Urteil des VG Freiburg vom 03.11.2016

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VG Freiburg Beschluß vom 3.11.2016, NC 6 K 3480/16
Leitsätze
1. Im 1. Fachsemester im Studiengang Zahnmedizin ist zum Wintersemester 2016/2017 die Kapazität der
Universität Freiburg mit der in der Zulassungszahlenverordnung festgesetzten Zahl erschöpft.
2. Auf Vorschlag der Universität kann gem. § 4 Abs. 1 S. 2 KapVO VII vom Ministerium in der
Zulassungszahlenverordnung eine höhere als die rechnerisch ermittelte Zulassungszahl festgesetzt werden.
3. Eine Hochschule kann insoweit im Rahmen einer "freiwilligen Übernahme einer Überlast" innerhalb des ihr
durch die Lehrfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) eingeräumten Gestaltungs- und Beurteilungsspielraums die mit einer
Überbelegung ihrer Lehrveranstaltungen verbundene Qualitätsminderung der Ausbildung in Kauf nehmen,
solange sie damit nicht gegen das aus dem Grundrecht der zugelassenen Studierenden aus Art. 12 Abs. 1 GG
resultierende Verbot einer kapazitätsrechtlich "unzulässigen Niveauunterschreitung" verstößt.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der zulässige Antrag, der auf vorläufige Zuteilung eines Studienplatzes im 1. Fachsemester Zahnmedizin
gerichtet ist, hat keinen Erfolg. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§
123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Über die festgesetzte Zahl von Studienplätzen hinaus gibt es
keine weiteren Studienplätze.
2 Die Zahl der von der Antragsgegnerin im Studienjahr 2016/2017 aufzunehmenden Studienanfänger im Fach
Zahnmedizin wurde durch die Verordnung des Wissenschaftsministeriums über die Festsetzung von
Zulassungszahlen für die Studiengänge im zentralen Vergabeverfahren der Stiftung für Hochschulzulassung
im Wintersemester 2016/2017 und im Sommersemester 2017 (Zulassungszahlenverordnung Zentrales
Vergabeverfahren 2016/2017 - ZZVO Zentrales Vergabeverfahren 2016/2017 vom 6.6.2016
-
GBl. S. 372)
auf 85 Studenten/Jahr, nämlich auf 43 im Wintersemester und 42 im Sommersemester, festgesetzt.
3 Damit ist die Ausbildungskapazität der Antragsgegnerin für diese Studienhalbjahre erschöpft.
4 1. Nach der Kapazitätsberechnung der Antragsgegnerin („Kapazitätsakte Zahnheilkunde Studienjahr
2016/17, Stand: 1.10.2016“ [im Folgenden: KapA]), stehen unter Berücksichtigung des personellen
Lehrangebots im Studienjahr 2016/2017 nur 70,92, d.h. 71 Studienplätze zur Verfügung (KapA S. 12), was
gegenüber dem Vorjahreswert (73,067) eine Verminderung um 2 Studienplätze bedeutet (zu den
Änderungen KapA S. 14).
5 Ungeachtet dieser gem. § 6 KapVO VII (v. 14.6.2002 - GBl. 2002, 271 i.d.F. v. 9.7.2013 - GBl. 2013, 251,
zuletzt geändert durch VO vom 28.6.2016, GBl. 2016, 385) nach der personellen Ausstattung berechneten
Aufnahmekapazität wurde aber auf Vorschlag der Antragsgegnerin (§ 4 Abs. 1 S. 2 KapVO VII) eine um 14
Studienplätze höhere Zahl von sogar 85 Studienplätzen festgesetzt (siehe die Stellungnahme der
Antragsgegnerin zum rechnerischen Ergebnis einer Kapazität von nur 71 Studienplätzen - KapA S. 14
unten: „Der Festsetzungsvorschlag der Hochschule auf 85 Studierende wird hiervon jedoch nicht berührt“).
