Urteil des VG Gelsenkirchen vom 31.10.2006

VG Gelsenkirchen: besondere härte, befreiung, kreis, drucksache, ermessensspielraum, zahl, verwaltung, ausschluss, härtefall, meinung

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 14 K 1251/06
Datum:
31.10.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 K 1251/06
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
von Rechtsanwältin N. aus S. wird abgelehnt.
Gründe:
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Die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 114, § 115 der
Zivilprozessordnung (ZPO).
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Darnach erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten
aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs.
4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst
und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten
Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe versagt
werden darf, weil ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen,
die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Schwierige, bisher nicht hinreichend
geklärte Rechts- und Tatsachenfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren
geklärt werden.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. September 1996 - 8 E 593/96 -, Im Anschluss an
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 30. Oktober 1991 - 1 BvR 1386/91
-, NJW 1992, 889 und Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 u. a. -, NJW 1991,
413.
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Gemessen hieran bietet die angekündigte Klage mit dem sinngemäßen Antrag,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 30. September 2005 zu
verpflichten, den Kläger von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien,
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keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass Prozesskostenhilfe unbeschadet des
Vorliegens der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen schon deshalb zu versagen ist.
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Zwar dürfte die Klage nicht wegen des nicht abgeschlossenen Vorverfahrens von
vornherein unzulässig sein, weil der Beklagte über den rechtzeitig eingelegten
Widerspruch des Klägers bislang ohne zureichenden Grund - jedenfalls nicht innerhalb
von drei Monaten - nicht entschieden hat und die angekündigte Verpflichtungsklage
deshalb als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO erhoben werden kann.
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Dem Kläger steht jedoch ein Anspruch auf die begehrte Gebührenbefreiung nicht zu.
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Seit dem 01. April 2005 gelten die bisherigen
Rundfunkgebührenbefreiungsverordnungen der Länder, die u.a. eine
Befreiungsmöglichkeit wegen geringen Einkommens vorsahen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 7. der
Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht NRW vom 30.
November 1993), nicht mehr. Rechtsgrundlage einer Gebührenbefreiung ist seitdem
ausschließlich § 6 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages vom 31. August 1991 in
seiner durch den Achten Rundfunksänderungsstaatsvertrag vom 08./15. Oktober 2004
geänderten Fassung (RGebStV).
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Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV werden von der Rundfunkgebührenpflicht auf Antrag
natürliche Personen und deren Ehegatten im ausschließlich privaten Bereich nur noch
dann befreit, wenn der Betroffene zu dem dort enumerativ aufgeführten Personenkreis
gehört, d.h. Hilfen nach den in § 6 Abs. 1 Satz 1, Ziffern 1 bis 6, 9 und 10 RGebStV
genannten Vorschriften erhält und er dies durch einen entsprechenden
Bewilligungsbescheid nachweist (§ 6 Abs. 2 RGebStV) oder er zu den behinderten
Menschen im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1, Ziff. 7 und 8 RgebStV gehört. Die
Befreiungstatbestände nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 10 sind nach dem Gesetzeswortlaut
und dem Willen des Gesetzgebers abschließend. Eine - ggf. umfangreiche und
schwierige - eigenständige Einkommens- und Bedarfsberechnung findet nicht mehr
statt.
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Vgl. Begründung zur Änderung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages zu Art. 5 Nr. 6
(LT-Drucksache 13/6202 S. 42); VG Freiburg, Urteil vom 02. Dezember 2005 - 2 K
1366/05 -, Juris; Bayerisches VG Regensburg, Urteil vom 17. Januar 2006 - RN 4 K
05.1288 - und VG Köln, Beschlüsse vom 30. November 2005 - 26 K 5318/05 - und vom
02. Februar 2006 - 26 K 7276/05 -.
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Die Befreiungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 RGebStV erfüllt der Kläger nicht.
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Nach § 6 Abs. 1 Nummer 3 RGebStV werden Empfänger von Sozialgeld oder
Arbeitslosengeld II einschließlich von Leistungen nach § 22 ohne Zuschläge nach § 24
des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches von der Gebührenpflicht befreit. Der Kläger
hat indessen zutreffend und insoweit unstreitig durch Vorlage des
Bewilligungsbescheides der ARGE Kreis S. vom 2. Juni 2005 mit seinem
Befreiungsantrag vom 10. August 2005 angegeben, Zuschläge in Höhe zwischen 24,-
Euro und 12,- Euro für den vorliegend streitigen Befreiungszeitraum - gemäß § 6 Abs. 6
Satz 1 RGebStV richtet sich der Befreiungszeitraum nach der Gültigkeitsdauer des
Sozialleistungsbescheides (hier also bis 30. November 2005) - zu erhalten.
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Da folglich der Kläger unstreitig einen Zuschlag gemäß § 24 SGB II erhalten hat und
damit die negative Tatbestandsvoraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV nicht erfüllt
ist, kann er nach dieser Norm keine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht
beanspruchen.
