Urteil des VG Freiburg vom 24.02.2016

diabetes mellitus, pakistan, asylg, behandlung

VG Freiburg Urteil vom 24.2.2016, A 6 K 2938/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger, ein am … 1960 geborener pakistanischer Staatsangehöriger
(Volkszugehörigkeit: Punjabi; Religionszugehörigkeit: Schia) verließ nach seinen
Angaben Pakistan am 08.11.2012 (Flug von Lahore nach Mailand) und reiste
wenige Tage später, mit dem PKW aus Italien kommend, nach Deutschland ein. Am
03.12.2012 beantragte er hier seine Anerkennung als Asylberechtigter.
2 Bei seiner Anhörung am 16.10.2014 vor dem Bundesamt gab der Kläger an, er
habe in Pakistan eine eigene Firma gehabt und gut verdient. 1993 sei er nach
Italien ausgewandert gewesen, habe dort viel Geld verdient und sei mit diesem
nach Pakistan zurückgekehrt, um das Geschäft (Firma für Im- und Export
medizinischer Instrumente) aufzubauen. Er habe dann jedoch schließlich Konkurs
anmelden müssen und Geld von Privatpersonen gegen Zinszahlung geliehen. Zwei
seiner Kunden (Firmen aus Spanien und Portugal) hätten die Ware nicht bezahlt. In
Pakistan gebe es die Mafia, die ihn verfolgt habe. Zudem sei er zuckerkrank. In
Italien hätten ihm Freunde empfohlen, besser nach Deutschland zu gehen, da er
dort sehr gut medizinisch behandelt würde. Durch die Zuckerkrankheit hätten sich
sowohl sein Gehör als auch seine Augen verschlechtert, so dass er hier Brille und
Hörgerät erhalten habe. Konkurs angemeldet habe er im Jahr 2010, nachdem sich
die Situation bereits 2009 verschlechtert gehabt habe. Die beiden Personen (K. und
Q.), von denen er etwa 45.000 EUR zu 18 % Zinsen geliehen habe, würden von
Politikern und der Polizei unterstützt. Mit diesen hätten seine Probleme im Jahr 2011
begonnen, als er das geliehene Geld nicht mehr habe zurückzahlen können. Am
08.03.2012 habe seine Tochter geheiratet und er habe für die Hochzeit viel Geld
ausgeben. Die beiden Gläubiger hätten ihm dann vorgehalten, wenn er so viel Geld
für seine Tochter ausgeben könne, könne er auch ihnen das Geld zurückzahlen.
Das habe er aber nicht tun können, deswegen hätten sie ihn zweimal angegriffen.
Das erste Mal (April 2012) habe er sich unter dem Bett verstecken können, nach
dem zweiten Mal (Juni 2012) sei er dann ausgereist. Bis zur Ausreise im November
2012 habe er sich in verschiedenen Städten (Islamabad, Lahore und Sodra)
versteckt. Dort sei nichts mehr passiert. Die beiden Gläubiger hätten ihre Männer
geschickt, die er nicht näher beschreiben könne. Bei Rückkehr habe er Angst, von
der Mafia getötet zu werden. Seine Familie habe keine Probleme. Durch das
Bundesamt aufgefordert, legte der Kläger im Anschluss an die Anhörung ein
ärztliches Attest des Internisten und Hausarztes Dr. B. vom 17.10.2014 vor. Danach
leide der Kläger an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus, der einer
kontinuierlichen ärztlichen Betreuung und Behandlung bedürfe. In Pakistan sei dies
derzeit nicht gewährleistet und somit unmittelbar mit gravierenden Folgen für die
Gesundheit des Klägers zu rechnen. Zur Stabilisierung der Stoffwechselsituation
sollte diesem noch mindestens ein Jahr Aufenthalt gewährt werden.
3 Mit Bescheid vom 13.11.2014 (zugestellt am 20.11.2014) lehnte das Bundesamt die
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die Anerkennung als
Asylberechtigter ebenso ab (Ziff. und 2), wie die Zuerkennung subsidiären Schutzes
(Ziff. 3). Ferner wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs.
5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen (Ziff. 4) und dem Kläger schließlich die
Abschiebung nach Pakistan angedroht (Ziff. 5).
4 Der Kläger hat am 04.12.2014 Klage erhoben und sich zu deren Begründung auf
seinen Vortrag beim Bundesamt bezogen. Er beantragt,
5 den Bundesamtsbescheid vom 24.11.2014 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sowie ihn als
Asylberechtigten anzuerkennen;
6 hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen;
7 weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein nationales
Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegt.