6 Diese - kapazitätsgünstige - freiwillige Übernahme einer Überlast durch die Antragsgegnerin ist
kapazitätsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Hochschule kann im Rahmen ihres durch die Lehrfreiheit
(Art. 5 Abs. 3 GG) eingeräumten Gestaltungs- und Beurteilungsspielraums die mit der Überbelegung ihrer
Lehrveranstaltungen verbundene Qualitätsminderung der Ausbildung in Kauf nehmen, solange sie damit
nicht gegen das aus dem Grundrecht der zugelassenen Studierenden aus Art. 12 Abs. 1 GG resultierende
Verbot einer kapazitätsrechtlich „unzulässigen Niveauunterschreitung“ verstößt (zur Zulässigkeit einer
Überlast bzw. Überbuchung: VGH Bad.-Württ., Beschlüsse v. 17.1.2012 - NC 9 S 2775/10 -, juris, Rdnr. 10
und v. 24.1.2012 - 9 S 3310/11 -, juris, Rdnr. 22 sowie OVG NdS, B. v. 20.2.2013 - 2 NB 386/12 -, juris,
Rdnr. 25, ausführlich dazu m.w.N. auch VG Freiburg, B. v. 19.10.2015 - NC 6 K 2357/15 - juris, Rdnr. 6).
7 Eine solche kapazitätsgünstige Festsetzung einer höheren als der errechneten Zulassungszahl kann die
Rechte von Zulassungsbewerbern unter keinem denkbaren Gesichtspunkt verletzen (so VGH Bad.-Württ., B.
v. 9.2.1994 - NC 9 S 131/91 -, juris, Rn.15 und unter Verweis darauf Beschlüsse v. 14.3.2016 - NC 9 S
2497/15 und v. 14.3.2016 - NC 9 S 2022/15 -).
8 Ihr fehlt auch nicht die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (siehe insoweit OVG RP, B. v. 23.2.2016 - 6 B
10083/16 -, juris, Rn. 4 - 7, wonach einer Hochschule - von gesetzlich geregelten Ausnahmen abgesehen -
kein Ermessen zustehe, höhere Zulassungszahlen festzusetzen als der ermittelten Aufnahmekapazität
entspreche). Vielmehr sieht § 4 Abs. 1 S. 2 KapVO VII ausdrücklich vor, dass die Hochschule dem
Wissenschaftsministerium nicht nur den Kapazitätsbericht vorzulegen hat, der eine Darstellung der
Ermittlung der errechneten Aufnahmekapazität umfasst, sondern verbunden damit dem Ministerium
zugleich einen „Vorschlag“ zur Festsetzung der Zulassungszahl machen kann. Ein solches Vorschlagsrecht
wäre aber sinnlos, wenn es darauf reduziert wäre, lediglich die Festsetzung der errechneten Zulassungszahl
vorschlagen zu können. Dem steht auch nicht etwa entgegen, dass nach § 14 Abs. 3 KapVO VII eine
„Erhöhung“ der errechneten Kapazitätszahl „nur“ unter den dort genannten Voraussetzungen in Betracht
kommt. Denn diese Vorschrift bezieht sich allein auf das nach dem zweiten Abschnitt der KapVO VII
errechnete Ergebnis und stellt nur einen der Überprüfungstatbestände des dritten Abschnitts dar, nach
denen - wie z.B. bei Berücksichtigung des Schwunds (§ 16 KapVO VII) - im Zuge zusätzlicher Berechnungen
die im zweiten Abschnitt errechneten Ergebnisse nach oben oder unten zu korrigieren sind und dann erst
das eigentliche Rechenergebnis feststeht. Gleiches gilt auch hinsichtlich § 20 KapVO VII, wonach (nur) bei
neuen Studiengängen bzw. Modellstudiengängen (§ 6 Abs. 2 S. 2 Staatsvertrag) Zulassungszahlen
„abweichend von den Bestimmungen des zweiten und dritten Abschnitts der KapVO VII“ festgesetzt werden
können.
