Urteil des VG Gelsenkirchen vom 19.01.2007

VG Gelsenkirchen: arzneimittel, beihilfe, krankenversicherung, ausschluss, fürsorgepflicht, angemessenheit, erfüllung, versorgung, vollstreckung, legitimation

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 3 K 3324/05
Datum:
19.01.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 3324/05
Schlagworte:
Beihilfe Bund, nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel, Richtlinien des
Gemeinsamen Bundesausschusses, Fürsorgepflicht
Normen:
BhV § 6 Abs. 1 Nr. 2b, SGB V § 92 Abs. 1 Nr. 6
Tenor:
Die Beklagte wird unter Änderung ihres Bescheides vom 23. Juni 2005
und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 15. September
2005 verpflichtet, dem Kläger eine weitere Beihilfe in Höhe von 126,11
Euro zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Berufung wird
zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist als Versorgungsempfänger beihilfeberechtigt.
2
Unter dem 4. Mai 2005 beantragte er eine Beihilfe zu Aufwendungen in Höhe von
3
695,94 Euro, die ihm und seiner Ehefrau im Jahr 2005 entstanden waren.
Mit Bescheid vom 23. Juni 2005 setzte die die Beihilfe auf 276,53 Euro fest und führte
dazu aus, dass nicht verschreibungspflichtige Medikamente - soweit nicht Ausnahmen
in den Arzneimittelrichtlinien festgelegt seien - nicht beihilfefähig seien. Ausgenommen
von der Beihilfefähigkeit wurden zehn nicht verschreibungspflichtige Medikamente. Auf
die Zusammenstellung der Medikamente im Schriftsatz vom 10. Oktober 2006 wird
Bezug genommen.
4
Gegen die Nichtgewährung der Beihilfe für die nicht verschreibungspflichtigen, aber
ärztlich verordneten Medikamente legte der Kläger mit Schreiben vom 18. Juli 2005
Widerspruch ein, der zur Aufforderung des Klägers führte, die als nicht beihilfefähig
angesehenen Medikamente auf den Rezepten mit einer ärztlichen Diagnose versehen
zu lassen, um überprüfen zu können, ob die Medikamente ausnahmsweise als
Standardtherapie bei schwerwiegenden Erkrankungen beihilfefähig seien. Nach
Vorlage der entsprechend ergänzten Rezepte kam der ärztliche Dienst der Beklagten zu
dem Ergebnis, dass die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente nicht unter die
Ausnahmeregelung der Arzneimittelrichtlinien fielen, allerdings nicht eindeutig sei, ob
die unter 16.4.8 aufgeführten arzneistofffreien Injektions/Infusions-,Träger- und
Elektrolytlösungen grundsätzlich verordnet werden dürften oder ebenfalls nur bei
schwerwiegenden Erkrankungen.
5
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 15.
September 2005 als unbegründet zurück, wobei sie die Ansicht vertrat, dass auch zu
den als Trägerlösungen verwendeten Mittel keine Beihilfe gewährt werden könne, wenn
die Medikamente selber nicht beihilfefähig seien, weil sie im konkreten Fall nicht unter
die Ausnahmeregelung fielen.
6
Gegen den am 17. September 2005 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger
am 14. Oktober 2005 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, die Präparate Natrium
Hydrog. Carb und Natriumchlorid seien wegen einer schwerwiegenden Erkrankung
verordnet worden, nämlich wegen einer massiven Übersäuerung als Folge einer
Borelliose, im übrigen berufe er sich auf Vertrauensschutz. Er sei von der Beklagten
nicht in ausreichender und für einen Laien verständlicher Weise über die Neuregelung
unterrichtet worden. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Klägers im Schriftsatz
vom 22. Oktober 2005 wird Bezug genommen.
7
Der Kläger beantragt,
8
die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 23. Juni 2005 und unter Aufhebung
des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2005 zu verpflichten, eine weitere
Beihilfe in Höhe von 126,11 Euro zu gewähren.
9
Die Beklagte beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
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Sie hält den Grundsatz des Vertrauensschutzes für nicht verletzt und verweist im
übrigen auf die Arzneimittelrichtlinien und das dazu ergangene Schreiben des
Gemeinsamen Bundesausschusses vom 8. Februar 2006, auf das Bezug genommen
wird.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
14
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2005 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2005 ist rechtswidrig und
verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO),
soweit die verordneten Medikamente Cloderm, Cystinol, Meditonsin, Tonsillopas,
Zalain, Vomex A, Procain, Rhus Tox, Natriumhydr. Carb, Natriumchlorid von der
Beihilfegewährung ausgenommen worden sind.
