Urteil des VG Freiburg vom 19.03.2014

china, human rights council, organisation, demokratie

VG Freiburg Urteil vom 19.3.2014, A 6 K 2582/11
Asylanerkennung eines chinesischen Studenten wegen exilpolitischer Tätigkeit
Leitsätze
Asylanerkennung eines chinesischen Studenten wegen ihm im Falle seiner Rückkehr
nach China drohenden Verfolgung in Anknüpfung an seine exilpolitischen Aktivitäten
für die FDC (Reden, Internetartikel, Demonstrationsteilnahme), die er nach seiner
Einreise nach Deutschland aufgrund eines nachvollziehbaren politischen Erwachens
und glaubwürdigen inneren Überzeugungsdrangs an den Tag gelegt hat.
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19.12.2011 wird
aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm
die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger, ein chinesischer Staatsangehöriger, reiste im Alter von 19 Jahren im
Februar 2002 auf dem Luftweg legal mit einem Studentenvisum ins Bundesgebiet
ein, wo er - nach einem Sprachkurs und einer ergänzenden Schulausbildung - im
Wintersemester 2004 mit dem Studium der ... begann. Später wechselte er das
Studienfach und nahm ein Studium der ... auf. Seine entsprechende
Aufenthaltserlaubnis galt zuletzt bis 30.9.2011.
2 Am 29.9.2011 stellte er mit Schreiben des Klägervertreters einen Asylantrag, zu
dessen Begründung er sich darauf, er sei aktives Mitglied der exilpolitischen
Organisation FDC (Federation for a Democratic China) und könne deshalb nicht
nach China zurückkehren. Dazu legt er einen, ihm von der FDC am 25.5.2011
ausgestellten Mitgliedsausweis vor.
3 Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
gab er außerdem am 23.11.2011 ergänzend Folgendes an:
4 Er lebe schon seit 2002 in Deutschland, so dass ihm das demokratische System
und der Umgang mit Menschenrechten bestens vertraut sei. Auch mit dem
chinesischen System sei er vertraut und habe seine Hoffnungen auf einen
demokratischen Wandel in China und die dortigen Modernisierungsprozesse
gesetzt. Diese Hoffnung sei aber mit der Festnahme des bekannten chinesischen
Oppositionellen A Wei Wei im April 2011 enttäuscht worden. Er habe zunächst
gehofft, man werden diesen bald wieder frei lassen, aber auch diese Hoffnung sei
enttäuscht worden. Ende April 2011 habe er schließlich den Vorsitzenden der FDC
in Deutschland kontaktiert und erklärt, Mitglied werden zu wollen. Auf dessen Bitte
hin habe er diesem per email seine eigenen politischen Ansichten dargelegt. Ende
Mai 2011 sei ihm dann ein Parteiausweis ausgestellt worden. Ziel der FDC sei die
Aufhebung des chinesischen Einparteiensystems. Man pflege auch Kontakte zum
Dalai Lama und arbeite mit Menschenrechtsorganisationen. Am 3.6.2011 habe er
zusammen mit 20 anderen Parteimitgliedern vor dem chinesischen
Generalkonsulat in Frankfurt demonstriert, worüber auch auf verschiedenen
Webseiten berichtet worden sei. Sie hätten damit an die Xinhai Revolution von
1911, an die Studentenrevolution auf dem Tianmen Platz und an die Jasmin-
Bewegung erinnert. Er selbst habe mit Lautsprecher Parolen gerufen, wonach die
Aufopferung der Leben der Xinhai Revolution nicht sinnlos gewesen sein dürfen.
Für das, was heute in China geschehe, hätten sich die Revolutionäre damals nicht
geopfert. Außerdem habe er die Zensur angeprangert, die in China gegenüber
Medien und im Internet praktiziert werde. Schließlich habe er die Freilassung von A
Wei Wei und Lio Xiabo gefordert. Die FDC sei mit nur so wenig Demonstranten
anwesend gewesen, weil sie nicht an einer Vielzahl von Mitgliedern, sondern an
Arbeit auf Führungsebene interessiert sei. Die Demonstranten seien etwa 20
Minuten lang von einem gut gekleideten Mitarbeiter des Generalkonsulats, der
herausgekommen sei, mit einer hochwertigen Kamera fotografiert worden. Dazu
legte er einige Fotos vor (BAS 57, 58)
5 Ferner habe er insgesamt drei Artikel in der Parteizeitschrift „Chinas europäische
Post“ veröffentlicht. In seinem Artikel vom Juni 2011 sei es um die Kundgebung vor
dem Konsulat gegangen, im Artikel vom Juli und November 2011 auch um
Regimekritik. Diese Monatszeitschrift werde kostenlos in jedem Asia-Geschäft auf
Chinesisch für Chinesen ausgelegt. Seinen Namen als Autor habe er durch zwei
Schriftzeichen abgeändert, die Aussprache sei aber dieselbe geblieben.
6 Am 23.8.2011 habe er in Wiesbaden persönlich am Dalai-Lama Forum
teilgenommen und den Dalai Lama getroffen, dessen Bewegung die FDC
unterstütze. Insofern legte er laut Anhörungsprotokoll Fotos vor, die ihn bei einer
Veranstaltung mit kleinem Teilnehmerkreis in einem Saal in der dritten Reihe hinter
dem Dalai Lama zeigen.
7 Schließlich habe er an einem Workshop am 21. und 22.11.2011 in Leverkusen
teilgenommen, bei dem es um die Beziehungen der Han-Chinesen zu den
Mongolen und der Verständigung dieser Gruppen miteinander gegangen sei. Auch
dazu hat der Kläger laut Anhörungsprotokoll Fotos vorgelegt, die ihn als
Teilnehmer zeigen.