9 Erfolgt die Festsetzung einer höheren als der errechneten Zulassungszahl auf Vorschlag der Hochschule
durch Verordnung des Wissenschaftsministeriums (ZZVO), so liegt darin auch keine Vergabe von
Studienplätzen „außerhalb der durch die maßgebliche Zulassungszahlenverordnung festgesetzten Kapazität
und auch sonst ohne normative Grundlage in einem nicht hierfür vorgesehenen Verfahren“, was andernfalls
wegen Verstoßes gegen den Gesetzesvorbehalt verfassungswidrig wäre (vgl. StGH Bad.-Württ., U. v.
30.5.2016 - 1 VB 15/15 -, juris, Rn. 53 ff und 61).
10 Dass die von der Antragsgegnerin vorgelegte, auf die personellen Kapazitäten abstellende Berechnung der
Ausbildungskapazität an einer Fehlerquote leiden würde, deren Berichtigung zu einer Erhöhung der
errechneten Zahl der Studienplätze (71) um mehr als 19,7 % führen, d.h. sogar noch mehr als die
festgesetzten 85 Studienplätze ergeben würde (vgl. dazu auch VGH Bad.-Württ., Beschlüsse v. 14.3.2016,
a.a.O.), ist weder ersichtlich noch substantiiert dargelegt. Auch aus den zum 1.10.2016 von der
Antragsgegnerin zur Kapazitätsberechnung nachgereichten Dienstaufgabenbeschreibungen der
akademischen Mitarbeiter ergibt sich nichts Gegenteiliges.
11 Soweit die Antragstellerin „wegen Missachtung der kapazitären Vorgaben aus dem Staatsvertrag
'Hochschulpakt 2020' nach Auslaufen der Vierjahresfrist“ die Auferlegung eines Nichterfüllungszuschlags von
5 - 10 % fordert, kann sie schon nach dem soeben Ausgeführten keinen Erfolg haben. Davon abgesehen,
vermittelt dieser Vertrag keinen Drittschutz. Einen Anspruch auf Schaffung neuer Kapazitäten gibt es nicht
(OVG NdS, B. v. 9.8.2012 - 2 NB 334/11 -, juris Rdnr. 48 ff).
12 2. Auf die errechnete personelle Kapazität kommt es hier allerdings ohnehin nicht entscheidend an. An der
Universität Freiburg sind nämlich für den Studiengang Zahnmedizin - nach wie vor - lediglich 41 Labor- bzw.
sog. Phantomarbeitsplätze vorhanden (KapA S. 15 und 19). Die Zahl dieser für die Ausbildung wesentlichen
41 Phantomarbeitsplätze stellt aber nach ständiger Rechtsprechung der Kammer und des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg an der Universität Freiburg einen gem. § 14 Abs. 2 Nr. 5
KapVO VII auch durch höhere personelle Ausbildungskapazitäten nicht zu überwindenden
ausstattungsbedingten Engpass für die Zulassung weiterer Studienbewerber dar (vgl. VG Freiburg, B. v.
19.10.2015 - NC 6 K 2357/15 -, juris, Rdnr. 8 sowie Urteile v. 27.11.2014 - NC 6 K 2788/14 -, juris, Rdnr. 13,
v. 30.7.2014 - NC 6 K 1298/14 - , juris, Rdnr. 15 und v. 12.2.2014 - NC 6 K 2379/13 - , juris, Rdnr. 14 ff;
ebenso VGH Bad-Württ., Beschlüsse v. 5.5.2014 - NC 9 S 964/13 -, v. 24.5.2012 - NC 9 S 193/12 -, v.
28.6.2010 - NC 9 S 1254/10 -und - NC 9 S 1056/10 -, juris RN 4 ff - sowie v. 30.9.2008 - NC 9 S 2234/08 -).