8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze
der Beteiligten sowie den Akteninhalt (ein Heft des Bundesamts) verwiesen. Die
Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter
einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
I.
9 Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bundesamtsbescheid ist rechtmäßig und
verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO). Die
maßgebende Rechtslage ergibt sich aus den das bisherige AsylVfG ändernden
Vorschriften des Asylgesetzes (AsylG - vgl. § 77 Abs. 1 AsylG), das als Art. 1 des
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (vom 20.10.2015, BGBl. Seite 1722 -
AsylVfBeschlG) am 24.10.2015 in Kraft getreten ist (vgl. Art. 15 Abs. 1
AsylVfBeschlG).
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1.)
Dem Kläger ist die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Die
Glaubhaftigkeit seines Vortrags hier unterstellt, ergibt sich nichts für
Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, da die berichteten Geschehnisse
ausschließlich kriminelle Machenschaften der genannten Täter beschreiben.
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2.)
Eine Asylanerkennung des Klägers scheidet aus den vorgenannten Gründen
mangels politischer Verfolgung ebenfalls aus. Ohnehin würde sie auch daran
scheitern, dass der Kläger nach eigenen Angaben von Italien auf dem Landweg
kam und damit über Österreich oder die Schweiz eingereist ist, bei denen es sich
um sichere Drittstaaten handelt (§26a Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 AsylG i.V.m.
Anlage I zu diesem Gesetz).
12
3.)
Der Kläger hat ferner keinen Anspruch auf Zuerkennung unionsrechtlichen
subsidiären Schutzes.
13
a.)
Für einen drohenden ernsthaften Schaden aufgrund der Verhängung oder
Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) und einen
innerstaatlichen bewaffneten Konflikt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) gibt es keine
Anhaltspunkte. Zwar könnte die behauptete Bedrohung durch kriminelle Gläubiger
eine solche mit unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung i.S.v. § 4 Abs. 1
Satz 2 Nr. 2 AsylG sein. Die Gefahr eines ernsthaften Schadens kann gemäß § 4
Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren
ausgehen. Indessen ist der Vortrag des Klägers hierzu unglaubhaft. Auf die
Begründung, die der Bundesamtsbescheid insoweit gibt (dort Seite 3/4), wird
gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen. Der Kläger ist ohne Angabe von
Gründen in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen und hat somit auch die
Gelegenheit nicht wahrgenommen, auf einen entsprechenden Vorhalt mangelnder
Substanz, fehlender Plausibilität sowie Widersprüchlichkeit hin diese zahlreichen
Schwächen im Vortrag auszuräumen.
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b.)
Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr.
2 AsylG ist ferner im Zusammenhang mit den allgemeinen
Versorgungsbedingungen im Heimatland und der Erkrankung des Klägers an
Diabetes mellitus nicht zu erkennen. In enger Orientierung an Art. 3 EMRK und der
hierzu ergangenen Rechtsprechung des EGMR (in diesem Sinne auch: Marx,
Handbuch zum Flüchtlingsschutz – Erläuterungen zur Qualifikationsrichtlinie –, 2.
Aufl. 2012, Kap. 12, Rn. 91 ff.) besteht in Fällen, in denen nicht die unmittelbare
Verantwortung des Vertragsstaates für die Zufügung des Leides betroffen ist, eine
hohe Schwelle. Nur in besonders außergewöhnlichen Fällen können danach
schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären
Gründe gegen die Aufenthaltsbeendigung zwingend sind (EGMR, Urteil der
Großen Kammer v. 27.05.2008 - 26565/05 - N./Vereinigtes Königreich, NVwZ
2008, 1334). Solche Umstände sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Der
Kläger selbst hat nicht behauptet, wegen seiner Zuckerkrankheit ausgereist zu
sein. Es ist davon auszugehen, dass diese auch bereits in Pakistan behandelt
wurde. Wie sogleich unter 4b.) dargelegt werden wird, kann diese Krankheit in
Pakistan auch tatsächlich behandelt werden. Überdies ist zu beachten, dass im
ärztlichen Attest vom 17.10.2014 des Hausarztes und Internisten Dr. B. davon
ausgegangen wurde, dass eine Stabilisierung der Stoffwechselsituation eintreten
werde, wenn der Kläger noch mindestens ein weiteres Jahr Aufenthalt in
Deutschland erhalte - dieser Zeitraum aber ist seither deutlich verstrichen.