8 Zu Beginn habe er insoweit auch nicht vorhersehen können, dass er so aktiv
werden werde. Er habe sich mit diesen Aktivitäten nicht mehr zurückhalten
können, nachdem er erkannt habe, dass es nicht weiterführe, sich einfach nur
privat gedanklich mit dem Thema zu beschäftigen, denn diese verändere nichts in
Richtung Demokratie. Als er bei der Demonstration vor dem Generalkonsulat
aufgetreten sei, habe er zunächst noch Angst verspürt und vor Angst gezittert. Als
er dann aber die Parolen gerufen habe, habe er ein Gefühl der Erleichterung
verspürt, weil er endlich das ausgesprochen habe und losgeworden sei, was ihn
schon lange innerlich bewegt habe. Von da an habe es für ihn auch keine
Rückkehr mehr gegeben. Er sei als junger Mensch im Alter von 19 Jahren nach
Deutschland gekommen und habe hier dann eine Änderung seines Gedankenguts
erfahren. Diese Gedanken und Vorstellungen über Demokratie könne er nicht
mehr für sich aufgeben und zurückstellen.
9 Er habe im Sommersemester 2011 ein Urlaubssemester eingelegt, gehe aber
davon aus, im Sommersemester 2012 sein Studium beenden zu können. Insofern
legte er einen bis 31.3.2012 gültigen Studentenausweis vor (BAS 59). Um seinen
Aufenthaltsstatus und seine Angelegenheiten im Asylverfahren ordentlich zu
regeln, weil er nicht wisse, wie die Prüfungen verlaufen und weil er Angst habe,
wegen der FCD Zugehörigkeit nicht nach China zurückkehren zu können, habe er
das Urlaubssemester eingelegt. Seine Rechtsanwalt habe er schon vor einiger Zeit
konsultiert, dieser habe aber mit der Asylantragstellung bis Ende September
zugewartet.
10 Im Falle einer Rückkehr nach China befürchte er Verhaftung, zumindest aber
Hausarrest und ständige Observierung, sowie Diskriminierung.
11 Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 19.12.2011 lehnte das Bundesamt eine
Asylanerkennung des Klägers ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für
eine Flüchtlingsanerkennung noch für das Vorliegen von Abschiebungsverboten
nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger für den
Fall nicht binnen Monatsfrist nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens
erfolgter freiwilliger Ausreise seine Abschiebung nach China an.
12 Zur Begründung führte es aus, einer Asylanerkennung stehe § 28 Abs. 1 S. 1
AsylVfG entgegen. Auf Vorverfolgung in China vor der Einreise nach Deutschland
berufe sich der Kläger nicht. Auf Nachfluchtgründe, hier auf seine exilpolitischen
Aktivitäten könne er sich nicht berufen, weil es sich dabei nicht um die Fortsetzung
einer schon im Heimatland erkennbar betätigten politischen Überzeugung handle.
Als Volljähriger mit einem Abschluss einer höheren Schule hätte er sich aber im
Sinne von § 28 Abs. 1 S. 2 AsylVfG bereits in China schon eines solche fest
politische Überzeugung nach seinem Alter und Entwicklungsstand bilden können.
13 Auch als Flüchtling sei er nicht anzuerkennen. Er zähle nicht zum Kreis der
herausgehobenen Dissidenten und Oppositionellen, welche in China verfolgt
würden. Seine erst lange nach einem völlig unauffälligen Leben in Deutschland
aufgenommenen exilpolitischen Aktivitäten begründeten auch keine
entsprechende Verfolgungsgefahr. Er sei nur ein einfaches, nicht
herausgehobenes Mitglied der FDC, woran es nichts ändere, dass er in Frankfurt
vor dem Generalkonsulat selbst Parolen gerufen habe. Denn er sei kein Funktionär
der FDC oder sonst eine bekannte Persönlichkeit, deren Aktivitäten eine
entsprechende Medienresonanz finde und die deshalb auch vom chinesischen
Staat als politische Gefährdung ernst genommen werde. Das gelte auch für die
Teilnahme am Dalai-Lama Forum und dem Workshop zur Verständigung der Han-
Chinesen mit den Mongolen. Der Mitgliederkreis der FDC sei zudem gering. Der
Kläger habe auch keinen Beweis dafür angetreten, dass er tatsächlich vor dem
Konsulat von dessen Mitarbeitern fotografiert worden sei. Man könne deshalb
davon ausgehen, dass der chinesische Staatssicherheitsdienst an einer so kleinen
Demonstrantengruppe kein großes Interesse hege. Bei dieser Demonstration sei
er auch nicht namentlich in Erscheinung getreten.
14 Soweit er Artikel in der genannten monatlichen Partei-Zeitschrift veröffentlicht habe,
sei er wegen Veränderung seiner Namensschriftzeichen ebenfalls nicht namentlich
identifizierbar. Eine kostenlos in Asia Läden ausgelegte Zeitschrift habe auch keine
von den chinesischen Behörden ernst zu nehmendes Gewicht. Seine Artikel seien
im Internet auch nur außerhalb Chinas einsehbar, so dass insoweit auch schon
unwahrscheinlich sei, dass diese Artikel den chinesischen Behörden zur Kenntnis
gelangten.
15 Nach allem sei es naheliegend, dass der Antragsteller seinen Asylantrag nur
gestellt habe, um einer Beendigung seines Aufenthaltsrechts zuvorzukommen.
