Urteil des VG Freiburg vom 12.03.2014

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VG Freiburg Urteil vom 12.3.2014, A 6 K 730/12
Flüchtlingsanerkennung einer chinesischen Mutter zweier nichtehelicher Kinder
Leitsätze
Der Mutter eines unter Verstoß gegen die chinesische Geburtenkontrollpolitik
geborenen nichtehelichen Kindes, die obendrein romtreue Katholikin und zur Zahlung
eines Bußgeldes in Höhe mehrerer Jahresgehälter außerstande ist, droht wegen
Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Eltern der unter Verstoß gegen die chinesische
Geburtenkontrollpolitik geborenen Kinder bei Rückkehr nach China Verfolgung, die
zur Flüchtlingsanerkennung führt.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.3.2012 wird
aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1 Die Klägerin, eine chinesische Staatsangehörige römisch-katholischen Glaubens
aus der Stadt ... in der Provinz Fujian, wendet sich mit der Klage gegen die
Ablehnung ihres Asylfolgeantrags.
2 Nach ihrer Einreise auf dem Landweg nach Deutschland im April 2003 stellte sie
damals einen ersten Asylantrag. Zu dessen Begründung berief sie sich darauf, sie
habe als aktive Katholikin vor Verfolgung fliehen müssen. Auf der Flucht an Bord
eines Containerschiffs sei sie seinerzeit vergewaltigt worden. Davon sei sie
schwanger geworden.
3 Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid vom 3.7.2003 abgelehnt. Zugleich wurde
mit diesem Bescheid festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 noch des § 53 AuslG (a.F.) vorliegen.
4 Im September 2003 gebar sie ihr Kind, das sie anschließend zur Adoption freigab.
Ihre gegen den Asylablehnungsbescheid erhobene Klage wurde rechtskräftig
abgewiesen (siehe VG Freiburg, U. v. 23.4.2004 - A 6 K 1102/03 608/99 -).
5 Mit einem - ebenfalls als Asylbewerber rechtskräftig abgelehnten - chinesischen
Staatsangehörigen (siehe dazu VG Freiburg, U. v. 27.11.2003 - A 6 K 11079/03 -),
der auch aus der Provinz Fujian stammt, den die Klägerin zunächst in der
Asylunterkunft während ihres ersten Asylverfahren kennen gelernt und den sie
später nach ihrer Umverteilung in Offenburg wieder getroffen hatte, hat sie zwei
nichteheliche Kinder, nämlich zwei Söhne, die am … 2007 bzw. am … 2010
geboren sind und beide am … 2011 in Offenburg römisch-katholisch getauft
wurden.
6 Am 8.12.2011 stellte die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten,
einen Asylfolgeantrag, mit dem Ziel, ihr nach Durchführung eines
Asylfolgeverfahrens die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise das
Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 - 7
AufenthG festzustellen.
7 Zur Begründung berief sie sich darauf, sie habe Anfang Oktober einen am
30.9.2011 in Germersheim aufgegebenen Brief eines Glaubensbruders erhalten, in
dem eine Bescheinigung ihrer chinesischen Heimatkirche, nämlich der römisch-
katholischen Erzdiözese Fuzhou in der Provinz Fujian, vom 26.8.2011 enthalten
gewesen sei. Der Bescheinigung zufolge sei sie mit dem Taufnamen „T...“ am
7.8.1993 getauft worden und habe auch die heilige Kommunion empfangen. Ihr
Vater sei nicht getauft. Ihre Mutter und ihre beiden Brüder, die beide auch das
Sakrament der Ehe empfangen hätten, seien katholisch getauft. Die Klägerin habe
sich in der Katholischen Jugendgemeinde aktiv an der Glaubensarbeit beteiligt. Sie
habe auf ihrem Fluchtweg Verletzungen erlitten und lebe in einem Flüchtlingsheim
zusammen mit einem Mann zusammen, von dem sie zwei Kinder habe. Außerdem
berief sich die Klägerin darauf, dass nach einem Urteil des VG Düsseldorf rom-
treue Katholiken in China Verfolgung ausgesetzt seien. Zudem berief sie sich
darauf, dass sie mit der nicht-ehelichen Geburt ihrer beiden Söhne ohne
Geburtserlaubnis der chinesischen Behörden gegen die Bestimmungen der
chinesischen Ein-Kind-Politik verstoßen habe, so dass sie bei einer Rückkehr
nach China dort Sanktionen befürchten müsse, die nach Urteilen des VG
Meiningen und des VG Trier aus dem Jahre 2011 eine flüchtlingsrechtlich
anerkennungswürdige Verfolgung darstellten. Insoweit sei das Verfahren nach §
49 VwVfG zumindest hinsichtlich des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach
§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG wiederaufzugreifen.
8 In einer handschriftlichen kurzen chinesischsprachigen Erklärung berief sich die
Klägerin pauschal auf ihr drohende religiöse Verfolgung.
9 Außerdem legte sie eine Bescheinigung einer katholischen Kirchengemeinde in
Offenburg vom 5.12.2011 vor, wonach sie mit ihren beiden Söhnen Sonntag für
Sonntag an den Gottesdiensten teilnehme und bei vielen Veranstaltungen der
Kirchengemeinde anwesend sei und sie und ihre Kinder für die Gemeinde eine
Bereicherung darstellten und sie ihr Glaubensleben ernst nehme.
10 Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 10.9.2012 lehnte das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Durchführung eines weiteren
Asylverfahrensund auch den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 3.7.2003
hinsichtlich der dort getroffenen negativen Feststellungen zu § 53 Abs. 1 - 6 AuslG
ab.
11 Zur Begründung führte es aus, es fehle schon an einer schlüssigen Darlegung,
dass der Klägerin nunmehr asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich relevante religiöse
Verfolgung in China drohe. Neue Umstände lägen insoweit nicht vor. Aus der
vorgelegten Bescheinigung ergebe sich vielmehr sogar umgekehrt, dass sie eine
Vielzahl von nahen Angehörigen in China habe, die dem gleichen Glauben
anhingen, wie sie selbst, und die diesen Glauben nach wie vor problemlos in China
ausüben könnten. Auch was die Ein-Kind-Politik angehe, werde diese offenbar in
China nicht mehr so streng gehandhabt, wie der Umstand zeige, dass die Klägerin
noch zwei Brüder habe, ohne dass ihre Eltern asylrelevante Probleme bekommen
hätten. Offenbar werde also in ihrer Heimatprovinz die Ein-Kind-Politik nicht streng
und rigoros gehandhabt. Schlimmstenfalls drohe ihr eine Geldstrafe wegen eines
Verstoßes gegen diese Regelungen, wobei hier nicht ersichtlich sei, dass sie nicht
in der Lage sein könne, diese nach Rückkehr - mit Hilfe ihrer Verwandten und ihrer
Kirche - zu bezahlen.
12 Nachdem dieser Bescheid am 28.3.2012 als Einschreiben zur Post gegeben
wurde, Am 16.4.2012 hat die Klägerin dagegen Klage beim Verwaltungsgericht
erhoben.