15
Nach § 5 Abs. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-,
Pflege- und Geburtsfällen (Beihilfevorschriften - BhV -) in der im Zeitpunkt des
Entstehens der streitbefangenen Aufwendungen maßgeblichen Fassung der 28.
Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften vom 30.
Januar 2004 sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig
und der Höhe nach angemessen sind und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich
ausgeschlossen ist. Die Notwendigkeit und die Höhe der streitigen Aufwendungen sind
unstreitig. Der Anspruch scheitert auch nicht an § 6 Abs. 1 Nr. 2 b BhV, da diese vom
Bundesminister des Innern erlassene Regelung nicht auf eine gesetzliche Grundlage
gestützt werden kann.
16
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Juni 2004
17
BVerwG 2 C 50.02, BVerwGE 121, 103,
18
entschieden, dass die Beihilfevorschriften des Bundes nicht den Anforderungen des
verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehaltes genügen und u.a. dazu ausgeführt, dass
der dem Dienstherrn verbleibende Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des
Umfangs von Beihilfe und verbleibender Notwendigkeit der Eigenvorsorge bei stetig
steigenden Kosten einerseits und die unmittelbare Wechselbezüglichkeit von
Alimentation sowie ergänzender, von Bund und Ländern je selbst zu regelnder Beihilfe
andererseits es geböten, dass der parlamentarische Gesetzgeber selbst die
Verantwortung für die teilweise erheblichen Eingriffe in den erreichten Beihilfe- und
Vorsorgestandard übernehme, wie sie in den Ländern mit unterschiedlichen
„Kostendämpfungsmaßnahmen" und im Bund durch die 27. Allgemeine
Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften vom 17. Dezember 2003
und die 28. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Beihilfevorschriften vom
30. Januar 2004 erfolgt seien. Anderenfalls hätte es die Exekutive in der Hand, das Maß
der von den Beamten erwarteten Beteiligung an den Kosten der medizinischen und
pflegerischen Versorgung festzulegen und dadurch das mit der gesetzlich festgelegten
Besoldung und Versorgung erreichte Niveau unter Ausschluss des parlamentarischen
Gesetzgebers in beachtlichem Umfang abzusenken.
19
Mit den Regelungen über den Ausschluss der Beihilfefähigkeit nicht
verschreibungspflichtiger Arzneimittel greift der Bundesminister des Innern in
wesentliche Strukturprinzipien der Beihilfe ein, indem er losgelöst von Angemessenheit
und Notwendigkeit eines verordneten Arzneimittels auf beihilferechtlich fremde
Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung verweist. Hierzu hat das
20
Verwaltungsgericht Göttingen in seinem Urteil vom 4. Oktober 2006 - 3 A 608/05 - u.a.
ausgeführt:
... Die 27. allgemeine Änderungs-VwV nimmt demgegenüber [gemeint ist: gegenüber
den bisherigen beihilferechtlichen Verwaltungsvorschriften des Bundes] sowohl
verschreibungspflichtige als auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in großem
Umfang - unabhängig von der Indikation im Einzelfall und der Notwendigkeit dem
Grunde nach - von der Beihilfefähigkeit aus. Welche Arzneimittel hiervon betroffen sind,
ist aus den BhV gar nicht mehr zu erkennen, sondern wird durch dynamische
Verweisungen (zu deren Voraussetzungen vgl. VG Göttingen, Urteil vom 15.09.2006 - 3
A 58/06 -) auf Normen des SGB V und der AMR geregelt. Sinn und Zweck dieser
Regelung sollte sein, die durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung - GMG - vom 15.11.2003 (BGBl. I. S. 2190) eingeführten
Leistungskürzungen in der gesetzlichen Krankenversicherung - gKV - „wirkungsgleich"
(vgl. BT-Drs. 15/1584 - IV Nr. 2; LT- Drs. 15/1340, aaO.) auf die Beihilfeberechtigten des
Bundes zu übertragen. Für weitere, nur durch unbestimmte Rechtsbegriffe oder
Leerfloskeln („üblicherweise bei geringfügigen Gesundheitsstörungen",
„unwirtschaftlich", „geringer therapeutischer Nutzen", „geringer Abgabenpreis")
umschriebene Arzneimittel wird das BMI zum Ausschluss der Beihilfefähigkeit
ermächtigt. Außerdem wird der Eigenanteil der schon bisher von der Zuzahlung
betroffenen Beihilfeberechtigten durch § 12 Abs. 1 Nr. 2 auf 5,00 bis 10,00 EUR
angehoben.
