Urteil des VG Gelsenkirchen vom 05.08.2005

VG Gelsenkirchen: serbien und montenegro, erwerbstätigkeit, illegale einreise, ausländer, duldung, arbeitserlaubnis, aufenthalt, eltern, ermessen, verfügung

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 16 L 924/05
Datum:
05.08.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 L 924/05
Schlagworte:
Erwerbstätigkeit, Erwerbstätigkeitserlaubnis, Erwerbstätigkeitserlaubnis
für gedulete Ausländer, arbeitsmarktpolitische Erwägungen,
einwanderungspolitische Erwägungen
Normen:
AufenthG § 4 Abs. 2 Satz 3; AufenthG § 105; BeschVerfV § 10;
BeschVerfV § 11
Leitsätze:
Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung:
Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 10 BeschVerfV sind
einwanderungspolitische Erwägungen sachgerecht. Es ist sachgerecht,
den Aufenthalt ausreisepflichtiger Ausländer in Deutschland nicht durch
die Erteilung von Arbeitserlaubnissen zu verfestigen.
Arbeitsmarktpolitische Erwägungen sind dagegen nicht Sache der
Ausländerbehörde, solange nicht die dafür zuständige Bundesagentur
für Arbeit die Zustimmung zur Erwerbstätigkeit des Ausländers aus
diesen arbeitsmarktpolitischen Gründen verweigert hat.
Tenor:
1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird
abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag des Antragstellers,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die
Ausübung einer Erwerbstätigkeit in der Pizzeria "M. Q. " in M1. vorläufig zu erlauben,
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ist als Antrag nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig, aber
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nicht begründet.
Der Antragsteller hat einen entsprechenden Anordnungsanspruch nicht gemäß § 123
Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft
gemacht.
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Ein solcher Anspruch folgt entgegen dem Antragsvorbringen nicht schon daraus, dass
dem Antragsteller noch
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- am 8. Dezember 2004 von der Agentur für Arbeit in E. eine bis zum 30. Juni 2005
befristete Arbeitserlaubnis für eine Tätigkeit von maximal 15 Stunden wöchentlich als
Küchenhilfe bei der o.a. genannten Pizzeria und
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- am 30. Dezember 2004 vom Antragsgegner eine bis zum 30. Juni 2005 befristete
Duldung, die die Nebenbestimmung enthielt, "Arbeitserlaubnispflichtige Erwerbstätigkeit
nur mit gültiger Arbeitserlaubnis gestattet",
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erteilt worden waren.
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Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) behält eine vor
Inkrafttreten dieses Gesetzes erteilte Arbeitserlaubnis ihre Gültigkeit bis zum Ablauf ihrer
Geltungsdauer, also hier nur bis zum 30. Juni 2005. Die von dem Antragsteller
reklamierte Fortgeltungsregel des § 102 Abs. 1 AufenthG betrifft hier nur die Duldung
und die Nebenbestimmungen und hilft deshalb dem Antragsteller im vorliegenden
Verfahren nicht weiter.
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Ein Anordnungsanspruch auf Erlaubnis der Erwerbstätigkeit ergibt sich hier auch nicht
aus § 10 der Beschäftigungsverfahrensverordnung (BeschVerfV) i.V.m. § 42 Abs. 2 Nr. 5
AufenthG, wonach geduldeten Ausländern ausnahmsweise,
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in Abweichung von dem grundsätzlichen Verbot in § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG,
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mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt
werden kann, wenn sie sich seit einem Jahr erlaubt oder geduldet im Bundesgebiet
aufgehalten haben. Diese Ermessensermächtigung greift indes gemäß § 11 Satz 1 (1.
Alt.) BeschVerfV nicht ein, wenn sich die geduldeten Ausländer in das Inland begeben
haben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen. Der danach
vorausgesetzte finale Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der
Inanspruchnahme der Sozialleistungen kann auch dann gegeben sein, wenn die
Einreise auf mehreren Motiven beruht, jedoch der Zweck der Inanspruchnahme von
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für den Einreiseentschluss von
prägender Bedeutung gewesen ist. Das heißt, dass die Möglichkeit, auf
Sozialleistungen angewiesen zu sein, für den Einreiseentschluss des Ausländers, sei
es allein, sei es neben anderen Gründen, in besonderer Weise bedeutsam gewesen
sein muss. Es genügt nicht etwa, dass der Bezug von Sozialleistungen beiläufig erfolgt
oder anderen Einreisezwecken untergeordnet und in diesem Sinne (nur) billigend in
Kauf genommen worden ist.
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Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 120 Abs. 3
S. 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG, Urteil vom 4. Juni 1992 - 5 C 22.87 -,
NVWZ 1993, 484; vgl. hierzu: VG Münster Beschluss vom 30. März 2005 - 8 L 232/05 -,
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nrwe.de
Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Antragsteller am 9. August 1999 mit seinen
Eltern, sieben Geschwistern und seiner Großmutter aus dem L. im dargelegten Sinne in
die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, um hier Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz zu beziehen. Dabei ist dem seinerzeit 13 Jahre alten
Antragsteller das Verhalten seiner gesetzlichen Vertreter zuzurechnen,
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BVerwG, Beschluss vom 30. April 1997 - 1 B 74/97 -, Juris.