13 Zur Begründung trägt sie vor, aus der vorgelegten Bescheinigung ergebe sich
nicht, dass ihre Angehörigen in China problemlos ihren Glauben praktizieren
könnten. Richtig sei vielmehr, dass sie sich aus Angst vor Repressalien sehr
bedeckt halten müssten. Es liege auch ein Wiederaufgreifensgrund vor, denn
erstmals Ende September habe sie durch ihren Prozessbevollmächtigten im
Rahmen der Bearbeitung des Asylerstverfahrens ihres jüngsten Sohnes von der
stattgebenden Entscheidung des VG Düsseldorf zur religiösen Verfolgung rom-
treuer Katholiken und von den darin verwerteten Erkenntnismitteln erfahren. Die
romtreuen Katholiken seien von Hausarrest, Festnahmen und Behinderungen ihrer
Priester und Bischöfe bedroht, eine unbekannten Zahl von ihnen befinde sich im
Gefängnis, zwischen April und Juni 2007 seien 100 ausländische Christen
ausgewiesen worden. Nach einem BBC-Bericht vom 10.7.2012, den die Klägerin
in Kopie vorlegte (GAS 41), dauere diese Gefährdungslage an. Das gelte auch für
sie. Nach der vorgelegten Bescheinigung der katholischen Kirchengemeinde in
Offenburg sei sie praktizierende, aktive römisch-katholische Christin. Vor ihrer
Ausreise sei sie Mitglied des „Rosenbundes“, des Jugendverbandes ihrer Kirche
gewesen. Dieser habe sich der Nächstenliebe für Arme verschrieben und
regelmäßig zu Treffen in Wohnungen Gläubiger in Fouzhou getroffen. Sie habe
regelmäßig an diesen Treffen teilgenommen und abends und in der Freizeit
hilfsbedürftige Menschen aufgesucht. Ihre Mutter und ihr älterer Bruder, sowie ein
Onkel und eine Tante mütterlicherseits seien im Erwachsenenverband tätig
gewesen, Ihr jüngerer Bruder sei getauft, aber nicht aktiv gewesen. Der Vater habe
sich nicht taufen lassen, die Aktivitäten der Familie aber geduldet. Das habe sie
damals im ersten Asylverfahren unter dem Schock der Vergewaltigung nicht so
detailliert angeben können. Ihr im September 2003 geborenes Kind habe sie zur
Adoption freigegeben. Darunter habe sie in den ersten Jahren nach ihrer Einreise
massiv gelitten. Insofern sei sie ausweislich eines, von ihr dem Gericht vorgelegten
(GAS 73) nervenärztlichen Attests (vom 19.2.2014), seit langem in nervenärztlicher
Behandlung, und ausweislich eines Gutachtens einer Behandlungsstelle für
traumatisierte Flüchtlinge (GAS 77) leide sie an posttraumatischer
Belastungsstörung, rezidivierender depressiver Störung, Angststörung und
chronischer Schmerzstörung.
14 Zur religiösen Verfolgung legte sie das Original ihrer Taufurkunde (GAS 61) und
zwei Photos vor, die sie auf Umwegen Anfang/Mitte August 2012 von ihrer Mutter
zugesandt erhalten habe. Das eine Photo zeige sie bei einem Treffen des
Rosenbundes an einem geheimen Ort im Freien, das andere bei der Feier des
Osterfestes im engen Kreis in der Wohnung der Familie. Die Taufbescheinigung
sei auf Verlangen der Mutter ausgestellt worden, zum Schutz der Gläubigen stelle
die Kirche aber normalerweise keine Taufbescheinigungen aus.
15 Im Übrigen habe sie - wie die Urteile des VG Meiningen und des VG Trier und die
darin verwerteten Auskünfte zeigten - in China wegen ihres Verstoßes gegen die
Ein-Kind-Regelung, nämlich weil ihre beiden in Deutschland geborenen Söhne
nichtehelich und nicht registriert seien, mit Verfolgung zu rechnen.
16 Bei einer Rückkehr nach China drohe ihr infolge ihrer seelischen Erkrankung auch
die Gefahr einer Retraumatisierung.
17 Im Übrigen berufe sie sich, sollte einer ihrer Söhne in seinem jeweils eigenen
Asylverfahren erfolgreich sein, auf Familienasyl bzw. internationalen Schutz für
Familienangehörige nach § 26 AsylVfG (Ein für den ältesten Sohn gestellter
Asylfolgeantrag wurde mit Bescheid vom 26.11.2013 abgelehnt, gegen den dieser
im Parallelverfahren A 6 K 2555/13 klagt. Für den jüngeren Sohn wurde ein
Asylerstantrag gestellt, der mit Bescheid vom 16.5.2011 abgelehnt wurde, gegen
den dieser im Parallelverfahren A 6 K 1054/11 klagt).
18 Die Klägerin beantragt,
19 den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.3.2012
aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft
zuzuerkennen, hilfsweise: ihr subsidiären Schutz zuzuerkennen, höchst
hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG vorliegt.
20 Die Beklagte beantragt,
21 die Klage abzuweisen.
22 Sie verweist auf die Gründe des angefochtenen Bescheids.
23 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten (1 Heft
Gerichtsakten zum vorliegenden Verfahren, sowie 1 Heft beigezogene
Gerichtsakten zum Asylerstverfahren der Klägerin - A 6 K 11062/03 - und 1 Heft
Behördenakten) und die den Beteiligten mitgeteilten Erkenntnismittel verwiesen,
die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden.
24 Im Termin zur mündlichen Verhandlung - in dem die oben genannten Klagen der
beiden Söhne der Klägerin zeitgleich parallel mitverhandelt wurden - ist die
Klägerin angehört worden. Auf die hierzu angefertigte Sitzungsniederschrift wird
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
25 Die zulässige Klage ist bereits mit dem Hauptantrag begründet. Der angefochtene
Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat
Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 1 S. 1 und
Abs. 5 S. 1 VwGO).
26 Das Bundesamt ist (a) aufgrund des Folgeantrags des Klägerin gem. § 71 Abs. 1
S. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verpflichtet, ein weiteres Asylverfahren
durchzuführen, und (b) der Klägerin in diesem Zusammenhang die
Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§§ 1 Abs. 1 Nr. 2 , 3 Abs. 1 und Abs. 4
AsylVfG).
27 (a) Die Sach- und Rechtslage hat sich nämlich gegenüber der dem Erstbescheid
(im Zeitpunkt des Eintritts seiner Rechtskraft am 19.5.2004) zugrundeliegenden
Sach- und Rechtslage geändert. Im hier für die Beurteilung der geltend gemachten
Verpflichtung des Bundesamtes zur Durchführung eines Asylfolgeverfahrens
maßgeblichen Zeitpunkt der heutigen gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 S. 1
AsylVfG) liegen genügend von der Klägerin rechtzeitig innerhalb der 3-Monatsfrist
(§ 51 Abs. 3 VwVfG, § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) bzw. ohne Verschulden außerhalb
dieser Frist vorgetragene und vorgelegte neue Beweismittel bzw. Erkenntnisse vor,
die dem Grunde nach geeignet sein können, eine möglicherweise nunmehr andere
Beurteilung des Asylantrags der Klägerin als im Asylerstverfahren zu rechtfertigen
und diesbezüglich in eine erneute Sachprüfung einzutreten: Die beiden
nichtehelichen Kinder sind erst nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils im
Asylerstverfahren geboren. Das davor bereits im September 2003 geborene Kind
hat die Klägerin zur Adoption freigegeben, so dass im ersten Verfahren der
Verfolgungsgrund eines Verstoßes gegen die Ein-Kind-Regelung noch nicht
relevant war, ganz abgesehen davon, dass ein infolge Vergewaltigung geborenes
Kind wohl selbst nach den strengen chinesischen Regelungen mangels
zurechenbaren eigenen Verhaltens nicht als sog. „unerlaubtes, nichteheliches
Schwarzkind“ eingestuft worden wäre. Dass ein Verstoß gegen die Ein-Kind-
Regelung flüchtlingsrechtlich bedeutsam sein kann, hat die Klägerin auch erst über
ihren Prozessbevollmächtigten erfahren, als es um einen Asylerstantrag für ihren
jüngsten Sohn ging und sie auf die Urteile des VG Trier und Meinigen aufmerksam
gemacht wurde. Dass sie bis dahin als Laie nicht die Asylrechtsprechung und die
Verhältnisse in China sowie die Auskunftslage zur Situation im Herkunftsland
generell im Blick gehabt hat, kann ihr nicht vorgeworfen werden. Den
Asylfolgeantrag hat sie jedenfalls alsbald gestellt, nachdem ihre beiden Söhne
getauft worden sind und sie auch insoweit ihre Verbundenheit mit der katholischen
Kirche augenfällig bekräftigt hatte. Insoweit hat sie auch die Bescheinigung der
Kirchengemeinde rechtzeitig vorgelegt. Dass sie sich nicht schon vorher um
Bescheinigungen ihrer deutschen Kirchengemeinde, bzw. Beibringung
entsprechender Bescheinigungen ihrer chinesischen Heimatgemeinde gekümmert
hat und ihre Kinder nicht schon hat früher taufen lassen, kann ihr nicht zum
Vorwurf gemacht werden. Insoweit muss auch berücksichtigt werden, dass der
Vater der Kinder, mit dem sie zusammenlebt, offenbar nicht wirklich auch hinter
ihrem katholischen Glauben steht und sie deshalb nach wie vor noch nicht
geheiratet haben. Zudem ist sie ausweislich der vorgelegten Unterlagen
(insbesondere der Anamnese im Traumatisierungs-Gutachten) und ihres
plausiblen Vortrags in der mündlichen Verhandlung wirklich seelisch angeschlagen
und immer wieder krank, so dass sich der Kindesvater um die Kinder kümmern
muss, was er augenfällig auch in der mündlichen Verhandlung tat. Ihre seelische
Belastung ist zudem aufgrund des Umstandes plausibel und nachvollziehbar, dass
sie wohl tatsächlich seinerzeit auf der Flucht vergewaltigt wurde, was sie von
Anfang an so vorgetragen hat, wofür insbesondere der Umstand der alsbaldigen
Freigabe des daraus erwachsenen Kindes zur Adoption spricht, und was
schließlich auch die ständige nervenärztliche Behandlung sowie insbesondere das
Traumatisierungs-Gutachten belegen. All diese Umstände aber sind gewiss einem
rationalen, zeitgerechten und koordinierten sachkundigen Verfahrensverhalten in
Bezug auf die rechtzeitige Vorlage von Unterlagen bzw. die entsprechende
unverzögerte Stellung eines Folgeantrags abträglich, so dass ihr kein Vorwurf
einer Verfahrensverzögerung bzw. einer Versäumung der Drei-Monatsfrist
gemacht werden kann.