21
Indem in weitem, nicht mehr allein anhand der BhV bestimmbarem, sondern durch
Vorschriften des SGB V i.V.m. den AMR festgelegtem (und aus beihilfesystemfremden
Erwägungen änderungsfähigem) Umfang Arzneimittel von der Beihilfefähigkeit
ausgenommen werden, ändert die 27. allgemeine Änderungs-VwV das bis dahin für
Arzneimittel geltende Beihilfeprogramm grundlegend. Denn die weitgehenden
dynamischen Verweisungen auf Vorschriften des SGB V, XI, Preisvereinbarungen mit
Sozialleistungsträgern und Beschränkungen auf die von der gKV zu zahlenden
Vergütungen führen eine völlig neue, für die Beihilfeberechtigten erheblich nachteilige
Struktur in das Beihilfeprogramm für Arzneimittel ein. Das BVerwG hat mit Urteil vom
15.12.2005 - (- 2 C 35.04 -, ZBR 2006, 195, 198f) die grundlegenden
Strukturunterschiede zwischen der gKV und der Beihilfe mit privater Zusatzversicherung
aufgezeigt und dabei herausgestellt, dass die beiden Sicherungssysteme nicht „gleich",
sondern lediglich „gleichwertig" sind. Die Krankheitsvorsorge durch Beihilfe und
Privatversicherung unterscheidet sich von der gKV im Hinblick auf die
verfassungsrechtliche Verankerung, die Finanzierung, die Leistungsvoraussetzungen,
das Leistungsspektrum und die Leistungsformen. Prägende Grundsätze der gKV sind
vor allem die solidarische Finanzierung, der soziale Ausgleich, die Sach- und
Dienstleistung als Leistungsform sowie die Organisation ihrer Träger als
Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts (vgl. § 29 Abs. 1 SGB IV).
Insbesondere besteht bei ihr keine Entsprechung von Beitrags- und Leistungshöhe nach
versicherungsmathematischen Grundsätzen. Ihre Leistungen sind grundsätzlich
einheitlich auf volle Absicherung für den Krankheitsfall angelegt; die Beiträge werden
prinzipiell solidarisch finanziert und richten sich unabhängig von den zu erbringenden
Leistungen und dem individuellen Risiko nach dem Einkommen des jeweiligen
Versicherungspflichtigen. Im Gegensatz dazu ist die beamtenrechtliche Krankenfürsorge
am Regeltyp des Dienstes im Beamtenverhältnis als Lebensberuf orientiert, der gerade
im Hinblick auf den besonderen beamtenrechtlichen Schutz von der
Versicherungspflicht in der gKV ausgenommen ist (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Der
22
Beamte hat grundsätzlich nicht die Möglichkeit der Teilnahme an dem
Sicherungssystem der gKV, vielmehr kann er die bei der Beihilfegewährung
vorausgesetzte eigene Vorsorge regelmäßig nur durch den Abschluss einer privaten
Versicherung treffen, die auf dem reinen Versicherungsprinzip beruht.
Dem schließt sich die Kammer an, mit der Folge, dass die Ablehnung der
Beihilfegewährung mangels Erfüllung der Anforderungen des verfassungsrechtlichen
Gesetzesvorbehalts nicht auf § 6 Abs. 1 Nr. 2 b BhV in der Fassung der am 1. August
2004 in Kraft getretenen 28. Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Änderung der
Beihilfevorschriften gestützt werden kann. Diese Regelung ist auch nicht vorübergehend
noch anzuwenden.
23
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 17. Juni 2004 zwar
ausgeführt, dass trotz des Defizits normativer Regelungen für eine Übergangszeit von
der Weitergeltung der Beihilfevorschriften auszugehen ist. Damit soll gewährleistet sein,
dass die Beihilfeleistungen jedenfalls für einen überschaubaren Zeitraum nach einem
einheitlichen Handlungsprogramm erbracht werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass
dem Bundesminister des Innern noch nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 17. Juni 2004 die Kompetenz eingeräumt wäre, den bisherigen beihilferechtlichen
Grundsätzen der Notwendigkeit und Angemessenheit von Aufwendungen für
Arzneimittel widersprechende Regelungen zu treffen, indem auf Regelungen aus der
gesetzlichen Krankenversicherung verwiesen wird, die grundlegend anders als die
Beihilfe strukturiert ist und vor allem nicht von dem das Beihilferecht prägenden
Gesichtspunkt der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht getragen wird.