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Dass die Eltern des Antragstellers im Zeitpunkt der Einreise wussten, dass sie und ihre
9 Familienmitglieder hier nur mit Hilfe öffentlicher Mittel würden leben können, bedarf
keiner Begründung. Angesichts der Tatsache, dass sie noch am Tage ihrer Einreise mit
anwaltlicher Hilfe beantragten, ihnen "eine Wohnung zuzuweisen und Hilfe zum
Lebensunterhalt zu zahlen" und ausdrücklich keinen Asylantrag stellten, der ihnen als
illegal Eingereisten und Ausreisepflichtigen durch die Aufenthalts-gestattung einen
legalen Aufenthaltsstatus vermittelt hätte, drängt sich die Annahme auf, dass es ihnen
bei der Übersiedlung aus dem L. nach Deutschland - neben der behaupteten Flucht -
entscheidend auf den Leistungsbezug ankam. Sie waren offensichtlich bereits vor ihrer
Einreise über die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten in Deutschland
unterrichtet. Indem sie keinen Asylantrag stellten, vermieden sie Fragen nach ihrer
Herkunft, dem Ausreisegrund, Fluchtalternativen, Reiseweg und der Dauer eines evtl.
Drittstaatsaufenthaltes. Auch wenn sie als S. im August 1999 Schutz vor Verfolgung
durch L. -B. suchten, kam es ihnen doch entscheidend darauf an, die für sie
insbesondere auch sprachlich total fremde Bundesrepublik Deutschland zu erreichen.
Damit waren die hiesigen Sozial-leistungen bestimmend für ihre Auswahl Deutschlands
als Fluchtland.
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Danach steht die begehrte Erlaubnis nicht im Ermessen des Antragsgegners und ist der
Antrag des Antragstellers abzulehnen.
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Im Übrigen ist die Kammer der Ansicht, dass der Antragsgegner, falls der
Versagungsgrund des § 11 BeschVerfV nicht eingriffe, die Erwerbstätigkeitserlaubnis
nach pflichtgemäßem Ermessen versagen kann. Die (hilfsweise) in der angefochtenen
Verfügung angedeuteten, jedenfalls in der Antragserwiderung ausdrücklich enthaltenen
Ermessenserwägungen sind im Wesentlichen sachgerecht. Es ist nicht überwiegend
wahrscheinlich, dass der Antragsgegner wegen einer Reduzierung seines Ermessens
dem Antragsteller die Erlaubnis erteilen müsste. Die Kammer, die auch für Verfahren
von Asylbewerbern aus Serbien und Montenegro einschließlich des Kosovos zuständig
ist, teilt die Ansicht des Antragsgegners, dass dem heute 19-jährigen und mit Blick auf
seine illegale Einreise seit August 1999 vollziehbar ausreisepflichtigen §§ 42 Abs. 2 Nr.
1, 58, Abs. 1 Nr. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - Antragstellers als S. die Rückkehr
nach T. und N. möglich und jedenfalls gemeinsam mit seiner ebenfalls
ausreisepflichtigen Familie zuzumuten ist. Mangels Abschiebungsverbotes und mit Blick
auf die bereits begonnene Rückführung nicht nur der B1. , sondern auch der S. in den L.
erscheint es grundsätzlich vertretbar, deren Aufenthalt in Deutschland nicht durch die
Erteilung von Arbeitserlaubnissen zu verfestigen, soweit nicht im Einzelfall der
Vertrauensschutz und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine weitere Duldung
auch deren Erwerbstätigkeit gebieten. Die zuletzt genannten Aspekte dürften bei dem
Antragsteller, der erst am 18. Dezember 2004 eine - auch nur auf 6 Monate befristete -
Erlaubnis für eine Erwerbstätigkeit als Küchenhilfe von maximal 13 Stunden
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wöchentlich erhalten hat und diese ausübt, von untergeordneter Bedeutung sein. Er war
und ist weiterhin von öffentlichen Sozialleistungen abhängig. Allerdings dürften die
arbeitsmarktpolitischen Erwägungen in der Antragserwiderung nicht Sache des
Antragsgegners und deshalb nicht tragfähig sein, solange nicht die dafür zuständige
Bundesagentur für Arbeit die Zustimmung zur Erwerbstätigkeit des Antragstellers aus
diesen arbeitsmarktpolitischen Gründen verweigert hat (§ 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, §
10 BeschVerfV). Der Antragsgegner hat die Einschätzung der Bundesagentur bisher
nicht eingeholt.
Nach alldem ist der Antrag des Antragstellers mangels Anordnungsanspruchs
abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
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