28 Nach allem hat sie damit aber Umstände im Folgeverfahren vorgetragen, die
nunmehr eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung wegen Verstoßes gegen
die Ein-Kind-Politik als denkbar erscheinen lassen und jedenfalls auch eine
Verbundenheit zum katholischen Glauben und zu der in China besonders
angefeindeten römisch-katholischen Kirche belegen, welche zwar nach wie vor
nicht geeignet ist, eine deshalb bereits seinerzeit erlittene (laut Asylersturteil des
VG Freiburg infolge zahlreicher Widersprüche und Ungereimtheiten unglaubhafte)
Vorverfolgung nunmehr schlüssig zu belegen, welche aber im Zusammenhang mit
der Frage bedeutsam sein kann, wie rigide und rücksichtslos ihr gegenüber die
Ein-Kind-Regelung durchgesetzt werden wird (siehe insoweit VG Freiburg, U. v.
27.7.2012 - A 6 K 1563/10 und VG Bremen, U. v. 5.6.2012 - 6 K 3664/07.A -, juris
Rdnr. 25 zur entsprechenden Nachteiligkeit eines katholischen
Glaubenshintergrundes in diesem Zusammenhang).
29 (b) Der mithin zu prüfende Folgeantrag ist auch begründet. Die Klägerin ist
Flüchtling im Sinne des Art. 1 A Ziff. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK -
Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 - BGBl. 1953 II
S. 559, 560). Denn sie befindet sich gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 a AsylVfG aus
begründeter Furcht vor einer Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe
der Eltern der unter Verstoß gegen die Regelungen der chinesische Ein-Kind-
Politik geborenen chinesischen Kinder außerhalb ihres Heimatstaates China,
dessen Schutz sie wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Gemäß § 3
Abs. 4 AsylVfG ist ihr deshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
30 Nach wie vor gilt in China die sogenannte Ein-Kind-Politik, nämlich das
„Bevölkerungs- und Familienplanungsgesetz“ vom 1.9.2002 (siehe AA Lagebericht
China v. 18.6.2013 - II. 1.8. S. 24). Danach darf eine Frau ein einziges Kind
bekommen und auch das nur, wenn sie - anders als hier die Klägerin - verheiratet
ist. Ein verheiratetes Paar muss insoweit eine bestimmte Altersgrenze
überschritten haben und vor der Geburt eine Geburtsgenehmigung eingeholt
haben, weil Männer erst mit 22 Jahren und Frauen erst mit 20 Jahren heiraten
dürfen (Art. 6 des chinesischen Heiratsgesetzes - siehe Refugee Documentation
Centre (Ireland) - Legal Aid Board - Auskunft v. 14.10.2011 - unter www.ecoi.net
und www.asyl.net -dort unter Länderinformationen/China).
31 Auch wenn in jüngster Zeit Rufe nach einer Abschaffung der Ein-Kind-Politik immer
lauter und drängender geworden sein mögen (siehe BayVGH, B. v. 9.9.2013 - 2
ZB 13.30255 - juris, Rdnr. 9 und VG Bayreuth, U. v. 2.7.2013 - B 3 K 13.30042 -
UAS. 5 unter Verweis auf DIE ZEIT-online http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-
10/China-ein-kind-politik-reform, wonach ein „regierungsnahes Forschungsinstitut“
in China die schrittweise Abschaffung dieser Politik bis 2015 „gefordert“ habe;
siehe insoweit auch www.zeit.de/wissen/2013-01/china-ein-kind-politik-studie -
schon vom 11.1.2013 - zu den negativen psycho-sozialen Auswirkungen der Ein-
Kind-Politik und Berichten chinesischer Medien, wonach die Regierung diese
„schrittweise abschaffen wolle“), bedeutet dies (noch) nicht, dass diese
Regelungen im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der heutigen mündlichen
Verhandlung (§ 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) nicht mehr gelten, weil sie etwa oder
förmlich bzw. de-facto abgeschafft sind oder nicht mehr praktiziert würden (so auch
Amnesty international - Auskunft v. 15.1.2014 an VG Augsburg, wonach eine
Reform der Ein-Kind-Politik vom Dezember 2013 regelt, dass künftig Paare, bei
denen ein Partner Einzelkind ist, zwei Kinder haben können, ansonsten aber die
Geburtenkontrollpolitik nicht aufgehoben worden sei). Dafür, dass in allernächster
Zukunft diese Regelungen außer Kraft gesetzt würden, ist also kein Anhaltspunkt
vorhanden. Entsprechende Spekulationen zum Nachteil der Klägerin verbietet sich
von daher.
32 Ausnahmen von der Ein-Kind-Regelung - die im vorliegenden Fall allerdings nicht
einschlägig sind - betreffen verheiratete Paare auf dem Lande, denen ein
Zweitkind zugestanden wird, wenn das erste Kind ein Mädchen ist (siehe AA
Lagebericht China v. 18.6.2013 - II. 1.8. S. 24; siehe zu speziellen
Ausnahmeregelungen der Familienplanungsvorschriften für verheiratete Paare und
obendrein für verheiratete Paare auf dem Land in der Provinz Fujian, aus der die
Klägerin stammt, die detailreichen Angaben in: Immigration and Refugee Board of
Canada, China - Family Planning Laws, v. 1.10.2012 - dort Ziff. 2.2.2 - unter
www.ecoin.net und unter www.asyl.net - Asylmagazin 12/2012 bzw. in
www.asyl.net unter Länderinformationen/China).
33 Da die Klägerin selbst kein Einzelkind ist, sondern aus einer Familie mit mehreren
Kindern stammt, würde es in ihrem Fall nicht einmal etwas helfen, den Vater ihrer
nichtehelichen Kinder, mit dem sie immerhin zusammenlebt, zu heiraten, um so die
Ausnahmemöglichkeiten in Anspruch zu nehmen und Sanktionen zu vermeiden.