Denn nach Auskunft der zuständigen Ausländerbehörde habe ihm diese zuletzt
die bis 30.9.2011 befristete Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verlängern wollen, weil
sie den Eindruck gewonnen habe, dass er sein Studium nicht ordentlich betreibe
und auch seine, einige Monate zuvor abgegebene schriftliche Erklärung nicht
eingehalten habe, im Sommersemester 2011 sein Studium endgültig
abgeschlossen zu haben. Gegen seine Verfolgungsfurcht spreche schließlich,
dass er, obwohl sein weiterer Studienaufenthalt in Deutschland nicht mehr
gesichert gewesen sei, und für ihn damit die baldige Rückkehr nach China
angestanden habe, Aktivitäten an den Tag gelegt habe, die jeder besonnene
Mensch unterlassen haben würde, wenn er deshalb ernsthaft hätte befürchten
müssen, deshalb nach Rückkehr sanktioniert zu werden. Dies gelte erst recht, weil
er sich offenbar all die Jahr zuvor politisch unauffällig gehalten habe, so dass nicht
ersichtlich sei, weshalb er sich jetzt in Gefahr begeben würde, wenn wirklich eine
solche Gefahr existieren würde.
16 Die Asylantragstellung selbst sei kein Umstand, der in China für sich genommen
strafbar sei. Sanktionen hingen davon ab, inwieweit die Person als für Staat und
Partei als gefährlich eingeschätzt werde, wobei lediglich formale Aspekte wie eine
Mitgliedschaft in einer Organisation nicht zwangsläufig entscheidend seien.
17 Sonstige Gründe für Abschiebungsverbote im Sinne von § 60 AufenthG seien nicht
ersichtlich, vorgetragen oder sonst glaubhaft gemacht.
18 Nach Zustellung des Bescheids am 23.12.2011 hat der Kläger dagegen am
28.12.2011 Klage beim Verwaltungsgericht erhoben.
19 Zur Begründung trägt er vor, über die exilpolitischen Veranstaltungen, an denen
der Kläger teilgenommen habe, sei in chinesischer Sprache in der Deutschen
Welle, Epoch Times und News.boxun.com berichtet worden. Er legte diese
Medienberichte in Kopie (GAS 89 -109) sowie weitere Fotos vor, die ihn als
Teilnehmer der Exilveranstaltungen zeigen. Auch ein Foto über sein
Zusammentreffen mit dem Dalai Lama vom 23.8.2011 bei der Veranstaltung in
Wiesbaden legte er vor (GAS 63, 65). Der Umstand, dass es sich hier um eine
zahlenmäßig nur kleine Runde von Teilnehmer handle, zeige, dass der Kläger hier
Vertrauen genieße. Schließlich legte er noch eine Bestätigung der FDC über seine
Mitgliedschaft und Aktivitäten vom 10.1.2012 vor (GAS 59). Nach allem sei davon
auszugehen, dass den chinesischen Behörden, welche die Exilszene sehr genau
beobachteten, diese Aktivitäten durchaus bekannt seien. Sie seien insbesondere
auch an regimekritischen Artikeln im Internet interessiert. Der Umstand, dass der
Kläger mit einem Studentenvisum in Deutschland sei, könne ihm nicht
entgegengehalten werden. Eine besondere Rückkehrgefährdung resultiere auch
daraus, dass die chinesische Justiz insbesondere Unterstützer des Dalai Lama
willkürhaft behandle.
20 Der Kläger beantragt,
21 den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19.12.2011
aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten ihn als Asylberechtigten
anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise: die
Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen, höchst
hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt.
22 Die Beklagte beantragt,
23 die Klage abzuweisen.
24 Sie verweist darauf, dass es sich um einen selbstgeschaffenen Nachfluchtgrund
handle, ohne dass dem eine bereits im Herkunftsland erkennbar betätigte
Überzeugung zugrunde liege. Die Aktivitäten des Klägers lösten keine wirkliche
Verfolgungsgefahr aus, da sie vom chinesischen Staat mangels Exponiertheit nicht
als Gefährdung angesehen würden bzw. weil sie nur asyltaktischer Natur seien,
um so ein anderweit nicht erreichbares weiteres Aufenthaltsrecht zu erlangen, und
auch nur als solche in China, wenn überhaupt, wahrgenommen werden würden.
25 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten (je ein Heft
Gerichtsakten bzw. Akten der Beklagten) und die zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemachten Erkenntnismittel verwiesen.
26 Der Kläger ist im Termin zur mündlichen Verhandlung vom Gericht persönlich zu
seinen Asylgründen angehört worden. Auf die dazu angefertigte
Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
27 Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und
verletzt den Kläger in seinen Rechten ( §113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
28 1) Er hat Anspruch (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) auf die Anerkennung als
Asylberechtigter (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG, Art. 16 a Abs. 1 GG) und (gem. §§ 1
Abs. 1 Nr. 2, 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG) auf die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft. Die Ziffern 1 und 2 des angefochtenen Bescheids sind
daher aufzuheben und die Beklagte ist entsprechend zur Asyl- und
Flüchtlingsanerkennung zu verpflichten.
29 Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass dem Kläger aufgrund seiner
exilpolitischen Aktivitäten als Mitglied der FDC im Falle seiner Rückkehr nach
China mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch den chinesischen
Staat droht, die mit Gerichtsverfahren, Administrativhaft, Strafhaft, Hausarrest,
Überwachung und dergleichen an seine staatskritische Überzeugung anknüpft, die
sich an den Idealen von Demokratie und Menschenrechten orientiert und damit
von der staatlichen Ideologie des Einparteienstaats China deutlich abweicht.