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4.)
Schließlich ist dem Kläger auch kein Abschiebungsschutz national-rechtlicher
Art (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG) zu gewähren.
16
a.)
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK greift nicht
ein; insoweit gilt das oben zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG Ausgeführte
entsprechend. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der
unionsrechtliche Abschiebungsschutz vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu
prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK zwar keine
(verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 4 Abs. 1 AsylG, die
eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. In
Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und
nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei
Verneinung der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes regelmäßig aus
denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so
dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (BVerwG,
BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 –, Rn. 36, juris).
17
b.)
Der Kläger, der an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus erkrankt ist, hat
schließlich auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots
gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines
Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen
Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten
Grundsätzen ist die Gefahr, dass sich eine - wie hier - vorhandene Erkrankung des
Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der
Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist (BVerwG, Beschl. v. 23.07.2007 - 10
B 85/07 -, juris ; Urt. v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - juris ;
Urt. v. 29.07.1999 - 9 C 2.99 - juris ; Urt. v. 25.11.1997 -
9 C 58.96 -, juris ; Urt. v.
09.09.1997 - 9 C 48.96 -, juris ). Ein
strengerer Maßstab gilt ausnahmsweise allerdings dann, wenn zielstaatsbezogene
Verschlimmerungen von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr
im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu qualifizieren sind. Dies kommt bei
Erkrankungen nur in Betracht, wenn es um eine große Anzahl Betroffener im
Zielstaat geht und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische
Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG besteht (BVerwG, Urt. v.
17.10.2006, a.a.O. [bei HIV und Aids]). In solchen Fällen kann
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer
Anwendung nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den
Ausländer (entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von
Besonderheiten im Einzelfall) landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen
einer notwendigen, aber nicht zu erlangenden medizinischen Versorgung zu
erwarten ist. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem
Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des
Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen
Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und
Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver
Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in
erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von
einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit
erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher
mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Schließlich müssen sich diese Gefahren
alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der
Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch
am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme
Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher
Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und
zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (BVerwG, Urt. v.
31.01.2013, a.a.O., Rn. 38).
18 In Pakistan ist der Anteil der an Diabetes mellitus erkrankten Erwachsenen derart
hoch, dass - anders als bei zwar nicht singulären, aber weniger verbreiteten
Krankheiten und solchen Erkrankungen, die unter ausländerpolitischen
Gesichtspunkten eine Befassung der obersten Landesbehörden sowie eine
(bundes-)einheitliche Praxis nicht erfordern - von einer allgemeinen Gefahrenlage
auszugehen ist (zur wertenden Abgrenzung vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.1998 – 9 C
13/97 –, Rn. 8, juris). In den Jahren 2010 und 2011 lag die Anzahl der Erkrankten
bei geschätzt mindestens 10 Prozent der Bevölkerung (WHO - NCD Country
Profiles 2011: 11,7 %; Pakistan National Diabetes Survey 2010: 12,14 % bei
Männern und 9,83 % bei Frauen; Zeitschrift Dawn vom 23.11.2011: 10 %). Es wird
weltweit allgemein und ferner speziell für Pakistan von einer Zunahme der
Erkrankung ausgegangen (Mahar/Awan/Manzar/Memon
Diabetes Mellitus and Diabetic Retinopathy>, Journal of the College of Physicians
and Surgeons Pakistan, 2010, Vol. 20 (8): 528-532; Qidwai/Ashfaq,
Epidemic of Diabetes Mellitus in Pakistan: Issues and Challenges for Health Care
Providers>, Journal of Liaquat University of Medical and Health Sciences, 9(3),
112-113 [September 2010]; Hakeem/Fawwad,
Epidemiology, Determinants and Prevention>, Journal of Diabetology, October
2010; 3:4; Muhammad Zafar Iqbal Hydrie
mellitus>, University of Oslo, 2012; IRIN
Pakistan> unter 3. „Lifestyle diseases“, 17.05.2013l). Die International Diabetes
Federation IDF (http://www.idf.org/membership/mena/pakistan) gibt für das Jahr
2015 eine Prävalenz (epidemiologische Krankheitshäufigkeit) von 6,9 % bei den
Erwachsenen zwischen 20 und 79 Jahren und die Zahl der Erkrankten mit 7 Mio.
an. Für 2014 wurde in dieser Personengruppe eine Prävalenz von 6,8 % berichtet
sowie die Zahl der Erkrankten mit 6,9 Mio. angegeben (Sherin A.
diabetes action plan of Pakistan: Need and Challenges. Khyber Medical University,
2015; 7 (I): I-2). Angesichts einer Gesamtbevölkerung von geschätzt über 190 Mio.