34 Ganz abgesehen davon kann ihr auch nicht einfach angesonnen werden,
wenigstens den „Makel“ der nichtehelichen Geburt durch eine solche Heirat
auszuräumen, um so Verfolgung zu vermeiden. Denn wie sie in der mündlichen
Verhandlung überzeugend und plausibel sowie spontan vortrug, steht aus ihrer
Sicht einer Heirat noch entgegen, dass sich ihre Ehemann, der nicht katholisch,
sondern buddhistischer Herkunft ist, bislang nicht bereitgefunden hat, katholisch zu
werden. Er wird zwar in der vorgelegten Taufbescheinigung von der deutschen
Kirchengemeinde als Katholik geführt, aus der Bescheinigung der
Kirchengemeinde zum Kirchgang und zu der Beteiligung am Gemeindeleben
ergibt sich aber in aller Deutlichkeit, dass nur die Klägerin mit ihren beiden Söhnen
aktiv am Gemeindeleben teilnimmt, während deren Vater mit keinem Wort erwähnt
wird. Sie hat das auch in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, nämlich
darauf hingewiesen, dass ihr Mann an sich Buddhist sei und nicht den
katholischen Glauben praktiziere. Ob und wann die Klägerin aber heiratet, ist ihre
freie Entscheidung und darf ihr deshalb nicht durch Versagung des
Flüchtlingsschutzes gewissermaßen aufgezwungen werden. Hier kommt auch
hinzu, dass die Beziehung zum Vater der Kinder durchaus infolge der
Traumatisierung der Klägerin durch ihre Vergewaltigung laut Traumatisierungs-
Gutachten nicht spannungsfrei und unbelastet ist. Der im Termin anwesende Vater
der Söhne der Klägerin kümmerte sich zwar um das ebenfalls anwesende jüngste
Kind, wirkte aber sonst teilnahmslos, seiner Mimik nach angespannt, frustriert und
verbittert. Es schien ganz so, als handle es sich bei der Beziehung der Klägerin zu
ihm eher um eine aus der Not heraus geborene Vernunftgemeinschaft als um eine
aufrichtig gelebte der Ehe gleichkommende intensive Beziehung. Dass insoweit
bislang von einer Heirat nicht die Rede ist und eine solche auch in absehbarer
Zukunft nicht zu erwarten ist, liegt für das Gericht nach allem auf der Hand.
35 Die Geburtenkontrollpolitik gilt im Grundsatz auch für Chinesen, die im Ausland
leben und dort Kinder bekommen. Wer im Ausland als Kind chinesischer Eltern
geboren wird, ist nach Art. 5 des chinesischen Staatsangehörigkeitsgesetzes auch
chinesischer Staatsangehöriger, es sei denn die beiden Elternteile haben sich
dauerhaft im Ausland niedergelassen oder einer von ihnen hat eine ausländische
Staatsangehörigkeit angenommen. Informationen, dass dies bei nicht-ehelichen
Kindern und solchen, die unter Verstoß gegen die Geburtenkontrollreglungen
geboren wurden, finden sich insoweit nicht. Auch wenn es keine ausdrückliche
Regelung gibt, dass Auslandschinesen eine Geburtserlaubnis bei der
chinesischen Botschaft im Aufenthaltsstaat einholen müssen, ist doch die
dokumentierte Einholung eines Rates der nächstgelegenen Botschaft angezeigt,
da ein solcher Nachweis nach Rückkehr für die Haushaltsregistrierung (Hukou)
verlangt werden kann. Grundsätzlich können auch Auslandschinesen wegen einer
nach den genannten Regeln unerlaubten Geburt eines Kindes im Ausland zu einer
Bußgeldzahlung herangezogen werden (so Australian Refugee Review Tribunal,
Auskunft v. 18.11. 2010 - CHN37751 - S. 8 - Asylmagazin 12/2012 - unter
www.asyl.net und unter www.ecoi.net).
36 Sonderregelungen für Auslandsrückkehrer in der Provinz Fujian - aus der die
Klägerin stammt -, die sicherstellen, dass diese ihre im Ausland außerhalb der
Geburtenkontrollregelungen geborenen Kinder registrieren können und dass diese
auch sonst keine Nachteile erfahren, gibt es nicht (so jüngst Amnesty International,
Auskunft v. 15.1.2014 an VG Augsburg; siehe im Übrigen BayVGH , B. v. 9.9.2013
- 2 ZB 13.30255 - juris, Rdnr. 10 und VG Arnsberg, U. v. 7-3.2013, wonach es in
der Provinz Fujian eine Sonderregelung gebe, die einem verheirateten
Auslandsrückkehrpaar ein zweites Kind erlaube; das VG Bayreuth, U. v. 2.7.2013 -
B 3 K 13.30042 -, UA S. 9 verweist hierzu auf eine Auskunft von ai an VG Trier
vom 18.4.2011 wonach Auslandsrückkehrern in Fujinan ein zweites Kind erlaubt
sei- damit sind aber wohl im Grundsatz auch nur verheiratete Paare gemeint). Aus
anderen Auskünften ergibt sich auch nur, dass Auslandsrückkehrer nur dann
keine Sanktionen wegen Verstößen gegen die Geburtenkontrollpolitik befürchten
müssen, wenn - anders als im vorliegenden Fall der Klägerin und der Vaters ihrer
Söhne als abgelehnte Asylbewerber ohne Ausbildung und Berufstätigkeit in
Deutschland - an ihrer Rückkehr wegen ihrer Ausbildung und Wirtschaftskraft ein
Interesse des chinesischen Staates besteht, bzw. dass eine Wiedereinreise nach
China Frauen nur im schwangeren Zustand erlaubt wird, wenn das andere Kind
permanent im Ausland lebt (OVG Saarland, U. v. 20.10.1999 - 9 R 24/98 - UA S. 29
unter Verweis auf Scharping, Auskunft v. 25.3.1999 an VG Leipzig; ferner ai,
Auskunft v. 4.6.2002 an VG Köln und Auskunft v. 21.4.2011 an VG Trier, sowie
Scharping, Auskunft v. 28.10.1999 an VG Leipzig; siehe auch Australian Refugee
Review Tribunal, Auskunft v. 18.11. 2010 - CHN37751 - S. 1, 2 - Asylmagazin
12/2012 - unter www.asyl.net und unter www.ecoi.net -, wonach Auslandschinesen
nur bei dauerhaftem Wohnsitz im Ausland bzw. nur dann nicht, wenn sie im
Ausland studiert haben, unter die Ein-Kind-Regelung fallen, also zwei Kinder
haben dürfen, wonach aber nicht eindeutig klar sei, dass dies auch für einzelne
nicht-eheliche unerlaubte „Schwarzkinder“ gelte; zu einer tatsächlich
durchgeführten Zwangssterilisierung einer aus dem Ausland in die Provinz Fujian
mit zwei Kindern zurückkehrenden Chinesin im Jahr 2010 - siehe ai- Auskunft v.
15.1.2014 an VG Arnsberg).
37 Unterfallen nach allem die Söhne der Klägerin als nichtehelich geborene Kinder
einer (Auslands-) Chinesin den genannten Regeln, so stellt sich ihre Geburt nicht
nur als formell unerlaubt, sondern als nicht genehmigungsfähig mit der Folge dar,
dass sie als solche auch nicht registriert werden.
38 Auch wenn das chinesische Gesetz selbst die Gleichstellung von ehelichen und
nicht-ehelichen Kindern ausdrücklich gebietet und Diskriminierung insoweit
eindeutig verbietet (Art. 19 des Heiratsgesetzes - siehe dazu Australian Refugee
Review Tribunal, Auskunft v. 18.11. 2010 - CHN37751 - S. 4 - Asylmagazin
12/2012 - unter www.asyl.net und unter www.ecoi.net), knüpfen doch die
Geburtenkontrollregelungen empfindliche Nachteile an den Umstand der
unerlaubten nichtehelichen Geburt:
39 Eine nichteheliche Mutter muss nämlich ein extrem hohes Bußgeld im Umfang von
vier bis sechs Jahresdurchschnittsgehältern zahlen (so zur Regelung in der
Provinz Fujian, aus der die Mutter des Klägerin stammt Immigration and Refugee
Board of Canada, China - Family Planning Laws, v. 1.10.2012 - dort Ziff. 2.2.2 und
2.2. - unter www.ecoin.net und unter www.asyl.net - Asylmagazin 12/2012; ebenso
Australian Refugee Review Tribunal, Auskunft v. 18.11. 2010 - CHN37751 - S. 1, 2
- Asylmagazin 12/2012 - unter www.asyl.net und unter www.ecoi.net).