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Die Tatsache, dass der Gesetzgeber Bezieher von Arbeitslosengeld II mit Zuschlag
anders behandelt als diejenigen Leistungsempfänger, die einen solchen nicht erhalten,
verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art. 3 GG.
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Der Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt den Vergleich von Lebensverhältnissen, die
nicht in allen, sondern stets nur in einzelnen Elementen gleich sein können.
Grundsätzlich ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche von diesen
Elementen er als maßgebend für eine Gleich- und Ungleichbehandlung ansieht. Auf
dem Gebiet des Sozialrechts ist dem Gesetzgeber dabei eine besonders weite
Gestaltungsfreiheit zuzugestehen, die nur einer eingeschränkten verfassungsrechtlichen
Kontrolle unterliegt. Das gilt insbesondere auch für die Abgrenzung des durch eine
sozialrechtliche Norm begünstigten Personenkreises. Bei der Ordnung von
Massenerscheinungen - wie hier der Rundfunkgebührenpflicht und der Befreiung
hiervon - braucht der Gesetzgeber nicht um eine differenzierende Berücksichtigung aller
denkbarer Fälle besorgt zu sein. Er darf vielmehr generalisierende, typisierende und
pauschalierende Regelungen verwenden, ohne allein schon wegen der damit
unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu
verstoßen. Die Typisierung setzt allerdings voraus, dass die durch sie eintretenden
Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen
betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Wesentlich
ist ferner, ob die Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, wofür praktische
Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht sind.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1993 - 1 BvR 1690/92 -, NVWZ 1993, 881.
19
Diese Grundsätze werden durch die in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RGebStV enthaltene
Bestimmung nicht verletzt. Diese Vorschrift stellt hinsichtlich der Gewährung der
Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht eine abschließende Regelung dar. Es ist
der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen, für bestimmte Fallgruppen
Begünstigungen vorzusehen, für andere aber nicht. Der dem Gesetzgeber im Bereich
der Sozialleistungen, zu denen auch die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht
gehört, eröffnete weite Ermessensspielraum endet erst an der Willkürgrenze. Zudem
sind im Bereich der Rundfunkgebührenbefreiung, die eine Massenverwaltung darstellt,
im Interesse der Verwaltungsvereinfachung pauschalierende Regelungen geschaffen
worden, bei denen der Gesetzgeber im Einzelfall entstehende Härten durchaus
hingenommen hat und hinnehmen konnte.
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Vgl. zu den Grundsätzen OVG Hamburg, Beschluss vom 14. April 2004 - 4 Bf 286/99 -
NJW 2005, 379 m.w.Nw.; zur abschließenden Regelung der Ausbildungsförderung für
die dem BerRehaG unterliegende Personengruppe BVerwG, Beschluss vom 31. März
1999 - 5 B 89/98 -; zu Stichtagsregelungen BVerwG, Beschluss vom 20. August 1992 -
11 B 13.92 - und vom 07. Oktober 1996 - 5 B 80. 96 -; OVG NRW, Urteil vom 07.
Dezember 1992 - 16 A 1952/91 -; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1986 - 1
BvR 193/86 -.
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Es ist hiernach von Gerichts wegen nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber
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zwischen Leistungsempfängern ohne und mit Zuschlag unterschieden hat.
Insbesondere ist eine willkürliche Differenzierung nicht gegeben, weil letztere bei der
gebotenen typisierenden Betrachtung regelmäßig besser gestellt sind als Bezieher von
Arbeitslosengeld II ohne Zuschlag.
Dies gilt nach aktueller verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung, der sich das
erkennende Gericht anschließt, auch in den Fällen, in denen der Zuschlag zum
Arbeitslosengeld II geringer ist als die zu zahlenden Gebühren, so dass ohne die
Befreiung der Rundfunkteilnehmer nicht mehr über die ungeschmälerte Regelleistung
verfügt bzw. schlechter gestellt ist als der von der Gebührenpflicht zu befreiende
Empfänger von Arbeitslosengeld II ohne Zuschlag
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vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 3 K 3135/05 - (Zuschlag i.H.v. 7,-
EUR monatlich) mit nachfolgendem bestätigendem Beschluss des VGH Baden-
Württemberg vom 13. März 2006 - 2 S 202/06 - sowie mit umfangreichen Erwägungen,
VG Berlin, Urteil vom 14. Februar 2006 - VG 27 A 258.05 - (Schlechterstellung i.H.v.
4,08 EUR monatlich).
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Ein anderer der in § 6 Abs. 1 RGebStV genannten Befreiungstatbestände ist für den
Kläger nicht erkennbar.
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Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der Ausschluss von Beziehern von
Arbeitslosengeld mit Zuschlag regelmäßig keine besondere Härte nach § 6 Abs. 3
RGebStV begründet. Nach dieser Vorschrift kann die Rundfunkanstalt unbeschadet der
Gebührenbefreiung nach Abs. 1 in besonderen Härtefällen auf Antrag von der
Rundfunkgebührenpflicht befreien.