Menschen (European Asylum Support Office , Pakistan Country
Overview, August 2015, Seite 18; andere Zahlen liegen bei 182,1 Mio. [WHO
Statistics 2013] bzw. 179,2 Mio. [Weltbank, United States Census Bureau]) sind
diese Stoffwechselerkrankung und die damit verbundenen Probleme bei der
medizinischen Versorgung in Pakistan damit keine allein den Kläger individuell
betreffende Situation mehr, sondern drohen einer ganzen Bevölkerungsgruppe im
Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (vgl. für den Fall einer Größenordnung von
10-15 % der Bevölkerung [Cote d´Ivoire]: VG Hamburg, Urt. v. 25.02.2000 – 16 VG
2398/99 - [Nachweis bei Zeitler, HTK-AuslR / § 60 AufenthG / zu Abs. 7 Satz 1,
Stand 02.04.2015, Nr. 6.6 ]; zur Möglichkeit, dass es sich bei Diabetes
mellitus angesichts der betroffenen Bevölkerungsanzahl um eine allgemeine
Gefahr handeln kann, vgl. bereits BVerwG, Urt. v. 29.07.1999 – 9 C 2/99 –, Rn. 9,
juris).
19 Die Diabetes-Erkrankung des Klägers führt nicht dazu, dass er bei Rückkehr nach
Pakistan „gleichsam sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten
Verletzungen (Folgen eines unzureichend kontrollierten Diabetes: erhöhtes Risiko
für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenfunktionsstörungen, Erblindung und
Fußamputationen - vgl. Robert-Koch-Institut [www.rki.de] >Gesundheitsmonitoring
> Alle Themenschwerpunkte > Chronische Erkrankungen > Diabetes mellitus)
ausgeliefert würde (zu dieser Umschreibung des strengeren
Wahrscheinlichkeitsmaßstabes: BVerwG, Urt. v. 31.01.2013, a.a.O., Rn. 38). Die
medizinische und die mit dieser zusammenhängende wirtschaftliche
Versorgungslage ist nicht derart unzureichend:
20 Mangels glaubhaften Vortrags des Klägers (s.o. unter 3a.) geht das Gericht davon
aus, dass er in seine Heimat, die Provinz Punjab, zurückkehren kann. Städtische
Regionen und besser entwickelte Provinzen, wie der Punjab, sind relativ gut
medizinisch versorgt. An Medikamenten ist grundsätzlich alles vorhanden,
wenngleich es im staatlichen Bereich zu Engpässen bei nicht-lebensnotwendigen
Medikamenten kommen kann. Im privaten Sektor indessen ist an Medikamenten
alles vorhanden, wenngleich nicht unbedingt das Markenmedikament, so doch der
nötige Wirkstoff. Nur ein geringer Teil der Bevölkerung ist versichert, ein großer Teil
muss die Behandlung selbst bezahlen, wofür die Familie oft ein wichtiger Pfeiler
der sozialen Versorgung ist. Staatliche Krankenhäuser müssen bedürftige
Patienten kostenlos versorgen (Bundesasylamt der Republik Österreich, Bericht
zur Fact Finding Mission Pakistan, Juni 2013, Seite 59 ff.). Die islamische Steuer,
Zakad, wird für Wohlfahrtsprogramme genutzt und pakistanische Staatsbürger
werden kostenlos behandelt, wenn sie ein Antragsformular haben. Allerdings sind
Gesundheitsdienstleistungen, die eigentlich kostenlos zur Verfügung stehen
sollen, meist nur gegen Bezahlung von Bestechungsgeld zu erhalten (Schweizer
Flüchtlingshilfe, Auskunft zur medizinischen Versorgung in Pakistan, 27.03.2014,
Seite 3). Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 08.04.2014 (Seite
30/31) kann in Pakistan Insulin in den Apotheken in ausreichender Menge und
Qualität erworben werden. Hinsichtlich der Finanzierbarkeit von Medikamenten
führt das Auswärtige Amt auch im aktuellen Lagebericht vom 23.07.2015 (Seite 27)
aus, dass für diese nur ein Bruchteil der in Deutschland hierfür anfallenden Kosten
aufgewendet werden müsse, so dass sie für weite Teile der Bevölkerung
erschwinglich seien (bereits angesichts dieser Auskunft eine individuell-konkrete
Gefahr verneinend: VG Kassel, Urt. v. 06.03.2014 - 6 K 852/12.KS.A -, juris; anders
für eine multipel an Hypertonie, Diabetes mellitus, chronischem
Wirbelsäulensyndrom und reaktiver Depression erkrankte 62-jährige Pakistanerin,
die überdies kurz zuvor einen Hirnschlag erlitten hatte: VG Oldenburg, Urt. v.