40 Dass die Klägerin ein solches exorbitantes Bußgeld sollte zahlen können, kann
nicht einfach unter Hinweis darauf unterstellt werden, sie bzw. ihre Familie habe ja
auch durch die damalige Finanzierung ihrer Ausreise und Einreise nach
Deutschland eine entsprechende Finanzkraft demonstriert (in diesem Sinne zu
einem solchen Fall aber . VG Bayreuth, U. v. 2.7.2013 - B 3 K 13.30042 -, UA S. 9;
ebenso VG Augsburg, U. v. 28.1.2014 - Au 2 K 13.30246 -juris, Rdnr. 39). Denn sie
ist hier schon 2003 als mittelloser Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und
zwar offenbar nicht im Zuge einer durch aufwendige Geldbeträge sichergestellten
bequemen Schleusung mit Hilfe von falschen Papieren und an Bord eines
Flugzeugs, sondern auf primitivste und damit wohl auch billigste Weise in einem
Schiffscontainer, wo sie obendrein noch vergewaltigt wurde. Seither lebt hier sie
hier - ebenso wie der Vater ihrer Söhne - nach Ablehnung des Asylantrags von
staatlichen Leistungen. Ihr wurde deshalb auch Prozesskostenhilfe wegen
Mittellosigkeit bewilligt. Von daher kann nicht davon ausgegangen werden, sie
habe über die Jahre hinweg im Umfang von mehreren tausend bis zigtausend
Euro Ersparnisse anhäufen können, aus denen sie nach einer Rückkehr in China
die entsprechenden Bußgelder werde zahlen und so die mit der Ein-Kind-
Regelung verbundenen Sanktionen werde abwenden können.
41 Zu ihren Lasten kann auch nicht einfach spekuliert werden, ihre Familie sei in der
Lage ein mehrfaches Jahreseinkommen für sie aufzubringen. Insofern wäre auch
zu berücksichtigen, dass sich die Finanzkraft von Flüchtlingsfamilien
erfahrungsgemäß häufig bereits mit der Finanzierung der Ausreise erschöpft hat
und nicht selten eher umgekehrt von Rückkehrern aus dem vermeintlich
„goldenen“ Westen eine Rückzahlung dieser Beträge und vor allem das Einbringen
neuer Finanzmittel in die Familienkasse erwartet wird. Auch von einer
staatlicherseits mit Misstrauen beobachtende Kirche, die sich aus Angst vor
Repressalien bedeckt halten und zum Teil in Privatwohnungen bzw. im Geheimen
im Freien Zusammenkünfte abhalten muss, kann nicht ohne Weiteres eine
Übernahme einer solch großen Bußgeldsumme erwartet werden. Die chinesische
Heimatkirche der Klägerin hat sich ihrem Vorbringen zufolge zwar unter anderem
der Armenfürsorge verschrieben hat, was aber noch lange nicht heißt, dass es sich
hier um eine äußerst finanzkräftige Organisation handelt, die ohne Weiteres zu
einer solch enormen Zahlung überhaupt in der Lage wäre. Ganz abgesehen
davon wäre noch fraglich, inwieweit die chinesischen Heimatgemeinde - anders als
wohl die hiesige deutsche Gemeinde - nichteheliche Kinder vor dem Hintergrund
katholischer Glaubenslehrsätze überhaupt akzeptiert.
42 Wird das Bußgeld aber nicht gezahlt, so ist eine „Legalisierung“ eines unerlaubt
geborenen Kindes nicht möglich mit der Folge, dass ohne die Geburtsregistrierung
dann auch keine Haushaltsregistrierung (sog. „Hukou“) erfolgt, ohne die dann
wiederum ein solches „unerlaubtes Schwarzkind“ vom Recht auf Schulbesuch, auf
Teilhabe an sozialen Leistungen und von der staatlichen Gesundheitsversorgung
komplett ausgeschlossen wird (AA Lagebericht, China v. 18.6.2013 - II. 1.8. S. 25;
Australian Refugee Review Tribunal, Auskunft v. 18.11. 2010 - CHN37751 - S. 4 -
Asylmagazin 12/2012 - unter www.asyl.net und unter www.ecoi.net; Immigration
and Refugee Board of Canada, China - Family Planning Laws, v. 1.10.2012 - dort
Ziff. 3.4 - unter www.ecoin.net und unter www.asyl.net - Asylmagazin 12/2012).
43 Dass diese strengen Regelungen der Geburtenkontrolle im Zuge einer generellen
Lockerung in der Praxis etwa nicht mehr so streng gehandhabt würden, lässt sich
nicht feststellen. Nach alle oben zitierten sehr detaillierten Auskunftsquellen (siehe
ergänzend auch ACCORD, Auskunft v. 29.1.2009 zum Thema China/Frauen/Ein-
Kind-Politik; Rückkehr mit zwei Söhnen - unter www.ecoi.net) gilt - insbesondere
auch für die Heimatprovinz der Klägerin (Fujian) - dass dort die
Geburtenkontrollpolitik gegenüber alleinerziehenden, unverheirateten Müttern
unehelicher Kinder trotz womöglich phasenweiser Lockerungen nach wie vor
rigoros bis hin zum Einsatz von Mitteln wie Zwangssterilisierungen der Mütter,
Zwangsabtreibungen oder massivem Druck zur „freiwilligen“ Abtreibung
durchgesetzt wird. Auch wenn hier und da einzelne Beamte für solche nach
chinesischem Recht inzwischen illegalen Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen
werden, kommt es doch nach allen vorliegenden Berichten „recht häufig [fairly
frequently]“ bzw. „immer wieder“ zu solchen Eingriffen und Sanktionen (gerade
jüngste Pressemeldungen zeigen deutlich, dass solche Eingriffe und Übergriffe in
China durchaus „an der Tagesordnung“ sind - vgl. etwa spiegel-online,
www.spiegel.de/politik/ausland vom 15.6.2012 und NZZ-online vom 15.7.2012
[www.nzz.ch/aktuell/ international/abtreibung-unter-zwang-1,17357004, wonach
jüngst in der Provinz Shanxi Funktionäre eine Zwangsabtreibung bei einer im 7.
Monat schwangeren 23 Jahr alten Chinesin vornahmen. Diesen Meldungen ist
auch zu entnehmen, dass in jüngster Zeit nicht nur mehrere Bericht über
Zwangsabtreibungen in China die dortige Öffentlichkeit erschütterten, sondern
dass insbesondere auch Ende April 2012 in der Provinz Fujian Beamte ein
ungeborenes Kind mit der Giftspritze töten ließen. Zwar wurde im Fall aus Shanxi
eine Entschädigung zugesprochen und der Beamte suspendiert, eine
strafrechtliche Aufarbeitung fehlte aber und das alles geschah auch nur auf Druck
der Medien, nachdem der Kindesvater, der protestierte hatte, von den Behörden
tagelang festgenommen worden war, und das von ihm im Internet veröffentlichte
Foto seiner Frau mit dem toten Fötus Fall hohe Wellen schlug, die auch die
chinesische Staatspropaganda nicht mehr ignorieren konnte. Auch der bekannte
blinde chinesische Menschenrechtsanwalt Chen Guangcheng, der Frauen vertrat,
die Opfer von Zwangsabtreibungen geworden war, und ihre Fälle zu Gericht
brachte, wurde wegen dieses Engagements zu vier Jahren Haft verurteilt, nach der
Haftzeit unter Hausarrest gestellt und wiederholt zusammengeschlagen, bis ihm
jüngst im April 2012 spektakulär die Flucht in die amerikanische Botschaft gelang,
von wo aus er schließlich in die USA ausreisen durfte
[http://de.wikipedia.org/wiki/Chen-Guangchen]).
44 Wenn aber demnach schon solche Übergriffe auf die nichtehelichen Mütter
beachtlich wahrscheinlich sind, dann kann davon ausgegangen werden, dass erst
recht die „bloßen“ Sanktionen einer Registrierungsverweigerung und die damit
verbundenen massiven rechtlichen und sozialen Nachteile für die Kinder
beachtlich wahrscheinlich sind. Das ergibt sich auch aus dem jüngsten
Lagebericht des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 2013.