30 Nach allen vorliegenden Erkenntnisquellen (siehe unter www.ecoi.net: Australian
Refugee Review Tribunal - Country Advice China, v. 23.4.2010 Ziff. 2 zur FDC und
Unterdrückung der Prodemokratie-Anhänger in China; Australian Refugee Review
Tribunal, RRT Research Response CHN34757 v. 29. 4. 2009 unter Nr. 6 zur FDC ,
wo unter anderem deren deutsche Website http://fdc64.de erwähnt wird; siehe zur
japanischen FDC: United Nations, General Assembly, Human Rights Council,
Periodical Report über die 17. Arbeitssitzung vom 21.10. bis 1.11.2013 unter
anderem zu China; BAMF, Infozentrum Asyl und Migration, China, Online-
Loseblattwerk, China, 6. Parteien und Organisationen, Juni 2002, S. 11 zur einst
mit der FCD liierten ADC und S. 18 zur FDC Deutschland, die etwa 100 Mitglieder -
1996 - gehabt habe ; AA Lagebericht China 2013, S. 26 zur FDC) handelt es sich
bei der FDC um eine Vereinigung, die erklärtermaßen dem chinesischen Staat
kritisch gegenübersteht (siehe Art. 2 Nr. 2 a - c der vom Kläger vorgelegten
Vereinssatzung - GAS 69) und dies auch öffentlich klar artikuliert. Die Vereinigung
wurde von den seinerzeit nach dem fehlgeschlagenen Aufstand auf dem
Tianmenplatz 1989 aus China ins Ausland geflohenen Demokratie-Aktivisten
gegründet. Die damals entstandene Demokratiebewegung aber wird von der
chinesischen Staatspropaganda (siehe dazu Der Spiegel Nr. 29/2009 v.
13.7.2009, S. 39) bezeichnenderweise als eines der „fünf Gifte“ bezeichnet (neben
Taiwan, Tibet, Falung-Gong und den Uiguren), was in aller Deutlichkeit die
Gefährlichkeit ausdrückt, die der chinesische Staat in deren Bestrebungen sieht.
Der Kontakt dieser Organisation zum Dalai Lama (auch einem der aus
chinesischer Sicht „fünf Gifte“), die offene Unterstützung eines Dialogs zwischen
Han-Chinesen und der Minderheit der Mongolen, die offene Kritik an dem
Tianmenmassaker (siehe ausweislich der vorgelegten Fotos der Slogan auf den
vor dem Generalkonsulat Chinas in Frankfurt entfalteten Spruchbändern „Never
forget Tianmens Square Massacer - Long live Democracy!“) rückt die FCD deutlich
in die Position des aus Sicht des chinesischen Staates an dessen wunde Stellen
rührenden politischen Gegners.
31 Die FCD ist zudem keine nur kurzfristig aktive, junge Organisation, sondern schon
seit Jahrzehnten existent (siehe Eintrag der FDC ins deutsche Vereinsregister
aufgrund der Gründungsversammlung am 29.12.1993 in München ausweislich der
vom Kläger vorgelegten Vereinssatzung - GAS 79). Sie ist zudem in ein weltweites
Netz von Filialorganisationen der FDC eingebunden, die zahlreichen Ländern der
westlichen Welt und in Japan von chinesischen Demokratie-Aktivisten gegründet
wurden. Auch personell ist die FDC Deutschland schon seit vielen Jahren stabil,
wie der Umstand zeigt, dass ihr Vorsitzender ... schon seit vielen Jahren dieses
Amt innehat. Auf ihrer homepage (http://fdc64.de), die schon seit vielen Jahren
existiert, bezieht die Organisation deutlich Position gegenüber der chinesischen
Regierungspolitik (siehe u.a. den vom Kläger vorgelegten Internetauszug - GAS
81). Mit ihrer Monatszeitschrift, die regelmäßig in chinesischer Sprache erscheint
und in Asia-Läden in ganz Deutschland ausgelegt wird, wo sie auch viele
Auslandschinesen erreicht, spricht sie offenbar gezielt weitere Kreise von
Chinesen an.
32 Ganz offenbar handelt es sich bei der FDC auch um eine Organisation, der es
nicht darum geht, eine möglichst große Zahl für sich betrachtet nur einfacher,
unengagierter, bloß in der Mitgliedskartei existierender Mitglieder zu gewinnen.
Vielmehr geht es ihr um die Gewinnung engagierter Chinesen, die zu den Themen
Demokratie, Menschenrechte aber auch Minderheiten wie den Tibetern, Mongolen
usw. und ihrem Verhältnis zu den dominierenden Han-Chinesen etwas zu sagen
haben. Dafür spricht auch die Darstellung des Klägers in der mündlichen
Verhandlung, dass bei weitem nicht jeder seiner Artikel, die er entwirft, auch von
der FDC veröffentlicht werden, sondern dass der zuständige Redakteur insoweit
durchaus wählerisch ist. Dafür spricht auch seine Schilderung in der mündlichen
Verhandlung, wonach er nicht ohne weiteres als Neu-Mitglied aufgenommen
wurde, sondern dies erst geschah, nachdem er sich eine Stunde lang am Telefon
mit dem Vereinsvorsitzenden unterhalten und diesem außerdem in E-Mails seine
eigenen politischen Ansichten dargelegt hatte. Er hat insofern auch überzeugend
dargelegt, dass diese Vereinigung in der Tat wohl zahlenmäßig deutlich mehr
Mitglieder hätte, wenn sie allein bzw. hauptsächlich zu dem Zweck gegründet
worden wäre und existieren würde, an sich unpolitischen, unpolitischen Chinesen
durch eine ohne weitere Prüfung (womöglich für eine Gegenleistung) eine
Mitgliedschaft zu verschaffen, um durch einige letzten Endes unbedeutende
Umtriebe und Aktivitäten zumindest den Schein einer erheblichen, exponierten
Gegnerschaft zur chinesischen Regierung zu erzeugen und daran anknüpfend
dann ein Asylrecht zum Schutz vor einer - in Wirklichkeit gar nicht ernsthaft
gegebenen - Gefahr der politischen Verfolgung zu kreieren und sich so ein ihnen
an sich nicht zu stehendes (weiteres) Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu
verschaffen.