04.02.2009 - 5 A 25/08 -, juris). Die Behandlung von Diabetes ist gemäß aktuellem
Fact Findung Mission Report des Österreichischen Bundesasylamts vom
September 2015 (Seite 62) möglich. Entsprechendes hatten schon die
Recherchen der Schweizer Flüchtlingshilfe ergeben. Die Behandlung mit Insulin
kostete im Jahr 2009 zwischen 450 und 600 Rupien, abhängig von
Medikamentenmarken und pharmazeutischem Betrieb. Von Ärzten ebenfalls
verordnete Tabletten zur Blutzuckerstabilisierung kosteten zwischen 245 und 960
Rupien pro Monat. Untersuchungen werden meist in Privatkliniken durchgeführt
und kosten (2009) zwischen 400 und 800 Rupien. Die Untersuchung des
Blutzuckerwerts zweimal pro Woche in einem Labor kostete 2009 zwischen 100
und 200 Rupien (Schweizer Flüchtlingshilfe, Medizinische Versorgung in Pakistan,
14.05.2009, Seite 5). Lahore, die Hauptstadt des Punjab, beherbergt zahlreiche
Krankenhäuser und die dort ansässige Edhi-Stiftung bietet soziale Dienste wie
medizinische Versorgung für benachteiligte Menschen an (Internationale
Organisation für Migration [IOM], Länderinformationsblatt Pakistan, August 2013,
Seite 6/7 und 10). Ferner gibt es die staatliche Wohlfahrtsorganisation Bait-Ul-Mal,
die individuelle Finanzhilfen für Menschen mit größeren Leiden leistet (IOM,
Länderinformationsblatt Pakistan 2015, Seite 2).
21 Auch wenn nach diesen Erkenntnissen nicht ohne weiteres davon ausgegangen
werden kann, dass der Kläger eine kostenlose Behandlung erhalten wird, ergeben
sich keine Anhaltspunkte, dass er keinen Zugang zu einer Diabetes-Behandlung
hätte. Soweit die Versorgungsbedingungen auf dem Land schlechter sind, bleibt
es ihm unbenommen, in die größeren Städte im Punjab zu gehen. Der Kläger
besitzt in Pakistan weiterhin einen Familienverband (Onkels und Tanten
väterlicher- und mütterlicherseits sowie 2 Töchter in Sialkot), der ihn zusätzlich
unterstützen kann (vgl. dazu, dass die mögliche Unterstützung durch Angehörige
im In- und Ausland in die gerichtliche Gefahrenprognose mit einzubeziehen ist:
BVerwG, Beschl. v. 06.02.2012 – 10 B 3/12, 10 PKH 2/12 –, juris). Wie sich aus
dem ärztlichen Attest vom 17.10.2014 ergibt, war für eine Stabilisierung der
Stoffwechselsituation ein weiteres Jahr Aufenthalt in Deutschland wichtig, welches
mittlerweile mehr als verstrichen ist. Dass sich die Situation aktuell noch nicht
gebessert oder gar weiter verschlechtert hätte, hat der Kläger nicht vorgetragen.
Sein unkommentiertes Nichterscheinen in der mündlichen Verhandlung lässt eher
auf das Gegenteil schließen. Der Kläger ist nicht gehindert, vorbeugend für einen
Insulinvorrat noch in Deutschland bzw. (über seine Familie) in Pakistan zu sorgen,
welcher die erste Zeit nach der Ankunft erleichtert. Auch angesichts dieser
Umstände kann nicht davon ausgegangen werden, er sei bei einer Rückkehr
hilflos, unversorgt und mit der Folge keiner Überlebensmöglichkeit auf sich alleine
gestellt.
