprüche waren mit Ablauf des Jahres 2001 verjährt, so
dass insoweit nach Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB § 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB a.F. Anwendung
fände, was indes kein anderes Ergebnis als in Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB
n.F. nach sich zöge.
33
Soweit es um durch Hilfeleistungen im Jahre 1995 entstandene Erstattungsansprüche
geht, kommt eine hemmende oder verjährende Wirkung der in der Klageschrift
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beantragten Beiladung der Beklagten schon deshalb nicht mehr in Betracht, weil die
Erstattungsansprüche mit Ablauf des Jahres 1999 verjährt waren, so dass die
abgelaufene Frist nicht mehr unterbrochen oder gehemmt werden konnte - unabhängig
davon, dass die in der Klageschrift vom 12. September 2000 beantragte Beiladung der
Beklagten im Verfahren vor dem VG N. dieser erst mit dem Beiladungsbeschluss im
April 2003 bekannt geworden ist.
Für die Erstattungsansprüche ab 1996 war die beantragte und am 11. April 2003 vom
Verwaltungsgerichts N. beschlossene Beiladung der Beklagten nicht geeignet, eine den
Eintritt der Verjährung hindernde Unterbrechung oder Hemmung der Verjährungsfrist zu
bewirken. Wie festgestellt endete die Verjährungsfrist - ohne Berücksichtigung von
Hemmungs- oder Unterbrechungstatbeständen - spätestens mit Ablauf des 31.
Dezember 2002. Bis zu diesem Zeitpunkt hat die Klägerin weder verjährungshemmende
noch -unterbrechende Handlungen vorgenommen. Insbesondere reichte der allein vor
Verjährungsablauf gestellte Antrag auf Beiladung der Beklagten im Klageschriftsatz vom
10. August 2000 auch unabhängig davon, dass die Klageschrift der Beklagten im
Verfahren vor dem VG N. erst mit dem Beiladungsbeschluss im April 2003 nach Ablauf
der Verjährungsfrist bekannt geworden ist, nicht, die Verjährung der
Erstattungsansprüche zu unterbrechen oder zu hemmen. Der Antrag auf Beiladung und
der Beiladungsbeschluss sind nicht im Wege analoger Anwendung des § 209 Abs. 2 Nr.
4 BGB a.F. oder des § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB n.F. einer Streitverkündung gleichzustellen,
deren Zustellung nach den genannten Vorschriften des BGB eine Unterbrechung oder
Hemmung der Verjährung zur Folge hat. Es liegt weder eine verdeckte Regelungslücke
vor noch ließe sich eine solche durch die Erstreckung auf den Beiladungsantrag oder
Beiladungsbeschluss sachgerecht schließen.
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Wenn § 113 Abs. 2 SGB X eine sinngemäße Anwendung der BGB - Vorschriften über
die Hemmung vorsieht, ist den Besonderheiten des verweisenden Gesetzes, wie sie
sich auch aus dessen Zweck ergeben können, Rechnung zu tragen; unsachgemäße
Gleichsetzungen sind zu vermeiden.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. November 1994 - 8 B 1845/94 -, NWVBl. 1994, 142.
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Eine verdeckte Regelungslücke besteht nicht. Die §§ 209 BGB a.F. bzw. 204 BGB n.F.
enthalten eine erschöpfende Aufzählung der Unterbrechungs- bzw. Hemmungsgründe,
die einer Ausdehnung grundsätzlich nicht zugänglich ist.
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Vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2003 - III ZR 223/02 -, NVwZ 2003, 1549.
39
Der Gesetzgeber hat bewusst nur bestimmten zur Disposition einer Partei stehenden
Handlungen eine Unterbrechungs- bzw. Hemmungswirkung beigemessen, zu denen
der Antrag auf Beiladung oder die Beiladung nicht zählt. Der Gesetzgeber hat die
bekannte obergerichtliche Rechtsprechung zur Frage einer
verjährungsunterbrechenden Wirkung einer Beiladung,
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vgl. BSG, Urteil vom 1. August 1991 - 6 RKa 9/89 -, BSGE 69, 158; BGH, Urteil vom 6.
Februar 2003 , aaO; abweichend BSG, Urteil vom 21. Februar 1990 - 12 RK 55/88 - ,
BSGE 66, 222,
41
nicht zum Anlass genommen, in den diversen Änderungen der Verjährungsvorschriften
die Beiladung der Streitverkündung gleichzustellen. Insoweit hätte es nahe gelegen,
42
dies bei der Neuregelung des § 113 SGB X zu veranlassen.