33 Gegen diese Einschätzung spricht der kleine überschaubare, aber dafür in der Tat
auch untereinander vertraute Kreis an Teilnehmern bei den vom Kläger
exemplarisch genannten öffentlichen Veranstaltungen, Demonstrationen,
Seminaren und dergleichen Aktivitäten der FDC.
34 Dagegen spricht auch, dass es ausweislich der vom Kläger vorgelegten Fotos und
seines Vorbringens offenbar der Dalai Lama für wert befunden hat, sich mit einem
kleinen Kreis der FDC Mitglieder zu treffen, obwohl er eine weltweit bekannte und
geachtete Persönlichkeit ist, um deren Gunst und Aufmerksamkeit sich gerade
auch im Westen zahlreiche Personen und Organisationen bemühen, und der es
sich von daher aussuchen kann, mit wem er Kontakt pflegt, und von daher gewiss
nicht nötig hätte, sich mit einer kleinen Organisation von Auslandschinesen zu
treffen, wenn sich deren Bedeutung in der Produktion von Asylgründen und
gefälligen Fototerminen erschöpfen würde (ausweislich der vom Kläger
vorgelegten, englischsprachigen Artikels aus dem Internet -
www.dalailama.com/news v. 24.8.2011 traf er bei seinem Besuch in Hessen eine
Gruppe von 70 Chinesen, nämlich Wissenschaftlern, Journalisten und Demokratie-
Verfechtern aus fünf europäischen Ländern, die er mit den Worten: „Meine
Chinesischen, Mongolischen und Uigurischen Freunde“ begrüßte; ausweislich der
vorgelegten Berichte zu seinem Besuch ging es um den Dialog mit
Auslandschinesen über die Chinesisch-Tibetischen Beziehungen).
35 Nach allem, insbesondere aber auch wegen der Aktivitäten im Internet spricht alles
dafür, dass die FDC durchaus auch von der chinesischen Regierung ernst
genommen wird, die sich nach allen sonstigen Berichten zur
Menschenrechtssituation in China gerade dadurch auszeichnet, dass sie schon
auf geringste Anzeichen von Protest, Abweichung oder Kritik allergisch und auch
paranoid reagiert und regelmäßig mit allen Mitteln aus Gründen des eigenen
Machterhalts, insbesondere mit Mitteln der Internet-Zensur gerade versucht, das
Eindringen prodemokratischer Gedanken vom Ausland aus zu verhindern (siehe
dazu die vom Bundesamt selbst im angefochtenen Bescheid auf S. 5 - 7
dargestellte Auskunftslage, aus der sich deutlich eine gesteigerte Empfindlichkeit
und Repressivität seit Februar 2011 im Kontext mit der arabischen Jasmin-
Revolution ergibt). Das aber gelingt ihr, wie der Kläger als Technik-Student in der
mündlichen Verhandlung anschaulich geschildert hat, nur begrenzt, da es mit
Umwegroutern und VPN Servern durchaus für interessierte Chinesen möglich ist,
die Internetkontrollen (allerdings dann auf eigenes Risiko) zu umgehen. In diesem
Sinne schließt sich das Gericht der gleichlautenden überzeugenden Einschätzung
der Einstufung der FDC Aktivitäten auch und gerade im Internet als beachtlich
durch einen Teil der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an (vgl. VG
Stuttgart, U. v. 10.4.2006 - A 11 K 377/06 -, juris, Rdnr.23 ff; VG Potsdam, B. v.
4.3.2004 - 2 L 243/04.A -, juris, Ziff. 3 und 6). Auch sonst wird von einigen
Verwaltungsgerichten eine Verfolgungsgefahr wegen dauerhafter Aktivitäten für die
FCD, die über die bloße Mitgliedschaft als solche hinausgehen, wie etwa Reden
halten, Veranstaltungen mit organisieren, Treffen mit bekannten Dissidenten etc.,
angenommen (VG Oldenburg, U. v. 25.11.2002 - 7 A 3614/00 -, juris, Rdnr. 22; VG
Köln, U. v. 16.4.2002 - 14 K 4472/00.A -, juris Ziff. 3 - 5).
36 Der Kläger selbst hat sich für die FCD und deren Ziele dauerhaft, nachhaltig und
konsequent eingesetzt und selbst deutlich als Person wahrnehmbar eigene
Beiträge und Aktivitäten an den Tag gelegt, seitdem er sich entschlossen hat, sich
für die Demokratie in China einzusetzen. Das ergibt sich eindrücklich aus der
Bestätigung des Vorsitzenden der Organisation (GAS 59), aus den Angaben des
Klägers und aus den damit übereinstimmenden Angaben, die er widerspruchsfreie,
ohne jede Übertreibungstendenzen, offen und spontan in der mündlichen
Verhandlung gemacht hat. Zudem ergibt sich dies aus den vorgelegten Fotos und
Medienartikeln. Er ist jeweils auf den Fotos als einer von nur wenigen
Demonstranten in einer gut überschaubaren Gruppe mit deutlich chinakritischen
Spruchbändern zu sehen und wurde dabei, was ihm ohne weiteres abgenommen
werden kann, weil es dem Standardverhalten der chinesischen
Botschaftsmitarbeiter entspricht, fotografiert. Die Fotos vermitteln auch nicht den
Eindruck, sie seien nur gestellt bzw. möglichst auf gute Erfassbarkeit der
Gesichtszüge der Abgebildeten hin arrangiert. Er selbst hat in der mündlichen
Verhandlung sichtlich bewegt von seinem Treffen mit dem beeindruckenden Dalai
Lama gesprochen. Er hat vor dem Konsulat selbst eine Rede gehalten. In dem von
ihm vorgelegten chinesischsprachigen Artikel der Deutschen Welle DW-World v.