45 In ihrer Kumulation stellten aber die auf diese Weise vom chinesischen Staat für
die Klägerin als Mutter nichtehelicher, unerlaubter „Schwarzkinder“ bewusst und
gezielt verursachten Nachteile einen Verfolgungseingriff mit dem Gewicht einer
schweren Menschenrechtsverletzung dar, wie sie vom Flüchtlingsbegriff
vorausgesetzt wird (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, sowie Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6
AsylVfG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1a und Abs. 2 QRL [Qualifikationsrichtlinie
2011/95/EU]). Über bloße für sich genommen unerhebliche Diskriminierungen
gehen solche Folgen weit hinaus, da sie das Leben des Betroffenen grundlegend
entwerten. Insofern schließt sich das Gericht der Auffassung des VG Meiningen
und des VG Trier an (VG Meiningen, U. v. 6.4.2011 - 8 K 20205/09.Me, juris; VG
Trier, U. v. 23.3.2011 - 5 K 442/10.TR- , juris = InfAuslR 2011, 219 = Asylmagazin
7-8/2011, S. 243 und U. v. 11.7.2012 - 5 K 433/12.TR -, juris).
46 Die grundlegende Verweigerung einer Geburtsregistrierung und zusätzlich einer
Hukou-Registrierung für die nichtehelichen und in jedem Fall die erlaubte Zahl
übersteigenden Kinder der Klägerin, die im totalitär durchstrukturierten,
bürokratisch durchorganisierten chinesischen Staat Grundlage für alle weiteren
verwaltungsrechtlichen Rechtsanerkennungen (Umzug, Arbeit, Meldepflicht,
Krankenhausleistung, Schulbesuch, Personalausweis) ist (siehe AA, Auskunft v.
8.6.2006 an VG Braunschweig und v. 11.4.2011 an VG Köln), grenzt den
Betroffenen massiv aus der staatlich verfassten Friedensordnung aus, zwingt
diese Kinder so in die Illegalität und verletzt das grundlegende Menschenrecht auf
Teilhabe an dieser gemeinschaftlichen Friedensordnung und auf Anerkennung als
Rechtsperson (Art. 6 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte - UN
Generalversammlung, Resolution 217/III v. 10.12.1948: Jedermann hat überall
Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson; Art. 16 Internationaler Pakt über
bürgerliche und private Rechte [IPbpR] v. 19.12.1966 - BGBl. 1973, II S. 1534:
Jedermann hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden, und Art. 24
Abs. 2 IPbpR: Jedes Kind muss unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register
eingetragen werden und einen Namen erhalten). Eine solche Ausgrenzung, wie
sie durch die Verweigerung von Geburtsregistrierung und Hukou-Registrierung
bewirkt wird, kommt somit in ihren verwaltungstechnischen Folgen einer
Ausbürgerung nahe, deren Charakter als Verfolgungseingriff von ausreichender
menschenrechtsverletzender Intensität anerkannt ist (BVerwG, U. v. 26.2.2009 - 10
C 50.07 - AuAS 2009, 175 = ZAR 2009,319 = BVerwGE 333,203).
47 Dass es nach Auskunft des Auswärtigen Amtes zeitweise möglich sein kann, auch
länger Behördenkontakt zu vermeiden und sich illegal in einer chinesischen Stadt
aufzuhalten, und dass auch gefälschte Unterlagen und Personalausweise in China
erhältlich sind (siehe AA, Auskunft v. 8.6.2006 an VG Braunschweig), ist dabei
unbeachtlich, denn ein Leben in der Illegalität darf flüchtlingsrechtlich niemandem
als Alternative zum Verfolgungsschutz angesonnen werden (so BVerwG, U. v.
1.2.2007 - 1 C 24.06 - AuAS 2007, 68 = juris zur Unzumutbarkeit einer
inländischen Fluchtalternative, wenn nur ein Leben in der Illegalität unter der
dauernder Gefahr polizeilicher Kontrollen und Strafsanktionen möglich ist).
48 Diese Verfolgungsmaßnahme in Form einer Rechtlosstellung der Kinder knüpft
auch an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal an, nämlich an ihre uneheliche,
unerlaubte Geburt, und damit an ihre Zugehörigkeit zu der sozialen „Gruppe der
illegal geborenen nichtehelichen chinesischen Kinder“ (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs.3,
3b Abs. 1 Nr. 4a) und b). Diese Gruppe ist sozial klar definiert und erkennbar und
von der übrigen Gesellschaft abgrenzbar und wird von der Bevölkerung auch als
solche wahrgenommen. Die Anknüpfung der Sanktion an die Zugehörigkeit zu
dieser Gruppe macht diese Kinder gewissermaßen für ihr So-Sein haftbar, indem
sie diesen wegen ihres für sie unabänderlichen, irreversiblen und unvertretbaren
Persönlichkeitsmerkmals ihrer unehelichen Geburt Nachteile bereitet. Damit macht
sie die Sanktion nicht für eigenes Verhalten verantwortlich, sondern für das
Verhalten Dritter, nämlich ihrer Eltern, für das sie naturgemäß nichts können. Das
aber wiederum ist genauso willkürlich und diskriminierend, wie eine an die
Hautfarbe oder ethnische Volkszugehörigkeit anknüpfende Sanktion. Der
„Geburtsmakel“ der unehelichen Geburt ist angeboren. Nichteheliche Kinder
werden in China auch (i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 b AsylVfG) von der Gesellschaft
auch als andersartig betrachtet, nämlich sozial stigmatisiert und werden ebenso
wie ihrer Mütter nach wie vor durch die insoweit mit tief verwurzelten Vorurteilen
behaftete chinesische Gesellschaft mit Mitleid und Verachtung betrachtet (so
ausführlich mit Quellenangaben Australian Refugee Review Tribunal, Auskunft v.
18.11. 2010 - CHN37751 - S. 2 - 6 [Ziff. 2 A, B und Ziff. 3 sowie Ziff. 5] -
Asylmagazin 12/2012 - unter www.asyl.net und unter www.ecoi.net).
49 Dem lässt sich entgegen der in der überwiegenden verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung vertretenen Ansicht nicht entgegenhalten, bei diesen Sanktionen
(gleich ob sie die nichtehelichen Mütter mit Zwangsabtreibungen, bzw. die Mütter
und Väter mit Zwangssterilisationen oder -adoptionen oder aber die -unerlaubten,
überflüssigen - Kinder mit den dargestellten Formen der Rechtlosstellung treffen)
handle es sich nicht um eine Verfolgung, die an das Persönlichkeitsmerkmal der
Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe anknüpfe. Die chinesische
Geburtenkontrollpolitik und die oben genannten gesetzlichen Regelungen des
Bevölkerungs- und Familienplanungsgesetzes allgemein, finde nämlich
gleichermaßen und ohne jede weitere Differenzierung auf alle chinesischen
Staatsbürger Anwendung und dieses allgemeine Gesetz verfolge insoweit eben
gerade nicht das Ziel der Diskriminierung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe
(etwa einer Minderheitengruppe wie der Tibeter oder Uiguren). Vielmehr ziele es
lediglich darauf ab, ganz allgemein die Geburtenrate aller Chinesen im Blick auf
das Bevölkerungswachstum in diesem sehr bevölkerungsreichen Land
einzugrenzen, um so soziale und wirtschaftliche Missstände zu vermeiden, die
andernfalls mit einer zunehmenden Überbevölkerung einhergingen (siehe dazu die
Rechtsprechungsübersicht bei VG Würzburg, B. v. 28.8.2013 - W 6 S 13.30278 -,
juris, Rdnr. 14; siehe auch die Rechtsprechungsnachweise der in diesem Sinne
urteilenden obergerichtlichen Rechtsprechung des BayVGH, des OVG NRW und
des NdsOVG bei VG Augsburg, U. v. 28. 1.2014 - Au 2 K 13.30246 -, juris, Rdnr.
36 und 37).