24
Der in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg,
25
vgl. Urteil vom 24. November 2006 - 6 A 3306/05 -,
26
erhobene Einwand, das Bundesverwaltungsgericht hätte bereits in seinem Urteil vom
17. Juni 2004 zu dem Problem Stellung bezogen, wenn es strukturellen Veränderungen
durch Verwaltungsvorschriften in der eingeräumten Übergangszeit hätte vorbeugen
wollen, überzeugt schon deswegen nicht, weil das Bundesverwaltungsgericht in seiner
späteren Entscheidung vom 15. Dezember 2004 - BVerwG 2 C 35.04 - eine
unproblematische Gültigkeit der Beihilferegelung ausdrücklich nur bis zur Entscheidung
vom 17. Juni 2004 festgestellt hat. Hieraus kann im Umkehrschluss gefolgert werden,
dass die Frage struktureller Änderungen nach diesem Zeitpunkt zumindest als nicht
unproblematisch anzusehen ist. Für die Kammer ist hingegen entscheidend, dass
gravierende Veränderungen, die dem bisherigen System der Beihilfe fremd sind -
insoweit wird auf die obigen Ausführungen des Verwaltungsgerichts Göttingen
verwiesen - nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2004
nicht mehr durch Verwaltungsvorschriften in Kraft treten können.
27
Die Klage hat jedoch auch dann Erfolg, wenn § 6 Abs. 1 Nr. 2 b BhV zum 1. August
2004 wirksam geworden sein sollte.
28
Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen ist zunächst wieder, dass die
Beihilfevorschriften des Bundes in § 5 Abs. 1 BhV davon ausgehen, dass
Aufwendungen beihilfefähig sind, wenn sie dem Grunde nach notwendig und in der
Höhe nach angemessen sind. Soweit weiter bestimmt wird, dass die Beihilfefähigkeit
nicht ausdrücklich ausgeschlossen sein darf, kann sich die Beklagte nicht auf die
29
Ausschlussregelung in § 6 Abs. 1 Nr. 2 b BhV berufen.
Nach dieser Regelung sind alle nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel von der
Beihilfefähigkeit ausgeschlossen, soweit sie nicht nach den Richtlinien des
Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch -SGB V- aufgrund von § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausnahmsweise
verordnet werden dürfen. Die streitgegenständlichen Arzneimittel sind in diesem
Positivkatalog unstreitig nicht aufgenommen. Daraus folgt nach Ansicht der Kammer
jedoch nicht, dass die verordneten Arzneimittel grundsätzlich nicht beihilfefähig sind.
Denn die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses stellen keine verbindliche
und abschließende Regelung für das Beihilferecht dar.
30
Zwar hat das Bundessozialgericht,
31
vgl. Urteile vom 20. März 1996 -6 RKa 62/94-, BSGE 78,70 und vom 16. September
1997 - 1 RK 28/95-, BSGE 81, 54-73,
32
die Richtlinien des Bundesausschusses als verbindliche untergesetzliche
Rechtsnormen für die Vertragsunterworfenen gewertet und zur Begründung darauf
verwiesen, dass das zur Erfüllung der Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung
bereits Anfang der 30er Jahre entwickelte und seither historisch gewachsene öffentlich-
rechtliche System kollektiv vertraglicher Beziehungen zwischen den Krankenkassen
bzw. ihren Verbänden und den Körperschaften der Ärzte die Zuweisung von
Normsetzungsbefugnissen an die Vertragsparteien voraussetze. Diese Erwägungen
treffen auf das beamtenrechtliche Krankenfürsorgeprinzip, das den Beamten gem. § 6
Abs. 1 Nr. 2 SGB V gerade im Hinblick auf den besonderen beamtenrechtlichen
Beihilfeschutz von der Vertragspflicht in der gesetzlichen Krankenkasse ausnimmt, nicht
zu und es ist dem Dienstherrn deshalb verwehrt, die systemfremde gesetzliche
Krankenversicherung,
33
zur strukturellen Unterschiedlichkeit der Systeme vgl. auch
34
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Dezember 2006 -2 A 11115/06-
, juris,
35
zum Anknüpfungspunkt für eine nicht versicherungsfähige Beihilfekürzung an Beamte
zu machen.