22 In wirtschaftlicher Hinsicht kommt für eine ausreichende (Über-)Lebenssicherung
schließlich Folgendes hinzu: Für die Rückkehr nach Pakistan kann der Kläger,
worüber er bereits durch das Bundesamt informiert worden ist, Reintegrationshilfen
erhalten, die ihm bei der Niederlassung dort wichtige Starthilfe geben. Das
zweijährige (Juni 2014 bis Mai 2016) „European Reintegration Instrument Network“
- ERIN - ist ein gemeinsames Rückkehr- und Reintegrationsprojekt von sieben
europäischen Partnerstaaten. Vertragspartner (Service Provider) helfen
Rückkehrern im Herkunftsland bei ihrem Neuanfang in Gestalt von
Reintegrationsunterstützung, sozialer Begleitung und beruflicher Unterstützung.
Die Reintegrationshilfen umfassen z. B. Service bei der Ankunft, Beratung und
Begleitung zu behördlichen, medizinischen und karitativen Einrichtungen,
berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei Arbeitsplatzsuche und
Unterstützung bei einer Geschäftsgründung (vgl. dazu sowie zum Folgenden:
Homepage des BAMF unter ). ERIN-Service Provider für
Pakistan ist die pakistanische NGO „Women Empowerment, Literacy &
Development Organization“ (WELDO). In seinem Bericht zur Fact Finding Mission
Pakistan 2013 (dort Seite 86/87) führt das Bundesasylamt Österreich WELDO
Betreffendes aus. Von WELDO werde jeder Rückkehrer am Flughafen in Empfang
genommen. Es würden Leistungen zur Reintegration und Unterstützung
bereitgestellt. Sie versuchten die Rückkehrer wieder in den Arbeitsmarkt zu
integrieren und vermittelten Arbeitsplätze. Sie beschränkten sich dabei nicht auf
Pakistan sondern auch auf legale Wege der Migration in andere Staaten. Eine
nachhaltige Reintegration von Rückkehrern in die Gesellschaft sei das Ziel. Für die
Ausbildung werde erfasst, wo der Bedarf sei. Man stelle Beratung zur Verfügung,
Assistenz in der Region und Post-Ankunft Assistenz. Die meisten Programme
enthielten auch finanzielle Leistungen für die Betroffenen. Es gebe verschiedene
Programme z.B. für vulnerable Personengruppen, unbegleitete Minderjährige und
Menschen, die psychische Hilfe benötigen. WELDO kümmere sich ebenfalls und
im gleichen Umfang um zwangsweise Abgeschobene. Allerdings seien die
finanziellen Unterstützungsleistungen durch den jeweiligen europäischen Staat bei
einer zwangsweisen Rückkehr geringer. Bei Projekten von Zwangsrückkehr werde
durch WELDO Unterstützung in Form von “meet and greet” am Flughafen geboten,
temporärer Unterkunft, Transport und medizinischer Betreuung. WELDO sei in 113
Bezirken in Pakistan vertreten.
23 Weiterhin gibt es das „Reintegration and Emigration Programme for Asylum-
Seekers in Germany“ (REAG) sowie das „Government Assisted Repatriation
Programme“ (GARP), die betreffend pakistanische Staatsangehörige (Gruppe 1)
eine Starthilfe gewähren können (vgl. REAG/GARP-Programm 2016, ebenfalls
abzurufen auf der Internetseite des BAMF unter Rückkehrförderung). In Pakistan
selbst schließlich bestehen ebenfalls Möglichkeiten einer sozioökonomischen
Unterstützung (vgl. zum Folgenden Bundesasylamt Österreich, a.a.O., Seite 73-
84). Ein durchgehendes staatliches Sozialsystem ist zwar nicht vorhanden,
allerdings gibt es staatliche Einrichtungen und Programme, wie das „Benazir
Income Project“ und das Pakistan Bait-ul-Mal. Dieses unterhält für Bedürftige z.B.
ein Einkommensförderungsprogramm. Auch in nicht-staatlichen Bereichen sind
Initiativen des sozialen Unternehmertums bzw. NGOs im Bereich Förderung der
Erwerbsfähigkeit tätig. Eine wichtige Säule im sozialen Bereich, die das
inkonsistente soziale Hilfssystem ergänzt, ist der innerpakistanische
Wohltätigkeitssektor. Allen voran ist die Edhi Foundation und das SOS Kinderdorf
zu erwähnen. Daneben gibt es eine Bandbreite an nationalen und internationalen
NGOs.
II.
24 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.