6.6.2011 wurde darüber unter Nennung seines Namens und seiner Universität
berichtet (GAS 89, 90). Auch auf der Internetseite boxun.com wurde über die
Aktion der FCD in Frankfurt berichtet und der Kläger ist dort im Halbprofil gut
erkennbar als Träger eines Banners, dass an das Tianmen-Massaker erinnert.
Über die außerhalb von China ansässige Internetseite Boxun aber wurde dazu
aufgerufen, jeden Sonntag in chinesischen Städten zu demonstrieren und im
Februar 2011 kam es auch in mehreren Städten in chinesischen Städten zu
Protestaktionen (so die vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid, S. 5 und 6
zitierte Quelle). Die Internetseite wird in diesem Zusammenhang deshalb mit
Sicherheit vom chinesischen Staat als gefährlich angesehen. Versuche, sie im
Internet zu unterdrücken, dürften wohl nur begrenzt erfolgreich sein, da es
Methoden für Interessierte gibt, Zugang auch zu dieser Seite zu erlangen. Wäre
dies nicht so, so würden wohl kaum auf dieser Seite solche gezielt an die
chinesische Bevölkerung gerichtete Aufrufe veröffentlicht.
37 Der Kläger hat schließlich nach seinen vom Bundesamt unbestrittenen Angaben in
der Anhörung vor dem Bundesamt drei veröffentlichte Artikel geschrieben, die auf
der Internetseite fdc64.de der FDC erschienen sind (diese in Deutschland
angesiedelte Internetseite wird offenbar als die maßgebliche Internetseite der FDC
auch im Australian Refugee Review Tribunal Bericht vom 29.4.2009 unter Ziff. 6
mehrfach zitiert).
38 Entgegen der Einschätzung im angefochtenen Bescheid geschah dies nicht etwa
deshalb anonym, weil der Kläger einen Teil seines Namensschriftzeichens
verändert hat. Vielmehr hat sich in der mündlichen Verhandlung mit Hilfe des
Dolmetschers herausgestellt, dass sein Nachname ohnehin völlig unverändert
blieb und der Vorname durch diesen Schriftzeichenzusatz bei dadurch
unveränderter Aussprache nur noch eine Art Vorsilbe, oder Zusatz hinzugefügt
bekam, der offenbar noch besonders hervorhebt, dass der Kläger einer ist, der hier
etwas Bemerkenswertes offen und direkt ausspricht. Demnach diente die
Veränderung des Schriftzeichens also gerade nicht dazu, die Identität des Klägers
unkenntlich zu machen, sondern im Gegenteil der so um einen Zusatz ergänzte
Vorname gewinnt dadurch noch eine besondere, der freien Meinungsäußerung
verpflichtete Bedeutung und erregt dadurch womöglich sogar noch zusätzlich
Aufmerksamkeit.
39 Da der Kläger sich in der mündlichen Verhandlung als ein durch und durch
überzeugend wirkender, bescheidener, ernsthafter junger Mann herausstellte, der
politisch analytisch und kritisch zu denken vermag, ist davon auszugehen, dass
auch seine Artikel fundiert und kritischen Inhalts sind. Er selbst gab auch zu, dass
nicht alle von ihm verfassten Artikel veröffentlicht wurden, sondern nur die, welche
nach Ansicht auch der wählerischen Redaktion dazu taugen. Von daher ist davon
auszugehen, dass es sich hier nicht einfach nur um simple, angelernte und daher
von den chinesischen Behörden wohl als belanglos und ungefährlich eingestufte
Beiträge handelt. Die Themen selbst, nämlich die Minderheitenpolitik, die
Demokratiebewegung, die Demokratiekonzeption der in den 80-er Jahren
geborenen Chinesen sind aber alles Reizthemen für den chinesischen Staat.
40 Im vorliegenden Fall steht auch nicht die Vorschrift des § 28 AsylVfG Abs. 1
AsylVfG der Asylanerkennung entgegen. Zwar ist nach dieser Vorschrift „in der
Regel“ ein selbstgeschaffener Nachfluchtgrund, wie hier ein erst nach Einreise des
Klägers ins Bundesgebiet und auch dann erst nach Jahren der Inaktivität an den
Tag gelegtes Verfolgungsgefahren im Heimatland auslösendes exilpolitisches
Verhalten, nicht als Asylgrund anzuerkennen, falls es nicht auf einer schon im
Heimatland erkennbar betätigten Überzeugung beruht, sofern eine solche nach
Alter und Entwicklungsstand vom betreffenden Ausländer hätte erwartet werden
können. Diese Vorschrift beruht auf der Rechtsprechung des BVerfG, (B. v.
26.11.1986 - 2 BvR 1085/84 -, BVerfGE 74,51 = InfAuslR 1987,56), wonach eine
(ohne Not eines inneren identitätsprägenden Überzeugungsdrucks
vorgenommene) risikolose Verfolgungsprovokation vom sicheren Hort des
Aufnahmelandes Deutschland nach dem Sinn der Asylverheißung nicht als
asylbegründend anzuerkennen sei. Gleichwohl hat auch das BVerfG in seiner
Entscheidung seine Rechtsprechung selbst als eine allgemeine - nicht notwendig
abschließende - Leitlinie bezeichnet, was der einfache Gesetzgeber in § 28
AsylVfG mit der Formulierung „in der Regel“ aufgegriffen hat.
41 Von daher kann es ausnahmsweise noch außerhalb des Regelfalls liegende Fälle
geben, in denen etwa aufgrund eines späten politischen Erwachens eines
Ausländers, der einen ernsthaften Gesinnungswandel durchlebt und dem sich erst
im Exil die Augen geöffnet haben, eine exilpolitische Handlung doch noch als
subjektiver Nachfluchtgrund zur Asylanerkennung führen kann (vgl. dazu m.w.Nw.
Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, II - § 28 AsylVfG, Rdnrn. 28, 29, 35, 38; siehe dazu
auch Treiber, ZAR 1987, 151).
42 Ein solcher Ausnahmefall liegt hier im Fall des Klägers vor. Er hat insbesondere in
der mündlichen Verhandlung, aber auch schon bei seiner Anhörung vor dem
Bundesamt, in plausibler, nicht übertriebener, ernsthafter und insbesondere
hinsichtlich der geschilderten Emotionen, inneren Beweggründe und Gedanken
menschlich nachvollziehbarer Weise ein solches spätes politisches Erwachen
eindrucksvoll geschildert. Danach hat er sich schon lange gedanklich mit den
Themen Demokratie und Menschenrechte beschäftigt, nachdem er schon lange in
Deutschland unter den von diesen Prinzipien beherrschten hiesigen
Lebensverhältnissen gelebt hat. Anschaulich hat er geschildert, wie er im Lauf der
langen Jahre „verlernt hat Angst zu haben“. Die Repressionen in China, die er mit
verfolgt hat, gipfelten für ihn schließlich in der Verhaftung des Dissidenten A Wei
Wie. Das war der Punkt, an dem für den Kläger das Fass zum Überlaufen kam. Er
hat denn seinem Bedürfnis nach Austausch folgend den Präsidenten der FDC
kontaktiert, von dessen Organisation er als politisch interessierter Chinese gehört
hatte, allerdings nicht ohne zuvor im Internet nachzusehen, um was für eine
Organisation es sich handelt. Erst nachdem er sich mit diesem lange telefonisch
ausgetauscht und dann auch noch seine Gedanken per email zusammengefasst
und übersandt hatte, wurde er überhaupt gefragt, ob er Mitglied werden wolle. Als
er sich dann entschlossen hatte, mit zu machen, kam für ihn der persönliche
Entwicklungsschub mit der Überwindung der von ihm offen geschilderten inneren
Angst, die er zunächst verspürte, als er sich vor dem chinesischen
Generalkonsulat wiederfand. Er hat hier sehr beeindruckend geschildert, wie von
ihm diese Angst abfiel, als er anfing, seiner inneren Überzeugung folgend, Parolen
zu rufen und seine kritischen Gedanken nun nicht mehr nur für sich zu hegen,
sondern öffentlich nach außen zu tragen, und dass dies für ihn einen inneren Akt
der Befreiung darstellte. Dafür spricht auch, dass er seinem Vornamen durch eine
Veränderung des Schriftzeichens einen genau dieses innere Phänomen
wiederspiegelnden Zusatz verliehen hat, mit dem er auf anschauliche und
sprachspielerische Weise sich auch nach außen jetzt selbst als „einer, der frei
heraus etwas Bemerkenswertes zu sagen hat“ darstellt, weil das genau das Gefühl
sei, dass er nun als innerlich Befreiter habe. Auf die Frage, ob er es nicht
mittlerweile bereue, infolge seines Asylantrags sein Studium wegen der
Umverteilung als Asylbewerber von Freiburg nach Albstadt für lange Zeit aufgeben
zu müssen, hat er schließlich in genau diesem Sinne in sich stimmig geantwortet,
das möge ein Nachteil sein, er bereue aber nichts, vielmehr begreife er diese
innere Entwicklung als etwas Positives, das er nicht missen möchte. Er hat
insoweit auch bescheiden, aber überlegt und selbstbewusst die Fragen des
Gerichts beantwortet, klar dem Berichterstatter in die Augen geschaut, so dass
auch dadurch der Eindruck verfestigt wurde, dass es sich bei ihm um eine innerlich
gereifte Person handelt, die das, was sie tut, bewusst und im Einklang mit sich
selbst tut und sich in der so gewonnenen inneren Stärke und Freiheit auch nicht
von Angst, Unterwürfigkeit oder Scheu vor Autoritäten leiten lässt.
43 Ein asyltaktisches Verhalten liegt zur Überzeugung des Gerichts beim Kläger aus
folgenden Gründen nicht vor: Er hat ganz offenkundig durch die Ereignisse in
China im April 2011 motiviert, seine ersten Schritte getan, seinen politischen
Gedanken nun auch zu folgen und nach außen hin aktiv zu werden und sich für
die Demokratie einzusetzen. Mit dem erst ein halbes Jahr später Ende September
2011 vorläufig anstehenden Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis hatte dies
ersichtlich nichts zu tun. Er hat auch seinen Asylantrag nicht gleich gestellt und
offenbar auch nicht sofort Aktivitäten aufgenommen. Da er von ... Credit Points
offenbar auch schon ... geschafft hatte, wäre es ihm möglich gewesen, in
absehbarer Zeit seinen Studienabschluss doch noch zu machen, so dass er unter
diesen Umständen wohl eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis erhalten
hätte. Äußerungen gegenteiliger Art gegenüber der Ausländerbehörde, wie sie in
der Begründung des Bundesamtes erwähnt werden, sind anhand des Akteninhalts
nicht feststellbar. Dokumente dazu existieren laut Auskunft des Beklagtenvertreters
in der mündlichen Verhandlung auch nicht. Der Kläger hat zudem einen bis März
2012 gültigen Studierendenausweis. Er hätte mit einer fertigen Ausbildung in ...
und seinen perfekten Deutschkenntnissen wohl auch ohne weiteres die
Möglichkeit gehabt, in China -wie schon sein Vater- als ... nach Rückkehr dorthin
zu arbeiten, oder aber seiner Mutter nach Amerika zu folgen und dort zu arbeiten.