36
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1987 -2 N 1.86-, BVerwGE 77, S. 345- 352.
37
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass das
Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR
347/98 - ohne Entscheidungserheblichkeit die Frage aufgeworfen hat, ob die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur demokratischen Legitimation der
Bundesausschüsse und zur rechtlichen Qualität der von ihnen erlassenen Richtlinien
als außenwirksame untergesetzliche Rechtssätze mit dem Grundgesetz in Einklang zu
bringen ist. Es hat die Frage nachfolgend ausdrücklich unbeantwortet gelassen.
Insoweit wird auch in der Literatur unter Bezugnahme auf diese Entscheidung die
Auffassung vertreten, die Beschlüsse des Bundesausschusses hätten lediglich den
Rechtscharakter von Empfehlungen.
38
Ruth Schimmelpfennig-Schütte, Vortrag vom 3. April 2006 bei den Fünften Berliner
Gesprächen zum Gesundheitsrecht, Thema Selbstverwaltung im Recht der gesetzlichen
Krankenversicherung, NZS 2006, 567-572.
39
In diesem Zusammenhang kann nicht unerwähnt bleiben, dass auch das
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,
40
vgl. Urteil vom 1. September 2004 - 1 A 4294/01 -, juris,
41
ohne Entscheidungserheblichkeit problematisiert hat, ob Entscheidungen des
Gemeinsamen Bundesausschusses auf dem Gebiet des Beihilferechts aussagekräftig
sein könnten, weil der Ausschuss weitgehend mit Interessenvertretern besetzt und in
seine Entscheidungen Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit nach §§ 92, 135 SGB V
einzustellen hat.
42
Bei Unterstellung, es handele sich bei den Richtlinien des Gemeinsamen
Bundesausschusses um für Beihilfeberechtigte verbindliche und abschließende
Regelungen, würde neben die Einflusslosigkeit der Beihilfeberechtigten auf den
gemeinsamen Bundesausschuss und dessen Richtlinien schließlich auch noch eine
nicht hinnehmbare Rechtsschutzlosigkeit der Beihilfeberechtigten treten. Diese folgt
daraus, dass die Richtlinien nach übereinstimmender Auffassung des
Bundessozialgerichts und des Gemeinsamen Bundesausschusses den gesetzlich
Versicherten zwar keine subjektiven öffentlichen Rechte gegen den Bundesausschuss
auf Änderung und Ergänzung der Richtlinien gewähren, diese sollen aber gegen die
Umsetzungsentscheidungen der Krankenkassen die Sozialgerichte anrufen und in
diesem Streit inzidenter klären lassen können, ob z. B. die Weigerung des
Gemeinsamen Bundesausschusses sich mit einem bestimmten Behandlungsverfahren
zu befassen oder dazu eine positive Empfehlung abzugeben, rechtmäßig ist.
43
Vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 29. April 2005 -B 6 KA 1/05 BH-, Schreiben
des Gemeinsamen Bundesausschusses an das Bayerische Verwaltungsgericht
Regensburg vom 8. Februar 2006 (Bl. 42 f. d. GA).
44
Dieser Rechtsschutz ist dem Beihilfeberechtigten verwehrt und er kann erst Recht als
am System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht Einbezogener keinen
unmittelbaren Anspruch auf Modifizierung und Änderung der Arzneimittel- Richtlinien
geltend machen. Der bloße Verweis auf die Geltung der Arzneimittel- Richtlinien in den
Beihilfevorschriften reicht dazu nicht aus.
45
So ausdrücklich auch der Gemeinsame Bundesausschuss an das VG Regensburg
a.a.O..
46
Aus allem folgert die Kammer, dass die Arzneimittelrichtlinien des Bundesausschusses
allein ein Instrument zur Einsparung von Kosten in der gesetzlichen
Krankenversicherung,
47
vgl. dazu Internetauftritt des Gemeinsamen Bundesausschusses (www.g- ba.de),
48
sind und der Bezugnahme auf diese beihilferechtlich fremden Regelungen allenfalls die
Eigenschaft bloßer beihilferechtlicher Hinweise zuzubilligen ist. Diese das Gericht nicht
bindenden Hinweise im Rahmen eines Positiv- oder auch Negativkatalog vermögen
49
Arzneimittel, die wie hier ärztlich verordnet worden und sowohl notwendig als auch
angemessen sind, nicht von der Beihilfe auszuschließen.
