Urteil des VG Gelsenkirchen vom 03.09.2010

VG Gelsenkirchen (kläger, konsum, cannabis, gerichtliche medizin, unter drogeneinfluss, fahren, anlage, sonntag, alkohol, begründung)

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 7 K 123/10
Datum:
03.09.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 123/10
Schlagworte:
Fahrerlaubnis, Entziehung
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Beklagte zuvor in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden
Betrages Sicherheit leistet.
Tatbestand:
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Der 19** geborene Kläger ist nach Aktenlage seit Juni 2004 Inhaber einer Fahrerlaubnis
der Klassen A und B. Am 2. Juni 2009 (Dienstag nach Pfingsten) wurde bei einer
polizeilichen Überprüfung auf einer Rastanlage an der BAB 8 bei T. festgestellt, dass er
als Fahrer unter BTM-Einfluss stand. Außerdem wurden 2 Päckchen Marihuana in
seinem Rucksack gefunden. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. X. (Institut für
Gerichtliche Medizin der Universität U. ) vom 8. Juni 2009 betrug der THC-Gehalt im
Blut 6,4 ng/ml und die THC-Carbonsäure 190 ng/ml, so dass von akutem
Cannabiskonsum auszugehen sei.
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Zu der Absicht, die Fahrerlaubnis deshalb zu entziehen, trug der Kläger vor, dass nur
bei regelmäßiger Cannabis-Einnahme im Sinne der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV)
Anlage 4 Nr. 9.2.1 Ungeeignetheit vorliege; diese stehe aber nicht fest. Auch der
Tatbestand des § 24a Abs. 2 StVG sei nicht verwirklicht, da der Cannabis-Konsum Tage
zuvor erfolgt sei und nur noch eine Restmenge des Altkonsums vorhanden gewesen
sei, die zum Zeitpunkt des Fahrens nicht mehr gewirkt habe. Nach einer Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Dezember 2004 könne bei dieser Menge nicht
mehr von Identität der Nachweis- und der Wirkungszeit ausgegangen werden. Auch
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lägen keine Anhaltspunkte für eine Abhängigkeit vor.
Mit der hier streitigen Verfügung vom 10. Dezember 2009 entzog der Beklagte die
Fahrerlaubnis, da der Kläger unter Drogeneinfluss ein Kraftfahrzeug geführt habe und
damit die fehlende Trennung von Konsum und Fahren feststehe; auch sprächen die
Laborwerte für einen erheblichen Konsum mit Verdacht auf regelmäßigen Konsum. Er
sei deshalb gemäß Nr. 9.2 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet.
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Am 11. Januar 2010 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben und
Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
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Den PKH-Antrag hat das Gericht mit Beschluss vom 23. März 2010 abgelehnt, da der
Kläger durch die Fahrt unter Cannabis-Einfluss bewiesen habe, dass er zwischen
Konsum und Fahren nicht trennen könne. Auch sprächen die festgestellten Werte für
einen mindestens gelegentlichen, wenn nicht sogar für einen regelmäßigen Cannabis-
Konsum. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mit Beschluss vom 19. Mai 2010
zurückgewiesen - 16 E 368/10 -.
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Zur Begründung der Klage vertieft der Kläger seinen Vortrag aus dem
Entziehungsverfahren und trägt zusätzlich vor, er konsumiere weder gelegentlich noch
regelmäßig. Er habe lediglich mit Freunden in den Tagen zuvor von Freitag bis Sonntag
in den Niederlanden "Party gemacht" und dabei geraucht und Alkohol konsumiert. Aber
schon am Montag habe er nicht mehr geraucht. Er sei deshalb davon ausgegangen,
dass das konsumierte Cannabis längst abgebaut und er wieder fahrtüchtig gewesen sei.
Aus einem einmaligen Cannabis-Konsum dürften nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts aus 2002 ohne weitere Sachverhaltsaufklärung keine
Eignungszweifel abgeleitet werden. Auch die Blutwerte seien kein Nachweis für einen
regelmäßigen oder gelegentlichen Konsum. Selbst bei gelegentlichem Konsum sei
nicht in jedem Falle von Ungeeignetheit auszugehen, vielmehr müsse die Behörde
Ermittlungen einleiten und ihr Ermessen ordnungsgemäß ausüben. Da alle diese
Voraussetzungen nicht vorlägen, sei die Entziehungsverfügung rechtswidrig.
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Der Kläger beantragt,
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die Entziehungsverfügung des Beklagten vom 10. Dezember 2009 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist zur Begründung auf die Gründe der angefochtenen Verfügung; der Kläger
habe gezeigt, dass er zwischen dem Konsum von Cannabis und Fahren nicht trennen
könne.
