Urteil des VG Gelsenkirchen vom 31.07.2003

VG Gelsenkirchen: anspruch auf bewilligung, sozialhilfebehörde, erlass, zukunft, notlage, kontrolle, krankenschein, glaubhaftmachung, zivilprozessordnung, adresse

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 3 L 1729/03
Datum:
31.07.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 L 1729/03
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von
Rechtsanwalt T. aus E. wird abgelehnt.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten
werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
1
Das Prozesskostenhilfegesuch ist gemäß § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO - in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung - ZPO - abzulehnen, weil das
Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin, wie nachfolgend dargelegt wird, keine
Aussicht auf Erfolg hat.
2
Der sinngemäß gestellte Antrag,
3
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, der
Antragstellerin einen Krankenschein für das laufende Quartal sowie einen
Substitutionskrankenschein zur Behandlung bei Herrn Dr. med. I. in E. -I1. zu erteilen,
4
ist unzulässig.
5
Die Antragstellerin hat einen solchen Antrag nicht beim Antragsgegner gestellt. Der
Antragsgegner hat im Übrigen auch keine Veranlassung zu der Annahme gegeben, die
Substitutionsbehandlung der Antragstellerin nicht weiterhin sicherzustellen. Mit
Bescheid vom 10. Juni 2003 ist lediglich die Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt
eingestellt worden. Dass damit zugleich zwingend die Fortführung der Krankenhilfe
eingestellt wird, kann nicht angenommen werden. Vielmehr ist diese Hilfeleistung, wie §
29 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG - belegt, in begründeten Fällen auch bei
nicht geklärten Vermögensverhältnissen möglich. Schon deshalb ist es in aller Regel
unverzichtbar, dass vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes im
6
Verwaltungsverfahren die Krankenhilfe als Hilfe in besonderen Lebenslagen
ausdrücklich beantragt werden muss. Das gilt umso mehr, als die Antragstellerin seit
Jahren in ihrer Substitutionstherapie unterstützt wird und nichts für die Annahme spricht,
der Antragsgegner wolle den Erfolg dieser langfristigen Therapie leichtfertig aufs Spiel
setzen. Dem entspricht es, dass der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 29. Juli 2003
seine Bereitschaft bestätigt hat, die Krankenhilfe vorläufig fortzuführen.
Der sinngemäß gestellte weitere Antrag,
7
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, der
Antragstellerin rückwirkend ab dem 10. Juni 2003 Hilfe zum Lebensunterhalt zu
bewilligen,
8
hat keinen Erfolg.
9
Gemäß § 123 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung,
vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden
und drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Danach
setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung voraus, dass der geltend gemachte
Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit
der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen
Antragsteller glaubhaft gemacht werden (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2,
294 ZPO).
10
Vorliegend fehlt es teilweise an einem Anordnungsgrund.
11
Soweit es um die Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt für die Vergangenheit geht,
scheidet der Erlass der begehrten Regelung schon deshalb aus, weil eine gerichtliche
Entscheidung nur eine bestehende Notlage regeln kann, was nachträglich nicht mehr
möglich, und der Antrag erst am 10. Juli 2003 bei Gericht eingegangen ist.
12
Soweit es im vorliegenden Verfahren um die Bewilligung von Sozialhilfeleistungen über
das Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung hinaus geht, sind derzeit keine
hinreichenden Anhaltspunkte dafür gegeben, dass es gegenwärtig, und zwar im Wege
der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache, einer Verpflichtung des Antragsgegners
zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an den Antragsteller durch eine
einstweilige Anordnung bedarf.
13
Sozialhilfe ist keine rentengleiche Dauerleistung. Sie dient lediglich zur Behebung einer
gegenwärtigen Notlage und wird daher von der Sozialhilfebehörde jeweils nur für einen
bestimmten Zeitraum - in der Regel für einen Monat - bewilligt, weil sich die
Anspruchsvoraussetzungen z. B. hinsichtlich der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse des Hilfesuchenden ändern können. Dies muss von der
Sozialhilfebehörde, soweit es darauf ankommt, bei der Entscheidung über die
Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt berücksichtigt werden. Zudem ist
die Sozialhilfebehörde verpflichtet, den jeweiligen Sozialhilfefall von Amts wegen in der
Zukunft unter Kontrolle zu halten. Deshalb kann grundsätzlich davon ausgegangen
werden, dass der Träger der Sozialhilfe den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die
sich nicht über den Monat der gerichtlichen Entscheidung hinaus in die Zukunft
erstreckt, zum Anlass nimmt, den Sozialhilfefall für die weitere Zeit unter
14
Zugrundelegung dieser gerichtlichen Entscheidung zu regeln.
Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 10. Mai 1982 - 8 B 564/82 - und vom 23. Mai 1982 - 8 B
749/82 -.
15
Dafür, dass der Antragsgegner sich vorliegend anders verhalten wird, ergeben sich
keine Anhaltspunkte.
16
Soweit der Zeitraum ab Antragseingang bei Gericht am 10. Juli 2003 bis zum Ende des
Monats der gerichtlichen Entscheidung streitbefangen ist, fehlt es ebenfalls teilweise an
der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.
17
Ein Anordnungsgrund bezüglich der Gewährung voller regelsatzmäßiger Leistungen im
Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt ist bei Erwachsenen schon deshalb zu
verneinen, weil das zum Leben Unerlässliche - so die Auffassung des OVG NW -,
18
vgl. z. B. Beschlüsse vom 30. April 1984 - 8 B 556/84 -, 21. Januar 1985 - 8 B 12/85 -
und 21. Juni 1985 - 8 B 1194/85 -,
19
nach summarischer Prüfung für Erwachsene sogar bei Kürzung des Regelsatzes um 20
% gewährleistet ist und daher schlechthin unzumutbare Folgen durch das Warten auf
eine Hauptsachenentscheidung nicht zu erwarten sind. Die Antragstellerin kann daher
im Rahmen der vorliegenden Entscheidung nur 80 v. H. seines Regelsatzes geltend
machen.
20
Im Übrigen hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
21
Hilfe zum Lebensunterhalt ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG dem zu gewähren, der
seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften
und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann, denn
das Nichtvorhandensein eigener Mittel ist (negatives) Tatbestandsmerkmal für den
Anspruch auf Bewilligung von Sozialhilfeleistungen. Die Nichtaufklärbarkeit dieses
anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmals geht zu Lasten desjenigen, der das
Bestehen des Anspruchs behauptet. Dies ist der Hilfebedürftige.
22
Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Antragstellerin nicht gerecht.
23
Das Gericht verweist insoweit, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die zutreffenden
Gründe des Ablehnungsbescheides vom 10. Juni 2003 und des der Antragstellerin
übersandten Vermerks der Fachverwaltung des Antragsgegners vom 15. Juli 2003.
Aufgrund der vom Antragsgegner getroffenen Feststellungen hält es auch die Kammer
für ausgeschlossen, dass die Antragstellerin in den letzten Monaten tatsächlich unter
der angegebenen Adresse E1. Straße in E. gelebt hat.
24
Zur Antragsbegründung im Übrigen ist noch festzuhalten:
25
Es ist vom Antragsgegner zutreffend gewürdigt worden, dass die Antragstellerin am 3.
Juni 2003 die Durchführung eines Hausbesuchs abgelehnt hat. Die nunmehr
vorgetragene Begründung, die Antragstellerin räume aufgrund ihres Lebenswegs
Frauen größeres Vertrauen ein als Männern, ist schon deshalb unerheblich, weil allein
dieser Umstand nichts für die Annahme hergibt, männliche Sachbearbeiter würden ihre
26
Aufgaben nicht korrekt wahrnehmen. Im Übrigen hat die Antragstellerin weder in der
Vergangenheit auf der Sachbearbeitung durch Frauen bestanden, noch ist ersichtlich,
dass die Antragstellerin den konkreten Hausbesuch mit dieser Begründung abgelehnt
hat. Das Vorbringen erweist sich daher als haltlose und lediglich als Schutzbehauptung
zu bewertende Begründung ihres Verhaltens.
Dem Anspruch der Antragstellerin steht zusätzlich entgegen, dass nicht nachvollzogen
werden kann, mit welchen Mitteln seit Einstellung der Sozialhilfeleistungen der
Lebensunterhalt in den Monaten Juni und Juli 2003 sichergestellt wurde. Dazu fehlt
bisher jede Angabe.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
28
29