Auf diese Entscheidungen wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen. Das Vorbringen der
Antragstellerin gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
13 Nicht zu beanstanden ist es in diesem Zusammenhang, dass die Antragsgegnerin, die Zahl der Studienplätze
gleichwohl auf 85 festgesetzt hat, obwohl die je Semester zur Verfügung stehende Zahl von 41 Labor-
/Phantomarbeitsplätzen rechnerisch nur eine Jahreskapazität von 82 (= 2 x 41) Studienplätzen ergibt. Auch
diese Überbelegung um 3 Studienplätze (2 im WS und 1 im SS) stellt nämlich eine kapazitätsrechtlich
zulässige, kapazitätsgünstige freiwillige Übernahme einer Überlast dar. Sie liegt noch im Rahmen dessen,
was die Antragsgegnerin unter Inkaufnahme überobligatorischer Anstrengungen (dazu KapA Anl. 5 - S. 19 -)
und unter Hintanstellung von Qualitätsbedenken im Rahmen ihrer Lehrfreiheit gerade noch an Steigerung
der effizienten Ausnutzung der vorhandenen Arbeitsplätze verantworten kann, ohne den Anspruch der
zugelassenen Studierenden (Art. 12 Abs. 1 GG) auf Schutz vor einer unzulässigen Unterschreitung des
Niveaus ihrer Ausbildung (s. o. 1.) sowie den Anspruch künftiger Patienten (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) auf
Schutz ihrer Gesundheit vor unzureichend ausgebildeten Zahnmedizinern zu missachten (dazu VG Freiburg,
B. v. 27.11.2014 - NC 6 K 2788/14 -, juris, Rdnr. 14 und U. v. 12.2.2014 - NC 6 K 2379/13 - , juris, Rdnrn.
21, 26, 27 und 29; siehe auch schon B. v. 19.12.2012 - NC 6 K 1852/12 -, juris, Rdnrn. 5 - 10).
14 Dass die Antragsgegnerin trotz der nur vorhandenen 41 Phantomarbeitsplätze die Zahl der Studienplätze
nicht noch durch weitere personelle und organisatorische Anstrengungen zur effektiveren Ausnutzung
dieser Plätze auf 92 erhöht und festgesetzt hat, - wie ihr dies noch im Studienjahr 2014/15 möglich war - ist
ebenfalls nicht zu beanstanden. Die mit dem Land vereinbarte befristete Zusatzkapazität von 7
Anfängerstudienplätzen endete zum WS 2014/2015 (vgl. dazu im Einzelnen den Beschluss der Kammer vom
19.10.2015 - NC 6 K 2357/15 -, juris Rdnr. 10). Das Sonderprogramm trug hier nur einer speziellen
Sondersituation (doppelter Abiturjahrgang 2012) Rechnung, die jetzt nicht mehr vorliegt, so dass sich
vorliegend auch kein Anspruch auf Verlängerung dieses Programms etwa aus Gründen der Gleichbehandlung
bzw. der Selbstbindung der Verwaltung ergeben kann (zu diesem Sonderprogramm und seiner zeitlichen
Begrenztheit auch schon VG Freiburg, U. v. 27.11.2014 - NC 6 K 2788/14 -, juris, Rdnr. 12 und U. v.
30.7.2014 - NC 6 K 1298/14 -, juris, Rdnrn. 14, 25, 26 sowie U. v. 12.2.2014 - NC 6 K 2379/13 -, juris,
Rdnrn. 24, 25).
15 Mit der schon für das Studienjahr WS 2015/16 und SS 2016 und nun auch für das aktuelle Studienjahr WS
2016/2017 und SS 2017 auf das „Normalniveau“ (siehe dazu VG Freiburg, U. v. 12.2.2014 - NC 6 K 2379/13
-, juris, Rdnr. 24) festgesetzten Zahl von 85 Studienanfängern/Jahr (43 im WS und 42 im SS) ist nach allem
die Ausbildungskapazität der Antragsgegnerin für das Studienhalbjahr erschöpft.
16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
17 Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG. Im Hochschulzulassungsrecht ist auch
im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der im Hauptsacheverfahren geltende Auffangstreitwert
zugrunde zu legen (vgl. VGH Bad.-Württ., B. v. 12.5.2009 - NC 9 S 240/09 - und B. v. 12.8.2014 - NC 9 S
958/14 -).