Dass er statt dessen die lästige Alternative eines durch die
Asylbewerberumverteilung zwangsläufig verursachten Studienabbruchs auch über
zwei Jahre hinweg erduldet hat, ohne seinen Asylantrag zurückzunehmen und so
den Weg für ein nur noch ein oder zwei Semester bis zum Abschluss dauerndes
Weiterstudium frei zu machen, und dass er es, statt auf das Asylverfahren zu
verzichten, vorzieht, alleine, ohne Arbeit und sinnvolle Beschäftigung in ... zu
leben, zeigt, dass er den Asylantrag nicht einfach aus taktischen Gründen gestellt
hat, um sich einen aufenthaltsrechtlichen Vorteil zu verschaffen. Schließlich ist es,
was auch der Leitung der FDC nicht entgangen sein wird, nach der bisherigen
Rechtsprechung keineswegs so, dass automatisch eine Mitgliedschaft in dieser
Organisation und einige wenige unprofilierte Aktivitäten zu einer Asylanerkennung
bzw. Flüchtlingsanerkennung geführt hätten (siehe insoweit die ablehnenden
Entscheidungen VG Freiburg, U. v. 23.5.2003 - A 6 K 12025/02 -, juris; BayVGH, B.
v12.11.2001 - 2 ZB 01.30827 -, juris; OVG NRW, U. v. 30.30.2004 - 15 A
2907700.A -, juris). Von daher konnte der Kläger nicht ohne Weiteres damit
rechnen, dass sein Asylantrag überhaupt Erfolg haben würde. Das Risiko, dass
China seine Aktivitäten doch anders als diese Rechtsprechung nicht als nur
„unprofiliert“ einstufen und deshalb mit Verfolgung reagieren würde, ist er damit
also in jedem Fall eingegangen (siehe zu diesem Risiko Funke-Kaiser, GK-
AsylVfG, Rdnr. 27 zu § 28 AsylVfG). Angesichts der Unberechenbarkeit des
chinesischen Staatsapparates aber auch angesichts der konsequenten,
mehrfachen, auf einer Linie liegenden und durchaus wahrnehmbaren Aktivitäten
des Klägers, der mit eigenem Namen Artikel im Internet veröffentlichte, an einem
Treffen mit dem - der chinesischen Staatsführung - verhassten Dalai Lama
teilnahm, das in China tabuisierte Thema Tianmen-Massaker mit Parolen und
Spruchbändern vor dem Generalkonsulat aufgegriffen hat, kann nicht im Gegenteil
der Schluss angestellt werden, dies zeige, dass nicht nur objektiv sondern auch
nach der Selbsteinschätzung des Klägers schon gar kein Verfolgungsrisiko damit
begründet werden, weil er andernfalls solche Aktivitäten unterlassen hätte.
Schließlich hat der Kläger auch überzeugend darauf hingewiesen, dass er nicht
wie manche Auslandschinesen ohne Offenlegung der wahren Identität und ohne
gültigen chinesischen Pass in Deutschland lebt, was eine Abschiebung schon
deshalb als wenig wahrscheinlich erscheinen ließe, sondern dass er stets mit
vollem Namen und allen Papieren in Deutschland in Erscheinung getreten ist und
daher im Falle des Misserfolgs seines Asylantrags das echte Risiko läuft, auch
tatsächlich jederzeit nach China abgeschoben werden zu können.
44 Der Kläger ist daher als Asylberechtigter anzuerkennen und ihm ist die
Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
45 2) Nach allem erweist sich schließlich aufgrund der gem. § 77 Abs. 1 AsylVfG im
maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden aktuellen
Fassung des AsylVfG die unter Ziff. 3 des angefochtenen Bescheids getroffene
negative Feststellung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2,
3, 5 oder 7 AufenthG als rechtswidrig.
46 Denn für eine solche Feststellung fehlt es in diesem Zeitpunkt an einer
Ermächtigungsgrundlage. Europarechtlicher subsidiärer Schutz, wie er bisher in §
60 Abs. 2, 3 und 7 S. 2 AufenthG geregelt war und nunmehr unter § 4 AsylVfG
geregelt ist, ist nämlich gem. Art. 2 f der Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU) nur
subsidiär, d.h. nur einer Person zu gewähren, welche die Voraussetzungen der
„Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt“. Deshalb sieht § 31 Abs. 2 AsylVfG auch nur
vor, dass in der Entscheidung des Bundesamtes über einen (beachtlichen)
Asylantrag festzustellen ist, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft „oder“
(falls dies nicht der Fall ist) der subsidiäre Schutz zuzuerkennen ist.
47 Auch die unter Ziff. 3 des angefochtenen Bescheids außerdem enthaltene
negative Feststellung zum Vorliegen des nationalen Abschiebungsverbots nach §
60 Abs. 5 oder 7 S. 1 AufenthG erweist sich im maßgeblichen
Beurteilungszeitpunkt als rechtswidrig, weil ermessensfehlerhaft. Nach § 31 Abs. 3
AsylVfG „kann“ nämlich bei Anerkennung als Asylberechtigter oder Zuerkennung
internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG von der Feststellung zum
Vorliegen dieses nationalen Abschiebungsverbots abgesehen werden. Von dem
damit der Beklagten eingeräumten Ermessen hat diese aber (entgegen § 40 1.HS
VwVfG) keinen Gebrauch gemacht, sondern vielmehr gar keine
Ermessenserwägungen angestellt, obwohl sie den Bescheid auch hinsichtlich
seiner Ziff. 3 hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit insoweit unter Kontrolle halten
muss.
48 Schließlich erweist sich die unter Ziff. 4 des angefochtenen Bescheids enthaltene
Abschiebungsandrohung als rechtswidrig, da das Bundesamt in dem hier
maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur Asylanerkennung und
Zuerkennung des Flüchtlingsstatus verpflichtet und daher nach § 34 Abs. 1 S. 1
Nr. 1 bzw. Nr. 2 AsylVfG nicht zum Erlass einer Abschiebungsandrohung
ermächtigt ist.
49 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.