Ein Ausschluss der Beihilfefähigkeit kann schließlich auch nicht auf § 6 Abs. 1 Nr. 2 b
Satz 1 BhV gestützt werden. Diese Regelung verletzt die dem Dienstherrn obliegende
Fürsorgepflicht so erheblich, dass sie nicht mehr von dem an sich dem Dienstherrn in
Beihilfeangelegenheiten zustehenden weiten Ermessensspielraum als gedeckt
angesehen werden kann.
50
§ 6 Abs. 1 Nr. 2 b Satz 1 schließt die Beihilfefähigkeit nicht verschreibungspflichtiger
Arzneimittel grundsätzlich aus, es sei denn, es griffe die Ausnahmeregelung der
Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ein. Danach ist die
Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel nur zulässig bei
schwerwiegenden Erkrankungen und auch nur dann, wenn das Arzneimittel als
Therapiestandard gilt. Nr. 16.2 der Richtlinien definiert eine Krankheit als
schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der
durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig
beeinträchtigt. Das bedeutet in der Praxis, dass in der Regel nicht
verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht mehr beihilfefähig sind. Denn die weitaus
überwiegende Anzahl der Erkrankungsfälle ist nicht gleich lebensbedrohlich und auch
akut schwere Erkrankungen beeinträchtigen nicht immer die Lebensqualität auf Dauer.
Abgesehen davon, dass „auf Dauer" nicht näher erläutert wird, dürfte die überwiegende
Anzahl aller Erkrankungen von Nr. 16.2 der Richtlinien nicht erfasst werden. Somit
werden nicht - wie in § 6 Abs. 5 BhV - nur Arzneimittel ausgeschlossen, die ihrer
Zweckbestimmung nach üblicherweise bei geringfügigen Gesundheitsstörungen
verordnet werden, sondern die Regelung betrifft alle Krankheitsfälle mit Ausnahme der
lebensbedrohlichen und schwersten Fälle. Somit werden alle nicht
verschreibungspflichtigen Arzneimittel erfasst, obwohl sie von den behandelnden Ärzten
als notwendig angesehen werden und im Einzelfall zur Behandlung einer Erkrankung
verschrieben worden sind. Damit wird das Kriterium der Notwendigkeit der Frage der
Beihilfefähigkeit aufgegeben und dem Beamten die beihilferechtliche Unterstützung im
Falle einer Erkrankung versagt, und zwar nicht bei Bagatellerkrankungen sondern im
Regelfall. Dies stellt eine wesentliche Verletzung der beamtenrechtlichen
Fürsorgepflicht dar.
51
Die Fürsorgepflichtverletzung dokumentiert sich schließlich auch darin, dass durch die
Bezugnahme auf systemwidrige Richtlinien und der Erstellung eines Positivkatalogs
bzw. der Nichtaufnahme von Arzneimitteln in den Katalog zwar Beihilfeleistungen
ausgeschlossen werden bzw. bleiben, den außerhalb des Systems der gesetzlichen
Krankenversicherung Betroffenen eine Beteiligung an dem Verfahren bis hin zur
gerichtlichen Überprüfung -auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen- aber
vorenthalten bleibt.
52
Nach allem kann die Verweigerung der Beihilfeleistung zu den nicht
verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht auf § 6 Abs. 1 Nr. 2 b BhV gestützt werden.
Die Klage hat somit Erfolg, wobei die Kammer auch befugt ist, die Beklagte zur
Bewilligung der beantragten Beihilfe zu verpflichten. Selbst wenn man davon ausgeht,
dass ein Gericht an die beihilferechtlichen Regelungen gebunden ist, da sie, solange
man von ihrer Gültigkeit ausgeht, wie revisible Rechtsnormen gehandhabt werden, mit
der Folge, dass als rechtswidrig oder nichtig erkannte Normen nicht durch andere
ersetzt werden können, ist die Kammer dennoch befugt, die Beklagte zur
53
Beihilfegewährung zu verpflichten. Denn auch ohne Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 b
BhV liegt eine handhabbare beihilferechtliche Regelung vor, die einen Anspruch auf
Beihilfe bei angemessenen und notwendigen Aufwendungen einräumt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Berufung ist gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
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