50 Diese Auffassung greift indessen zu kurz, weil sie lediglich das politische, für sich
genommen legitime Fernziel einer Kontrolle des Bevölkerungswachstums in den
Blick nimmt und sich dadurch den Blick auf die zur Erreichung dieses Ziels in
China angewendeten menschenrechtswidrigen Zwangsmethoden der
Ausgrenzung verstellt. Die Methoden der Kontrolle des Bevölkerungswachstums
beschränken sich nämlich gerade nicht auf menschenrechtlich unbedenkliche
Methoden wie Aufklärung, Bereitstellung von Mitteln zur Empfängnisverhütung,
Einführung von Rentenversicherungsmodellen um den Anreiz für möglichst viele
Kinder zu nehmen, Einführung von Bildung für Frauen, Modelle
finanzieller/steuerlicher Anreize bei geringer Kinderzahl etc. Vielmehr verletzen sie
das durch alle Menschenrechtspakte geschützte grundlegende Recht aller
Menschen, eine Familie zu gründen, nämlich Kinder zu haben, und dabei als freie
Menschen in eigener wirtschaftlicher und sozialer Verantwortung die Zahl ihrer
Kinder selbst zu bestimmen (siehe Art. 16 Nr. 1 S. 1 und Nr.3 AEMR, Art. 23 Abs. 1
und Abs. 2 des - auch von China gezeichneten - IPbpR, Art. 12 EMRK, Art. 6 GG).
Dieses grundsätzlich anerkannten Menschenrecht schützt das dem Menschsein
innewohnende Grundbedürfnis nach Reproduktion (ausführlich dazu und auch zu
menschenrechtlich unbedenklichen Methoden der Geburtenkontrolle Saona, „The
Protection of Reproductive Rights under International Law: The Bush
Administration´s Policy Shift and China´s Family Planning Activities“, Pacific Rim
Law & Policy Journal,. Volume 13 No.1, January 2004, page 229 [236, 239, 253,
254] - im internet unter google auffindbar; siehe ferner Mückl in: Merten/Papier
(Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, 2010, Bandd VI/1, Europäische Grundrechte,
§ 141 „Ehe und Familie“ -, S. 191 [196, 206, 208). Mit Zwangssterilisationen,
Zwangsadoptionen, Zwangsabtreibungen usw. wird die „Gruppe derjenigen
Chinesen getroffen, die dieses Menschenrecht auf Familiengründung und
Reproduktion ausüben“. Ihnen wird die (weitere) Ausübung dieses Grundrechts
schon biologisch-physisch unmöglich gemacht bzw. die Rechtsausübung wird
durch die Rechtlosstellung der in Ausübung des Grundrechts geborenen Kinder
sanktioniert, obwohl dieses Menschenrecht keinem spezifischen
Schrankenvorbehalt unterliegt, der solche Eingriffe rechtfertigen könnte (siehe
dazu Mückl, a.a.O. Handbuch der Grundrechte, S. 208, wonach etwa eine
Zwangssterilisation/Kastration nur in sehr engen Grenzen gerechtfertigt sein
könnte, etwa im Rahmen von § 1905 BGB oder zum Schutz der Allgemeinheit vor
gefährlichen Sexualverbrechern; siehe ferner General Comment des Ausschusses
für Menschenrechte zum IPbpR, Nr. 19 [39] zu Art. 23 IPbpR vom 24.7.1990 -
Unterziffer 2 und 4, sowie insbes. 5, wonach eine Politik der Familienplanung mit
den Bestimmungen des Paktes verträglich und insbesondere weder
diskriminierend „noch zwangsmäßig“ sein darf; beide Quellen im internet unter
google auffindbar). Mit anderen Worten, die Ein-Kind-Politik knüpft an das So-Sein,
nämlich an das „Eltern-Sein“ an bzw. an ein Verhalten an, auf das zu verzichten
dem Einzelnen deswegen nicht zugemutet werden kann, weil es sich um ein
menschenrechtlich geschütztes Verhalten handelt, er sich also so verhalten darf.
Die Verfolgung steht damit der Verfolgung in Anknüpfung an eine politische oder
religiöse Überzeugung oder an eine sexuelle Orientierung und Präferenz gleich,
bei der es nicht um ein angeborenes Merkmal geht, sondern darum, dass das
Haben-Dürfen und Äußern-Dürfen einer solchen Überzeugung oder Präferenz als
menschenrechtlich geschütztes Verhalten rechtlich keinen tauglichen
Anknüpfungspunkt für Sanktionen darstellen darf. Gibt es aber insoweit keinen
solchen legitimationskräftigen Anknüpfungspunkt, so stellt es eine Diskriminierung
dar, gleichwohl daran anzuknüpfen. Vor einer Verletzung des
Diskriminierungsverbots schützt aber der Flüchtlingsbegriff mit seiner Aufzählung
insoweit nicht legitimationskräftiger persönlicher Merkmale, an die Verfolgung nicht
anknüpfen darf (zum Schutz des So-Seins und So-Sein-Dürfens als Kern des
Verfolgungsmerkmals der sozialen Gruppenzugehörigkeit und zu dem dabei
anzuwendenden internationalen Menschenrechtsstandard als Maßstab: GK-
AufenthG, II - § 60 AufenthG, Rdnr. 18). Wie bei allen flüchtlingsrechtlich relevanten
Verfolgungen geht es auch bei der Ein-Kind-Politik letzten Endes um die
Unterdrückung von menschenrechtlich grundlegend geschützten
Lebensäußerungen, nämlich hier eine Familie zu gründen und Nachwuchs zu
zeugen.
51 Insofern knüpft auch die Ein-Kind-Politik mit ihrem Übergriff auf das Menschsein
selbst, zu dem auch das Familie- und Elternsein zählt, an ein „Merkmal“, das „so
bedeutsam für die Identität“ als Mensch ist, dass der Betroffene (rechtlich
betrachtet) „nicht gezwungen werden sollte, darauf zu verzichten“. Damit stellt sie
im Sinne von § 3 b Abs. 1 Nr. 4 a) AsylVfG eine Verfolgung in Anknüpfung an die
Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe dar.
52 Daran ändert es nichts, dass selbstverständlich das Verfolgungsmerkmal eine
Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe nicht schon dann vorliegt, wenn die
alleinige Gemeinsamkeit der Gruppe darin besteht, dass die Gruppenmitglieder
gegen ein Gesetz verstoßen und deshalb sanktioniert werden (dazu GK-AufenthG,
II- § 60 AufenthG, Rdnr. 171), dass also beispielweise die Ahndung von
Trunkenheitsfahrten im Straßenverkehr natürlich nicht eine Verfolgung wegen
Zugehörigkeit zur „Gruppe der das Alkoholverbot im Straßenverkehr
missachtenden“ Menschen darstellt. Denn das Fahren unter Alkohol stellt - im
Unterschied zur Gründung einer Familie und zum Kinderhabendürfen - eben keine
rechtlich Ausübung eines anerkannten grundlegenden Menschenrechts dar,
sondern allenfalls eine Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit, auf die im
konkreten Fall zu verzichten schon wegen der Gefahren für die Menschenrechte
Dritter dem Betreffenden wegen der entsprechenden Schrankenvorbehalte ohne
weiteres rechtlich zugemutet werden kann (so knüpft etwa auch die strafrechtliche
Sanktionierung der Pädophilie nicht an das Merkmal der Zugehörigkeit zur Gruppe
der Pädophilen an, sondern an deren menschenrechtlich nicht geschütztes,
sondern vielmehr Grundrechte Dritter verletzendes rechtswidriges Verhalten -
siehe GK-AufenthG, II - § 60 AufenthG, Rdnr. 184; siehe auch § 3 b Abs. 1 nr. 4 b)
AsylVfG: „Eine soziale Gruppe kann auch eine sein, die sich auf das gemeinsame
Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem
Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter“).
53 Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht, dass mit eben dieser Begründung von
den Gerichten anderer Aufnahmestaaten, wie etwa Kanada oder USA, die
chinesische Ein-Kind-Politik mit ihren Sanktionen als flüchtlingsrechtlich relevante
Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe durchaus anerkannt
wird (siehe dazu die Fundstellennachweise in GK-AufenthG, II - § 60 AufenthG,
Rdnr. 197; siehe auch die ausführlichen juristischen Erwägungen zum - bejahten -
Merkmal der Verfolgung wegen sozialer Gruppenzugehörigkeit im Urteil des
Supreme Court of Canada, Judgment v. 10.10.1995 - [1995] - 3 SCR 593 - Chan./.