Die Gleichsetzung einer Streitverkündung jedenfalls mit dem hier (allein) rechtzeitig
gestellten Antrag auf (einfache) Beiladung im Sinn des § 65 Abs. 1 VwGO wäre auch
sachwidrig. Bei einer Gleichstellung der im Zivilprozess normierten Streitverkündung (§
72 ZPO) mit einem Antrag auf einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO bliebe
unbeachtet, dass der Gesetzgeber durch die Regelungen der Verjährung dem
verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtssicherheit Vorrang vor dem der materiellen
Gerechtigkeit in den geregelten Fällen eingeräumt hat. Dies bedingt, dass der Katalog
verjährungshemmender oder -unterbrechender Maßnahmen einer Ausdehnung aus
Gründen der Rechtsklarheit grundsätzlich nicht zugänglich ist. Eine Gleichstellung des
(einfachen) Beiladungsantrags mit einer Streitverkündung kommt jedenfalls deshalb
nicht in Betracht, weil die Streitverkündung als Prozesshandlung bereits mit der
Zustellung eines entsprechenden Schriftsatzes an den Dritten wirksam wird (§ 73 ZPO).
Die Streitverkündung erfordert also ein aktives, auf Durchsetzung des eigenen Rechts
gerichtetes Vorgehen des Gläubigers. Hingegen entstehen die Wirkungen einer
Beiladung, u.a. die Rechtskrafterstreckung, erst auf Grund eines durch das Gericht von
Amts wegen zu treffenden Beschlusses. Es steht bei der einfachen Beiladung im
Ermessen des Gerichts, ob und wann die Beiladung des Dritten ausgesprochen wird. Im
Gegensatz zur notwendigen Beiladung zeitigt das Unterbleiben einer einfachen
Beiladung keine Rechtsfolgen; ergeht ein Urteil, ist es gegenüber dem nicht (einfach)
Beigeladenen ohne Wirkung.
43
Vgl. Kopp, VwGO, 13. Auflage 2003, § 66 Rn. 42 f.
44
Hängt aber die Hemmungs- bzw. Unterbrechungswirkung von unmittelbar wirksam
werdenden Maßnahmen einer Partei ab, so kann der Antrag auf Beiladung mangels
unmittelbarer Folgen im Hinblick auf den streitigen Anspruch aus Gründen der
Rechtssicherheit einer Streitverkündung nicht gleichgestellt werden. So wäre es nicht
nachvollziehbar, wenn an den Antrag auf (einfache) Beiladung bereits eine
verjährungshemmende oder -unterbrechende Wirkung geknüpft würde, auch wenn das
Gericht den Beiladungsantrag später ablehnen würde. In diesem Falle wäre die
Verjährung des Anspruchs gehemmt oder unterbrochen worden, obwohl die einer
Streitverkündung vergleichbaren Wirkungen einer Beiladung nicht eintreten können. Der
- spätere - Erlass eines (einfachen) Beiladungsbeschlusses vermag eine rückwirkende
Verjährungshemmung oder - unterbrechung nach Eintritt der Verjährung nicht
herbeizuführen. Nach allen Verjährungsvorschriften ist aus Gründen der
Rechtssicherheit eine rückwirkende Änderung laufender Verjährungsfristen nicht
vorgesehen. Vielmehr treten die verjährungshemmenden oder -unterbrechenden
Wirkungen ab dem Zeitpunkt der Wirksamkeit einer entsprechenden Disposition der
Partei ein. Mangels Rückwirkung des im April 2003 nach Ablauf der Verjährungsfrist
erlassenen Beiladungsbeschlusses kann daher offen bleiben, ob ein
Beiladungsbeschluss ab dem Zeitpunkt seines Erlasses im Hinblick auf die
beabsichtigte Rechtskrafterstreckung einer Streitverkündung gleichgestellt werden
könnte. Es ist Sache der Klägerin, während des Schwebezustandes zwischen
beantragter Beiladung und Erlass des Beiladungsbeschlusses verjährungshemmende
Maßnahmen zu veranlassen, sei es durch eine Absprache mit dem Dritten über den
Verzicht der Erhebung der Verjährungseinrede, sei es durch Klageerhebung gegen
diesen, soweit das Verwaltungsgericht entsprechenden Bitten der Klägerin auf
beschleunigte Beschlussfassung über die Beiladung nicht nachkommt.
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Die Beklagte kann sich auch auf die Einrede der Verjährung berufen. Es liegen keine
Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen sachwidrig
ausgeübt haben könnte. Sie hat bereits im Jahre 1995 geltend gemacht, zur
Kostenerstattung nicht verpflichtet zu sein. Eine unzulässige Rechtsausübung liegt nicht
vor.
46
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2, 2. Halbsatz VwGO; die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich
aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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