Urteil des VG Gelsenkirchen vom 17.06.2005

VG Gelsenkirchen: aufschiebende wirkung, verwaltungsakt, rücknahme, lebensgemeinschaft, vollziehung, rechtswidrigkeit, scheinehe, strafverfahren, aufenthaltserlaubnis, anfang

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 11 L 39/05
Datum:
17.06.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 L 39/05
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.
Der Streitwert beträgt 2.500,00 Euro.
Gründe:
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 23. September 2004 gegen den
Bescheid des Antragsgegners vom 20. September 2004 anzuordnen,
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ist zulässig, aber nicht begründet.
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Die Begründung des Antragsgegners für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der
Rücknahme der am 7. Oktober 1999, 11. August 2000, 5. März 2001 und 5. Dezember
2003 erteilten Aufenthaltserlaubnisse entspricht den Anforderungen des § 80 Abs. 3
Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das erkennende Gericht teilt die vom
Antragsteller geäußerten Bedenken nicht. Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend ist
der Antragsteller davon ausgegangen, dass die Begründungspflicht des § 80 Abs. 3
Satz 1 VwGO den Betroffenen in die Lage versetzen soll, seine Rechte wirksam
wahrzunehmen, und die Behörde zu besonders sorgfältiger Prüfung der
Vollziehungsanordnung zu veranlassen; daraus folgt, dass formelhafte, allgemein
gehaltene Wendungen nicht den Begründungserfordernissen genügen. Diesen
allgemeinen Anforderungen entspricht jedoch entgegen der Auffassung des
Antragstellers die von dem Antragsgegner im angefochtenen Bescheid dargelegte
Begründung. Der Antragsgegner hat zur Begründung der Vollzugsanordnung
ausgeführt, dass das Vollzugsinteresse hier überwiege, da es insbesondere geboten
sei, den Aufenthalt des Antragstellers auf Grund der begangenen Täuschung zur
Erlangung eines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet unverzüglich zu beenden; es
bestehe ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit an der Wahrung der
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Rechtsordnung, zu der auch die Vorschriften des Ausländerrechts zu zählen seien,
daher könne ein weiterer Aufenthalt nicht länger hingenommen werden. Diese von dem
Antragsgegner gewählte Begründung lässt hinreichend deutlich ein auf den konkreten
Einzelfall bezogenes Vollzugsinteresse erkennen, welches über dasjenige hinausgeht,
das die Rücknahme der Aufenthaltsbefugnis selbst rechtfertigt. Aus ihr ergibt sich, dass
gerade auch die gegenüber dem Antragsteller verfügte Rücknahme der
Aufenthaltsbefugnisse ohne die Anordnung des Sofortvollzugs ihre praktische
Bedeutung verliert. Die Erwägungen der Antragsgegnerin zur Ausübung ihres
Rücknahmeermessens würden ohne Vollzugsanordnung leer laufen, weil es dem
Antragsteller sonst trotz seines Verstoßes gegen die Rechtsordnung möglich wäre,
vorläufig weiterhin im Bundesgebiet zu bleiben.
Dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügungen
gebührt Vorrang gegenüber dem Interesse der Antragsteller, von
Vollziehungsmaßnahmen vorläufig verschont zu bleiben. Es spricht sehr viel dafür, dass
die Rücknahmen der Aufenthaltserlaubnisse und die mit ihr verbundene
Abschiebungsandrohungen im dem Bescheid des Antragsgegners vom 20. September
2004 sich in einem Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen und deshalb Bestand
haben werden.
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Nach § 48 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die
Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen
rechtlich erheblichen Vorteil begründet (begünstigender Verwaltungsakt) darf nur unter
den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 des § 48 VwVfG zurückgenommen werden.
Bei den Aufenthaltserlaubnissen handelt es sich um solche begünstigende
Verwaltungsakte.
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Dem Antragsteller wurden rechtswidrig Aufenthaltserlaubnisse zum Zwecke der
Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit der Frau B. T. (geborene Z. ,
geschiedene Z1. ) nach § 25 Abs. 3 AuslG erteilt. Eine eheliche Lebensgemeinschaft
hat nämlich zwischen dem Antragsteller und Frau B. T. nie bestanden. Nach Auffassung
des Gerichts handelt es sich bei dieser Beziehung von Anfang an um eine Scheinehe.
Zur Begründung nimmt das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst
Bezug auf die Würdigung des Sachverhaltes in dem angefochtenen Bescheid des
Antragsgegners vom 20. September 2004; den vom Antragsgegner dort getroffenen
Feststellungen schließt sich das Gericht nach Überprüfung an.
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Demgegenüber sind die von dem Antragsteller im vorliegenden Verfahren gemachten
Angaben als verfahrensangepasst und deshalb unglaubhaft anzusehen. Der
Antragsteller beruft sich auf Aussagen der Frau B. T. , es habe eine „ganz normale" Ehe
bestanden. Daran bestehen schon deshalb Bedenken, weil Frau B. T. ein eigenes
Interesse an einer entsprechenden Schilderung haben dürfte; nach der Behauptung
ihres Schwagers B1. H. hat ihr Vater für die Vermittlung der Ehe zwischen dem
Antragsteller und seiner Tochter B. einen höheren Geldbetrag erhalten. Die
Unglaubhaftigkeit der Behauptung des Bestehens einer ganz normalen Ehe folgt
jedenfalls daraus, dass an einem zentralen Punkt ein Widerspruch zwischen Angaben
der Frau B. T. und des Antragstellers besteht. Während der Antragsteller in dem
Strafverfahren vor dem Amtsgericht Marl (Geschäfts-Nr. 58 Js 186/02) wegen
Verstosses gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG behauptet hatte, „der Antrag auf Umtragung
auf der Aufenthaltserlaubnis" sei nicht von ihm, sondern von Frau B. Z1. (scil: jetzt T. )
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ausgefüllt worden, diese sei selber mit ihm zusammen beim Ausländeramt gewesen -
mit dieser Behauptung hat der Antragsteller die Einstellung jenes Strafverfahrens nach §
153 Abs. 2 StPO erreicht -, hatte Frau B. T. hierzu bei ihrer Vernehmung bei der
Kreispolizeibehörde C. am 23. September 2002 angegeben, der Antragsteller sei allein
bei der Ausländerbehörde gewesen und habe dort ausgesagt, dass er immer noch mit
ihr zusammen wohnen würde.
Berücksichtigt man, dass der Antragsteller in der Zeit vom 21. September 1990 bis zum
4. März 1998 in der Türkei mit Frau E. Z1. verheiratet gewesen ist - aus dieser Ehe sind
drei Kinder hervorgegangen -, dass die drei Kinder des Antragstellers, die dieser mit in
die Bundesrepublik gebracht hatte - eines der Kinder (N. ) ist schwerstbehindert und
bedurfte besonderer Betreuung -, niemals bei der „Ehefrau" B. in X. , sondern bei einer
in N1. wohnhaften Schwester des Antragstellers untergebracht gewesen sind, dass der
Antragsteller selbst überwiegend bei seinen Kindern in N1. gewohnt hat und dass der
Antragsteller nach eigenen Angaben im Sommer 2002 erneut seine damalige erste
Ehefrau geheiratet hat, ist mit Händen zu greifen, dass die zwischenzeitliche „Ehe" mit
der Frau B2. T. den ausschließlichen Zweck gehabt hat, dem Antragsteller ein
Bleiberecht in der Bundesrepublik zu verschaffen.
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Da es mithin an den Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse
fehlte, sind diese rechtswidrig gewesen und konnten vom Antragsgegner gemäß § 48
Abs. 1 VwVfG zurückgenommen werden. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG ist vom
Antragsgegner beachtet worden. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Auch die
Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
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Dem Aussetzungsantrag ist auch bei einer sogenannten offenen oder allgemeinen
Interessenabwägung kein Erfolg beschieden. Angesichts der sich aufdrängenden
Rechtswidrigkeit der Aufenthaltserlaubnisse ist es dem Antragsteller zuzumuten,
etwaige Restzweifel an der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung im
Hauptsacheverfahren vom Ausland aus - ggf. mit anwaltlicher Hilfe - zu klären.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs.1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 des
Gerichtskostengesetzes neue Fassung.
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