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Das Verfahren ist mit Beschluss vom 4. August 2010 auf den Einzelrichter übertragen
worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Anfechtungsklage (§ 42 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) ist
unbegründet, da die Entziehungsverfügung des Beklagten vom 10. Dezember 2009
rechtmäßig ist und den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1
Satz 1 VwGO.
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Zur Begründung wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf den PKH-
Antrag ablehnenden Beschluss des Gerichts vom 23. März 2010 Bezug genommen.
Dieser erweist sich auch bei nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage als
zutreffend, da der Kläger durch die Fahrt unter Cannabiseinfluss bewiesen hat, dass er
zwischen dem Konsum von Cannabis und Fahren nicht trennen kann, vgl. Nr. 9.2.2 der
Anlage 4 zur FeV. In diesem Beschluss ist auch auf der Grundlage des vom Kläger
zitierten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts
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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 - mit
zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur (NJW 2005, 349)
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dargestellt worden, dass der in seinem Blut festgestellte THC-Wert von 6,4 ng/ml den zu
§ 24 a Abs. 2 StVG durch die Grenzwertkommission festgesetzten Wert von 1 ng/g bzw.
ml erheblich übersteigt und daher die Annahme eines zeitnahen Konsums mit
entsprechender Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit gerechtfertigt ist. Aus der
festgestellten THC-Konzentration von 6,4 ng/ml folgt im Übrigen, dass die Angabe des
Klägers, am Sonntag zuletzt Cannabis konsumiert zu haben, offensichtlich unzutreffend
ist, denn dann hätte am Dienstag gegen Mittag kein THC im Blut mehr festgestellt
werden können. Denn die Nachweisbarkeitsdauer von THC im Blutserum wird im
Fachschrifttum nach einem Einzelkonsum mit vier bis sechs Stunden angegeben und
nur in Fällen von wiederholtem oder regelmäßigem Konsum kann sich diese Zeitspanne
erhöhen.
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vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur
Kraftfahreignung, 2. Aufl., S. 178; vgl. auch: Berghaus/Krüger, Cannabis im
Straßenverkehr, 1. Aufl., Kap. 10.2.4., S. 157 ff.
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Ferner lässt sich die festgestellte THC-COOH-Konzentration von 190 ng/ml kaum mit
der Behauptung eines seltenen oder gar einmaligen Konsums vereinbaren; vielmehr
legt dieser Wert die Annahme nahe, dass der Kläger häufiger und über einen längeren
Zeitraum Cannabis konsumiert hat. Das gilt bereits im Grundsatz für Werte ab 40 ng/ml,
die - wie beim Kläger - aus einer Stunden nach dem Konsum entnommenen Blutprobe
gewonnen werden.
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vgl. Berghaus/Krüger, a.a.O., S. 157 f; vgl. auch Daldrup, Blutalkohol 2000, S. 39; vgl.
allgemein auch OVG Niedersachsen, Beschluss vom 11. Juli 2003 - 12 ME 287/03 -,
DAR 2003, 480 f.
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Im Übrigen belegen die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, von
Freitag bis Sonntag 3 Tage hinter einander Cannabis und Alkohol "bis zum Erbrechen"
konsumiert zu haben, zusätzlich, dass die Voraussetzungen der Nr. 9.2.2 der Anlage 4
zur FeV vorliegen. Denn zusätzlich zu dem tagelangen Cannabis-Konsum ist auch noch
Alkohol getrunken worden. Damit steht ohne weitere Ermittlungserforderlichkeit fest,
dass der Kläger ungeeignet ist. Bei feststehender Ungeeignetheit steht die Entziehung
nicht im Ermessen der Behörde.
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Das vom Kläger im Klageverfahren vorgelegte Drogenscreening aus Juni 2010
rechtfertigt schon deshalb keine andere Entscheidung, weil es über die früheren
Konsumgewohnheiten bis zur Entziehungsverfügung keine Aussagen treffen kann.
Auch lässt die vorgelegte Bescheinigung schon nicht erkennen, dass der Urin unter
kontrollierten Bedingungen abgegeben wurde. Im Übrigen sind derartige
Untersuchungen als Nachweis dafür, dass der Betreffende nunmehr den Konsum von
Cannabis und Fahren trennen kann, nicht geeignet. Insoweit schreibt die Fahrerlaubnis-
Verordnung zwingend eine medizinisch-psychologische Untersuchung vor (vgl. § 14
Abs. 2 FeV).
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Die Klage ist deshalb insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO
abzuweisen; die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
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