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Der Kläger hat bereits für den vorliegend streitigen Zeitraum bis einschließlich
November 2005 (siehe den obigen Hinweis zu § 6 Abs. 6 Satz 1 RGebStV) einen
entsprechenden Antrag bei dem Beklagten nicht gestellt.
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Vgl. zu den besonderen Voraussetzungen eines Härtefallantrages eingehend VG
Magdeburg, Beschluss vom 07. November 2005 - 6 A 324/05 MD -.
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Selbst wenn man entgegen der zur Befreiungsverordnung ergangenen Rechtsprechung,
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vgl. VGH BW, Urteil vom 29. September 2003 - 2 S 360/ 03 -, NVWZ-RR 2004, 260,
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annehmen wollte, dass es jedenfalls aus prozessökonomischen Gründen sachdienlich
wäre, über einen ggf. erstmals im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich gestellten
Härtefallantrag in der Sache zu befinden - wofür immerhin sprechen könnte, dass,
anders als nach der alten Rechtslage, vom Beklagten über beide Anträge zu
entscheiden wäre/ist, hätte die Klage keine Aussicht auf Erfolg.
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Denn der Kläger könnte auch keine Befreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV beanspruchen,
weil ein Fall der besonderen Härte nicht vorliegt.
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§ 6 Abs. 3 RGebStV entspricht dem zwischenzeitlich aufgehobenen § 2 der
Befreiungsverordnung. Darunter fielen nur vom Verordnungsgeber unberücksichtigte
besondere Härtefälle; eine Umgehung der in § 1 Befreiungsverordnung aufgeführten
Fälle war auszuschließen. Für das Verhältnis von § 6 Abs. 1 zu Abs. 3 RGebStV kann
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nichts anderes gelten. Durch die Änderung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages und
die Aufhebung der Befreiungsverordnung zum 01. April 2005 wurde einerseits der Kreis
der Befreiungsberechtigten erweitert, andererseits aber auch der allgemeine
Befreiungstatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 (niedriges Einkommen)
Befreiungsverordnung ersatzlos gestrichen. Ausweislich der Begründung zur Änderung
des Rundfunkgebührenstaatsvertrages, Art. 5 Nr. 6, soll ein besonderer Härtefall
insbesondere dann vorliegen, „wenn ohne dass die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 1
vorliegen, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann." (LT-
Drucksache 13/6202 S. 42). Eine Härtefallregelung kann mithin nur in den Fällen
greifen, in denen der jeweilige Antragsteller nicht zu dem in § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 10
RGebStV benannten Personenkreis gehört. Der Kläger indessen unterfällt diesem
Personenkreis, soll aber kraft ausdrücklicher Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV
wegen des ihm gewährten Zuschusses nicht zu den zu befreienden
Sozialleistungsempfängern gehören, so dass die Härtefallregelung nach § 6 Abs. 3
RGebStV nicht zur Anwendung kommt.
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe einen solchen
Fall nicht bedacht und es liege ein von der Regelvorschrift des § 6 Abs. 1 RGebStV
nicht erfasster atypischer Fall vor, dem die Härteregelung begegnen solle. Wenn eine
Einkommensermittlung unter Berücksichtigung von notwendigen Ausgaben nach dem
Willen des Gesetzgebers von der Rundfunkanstalt nicht mehr vorzunehmen ist, würde
es vielmehr der gesetzlichen Intention widersprechen, wenn im Rahmen der
Härtefallregelung eine einkommensabhängige Berechnung durchgeführt und eine
Befreiung wieder zugelassen würde.
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Deshalb bedingt allein der Umstand, dass der Kläger lediglich über ein Einkommen
verfügt, das dem in § 6 Abs. 1 Nr. 3 RGebStV benannten Personenkreis der Höhe nach
entspricht bzw. dieses bei Abzug zu zahlender Rundfunkgebühren geringfügig
unterschreitet, nicht die Annahme eines besonderen atypischen Härtefalls. Hierzu
müssen vielmehr weitere in seiner Person und seinen besonderen Lebensumständen
liegende Gründe gegeben sein, die eine solche Annahme begründen könnten.
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Im Ergebnis soweit ersichtlich einhellige Meinung: VG Berlin, Urteil vom 14. Februar
2006 - VG 27 A 258.05 -, Bayerisches VG Regensburg, Urteil vom 17. Januar 2006 - RN
4 K 05.1288 -, VG Magdeburg, Beschluss vom 07. November 2005 - 6 A 324/05 MD -,
VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 3 K 3135/05 - und VG Freiburg, Urteil
vom 02. Dezember 2005 - 2 K 1366/05 - a. a. O.
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Einen solchen besonderen und untypischen Sachverhalt hat der Kläger nicht
vorgetragen.
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