Canada , unter http://scc-csc.lexum.com/scc-csc/scc-csc/en/item/1299/indes.do -
dort insbes. Rdnrn. 50, 82, 88).
54 Diejenigen deutschen Verwaltungsgerichte, welche die chinesische Ein-Kind-
Politik auch als flüchtlingsrelevante Verfolgung einstufen, haben dies ohne lange
Diskussion getan und als geradezu selbstverständlich angenommen, dass eine
Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe, der „von den Exzessen
der Familienplanungspolitik in China spezifisch betroffenen Frauen“ (so VG
Bremen, U. v. 5.6.2012 - 6 K 3664/07.A -, juris Rdnr. 21) vorliegt, bzw. eine
Zwangssterilisation als zweifelsfrei „geschlechtsspezifische Verfolgung der
sozialen Gruppe der Frauen“ eingestuft (so VG Trier, U. v. 23.3.2011 - 5 K
442/10.TR -, juris Rdnr. 18) bzw. ganz generell darin eine „diskriminierende“
justizielle/administrative Maßnahme gesehen (VG Meiningen, U. v. 6.4.2011 - 8 K
20205/09 Me-, juris). Schließlich behandelt auch der Lagebericht des Auswärtigen
Amtes die chinesische Ein-Kind-Politik wie selbstverständlich und ohne weitere
Begründung unter der Überschrift „geschlechtsspezifische Verfolgung“.
55 Der Hinweis darauf, die chinesische Ein-Kind-Politik sei zwar befremdlich und mit
dem Standard des Grundgesetzes unvereinbar, es sei aber nicht Aufgabe des
Asylrechts, die Ordnung des Grundgesetzes in anderen Staaten durchzusetzen,
weshalb die chinesische Ein-Kind-Politik keine flüchtlingsrechtlich
anzuerkennende Verfolgung darstelle, stellt kein durchgreifendes Gegenargument
gegen die oben dargelegte Ansicht dar. Denn Aufgabe des Asylrechts bzw.
Flüchtlingsrechts ist es ohnehin nicht, eine bestimmte Rechtsordnung anderen
Staaten „aufzuzwingen“ oder sie dort „durchzusetzen“, sondern lediglich einem
Menschen, der in einem anderen Staat nach den Maßstäben international
anerkannter Menschenrechtsstandards nicht mehr leben kann, weil er dort durch
eine grundlegende Menschenrechte schwerwiegend verletzende Verfolgung - wie
hier die Ein-Kind-Politik - aus der staatlich verfassten Friedensordnung
ausgegrenzt und zur Flucht getrieben wird, eine neue Heimat durch Aufnahme in
die staatliche Friedensordnung des Aufnahmestaates zu gewähren (so auch das
BVerwG in der vom Bundesamt insoweit nur unvollständig zitierten Entscheidung
U. v. 18.2.1986 - 9 c 104/85 -, juris Rdnr. 21 = InfAuslR 86, 189; dazu, dass damit
keine „Diskriminierung fremder Rechtsordnungen“ verbunden ist und dass
begriffsnotwendig zwischen dem Aufnahmestaat und dem Verfolgerstaat nach
dem Konzept des Asylrechts ein Unterschied in den rechtlich respektierten
Maßstäben besteht: GK-AufenthG, II - § 60 AufenthG, Rdnr. 185 und GK-AuslG, §
53 AuslG (a.F.), Rdnrn. 97 und 98 m.w.Nw.; siehe auch Art. 14 Nr. 1 AEMR,
wonach es das Recht eines Menschenrecht ist, in anderen Ländern vor
Verfolgungen Asyl zu suchen und zu genießen, was wiederum bedeutet, dass die
Asylgewährung dem Verfolgerstaat gegenüber gerade kein völkerrechtswidriger
Akt der Einmischung in seine Personalhoheit darstellt).
56 Im vorliegenden Fall kommt zu alldem noch erschwerend hinzu, dass die Klägerin
zwar auch im Folgeverfahren nicht glaubhaft gemacht hat, bzw. gar nicht erst
versucht hat, anders als im Erstverfahren nunmehr doch noch glaubhaft zu
machen, sie sei wegen religiöser Vorverfolgung seinerzeit aus China ausgereist,
dass sie aber ausweislich der vorgelegten Unterlagen sowohl ihrer katholischen
Heimatgemeinde als auch ihrer deutschen Kirchengemeinde ganz offenbar schon
in China und erst recht hier im deutschen Exil ein langjähriges treues und
gläubiges Mitglied der römisch-katholischen Kirche ist und dass auch ihre Kinder
durch die Taufe zu dieser Kirche gehören.
57 Gerade wegen ihrer Vatikantreue aber werden die Anhänger dieser Kirche in
China wenn nicht verfolgt, so doch von staatlichen Stellen mit besonderem
Misstrauen behandelt (AA, Lagebericht China, 2013, S. 19; AA Lagebericht China
2011, S. 23; VG Düsseldorf, U. v. 24.4.2008 - 8 K 3998/05.A -, juris; VG Bremen, U.
v. 25.10.2005 - 6 K 1542/03.A; BAMF, Informationszentrum Asyl und Migration,
August 2011, Lage der Religionsgemeinschaften in ausgewählten
nichtislamischen Ländern, S. 9 - 16 zur Religionsverfolgung in China; WissDienst
Dt. Bds.Tag, Nr. 07/2014 - Weltverfolgungsindex - 2014 zur Verfolgung und
Behandlung von Christen, S 107 ff.,; Schweizer Flüchtlingshilfe SFH, 28.1.2009 -
China, Situation der ethnischen und religiösen Minderheiten, S. 14 - 18). Dass ihre
Anhänger, weil sie aufgrund des Glaubens Abtreibungen ablehnen und die Geburt
mehrerer Kinder als Gottesgeschenk ansehen, am wenigsten geneigt sind, sich
den Diktaten der aus ihrer Sicht atheistischen Ein-Kind-Politik zu unterwerfen,
macht sie aus Sicht der chinesischen Behörden tendenziell noch eher zum Ziel
von Maßnahmen wie Zwangssterilisationen, mit denen zumindest weitere
Geburten verhindert werden würden. Die Klägerin selbst hat immerhin nicht nur die
beiden Söhne geboren, sondern - wenngleich sie es dann zur Adoption
freigegeben hat - zuvor sogar schon ein drittes Kind, das sie nicht abtreiben ließ,
obwohl es aus einer Vergewaltigung stammte. Dass dieser katholische
Glaubenshintergrund die Durchsetzung der Ein-Kind-Politik ihr gegenüber eher
noch verschärfen als mildern wird, hat das Gericht bereits in einer früheren
Entscheidung zu einem ähnlich gelagerten Fall festgestellt, in der es unter
anderem wörtlich ausgeführt hat: „Der katholische Familienhintergrund wird zudem
staatliche Sanktionen eher ungehemmter machen, da er die Klägerin insoweit
zumindest als Anhängerin einer staatlicherseits allenfalls geduldeten, misstrauisch
beobachteten Minderheitenanschauung ausweist (siehe dazu etwa OVG NdS, Urt.
v. 19.9.2000 - 11 L 2068/00, UAS. 29 unter Bezugnahme auf ai, Stellungnahme
vom 22.2.1999 an VG Leipzig und vom 15.1.1996 an VG Köln zur Gefahr einer
Zwangsabtreibung/-sterilisation für eine Chinesin aus einem katholischen Dort, die
durch unerlaubt Ausreise auffällig geworden ist und dadurch zu erkennen gegeben
hat, dass sie sich der Geburtenkontrollpolitik entziehen will und die aus dem
Ausland mit mehreren eigenen Kindern zurückkehrt; zur Nachteiligkeit eine
katholischen Glaubenshintergrundes, die eine künftige Befolgung der
Familienplanungspolitik nicht erwarten lässt, insoweit auch VG Bremen, Urt. v.
5.6.2012 - 6 K 3664/07.A -, juris, Rdnr. 25).“
58 Die Kostenentscheidung folgt aus §3 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG.