Urteil des VG Freiburg vom 10.04.2014

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VG Freiburg Urteil vom 10.4.2014, A 4 K 2202/11
Dublin-Verfahren; Abschiebungsanordnung nach Italien
Leitsätze
Trotz der in Teilen weiterhin defizitären Umsetzung der asylrelevanten Regelungen
und nach wie vor existierender Mängel in der Unterbringung und Versorgung von
Asylsuchenden in Italien laufen im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien
zurückgeführte Asylsuchende, jedenfalls soweit in ihrer Person keine (etwa
gesundheitlichen) Besonderheiten gegeben sind, gegenwärtig nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung
i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung seines Asylantrags als unzulässig
sowie die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien.
2 Der Kläger ist nach eigenen Angaben ein 1982 geborener Staatsangehöriger Sri
Lankas mit tamilischer Volks- und hinduistischer Glaubenszugehörigkeit. Er reiste
nach eigenen Angaben am 11.03.2011 ins Bundesgebiet ein und stellte am
12.04.2011 einen Asylantrag. Bereits im Rahmen seiner Befragung zur
Vorbereitung der Anhörung am 06.05.2011 gab der Kläger an, er habe im Juni
2010 in Lecce / Italien Asyl beantragt. Von Januar 2010 bis Oktober 2010 habe er
sich in Italien aufgehalten.
3 Am 20.06.2011 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (künftig:
Bundesamt) an die italienischen Behörden ein Übernahmeersuchen unter
Berufung auf Art. 16 c) Dublin-II-VO. Die italienischen Behörden gaben hierzu
keine Stellungnahme ab.
4 Mit Bescheid vom 25.08.2011, zugestellt nach dem 02.11.2011, lehnte das
Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete seine
Abschiebung nach Italien an. Der Bescheid war auf § 27a AsylVfG, Art. 20 Abs. 1
c) Dublin-II-VO gestützt. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die
Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß
Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.
5 Der Kläger hat am 07.11.2011 Klage erhoben und wie folgt begründet: Eine
Abschiebung erfolge gegenwärtig „ins Blaue hinein“, nachdem die italienischen
Behörden das Übernahmeersuchen nicht beantwortet hätten. Er habe in Italien
kein faires Asylverfahren erhalten; er habe bis heute keinen Ablehnungsbescheid
bekommen, sondern sei ohne die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, unter
Setzung einer kurzen Frist zur Ausreise aufgefordert worden. Auch der EGMR
habe Bedenken an der Durchführung eines rechtsstaatlichen Mindestgrundsätzen
genügenden Asylverfahrens in Italien. Die Ausführungen in der Stellungnahme des
Auswärtigen Amtes widersprächen der aktuellen Erkenntnislage sowie der
praktisch einhelligen Rechtsprechung, wonach Überstellungen nach Italien
aufgrund fehlender Gewährleistung des Flüchtlingsschutzes gegenwärtig
unzulässig seien. Die Situation dort habe sich gerade nicht entscheidend
verbessert. Die Überstellungsfristen nach Italien seien zwischenzeitlich wohl
abgelaufen. Die Beklagte ignoriere die aktuelle Rechtsprechung, die zum
Vorliegen systemischer Mängel komme. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte
dafür, dass sich die Aufnahmesituation für zurückgeschobene Flüchtlinge
verbessert habe.
6 Der Kläger beantragt,
7
den Bescheid der Beklagten vom 25.08.2011 aufzuheben.
8 Die Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Italien erfülle gegenüber Asylantragstellern die Mindeststandards. Es handele sich
bei Italien um einen EU-Mitgliedstaat und damit um einen sicheren Drittstaat i.S.v.
Art. 16a Abs. 2 GG, § 26 AsylVfG. Es sei daher aufgrund des diesen Vorschriften
zugrunde liegenden Konzepts der normativen Vergewisserung davon
auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der
Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
sichergestellt sei. Die Dublin-II-Verordnung beruhe auf der Prämisse, dass die
zuverlässige Einhaltung von GFK und EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert sei.
Weder UNHCR noch SFH hätten Bedenken an einer Zurückschiebung von
Flüchtlingen nach Italien geäußert. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes gebe die
Situation wider, wie sie von zahlreichen Verwaltungsgerichten gesehen werde. Die
Möglichkeit und der Ablauf des Asylverfahrens seien gesetzlich geregelt,
Unterbringung werde Asylbewerbern in den Erstaufnahmeeinrichtungen und in
den Aufnahmezentren gewährt. Es liege im Verantwortungsbereich des
Antragstellers, dass ihn Zustellungen erreichten, wie es auch in Deutschland der
Fall sei. In Italien liege der Fall im Gegensatz zu Griechenland offenbar eher so,
dass sich ein großer Teil der Flüchtlinge unabhängig vom Asylverfahren dort
aufhalte. Der daraus entstehende Eindruck schwieriger Lebensverhältnisse könne
keinen Einfluss auf die Beurteilung haben, ob die Mindestanforderungen an das
Asylverfahren erfüllt seien. Der EGMR sei der Auffassung, dass die Situation in
Italien nicht mit der in Griechenland vergleichbar sei. Der EGMR habe das
Vorliegen systemischer Mängel verneint. Auch das BVerfG habe in keinem
einzigen Fall entschieden, dass eine Rückführung nach Italien im Rahmen des
Dublin-II-Verfahrens unzulässig sei. Dies sähen auch Obergerichte wie der OVG
Sachsen-Anhalt im Verfahren 4 L 44/13 so. Die Auskunft des UNHCR bestätige
die Rechtsauffassung, dass eine systemische Störung des Asylsystems in Italien
nicht bestehe. Der UNHCR bestätige die positive Entwicklung im italienischen
Verfahren. Die unentgeltliche Prozesskostenhilfe sei gesetzlich verankert,
finanzielle Hilfen stünden prinzipiell zur Verfügung, wenn die
Unterbringungskapazitäten der staatlichen Unterkünfte nicht ausreichten. Zur
Gesundheitsversorgung und Ernährungssituation äußere sich der UNHCR positiv.
Auch kurzzeitige und geringfügige Verschlechterungen und Verzögerungen
erreichten nicht die Qualität einer menschenrechtswidrigen Behandlung. Die
Zuständigkeit Italiens sei gemäß Art. 16 Abs. 1 c) i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Dublin-II-VO
begründet; ein Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte sei später nicht erfolgt.
Für Wiederaufnahmegesuche nach Art. 16 Abs. 1 c) bis e) Dublin-II-VO gebe es
keinerlei Frist. Da der Kläger gegen seine Überstellung innerhalb der Frist, bis zu
der gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO seine Überstellung nach Italien habe
erfolgen können, einen Rechtsbehelf eingelegt habe, beginne gemäß Art. 20 Abs.
1 d) Satz 2 der Verordnung die sechsmonatige Frist im Zeitpunkt der Rechtskraft
der gerichtlichen Entscheidung zu laufen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die
Gerichte - wie vorliegend - aufgrund der Annahme eines Ausnahmefalles
tatsächlich vorläufigen Rechtsschutz gewährten.
11 Mit Beschluss vom 24.04.2012 hat die Kammer Beweis erhoben durch Einholung
einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes sowie eines Gutachtens des
UNHCR zu verschiedenen Fragen betreffend die rechtlichen Grundlagen sowie die
Praxis des Asylverfahrens sowie der Aufnahmebedingungen in Italien. Das
Auswärtige Amt erteilte unter dem 11.07.2012 eine Auskunft, das Gutachten des
UNHCR stammt vom 19.12.2013. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die
Gerichtsakten verwiesen.
12 Mit Beschluss der Kammer vom 02.02.2013 ist die aufschiebende Wirkung der
Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid der
Beklagten vom 25.08.2011 angeordnet und der Beklagten aufgegeben worden,
dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des
Klägers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden darf.
13 Dem Gericht haben die einschlägigen Verwaltungsakten des Bundesamts für
Migration und Flüchtlinge (1 Bd.) vorgelegen. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten
im Verfahren A 4 K 2203/11 und im vorliegenden Verfahren wird wegen der
weiteren Einzelheiten verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
14 Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß §§ 40, 42 VwGO statthaft und auch im
Übrigen zulässig. Denn mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 25.08.2011
hat die Beklagte den Asylantrag des Klägers unter Bezugnahme auf § 27a
AsylVfG für unzulässig erklärt und auf der Grundlage des § 34a AsylVfG seine
Abschiebung nach Italien angeordnet. Für die Erhebung einer vorrangigen
Verpflichtungsklage - gerichtet auf das eigentliche Rechtsschutzziel des Klägers,
ihn als Asylberechtigten anzuerkennen - besteht kein Raum. Denn im Falle einer
fehlerhaften Ablehnung des Asylantrags als unzulässig unter Berufung auf die
fehlende Zuständigkeit ist der Antrag in der Sache von der zuständigen Behörde
noch gar nicht geprüft worden. Wäre trotz fehlender Sachprüfung durch das
Bundesamt nunmehr das Gericht verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen und
durchzuentscheiden, ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verloren, die mit
umfassenderen Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Das gilt sowohl für die
Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Abs. 1 Satz 3
AsylVfG) als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der
erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ohne die
einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Abs. 2
AsylVfG i.V.m. § 87b Abs. 3 VwGO vorgesehen ist. Folglich ist im Falle des § 27a
AsylVfG - wie auch in Konstellationen einer Einstellungsentscheidung nach einer
Antragsrücknahme (§ 32 AsylVfG) bzw. nach einem Nichtbetreiben des
Verfahrens nach § 33 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 05.09.2013 -
10 C 1/13 -, juris; Urteil vom 07.03.1995 - 9 C 264/94 -, juris) - nur das
Anfechtungsbegehren statthaft und die Sachentscheidung zunächst dem
Bundesamt vorbehalten (so auch VG Stuttgart, Urteil vom 20.09.2012 - A 11 K
2519/12 -, juris; Urteil vom 28.02.2014 - A 12 K 383/14 -; VG Karlsruhe, Urteil vom
03.03.2010 - A 4 K 4072/08 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris; OVG Nieders., Beschluss vom 02.08.2012 - 4 MC
133/12 -, juris, sowie jüngst VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S
1721/13 -, juris; a.A. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -,
juris).
B.
15 Die Klage ist jedoch unbegründet. Das Bundesamt ist im angefochtenen Bescheid
vom 25.08.2011 zu Recht davon ausgegangen, dass nicht die Bundesrepublik
Deutschland für die Prüfung des am 12.04.2011 gestellten Asylantrages des
Klägers zuständig ist, sondern die Republik Italien, und hat daher auch zu Recht
die Abschiebung des Klägers nach Italien angeordnet.
I.
16 Gemäß Art. 49 (Abs. 2) der Dublin-III-Verordnung 604/2013/EU ist für vor dem
19.07.2013 in Deutschland gestellte (Alt-)Anträge auf internationalen Schutz (i.S.
von Art. 2 lit. h QRL: Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiären
Schutzes) weiterhin die Dublin-II-Verordnung 343/2003/EG (- Dublin-II-VO -)
anwendbar. Nach den hiernach anwendbaren Regelungen der Dublin-II-VO ist
Italien für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers auch dann zuständig,
wenn das von ihm nach eigenen Angaben im Jahr 2011 in Lecce eingeleitete
Asylverfahren, wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, rechtskräftig
abgeschlossen worden ist; insoweit ergibt sich eine Zuständigkeit der italienischen
Behörden für die Prüfung des klägerischen Asyl(-folge-)antrags aus Art. 16 Abs. 1
e) Dublin-II-VO, nachdem diese innerhalb der Frist des Art. 20 Abs. 1 c) Dublin-II-
VO keine Antwort erteilt haben.
17 Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3
Satz 1 Dublin-II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die
Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO geht die
Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde,
wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt
wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO an, welcher (u.a.) bestimmt,
dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer
Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der
Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung
hat. Diese Frist ist hier noch nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf die zweite
Alternative der Regelung ("oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf")
ankommt. Denn solange die Vollziehung der Überstellung - wie es vorliegend
ausnahmsweise der Fall ist - weiter ausgesetzt ist, ist insoweit entscheidend auf
die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren
abzustellen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -, juris; OVG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris; OVG Rheinland-
Pfalz, Urteil vom 21.02.2014 - 10 A 10656/13 -, juris).
II.
18 Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihr Selbsteintrittsrecht
nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ausübt.
19
1.
Ein Hauptzweck der Verordnung VO (EG) Nr. 343/2003 besteht, wie aus ihren
Erwägungsgründen 3 und 4 hervorgeht, in der Schaffung einer klaren und
praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags
zuständigen Mitgliedstaates, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur
Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer
zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden. Allerdings kann
abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin-II-VO gemäß Absatz 2 der Vorschrift jeder
Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag
prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht
für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum
zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit
dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.
20 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (grundlegend Urteil
vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10, N.S. u.a. -, juris sowie Slg. 2011, I-13905)
kann ein Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen dazu verpflichtet sein, von der
Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen (vgl. zum
Folgenden auch BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -; VGH Bad.-
Württ., Urteil vom 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -, juris; Urteil vom 16.04.2014 - A 11
S 1721/13 -, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.02.2014 - 10 A 10656/13 -,
juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 -,
juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.11.2013 - 4 L 44/13 -, juris). Das
ihm insofern eingeräumte Ermessen ist nämlich Teil des Verfahrens zur
Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und stellt ein Element des
Gemeinsamen Europäischen Asylsystems dar. Bei der Ermessensausübung führt
der Mitgliedstaat daher Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) aus.
21
1.1
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die
uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Europäischen
Grundrechtscharta, aber auch der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Art. 18 der
Charta und Art. 78 AEUV). Die Mitgliedstaaten haben bei der Ausübung ihres
Ermessens diese Grundsätze daher zu beachten. Im Rahmen seiner
Ermessensausübung kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen,
dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die
Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer
Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden,
beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen
entgegenbringen dürfen; es gilt insoweit das sog. Prinzip gegenseitigen
Vertrauens beziehungsweise normativer Vergewisserung (dazu grundlegend
BVerfG, Urteil vom 15.05.1996 - 2 BvR 1938/93 -, juris). Daraus folgt die
Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat
stehe in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer
Flüchtlingskonvention und der EMRK (EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O.). Ein
Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurück verbracht werden soll, kann
infolgedessen entsprechend dem Konzept normativer Vergewisserung den Schutz
der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen
schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich
nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat
keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer
Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht
erfüllt würden (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93
-, juris).
22
1.2
Die Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen
Mitgliedstaat stehe in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der
Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, ist jedoch nicht unwiderleglich. Nicht
ausgeschlossen werden kann nämlich, dass das Gemeinsame Europäische
Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten
Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass
Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise
behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist (EuGH, Urteil
vom 21.12.2011, a.a.O.).
23 Eine Widerlegung der Vermutung wurde vom EuGH mit Blick auf die gewichtigen
Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems indes an hohe Hürden
geknüpft. Nicht jeder vereinzelte Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin-II-VO
und nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts - wie etwa von Art. 4 GRCh /
Art. 3 EMRK - durch den zuständigen Mitgliedstaat vermag die Überstellung eines
Asylbewerbers an den laut Dublin-II-VO eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zu
vereiteln und das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage zu stellen. Das
Zuständigkeitssystem ist nach der Rechtsprechung des EuGH vielmehr nur dann
auszusetzen, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden
Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel des
Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem an
sich zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe
für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer
unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh / Art.
3 EMRK ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O.; Urteil vom
10.12.2013 - C-394/12 -, juris; Urteil vom 14.11.2013 - C 4/11 -, juris). Diese
Rechtsprechung ist auch in die Neufassung von Art. 3 Abs. 2 VO (EU) Nr.
604/2013 (v. 26.06.2013 - Dublin-III-VO) eingeflossen.
24 Die sich aus dieser EuGH-Rechtsprechung ergebenden Anforderungen an das
deutsche verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht
(Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, juris) dahingehend zusammengefasst,
dass sich der Tatrichter im Rahmen der Amtsermittlung zur Widerlegung der auf
dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden
Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in
Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer
Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1
Satz 1 VwGO) verschaffen muss, dass der Asylbewerber wegen systemischer
Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich
zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit
einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die
Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb
voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen
Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind,
dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu
entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche
oder erniedrigende Behandlung droht. (Nur) dann scheidet eine Überstellung an
den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus.
25 Wesentliche Kriterien für die zu treffende Feststellung, dass eine unmenschliche
oder erniedrigende Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK, der mit Art. 4
GRCh übereinstimmt. In seinem Urteil vom 21.01.2011 (M.S.S./Belgien und
Griechenland - Nr. 30696/09 -, NVwZ 2011, 413) hat der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte eine Überstellung nach Griechenland als nicht mit Art. 3
EMRK vereinbar angesehen, da Asylbewerber dort systematisch ohne Angabe
von Gründen in Haftzentren untergebracht würden. Es gebe auch zahlreiche
übereinstimmende Zeugenaussagen zu überfüllten Zellen, Schlägen durch
Polizisten und unhygienischen Bedingungen in dem Haftzentrum neben dem
internationalen Flughafen von Athen. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer
monatelang und ohne Perspektive in extremer Armut gelebt habe und außer
Stande gewesen sei, für seine Grundbedürfnisse - Nahrung, Hygieneartikel und
eine Unterkunft - aufzukommen. Er sei über Abhilfemöglichkeiten nicht
angemessen informiert worden und habe in der ständigen Angst gelebt,
angegriffen beziehungsweise überfallen zu werden. Art. 3 EMRK allein verpflichte
die Vertragsstaaten zwar nicht, Flüchtlinge in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet mit
einer Wohnung zu versorgen, sie finanziell zu unterstützen oder ihnen einen
bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Etwas anderes gilt aber ausweislich
des EGMR, wenn der jeweilige Staat auf Grund bindender rechtlicher Vorgaben
die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer
materiellen Grundausstattung hat, wie hier nach der Richtlinie 2013/33/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung von
Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen
(ABl. L 180/96 - Aufnahmerichtlinie -), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie
2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 (ABl. L 31/18) ersetzt hat. Die genannten
Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den
Mitgliedstaaten festgelegt. Hier sind die konkreten Anforderungen an die
festzustellende Schwere der Schlechtbehandlung niedriger anzusetzen (so nun
auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; OVG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris).
26 Aus dem Gesagten ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr
einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh
bzw. Art. 3 EMRK liegt im Hinblick auf die Asylverfahren nur dann vor, wenn mit
Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses
Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale,
nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr
besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der
Dublin-II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, schon der Zugang zu
einem Asylverfahren verwehrt oder massiv erschwert wird, dass das Asylverfahren
an grundlegenden Mängeln leidet oder dass der Betroffene während der Dauer
des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den
notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B.
Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch
zumutbarer Weise befriedigen kann.
27
2.
Trotz der in Teilen weiterhin defizitären Umsetzung der in Italien bestehenden
asylrelevanten Regelungen durch die italienischen Behörden und der nach wie vor
bestehenden Mängel in Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern in
Italien sind zur Überzeugung der Kammer auf der Grundlage einer ausführlichen
Auswertung der vorliegenden Erkenntnismitteln (vgl. zum Folgenden AA, Auskunft
an VG Freiburg vom 11.07.2012; Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom
21.01.2013; Auskunft an VG Darmstadt vom 29.11.2011; Consiglio Italiano per i
Rifugiati / European Council on Refugees and Exiles, Asylum Information
Database, National Country Report Italy, Mai 2013, Update November 2013,
verfügbar unter http://www.asylumineurope.org/files/report-
download/italy_aida_report_first_update_final_dec13.pdf - CIR/ecre, National
Country Report Italy -; UNHCR, Gutachten an VG Freiburg, 12/2013;
Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien, 07/2013 -
UNHCR, Empfehlungen 2013 -; SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, 10/2013;
borderline-europe e.V., Gutachten an VG Braunschweig, 12/2012; Associazione
per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione, Die derzeitige Situation von Asylbewerbern
in Italien, 20.11.2012 - ASGI, Asylbewerber in Italien -) zum
entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die strengen
Voraussetzungen, die nach dem oben Gesagten für die Annahme einer
Eintrittspflicht der Beklagten erfüllt sein müssten, nicht gegeben. Es steht nicht
ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und / oder die
Aufnahmebedingungen in Italien derart grundlegende Mängel aufweisen, dass mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung der an Italien im Rahmen der Dublin-II-Verordnung überstellten
Asylbewerber zu erwarten steht (in diesem Sinne auch VGH Bad.-Württ., Urteil
vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom
02.10.2013 - 3 L 643/12 -, milo; Beschluss vom 14.11.2013 - 4 L 44/13 -, juris;
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.06.2013 - 7 S 58/13 -, juris; OVG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.02.2014 - 20 A 10656/13 -, juris; OVG Nieders.,
Beschluss vom 30.01.2014 - 4 LA 167/13 -, juris; Beschluss vom 18.03.2014 - 13
LA 75/13 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -,
juris).
28 Denn Italien verfügt über ein ausdifferenziertes Asylverfahrensrecht und konkrete
Regelungen betreffend die Aufnahme von Flüchtlingen (2.1). Auch wenn die
diesbezüglichen Regelungen in der Praxis mitunter defizitär angewendet werden,
sind die hierbei zutage tretenden Mängel jedenfalls gegenwärtig nicht von einer
Tragweite, die das Vorliegen systemischer Mängel implizierte (2.2).
29 Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob die Anforderungen an das
Vorliegen systemischer Mängel in den Fällen, in denen der Betroffene - wie hier
der Kläger - in dem nach der Dublin-Verordnung zuständigen Staat bereits ein
Asylverfahren durchlaufen hat, sogar noch strengere Anforderungen zu stellen
sind (in diese Richtung VG Potsdam, Beschluss vom 14.11.2013 - 6 L 767/13.A -,
juris).
30
2.1.
Das italienische Rechtssystem sieht ein ausdifferenziertes Asylverfahren vor.
Die italienische Verfassung kennt ein Grundrecht auf Asyl (Art. 10 Abs. 3);
daneben bestehen verschiedene Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetze.
Die gesetzlichen Regelungen gelten auch für - hier relevante und daher zuvörderst
in die Betrachtungen einzubeziehende - Überstellungen nach der Dublin-II-
Verordnung; Besonderheiten bestehen insoweit nicht (AA, Auskunft an VG
Darmstadt vom 29.11.2011; Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012; Auskunft
an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
31
2.1.1
Das Asylverfahren läuft in mehreren Schritten ab:
32
2.1.1.1
Asylgesuche werden beim Polizeipräsidium (questura) oder bei dem
Grenzschutz (polizia di frontiera) entgegengenommen; eine inhaltliche
Überprüfung des Gesuchs, das an keine Form gebunden ist, findet nicht statt
(ASGI, Asylbewerber in Italien). Im Zusammenhang mit der Stellung des
Schutzersuchens findet eine erkennungsdienstliche Behandlung
(fotosegnalamento) statt (CIR/ecre, National Country Report Italy; AA, Auskunft an
OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013). Antragsteller, deren Anträge vom
Grenzschutz aufgenommen worden sind, erhalten ein Schreiben, in dem sie an die
zuständige „Questura“ weiterverwiesen werden (verbale di invito).
33
2.1.1.2
Die förmliche Erfassung des Asylantrags (verbalizzazione) mittels „C3-
Formular“ (verbale) erfolgt durch die örtlich zuständige „Questura“, die dem
Asylsuchenden eine Bescheinigung über den Erstantrag sowie eine
Aufenthaltserlaubnis (permesso di soggiorno) ausstellt (CIR/ecre, National Country
Report Italy; borderline-europe e.V., Gutachten an VG Braunschweig, 12/2012).
Eine gesetzliche Frist, innerhalb derer die Verbalizzazione zu erfolgen hat, existiert
nicht (CIR/ecre, National Country Report Italy). Außerdem soll der Asylbewerber
dort mit einer Informationsbroschüre in einer nach Möglichkeit für den
Asylbewerber verständlichen Sprache über den Gang des Asylverfahrens, seine
Rechte und Pflichten und den Zugang zum Gesundheitssystem informiert werden
(CIR/ecre, National Country Report Italy; AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt
vom 21.01.2013). Ferner ist dem Asylsuchenden in jeder Phase des
Asylverfahrens der Kontakt zum UNHCR und Nichtregierungsorganisationen zu
ermöglichen (CIR/ecre, National Country Report Italy).
34
2.1.1.3
Nach der Verbalizzazione wird der Fall an die jeweilige für die Region
verantwortliche, dem Innenministerium unterstehende Kommission (Commissione
territoriale per il riconoscimento dello status di rifugiato) übergeben, deren
Mitglieder sich aus zwei Bediensteten des Innenministeriums, einem Vertreter
einer lokalen Behörde (Kommune, Provinz oder Region) sowie einem UNHCR-
Vertreter zusammensetzen (UNHCR, Gutachten an VG Freiburg, 12/2013;
borderline-europe e.V., Gutachten an VG Braunschweig, 12/2012). Bestandteil des
Verfahrens ist eine nicht-öffentliche persönliche Anhörung des Asylbewerbers, die
laut Gesetz innerhalb von 30 Tagen stattfinden soll und zu der ein Dolmetscher
hinzugezogen wird (CIR/ecre, National Country Report Italy; ASGI, Asylbewerber
in Italien). In bestimmten Fällen (etwa offensichtlich begründeter Asylanträge)
findet ein beschleunigtes Verfahren statt (esame prioritario). Die abschließende
Entscheidung soll binnen drei, im beschleunigten Verfahren binnen zwei Tagen
nach der Anhörung ergehen.
35 Während des Asylverfahrens haben die Asylbewerber Anspruch auf sprachliche
und kulturelle Übersetzungsdienste. Sie haben das Recht, sich auf eigene Kosten
von einem Rechtsanwalt beraten und vertreten zu lassen (CIR/ecre, National
Country Report Italy; AA, Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012; ASGI,
Asylbewerber in Italien).
36
2.1.1.4
Gegen einen ablehnenden Bescheid können Asylbewerber innerhalb von
30 Tagen, Bewohner von CIE (Centro di Identificazione ed Espulsione) und CARA
(centro die accoglienza per richiedenti asilo) grundsätzlich innerhalb von 15 Tagen
nach Zustellung durch das hierfür zuständige Polizeipräsidium (questura) vor
einem ordentlichen Gericht (Tribunale Ordinario) Widerspruch einlegen. Der
Widerspruch hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung; entfällt im Ausnahmefall,
etwa bei als unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgelehnten
Asylanträgen, die aufschiebende Wirkung, kann der Antragsteller bei Gericht das
Aussetzen der Rechtswirkung der erstinstanzlichen ablehnenden Entscheidung
beantragen (CIR/ecre, National Country Report Italy; ASGI, Asylbewerber in
Italien). Bestandteil des gerichtlichen Verfahrens ist eine (nicht-öffentliche)
Anhörung des Asylbewerbers (CIR/ecre, National Country Report Italy; UNHCR,
Gutachten an VG Freiburg, 12/2013). Das Gesamtverfahren einschließlich
Widerspruch gegen einen ablehnenden Bescheid soll nicht länger als sechs
Monate dauern (AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
37
2.1.1.5
Gegen die erstinstanzliche Entscheidung ist der Instanzenweg (Berufung,
Revision) eröffnet (CIR/ecre, National Country Report Italy; AA, Auskunft an VG
Freiburg vom 11.07.2012); insoweit findet keine automatische Aussetzung der
Wirksamkeit der richterlichen Entscheidung statt, eine solche kann jedoch auf
Antrag vom angerufenen Gericht gewährt werden (ASGI, Asylbewerber in Italien).
38
2.1.1.6
Während des Gerichtsverfahrens besteht die Möglichkeit der
Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe; diese ist vom Nachweis der
Vermögensverhältnisse sowie der Prüfung der Erfolgsaussichten des Prozesses
durch das zuständige Gericht abhängig (CIR/ecre, National Country Report Italy;
AA, Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012; ASGI, Asylbewerber in Italien).
39
2.1.1.7
Asylbewerber haben die Möglichkeit, nach negativem Abschluss ihres
Asylverfahrens bei der Questura einen Folgeantrag zu stellen. Dieser wird nach
der Verbalizzazione von derjenigen Commissione territoriale, die auch für den
Erstantrag zuständig war, daraufhin überprüft, ob der Asylantragsteller neue
Gesichtspunkte betreffend seine eigene Person oder die Umstände im Heimatland
vorbringt. Ist dies nicht der Fall, wird der Asylfolgeantrag als unzulässig abgelehnt;
gegen die Ablehnungsentscheidung steht der Rechtsweg einschließlich der
Möglichkeit des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes offen
(CIR/ecre, National Country Report Italy). Andernfalls tritt die Commissione
territoriale in eine erneute Prüfung ein. Hierfür enthält das italienische Recht keine
besonderen Vorschriften, vielmehr gelten die gleichen gesetzlichen Regelungen
und Verfahrensgarantien wie für das Asylerstverfahren (CIR/ecre, National Country
Report Italy; zur Möglichkeit, in Italien einen Folgeantrag zu stellen, vgl. auch VG
Minden, Urteil vom 20.01.2014 - 10 K 1096/13.A -, juris; VG Aachen, Beschluss
vom 03.04.2014 - 7 L 165/14.A -, juris).
40
2.1.2
Auch hinsichtlich der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende enthält das
italienische Recht umfangreiche Regelungen.
41
2.1.2.1
Im Hinblick auf die Unterbringung von Asylbewerbern ist geregelt, dass
diese, falls sie nicht selbst ihren Lebensunterhalt für sich und ihre
Familienangehörigen finanzieren können, einen entsprechenden Antrag stellen
können, der von der Präfektur (prefettura) bearbeitet wird (CIR/ecre, National
Country Report Italy; ASGI, Asylbewerber in Italien). Die Präfektur weist den
Asylbewerbern dann Plätze zu.
42 Italien verfügt über unterschiedliche Unterbringungsmodalitäten für Asylbewerber
(ausführlich dazu borderline-europe e.v., Gutachten an VG Darmstadt, 12/2012;
SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, 10/2013; CIR/ecre, National Country Report
Italy). CARA-Erstaufnahmeeinrichtungen (centro di accoglienza per richiedenti
asilo) sind von Gesetzes wegen nur für den vorübergehenden (maximal 35 Tage)
Aufenthalt von Asylbewerbern mit ungeklärter Identität in erster Linie zum Zwecke
der Identitätsklärung vorgesehen (CIR/ecre, National Country Report Italy; AA,
Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013); ähnliche Funktionen erfüllen
CIE (Centro die identificazione ed espulsione). Daneben gibt es CDAs (Centro di
accoglienza per Richiedenti Asilo), die ebenfalls Erstaufnahmeeinrichtungen sind
und dem kurzfristigen Aufenthalt u.a. auf dem Staatsterritorium aufgegriffenen
Migranten dienen. CSPA (Centro di Soccorso e Prima Accoglienza) dienen nur der
Aufnahme von Bootsflüchtlingen. Für den längerfristigen (normalerweise bis zu 6-
monatigen) Aufenthalt von Asylbewerbern vorgesehen sind die Unterkunftsplätze
in SPRAR (Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati), einem Netzwerk
von durch Kommunen, Kirchen, kirchliche Einrichtungen sowie sonstige
Hilfsorganisationen betriebenen Unterkünften, das seine Grundlage in einer
Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium, den Kommunen und den
beteiligten nichtstaatlichen Organisationen hat.
43 Ist in diesen Unterkünften kein Platz vorhanden, sieht das Gesetz vor, dass den
Asylbewerbern bis zum Freiwerden eines Platzes finanzielle Unterstützung
gewährt wird.
44 Zugang zu den Einrichtungen besteht für Asylbewerber von Gesetzes wegen
bereits ab dem Zeitpunkt des Asylgesuchs (SFH, Italien: Aufnahmebedingungen,
10/2013). In den Erstaufnahmeeinrichtungen (CARA, CDA, CSPA) werden den
Asylbewerbern Essen, Unterkunft, Kleidung, erste Hilfe sowie grundlegende
Informationen gewährt (AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013);
SPRARs sind besser ausgestattet und gewähren darüber hinaus etwa
Dolmetscherdienste und Gesundheitsfürsorge (CIR/ecre, National Country Report
Italy; AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013). Daneben wird den
Asylbewerbern ein Taschengeld für persönliche Bedürfnisse gezahlt, das in CARA
2,50 Euro/Tag beträgt und in SPRAR in unterschiedlicher Höhe von etwa 2,00
Euro/Tag gewährt wird (CIR/ecre, National Country Report Italy).
Unterstützungsleistungen können durch die Präfektur gestrichen werden, wenn
sich der Asylberechtigte nicht in die zugewiesene Unterkunft begibt oder diese
unerlaubt verlässt; hiergegen ist Rechtsschutz möglich (CIR/ecre, National Country
Report Italy).
45 Wird das Asylverfahren nicht binnen sechs Monaten abgeschlossen, erhalten
Asylbewerber im Anschluss an ihren zunächst auf sechs Monate befristeten
Aufenthaltstitel einen erneuten Aufenthaltstitel, der ihnen die Möglichkeit der
Arbeitsaufnahme gewährt und bis zum Ende des Asylverfahrens verlängert wird
(CIR/ecre, National Country Report Italy; UNHCR, Gutachten an VG Freiburg,
12/2013). Unterbringung und Versorgungsleistungen werden ebenfalls
entsprechend verlängert (AA, Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012; Auskunft
an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
46 Legt der Asylbewerber Rechtsmittel gegen die Ablehnung seines Asylantrags ein,
wird seine Aufenthaltserlaubnis verlängert (ASGI, Asylbewerber in Italien).
Allerdings muss er die Aufnahmeeinrichtung verlassen, wenn er arbeitsfähig ist
(borderline-europe e.V., Gutachten an VG Braunschweig, 12/2012).
47 Haben Dublin-Rückkehrer bereits während ihres ersten Asylverfahrens Platz in
einer Aufnahmeeinrichtung gefunden, steht ihnen kein Recht zu, nach ihrer
Rückführung nach Italien bis zum Abschluss des Asylerstverfahrens erneut dort
untergebracht zu werden; dies schließt es nicht aus, dass sie bei freien
Kapazitäten einen Platz etwa in einem SPRAR erhalten (CIR/ecre, National
Country Report Italy; borderline-europe e.v., Gutachten an VG Braunschweig,
12/2102). Gleiches gilt für Folgeantragsteller (CIR/ecre, National Country Report
Italy).
48
2.1.2.2
Asylbewerber sind vom Zeitpunkt der Registrierung ihres Asylgesuchs
zusammen mit ihren Familienmitgliedern über die gesetzliche
Krankenversicherung versichert und sind italienischen Staatsbürgern
gleichgestellt; sie haben Anspruch auf kostenlose Gesundheitsversorgung
(CIR/ecre, National Country Report Italy). Hierfür ist die Anmeldung mit
Aufenthaltstitel, der Steuernummer sowie einer festen Adresse beim nationalen
Gesundheitsdienst (Servizio Sanitario Nazionale) erforderlich, welcher einen zur
ambulanten oder stationären Behandlung berechtigenden Gesundheitsausweis
ausstellt (AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; AA, Auskunft an
VG Freiburg vom 11.07.2012; Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
Diese kostenfreie medizinische Versorgung steht auch Personen zu, die nicht in
einer staatlichen Unterkunft wohnen (AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom
21.01.2013).
49
2.1.2.3
Zur Durchsetzung einer Unterbringung und Mindestversorgung besteht
möglicherweise (genau ist dies den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht zu
entnehmen) prinzipiell die Möglichkeit, gerichtlichen Rechtsschutz vor ordentlichen
Gerichten in Anspruch zu nehmen (AA, Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012).
Einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch (etwa mittels einstweiliger
Anordnung) auf einen Unterbringungsplatz gibt es indes nicht (AA, Auskunft an VG
Minden vom 24.05.2013), und auch im Übrigen gibt es jedenfalls keine
Informationen darüber, dass von Asylbewerbern Rechtsschutz zur Durchsetzung
ihrer Ansprüche auf Mindestversorgung in Anspruch genommen worden wäre (AA,
Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012).
50
2.1.2.4
Im Falle einer Abschiebung werden abgelehnte Asylbewerber zunächst
aufgefordert, das Land zu verlassen; geschieht dies nicht, werden sie in eine
Abschiebhaftanstalt verbracht. Vor der Abschiebung muss ein Richter auf
Grundlage eines Gesprächs mit dem Häftling die Rechtmäßigkeit des
Ausreisebescheids prüfen. Dem Häftling wird bei diesem Gespräch ein
Rechtsanwalt und ein Dolmetscher zur Seite gestellt. Ferner besteht in der
Abschiebehaft die Möglichkeit, rechtliche Informationen einzuholen und an
Sprachkursen teilzunehmen. Psychologischer sowie ärztlicher Beistand werden
gewährleistet (AA, Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012).
51
2.1.3
Aus dieser Darstellung ergibt sich, dass die rechtlichen Regelungen, das
Asylverfahren und die Aufnahme von Asylbewerbern betreffend, in Italien den an
sie zu stellenden Anforderungen durchweg gerecht werden. Diese Bewertung
steht in Übereinstimmung mit der aktuellen Erkenntnismittellage. Auch wenn hier
die tatsächliche Situation mitunter sehr kritisch beurteilt wird, werden die
bestehenden gesetzlichen Vorgaben nur vereinzelt und nur im Hinblick auf
vergleichsweise wenig gewichtige Punkte - etwa recht kurze Rechtsmittelfristen
(vgl. dazu etwa CIR/ecre, National Country Report Italy; ASGI, Asylbewerber in
Italien) - kritisiert. Es besteht daher keinerlei Anlass für die Annahme, bereits die
rechtlichen Rahmenbedingungen implizierten systemische Mängel, aufgrund derer
anzunehmen wäre, dass dort dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden
Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Italien eine unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung drohe.
52
2.2
Die rechtlichen Vorgaben werden in der Praxis jedoch nicht durchgängig
eingehalten. Vielmehr verweisen etwa der UNHCR, die Schweizerische
Flüchtlingshilfe, borderline-europe e.V., der European Council on Refugees and
Exiles und das Consiglio italiano per i Rifugiati, in abgeschwächter Form auch das
Auswärtige Amt auf verschiedene Mängel sowohl betreffend den Zugang
Asylsuchender zum Asylverfahren und dessen Ablauf als auch betreffend die
Aufnahmebedingungen, insbesondere die Unterbringung und (gesundheitliche)
Versorgung der Asylbewerber in Italien.
53 Rückblickend gesehen war das italienische Aufnahmesystem jedenfalls auf die
erheblichen Flüchtlingsströme in den Jahren 2008 und 2011 nicht hinreichend
vorbereitet; es gibt gravierende Hinweise darauf, dass in dieser Zeit wiederholt
Asylbewerber ohne Prüfung ihres Asylbegehrens oder während noch laufender
Rechtsmittelfristen und damit unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot in ihre
Herkunftsländer abgeschoben wurden und ferner viele Asylbewerber in Italien
keinen Zugang zu den völlig überlasteten Unterkünften hatten, der
Obdachlosigkeit anheimfielen und keinerlei staatliche Unterstützung, etwa im
Hinblick auf Nahrung und Kleidung oder Zugang zu medizinischer Versorgung,
erlangen konnten (vgl. dazu etwa SFH, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen
in Italien, 05/ 2011; Bethke/Bender, „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“,
02/2011; Norwegian Organization für Asylum Seekers, The Italian approach to
asylum: System and core problems“, 04/2011, sowie weitere, von der Kammer im
Beschluss vom 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -, juris zitierte Quellen). Dem entspricht
es, wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung berichtet hat, er habe
während der Durchführung des Asylerstverfahrens zu keinem Zeitpunkt staatliche
Unterstützung in irgend einer Form erhalten, ihm sei insbesondere nie ein Platz in
einer Unterkunft zugewiesen worden, und er sei nur deshalb nicht obdach- und
völlig mittellos gewesen, weil er auf eigene Initiative bei Landsleuten habe
unterkommen und für diese zeitweise gegen Unterkunft und Mahlzeiten habe
arbeiten und eine Adresse für die behördliche Erreichbarkeit habe angeben
können.
54 Die italienischen Behörden haben auf die teilweise chaotischen Zustände
zwischenzeitlich jedoch, etwa durch Verbesserungen im Verfahren oder auch die
massive Erweiterung der zur Verfügung stehenden Unterkünfte (dazu im
Einzelnen s.u.), reagiert. Auch die gegenwärtige Situation weist Mängel wie
administrative Hürden, zeitliche Verzögerungen sowie Engpässe bei den
Unterkünften auf, die allerdings als weniger schwerwiegend einzustufen sind und
die Schwelle zum systemischen Mangel weder für sich genommen noch im
Zusammenspiel überschreiten. Vielmehr ist in der Gesamtschau des vorliegenden
Erkenntnismaterials davon auszugehen, dass das Asyl- und Aufnahmeverfahren
im wesentlichen richtlinienkonform verläuft und grundsätzlich funktionsfähig ist und
dabei insbesondere hinreichend sicherstellt, dass im Rahmen des Dublin-
Verfahrens rücküberstellte Asylbewerber, die, wie der Kläger, nicht etwa aufgrund
Alters, gesundheitlicher Beeinträchtigungen oder sonstiger besonderer in ihrer
Person liegender Umstände besonders schutzwürdig sind, bei normalem Verlauf
der Dinge nicht mit schwerwiegenden Verstößen oder Rechtsbeeinträchtigungen
im Sinne von Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh rechnen müssen.
55 Im Einzelnen:
56
2.2.1
In jüngerer Zeit sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes (Auskunft an
OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013) keine Fälle mehr bekannt geworden, in
denen Flüchtlingen und Asylsuchenden die Einreise nach Italien oder der
Aufenthalt in Italien verweigert worden oder Flüchtlinge und Asylsuchende ohne
die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, in ihren Herkunftsstaat oder ein
Drittland zurückgeführt worden wären; auch sind dem Auswärtigen Amt keine Fälle
neueren Datums bekannt, in denen Asylbewerber trotz laufender Asylverfahren
abgeschoben worden wären. Jedenfalls gegenwärtig lässt sich daher nicht mehr
feststellen, dass in Italien der Anspruch Schutzsuchender auf Durchführung eines
ordnungsgemäßen Asylverfahrens generell oder auch nur regelmäßig vereitelt
würde (OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.10.2013 - 3 L 643/12 -, milo). Ebenso
wenig lässt sich den vorliegenden Erkenntnismitteln entnehmen, dass
Asylbewerbern nach erfolglosem Abschluss ihres Asylerstverfahrens die Stellung
eines Asylfolgeantrags verweigert worden wäre.
57
2.2.2
Eine Feststellung, die in den vorliegenden Erkenntnismitteln fast durchgängig
bemängelt wird, ist die oftmals lange Verfahrensdauer. Diese rechtfertigt jedoch
gegenwärtig nicht (mehr) die Feststellung systemischer Mängel.
58
2.2.2.1
Das Asylverfahren dauert in vielen Regionen regelmäßig etwa 6 bis 10
Monate, während die gesetzlichen Vorgaben vorsehen, dass die Anhörung des
Asylbewerbers binnen 30 Tagen erfolgen, die behördliche Entscheidung binnen
weiterer 3 Tagen ergehen soll (CIR/ecre, National Country Report Italy; ASGI,
Asylbewerber in Italien; UNHCR, Auskunft an VG Freiburg, 12/2013; UNHCR,
Auskunft an VG Freiburg, 12/2013). Dieser Umstand hat indes auf die
Asylbewerber regelmäßig keine gravierenden Auswirkungen, weil auch
Unterbringung und Versorgungsleistungen sowie der Aufenthaltstitel entsprechend
verlängert werden (AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013).
59
2.2.2.2
Anders ist dies, wenn sich die Ausstellung der Verbalizzazione verzögert.
60
2.2.2.2.1
Vom Asylgesuch bis zur Ausstellung der Verbalizzazione dauert es nach
einhelliger Erkenntnislage (etwa CIR/ecre, National Country Report Italy; UNHCR,
Auskunft an VG Freiburg, 12/2013; SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, 10/2013;
borderline-europe e.V., Gutachten an VG Braunschweig, 12/2012; vgl. auch AA,
Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 11.09.2013) nach wie vor oftmals mehrere
Wochen, mitunter, insbesondere in größeren Städten wie Rom oder Mailand, auch
mehrere Monate. Diese Verzögerung beruht mitunter auf fehlenden personellen
Kapazitäten. Etwa in Mailand oder Rom liegt sie aber auch darin begründet, dass
die dortigen Questure systematisch eine Wohnbestätigung oder den Nachweis
einer Adresse als Voraussetzung für die Einreichung eines Asylgesuchs
verlangen (UNHCR, Auskunft an VG Freiburg, 12/2013; SFH, Italien:
Aufnahmebedingungen, 10/2013), eine (gesetzlich nicht vorgesehene)
Anforderung, die Asylbewerber mitunter nur dann erfüllen können, wenn ihnen
Nichtregierungsorganisationen „virtuelle“ Adressen zur Verfügung stellen oder sie
Leute dafür bezahlen, dass diese ihnen eine (fiktive) Wohnbestätigung ausstellen
(SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, 10/2013). Diese Wartezeit bis zur
Ausstellung der Verbalizzazione führt zu erheblichen Schwierigkeiten für die
Asylbewerber. Denn in der Zwischenzeit haben sie Anspruch nur auf medizinische
Notfallversorgung (CIR/ecre, National Country Report Italy). In der Praxis haben sie
ferner vor Ausstellung der Verbalizzazione keinen Zugang zu CARA- oder
SPRAR-Unterkünften, auch wenn von Gesetzes wegen der Zugang zu Unterkunft
ab dem Moment der Stellung des Asylgesuchs zu gewährleisten wäre (CIR/ecre,
National Country Report Italy; UNHCR, Auskunft an VG Freiburg, 12/2013; SFH,
Italien: Aufnahmebedingungen, 10/2013; borderline-europe e.V., Gutachten an VG
Braunschweig, 12/2012; vgl. auch AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom
11.09.2013). In diesen Fällen sind alternative Maßnahmen zur Sicherung des
Lebensunterhalts von Asylsuchenden selten verfügbar, die Asylsuchenden sind
vielmehr oftmals auf sich selbst gestellt und häufig obdachlos (UNHCR, Auskunft
an VG Freiburg, 12/2013; SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, 10/2013;
borderline-europe e.V., Gutachten an VG Braunschweig, 12/2012). Allerdings wird
dieses Problem von Nichtregierungsorganisationen und kirchlichen
Organisationen erkannt, die hier im Rahmen ihrer Möglichkeiten, etwa durch die
Vermittlung von provisorischen (Not-)Unterkünften, tätig werden (AA, Auskunft an
VG Minden vom 24.05.2013).
61 Dass Asylbewerber diese Verzögerungen vor einem Gericht angefochten oder
überhaupt vorläufigen Rechtsschutz beantragt hätten, ist weder dem Auswärtigen
Amt (Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012) noch dem UNHCR (Auskunft an
VG Freiburg, 12/2013; UNHCR, Empfehlungen 2013) bekannt. Die Praxis der
Questura Mailand, eine Wohnbestätigung zu verlangen, wurde bereits von
Hilfsorganisationen angefochten (AA, Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012),
vom zuständigen Gericht jedoch gebilligt (SFH, Italien: Aufnahmebedingungen,
10/2013).
62
2.2.2.2.2
Von den Schwierigkeiten infolge der erheblichen Wartezeit bis zur
Ausstellung der Verbalizzazione sind grundsätzlich auch Dublin-Rückkehrer
betroffen. Diese treffen in der Regel auf dem Luftweg in Italien ein. Nach einer
erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung durch die Polizei erfolgt die
Feststellung, welche Questura für die Person zuständig ist und wie der Stand des
Verfahrens ist. Davon, ob der Asylbewerber während des laufenden
Asylverfahrens Italien verlassen oder ob er in Italien nie ein Asylverfahren
durchgeführt bzw., wie der Kläger, das Asylverfahren dort rechtskräftig
abgeschlossen hat, hängt der weitere Ablauf ab:
63 Dublin-Rückkehrer, die sich noch im Asylverfahren befinden, erhalten nach
Auskunft des Auswärtigen Amtes (Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom
11.09.2013; Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.08.2013) umgehend eine
Unterkunft in einem entsprechenden Aufnahmezentrum zugewiesen, die ihnen
von den auf dem Flughafen tätigen Nichtregierungsorganisationen vermittelt
werde. Laut UNHCR hat diese Personengruppe in der Regel Zugang zu
Transitunterbringungseinrichtungen (Auskunft an VG Freiburg, 12/2103). Laut
Schweizerischer Flüchtlingshilfe (Italien: Aufnahmebedingungen, 10/2013) erfolgt
die Unterbringung in einem FER-Projekt, soweit freie Plätze bestehen. Sind für sie
nicht die Präfekturen Rom bzw. Varese zuständig, gilt diese
Unterkunftsmöglichkeit nur für wenige Tage, bis sie in die für sie zuständige
Region weiterreisen, um sich dort bei der Questura zu melden und von dieser
einen Berechtigungsschein für ein CARA zu erhalten. Laut borderline-europe e.V.
(Gutachten an VG Braunschweig, 12/2012) gibt es in der Praxis immer wieder
Schwierigkeiten mit der Ausstellung dieses Scheins; auch stünden mitunter nicht
genügend Plätze zur Verfügung. Plätze in einem SPRAR könnten außerdem nur
dann in Anspruch genommen werden, wenn der Betreffende vor seiner Ausreise
keinen Platz dort in Anspruch genommen habe.
64 Für Dublin-Rückkehrer, die sich, wie der Kläger, noch nicht oder nicht mehr in
einem Asylverfahren befinden, etwa für diejenigen, die vor ihrer Asylantragstellung
in einem anderen Land durch Italien gereist sind, ohne dort einen Asylantrag
gestellt zu haben, erfolgt die Zuweisung der Unterkunft dagegen grundsätzlich, wie
bei anderen Asylbewerbern auch, erst nach der Verbalizzazione, die auch für
diese Gruppe mitunter erst nach Wochen oder Monaten erfolgt (so ausdrücklich
UNHCR, Auskunft an VG Freiburg, 12/2013; SFH, Italien: Aufnahmebedingungen,
10/2013; borderline-europe e.V., Gutachten an VG Braunschweig, 12/2012; vgl.
auch AA, Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012); eine frühere Möglichkeit, in
eine FER-Unterkunft oder ein CARA zugewiesen zu werden, hängt von freien
Kapazitäten ab (SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, 10/2013). Borderline-europe
(a.a.O.) berichtet davon, von den Dublin-Rückkehrern, die über Rom eingereist
seien, hätten nur knapp 8% eine CARA- oder SPRAR-Unterkunft erhalten, weitere
etwa 12% eine Kurzzeitunterkunft, um sich von dort aus zu den für sie zuständigen
Questure zu begeben. Allerdings bemühen sich die am Flughafen zuständigen
Hilfsorganisationen, dem Betreffenden zumindest eine Übergangs- oder
Notunterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung zu besorgen; sollte
dies nicht umgehend möglich sein, müssen Dublin-Rückkehrer unter Umständen
einige Tage am Flughafen verbleiben und dort, zwar ohne besondere
Schlafplätze, offenbar aber geduldet, übernachten (SFH, Aufnahmebedingungen,
10/2013; UNHCR, Empfehlungen 2013; AA, Auskunft an OVG Nordrhein-
Westfalen vom 11.09.2013). Nicht ausgeschlossen ist in diesem Zusammenhang
indes, dass die Nichtregierungsorganisationen nicht rechtzeitig von der Ankunft
von Dublin-Rückkehrern informiert werden und diese daher keine besondere
Betreuung am Flughafen erfahren (SFH, a.a.O.).
65
2.2.2.2.3
Der Umstand, dass der Zugang zu Unterkünften in der Praxis
italienischer Behörden von der Ausstellung der Verbalizzazione abhängt und
deren Ausstellung zeitlich jedenfalls in der Behördenpraxis (noch) nicht an das
Asylgesuch geknüpft ist, ist sicherlich ein gravierender Mangel, der auch im
System angelegt ist und grundsätzlich - wenn infolge der intensiveren Betreuung
am Flughafen in möglicherweise geringerem Maße - auch Dublin-Rückkehrer wie
den Kläger betrifft. Allerdings hat die italienische Regierung dieses Problem
erkannt und sich dessen angenommen. So hat im Februar 2013 das italienische
Innenministerium eine Weisung an die Questure herausgegeben, wonach die
Verbalizzazione zeitlich mit der Asylgesuchsstellung zusammenfallen soll, und
versucht, durch ein neues Onlinesystem (VESTANET) die Bearbeitung der
Asylgesuche zu beschleunigen, die Bearbeitung von Einzelfällen im gesamten
Verfahren zu verbessern, die Zeit zwischen dem erstmaligen Asylgesuch und der
formalen Registrierung des Antrags zu überwachen und Verzögerungen
umgehend entgegenzuwirken (SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, 10/2013;
UNHCR, Auskunft an VG Freiburg, 12/2013; CIR/ecre, National Country Report
Italy). Im Report von CIR/ecre (a.a.O.) heißt es, die italienischen Behörden hätten
insoweit wichtige Anstrengungen unternommen, um den förmlichen Zugang zum
Asylverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Auch der UNHCR (a.a.O.)
spricht insoweit von „positiven Entwicklungen“. Seinen jüngsten Empfehlungen zu
wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien (07/2013) lässt sich zwar
entnehmen, dass es immer wieder zu wochen- oder auch monatelangen
Verzögerungen bis zur Erstellung der Verbalizzazione kommt; wenn der UNHCR
insoweit jedoch von „einigen Fällen“ oder auch Schwierigkeiten „in einigen
regionalen Polizeidirektionen“ spricht, so handelt es sich gegenwärtig nicht mehr
um größere Funktionsstörungen oder regelhafte Defizite, die das Asylverfahren in
ihrer Gesamtheit prägen, sondern um - freilich in ihren Auswirkungen zulasten der
Betroffenen keinesfalls zu unterschätzende - partielle Überlastungen oder
verwaltungstechnische Missstände. Und auch insoweit ist davon auszugehen,
dass sich die Situation, wenn die neuen Anweisungen und
Verwaltungsvereinfachungen landesweit implementiert sind, weiter verbessern
wird (so auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.02.2014 - 20 A 10656/13 -, juris;
vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris).
Insbesondere für Dublin-Rückkehrer und ihre im Vergleich zu anderweitig ins Land
kommende Asylbewerber regelmäßig intensivere Betreuung durch
Nichtregierungsorganisationen bereits am Flughafen lässt sich im Hinblick auf die
Verzögerungen im Asylverfahren daher nicht (mehr) von einem systemischen
Mangel sprechen.
66
2.2.3
Weitere in vielen der vorliegenden Erkenntnismitteln beklagte Missstände
sind die nach wie vor bestehende - und auch Dublin-Rückkehrer betreffende -
Überlastung des Aufnahmesystems und die damit verbundenen
Lebensbedingungen der Asylbewerber. Aber auch im Hinblick auf die
Aufnahmebedingungen ist auf Grundlage der aktuellen Erkenntnismittel nicht
(mehr) von strukturellen Mängeln auszugehen.
67
2.2.3.1
Immer wieder in der Kritik steht die Zahl der Unterkünfte, die
Asylsuchenden zur Verfügung gestellt werden.
68 Die italienische Regierung hat in den vergangenen Jahren große Anstrengungen
unternommen, um die Zahl verfügbarer Unterkünfte zu erhöhen. So gab es im
Zusammenhang mit den sprunghaft angestiegenen Asylbewerberzahlen im Jahr
2011 ein Notstandskonzept „Nordafrika“, in dessen Rahmen Aufnahmestrukturen
durch den Zivilschutz in der Größenordnung von 26.000 Plätzen bereitgestellt
wurden (SFH, Aufnahmebedingungen; AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom
21.01.2013 spricht sogar von 50.000 Plätzen). Daneben wurde insbesondere die
Zahl der regulär verfügbaren Plätze in den vergangenen Jahren massiv erhöht.
Noch im Juli 2012 war das Auswärtige Amt (Auskunft an VG Freiburg vom
11.07.2012; vgl. auch Auskunft an VG Darmstadt vom 29.11.2012) von (nur) je
3.000 Plätzen in CARA und SPRAR ausgegangen, während es im August 2013
bereits von insgesamt über 16.000 Plätzen in CARA, CIE, CDA und SPRAR
ausging (Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.08.2013). Die Entwicklung der
verfügbaren Unterkünfte spiegelt sich auch in den von CIR/ecre erhobenen Zahlen
wider: Während im Länderreport Stand Mai 2013 von insgesamt 4.007 Plätzen in
CDA und CARA die Rede war, waren es ein halbes Jahr später bereits 6.866
Plätze; statt 151 SPRAR standen ausweislich CIR/ecre nun bereits 175
Einrichtungen zur Verfügung. Aufgrund eines im September 2013 erlassenen
Dekrets des Innenministeriums soll die SPRAR-Kapazität bis 2016 zudem auf
16.000 Plätze erhöht werden (SFH, Italien: Aufnahmebedingungen; CIR/ecre,
National Country Report Italy). Auch durch die Praxis, insbesondere die CARA
entgegen ihrer Zweckbestimmung auch für den längerfristigen Aufenthalt zu
nutzen, konnte der Überlastungssituation Rechnung getragen werden, und auch
wenn das Notstandsprogramm „Nordafrika“ zwischenzeitlich ausgelaufen ist und
(Stand September 2013) nur noch etwa 1.000 Personen („vulnerable Cases“ und
Asylbewerber, die Widerspruch eingelegt haben, vgl. AA, Auskunft an OVG
Sachsen-Anhalt vom 11.09.2013) dort lebten, zeigt es doch, dass Italien in der
Lage ist, Unterbringungsplätze in erheblichem Umfang zusätzlich zur Verfügung
zu stellen, wenn dies durch den Zustrom von Flüchtlingen erneut erforderlich
werden sollte. Um bestehende Lücken und Fehlentwicklungen aufzudecken,
wurde ferner Ende 2012 im Rahmen des Präsidium-Projekts testweise ein
Überwachungssystem in staatlichen Einrichtungen eingeführt (UNHCR,
Empfehlungen 2013). Laut Auswärtigem Amt bestanden im öffentlichen System im
August 2013 rund 8.000 Plätze in CARA-Aufnahmelagern, die in der Praxis dem
längerfristigen Aufenthalt von Asylbewerbern dienen, nahezu 3.000 Plätze in CIE
und CDA und über 5.000 Plätze in SPRAR (AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt
vom 21.08.2013). Laut CIR/ecre, Stand November 2013, bestanden zu diesem
Zeitpunkt in CARA, CIE und CPSA insgesamt deutlich weniger, nämlich nur gut
7.500 Plätze, dafür in SPRAR 3.000 reguläre sowie 9.500 zusätzliche Plätze.
69 Finden Asylsuchende keinen Platz in einer öffentlichen Aufnahmeeinrichtung - sei
es, weil die Kapazitäten erschöpft sind, sei es, dass sie etwa als Dublin-
Rückkehrer, die bereits vor ihrer Ausreise aus Italien einen Platz in einer
Aufnahmeeinrichtung beansprucht hatten, keinen erneuten Zugang zu öffentlichen
Aufnahmeeinrichtungen haben -, bekommen sie in der Praxis keine staatliche
(finanzielle) Unterstützung, um sich selbst um eine Unterkunft kümmern zu
können; die gesetzliche Regelung, wonach der Asylbewerber im Falle fehlender
Unterbringungsmöglichkeiten eine finanzielle Unterstützung erhält, um sich selbst
eine Unterkunft zu suchen, ist in der Praxis nicht umgesetzt worden (CIR/ecre,
National Country Report Italy; AA, Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012;
UNHCR, Auskunft an VG Freiburg, 12/2013). Für diesen Personenkreis gibt es
kommunale, kirchliche und karitative Einrichtungen etwa der CARITAS, die die
Asylantragsteller versorgen, ihnen Unterkunftsplätze besorgen und ihnen
medizinischen, rechtlichen und psychologischen Beistand zur Verfügung stellen
(AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; Auskunft an VG Freiburg
vom 11.07.2012). Diese nicht-staatlichen Unterkünfte werden teilweise von der
öffentlichen Hand finanziert und sind im Auftrag des Staates tätig. Sie sind bei der
Frage, ob die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Art. 4 GRCh /
Art. 3 EMRK aufgrund fehlender Unterbringungsmöglichkeiten besteht, mit
einzubeziehen. Denn aus Sicht des Unionsrechts ist lediglich entscheidend, dass
tatsächlich eine hinreichende Zahl an Unterkünften besteht; dies aber ist auch
dann der Fall, wenn der Staat mit nichtstaatlichen Trägern zusammenarbeitet, die
zuverlässig einen Teil der erforderlichen Plätze zur Verfügung stellen.
70 Darüber, ob das verfügbare - im Übrigen je nach Auskunft deutlich differierende -
Zahlenmaterial den tatsächlichen Bestand an Unterkünften widerspiegelt und
wenn ja, ob die vorhandenen Unterkünfte ausreichend sind, um den Bedarf zu
decken, gehen die Ansichten in den aktuellen Erkenntnismitteln auseinander. Das
Auswärtige Amt stellt fest, dass - Stand August 2013 - alle Asylbewerber /
Flüchtlinge in öffentlichen Zentren untergebracht werden könnten. Lokalen oder
regionalen Überbelegungen stünden freie Kapazitäten in anderen Regionen, etwa
in Norditalien, gegenüber, und landesweit seien genügend Plätze vorhanden (AA,
Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.08.2013; mit dem gleichen Tenor auch
bereits AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; Auskunft an VG
Freiburg vom 11.07.2012). Auch nach Auffassung des UNHCR ist Italien in der
Lage, den Aufnahmebedarf jedenfalls einer erheblichen Zahl an Asylsuchenden
zu decken (Empfehlungen 2013; ähnlich auch bereits im Gutachten an VG
Braunschweig vom 24.04.2012). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe zeichnet ein
etwas düstereres Bild und berichtet - Stand Oktober 2013 - davon, zurzeit seien
die Kapazitäten der Erstaufnahmezentren CARA ausgeschöpft und neu
ankommende Flüchtlinge könnten dort nicht untergebracht werden (SFH, Italien:
Aufnahmebedingungen, 10/2013). Auch anderen Auskünften lässt sich
entnehmen, dass die verfügbaren Plätze immer noch nicht ausreichten und die
bestehenden Einrichtungen daher oft deutlich überbelegt seien (CIR/ecre, National
Country Report Italy), bzw. dass nicht alle Asylbewerber einen Platz in einer
Aufnahmeeinrichtung finden (borderline-europe, Gutachten an VG Braunschweig,
12/2012) oder mitunter aufgrund fehlender Kapazitäten erst nach Wochen oder
Monaten Zugang zu Aufnahmeeinrichtungen bekommen können (UNHCR,
Auskunft an VG Freiburg, 12/2013). Viele Auskünfte berichten davon, dass
Asylbewerber unter schlechten Bedingungen in überfüllten Privatunterkünften, die
teilweise in besetzten Häusern eingerichtet worden seien, unterkommen müssten
(CIR/ecre, National Country Report Italy) oder obdachlos seien (SFH, Italien:
Aufnahmebedingungen, 10/2013; borderline-europe e.v., Gutachten an VG
Braunschweig, 12/2012).
71 Tatsächlich dürfte eine genaue Ermittlung, ob die vorhandenen Plätze rechnerisch
gesehen landesweit ausreichend sind, um den Bedarf an Wohnraum zu decken,
nur sehr schwer seriös möglich sein. Insoweit ist nicht nur von Bedeutung, dass
die vorhandenen Einrichtungen mitunter deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen als
die Anzahl, für die sie ausgelegt sind; so sollen etwa im November 2013 9.771
Asylsuchende in CDA/CARA untergebracht gewesen sein, die nur 6.866 reguläre
Plätze boten (CIR/ecre, National Country Report Italy). Auch bedürfte es für die
Frage, ob die Anzahl an Plätzen ausreichend ist, belastbarem statistischem
Material nicht nur zu der Frage, wie lang die durchschnittliche Belegungszeit eines
Platzes in einer Unterkunft ist, sondern auch dazu, wie viele Asylbewerber aus
eigenem Antrieb keinen Platz in Anspruch nehmen, sondern entweder
untertauchen oder in ein anderes europäisches Land weiterreisen. Belastbare
Zahlen gibt es jedoch insoweit nicht (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil
vom 07.03.2014 - 1 A 21/12.A -, juris). Ferner fehlt es auch an methodisch
korrekten statistischen Erhebungen zu der Frage, welcher Prozentsatz an
Asylsuchenden tatsächlich Interesse an der Zuweisung einer öffentlichen
Unterkunft hätte. Vor diesem Hintergrund haben insbesondere die Prozentzahlen
der in öffentlichen Unterkünften untergebrachten Dublin-Rückgeführten, die
borderline-europe e.V. (Gutachten an VG Braunschweig, 12/2012; hierzu
ausführlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.06.2013 - 7 S 58/13 -,
juris) nennt, eine nur sehr begrenzte Aussagekraft. Denn diesen Zahlen lässt sich
weder entnehmen, wie viele der Rückgeführten bereits über einen Aufenthaltstitel
etwa aufgrund der Zuerkennung subsidiären Schutzes in Italien verfügen (und
daher keinen Anspruch mehr auf Aufnahme in eine der Unterkünfte haben), noch,
wie viele von ihnen überhaupt Interesse an einem Platz in einer öffentlichen
Aufnahmeeinrichtung gehabt hätten. Insoweit wäre im Hinblick auf fehlendes
Interesse an einer öffentlichen Unterkunft nicht nur an Rückkehrer zu denken, die
auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens von vornherein verzichten,
sondern auch an solche, die bei ihrem letzten Aufenthalt in Italien bereits ein
soziales Netzwerk aufgebaut haben, das sie von öffentlichen Unterkünften
unabhängig macht, oder solche, die ein Leben in Rom oder Mailand, wo die
Wohnraumkapazitäten bekanntermaßen erschöpft sind, auch um den Preis
schlechterer Unterbringungsverhältnisse bewusst einem Aufenthalt in einem
anderen Landesteil, in dem ihnen eine Unterkunft zugewiesen werden könnte,
vorziehen.
72 Aber auch wenn unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnismittel davon
auszugehen ist, dass insbesondere in Großstädten wie Rom oder Mailand die
vorhandenen Aufnahmekapazitäten in staatlichen wie privat betriebenen
Einrichtungen erschöpft und die Unterkünfte überfüllt sind und es daher
Asylsuchende gibt, die keinen Platz in einer Unterkunft finden und daher ohne
Obdach sind oder unter völlig unzureichenden Wohn- und Lebensverhältnissen
leben, lässt sich doch den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht entnehmen, dass
dieses Schicksal für Asylbewerber gewissermaßen an der Tagesordnung wäre
und eine charakteristische Erscheinungsform ausmachte; vielmehr handelt es sich
hierbei um drastische Einzelschicksale, die keiner Verallgemeinerung zugänglich
sind (darauf hinweisend auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
24.06.2013 - 7 S 58/13 -, juris, sowie nunmehr VGH Bad.-Württ., Urteil vom
16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -, juris). Auf Grundlage der genannten Zahlen von
mutmaßlich deutlich mehr als 16.000 Plätzen allein in den öffentlichen
Unterkünften ist jedenfalls gegenwärtig nicht (mehr) davon auszugehen, dass im
Hinblick auf die Unterbringungssituation dauerhafte erhebliche Missstände
vorlägen, aufgrund dessen Asylbewerber quasi typischerweise und in signifikanter
Zahl der Obdachlosigkeit überlassen würden (so i.Erg. auch VGH Bad.-Württ.,
Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom
21.02.2014 - 10 A 10656/10 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
24.06.2013 - 7 S 58/13 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.03.2014 -
1 A 21/12.A -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.10.2013 - 3 L 643/12 -,
milo, geht davon aus, alle Asylbewerber fänden Platz in den öffentlichen
Aufnahmeeinrichtungen).
73
2.2.3.2
Es lässt sich nach den vorliegenden Auskünften auch nicht davon
ausgehen, dass systematische Mängel im Hinblick auf die Schwierigkeiten
derjenigen Asylsuchenden, die keinen Platz in einer staatlichen Unterkunft
gefunden haben, bestünden bei der Zustellung offizieller Schreiben, etwa
ablehnender Asylbescheide. Denn auch wenn für Flüchtlinge außerhalb staatlicher
Unterkünfte, insbesondere für Obdachlose, der Zugang offizieller Schreiben
typischerweise größeren Schwierigkeiten begegnet als für Flüchtlinge in
staatlichen Unterkünften, haben sich auch insoweit Strukturen gebildet, die die
Situation der Betroffenen erleichtern. Inzwischen bieten Hilfsorganisationen wie die
CARITAS Sammeladressen für Personen ohne festen Wohnsitz an, die
gegenüber öffentlichen Stellen verwendet werden und an die Poststücke zugestellt
werden können (AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; Auskunft
an VG Freiburg vom 11.07.2012; borderline-europe, Gutachten an VG
Braunschweig, 12/2012). Derartige Möglichkeiten „virtueller Wohnsitznahme“ gibt
es zwar nur in wenigen Städten Italiens, insbesondere in Rom; da es hier aber
auch die größten Engpässe in der Wohnraumversorgung gibt, dürfte Dank des
den Behörden bekannten und von ihnen akzeptierten Konzepts der virtuellen
Wohnsitznahme jedenfalls im Regelfall die Zustellung von Schreiben an den
Empfänger gewährleistet sein.
74
2.2.3.3
Die vorliegenden Erkenntnismittel lassen auch nicht den Rückschluss
darauf zu, dass Asylbewerber infolge unzureichender und unzumutbarer
Verhältnisse in den staatlichen bzw. privaten Unterkünften, namentlich etwa
aufgrund unhygienischer Zustände oder Gewalttätigkeiten, mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind.
Dabei wird nicht verkannt, dass es in Unterkünften mit einer Vielzahl von
Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalität, Religion und kultureller Prägung
häufiger als in anderen Bereichen der Gesellschaft zu Konflikten und gelegentlich
auch gewaltsamen Übergriffen kommen dürfte, zumal in einer Situation, die oftmals
von überstandenen Leiden und ungewisser Zukunft geprägt ist. Es dürfte sich
dabei allerdings um ein allgemeines Phänomen in Gemeinschaftseinrichtungen
handeln, dem die staatlichen Stellen nur bedingt wirksam entgegenwirken können.
Auch ist der Kammer bewusst, dass die Aufnahme-, Unterbringungs- und
Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Italien regelmäßig nicht mit dem
hiesigen Standard vergleichbar sein dürften. Andererseits gibt es keine greifbaren
Anhaltspunkte, dass die Zustände in den Unterkünften nicht nur in Einzelfällen,
sondern regelhaft unzumutbar und unhaltbar sind, so dass schon unter diesem
Gesichtspunkt die Feststellung einer unmenschlichen und erniedrigenden
Behandlung der Asylbewerber gerechtfertigt erschiene. So wird nach Auskunft des
Auswärtigen Amtes von den staatlichen Aufnahmezentren und Einrichtungen
Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch
(AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013). Die Verhältnisse im
Einzelnen unterscheiden sich und hängen von den jeweiligen Trägern der
Unterkünfte ab (CIR/ecre, National Country Report Italy). Laut Auswärtigem Amt
stellen sich die hygienischen Verhältnisse aber nicht regelmäßig oder
überwiegend in der Weise dar, dass man ernstlich Gefahr läuft zu erkranken. Es
seien durchgehend kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern
vorhanden, die auch einer ausreichenden Zahl an Toiletten- und Waschräumen
sowie zumeist mit Klimaanlagen und Zentralheizung versehen seien. Die
Verpflegung werde vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt.
Ferner seien in den Einrichtungen Sozialräume sowie getrennte Räumlichkeiten
für medizinische Dienste und Sonderfälle vorhanden. Zur Aufrechterhaltung der
Sauberkeit der allgemeinen Räumlichkeiten würden spezielle Reinigungsdienste
beschäftigt. Es gebe zwar mitunter gewaltsame Überfälle, hierbei handelt es sich
aber um Einzelfälle. Darüber hinaus würden die Aufnahmeeinrichtungen
zumindest durch die Polizei oder Carabinieri überwacht und geschützt; wegen
auftretender Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien seien in manchen
Einrichtungen zudem zusätzliche Polizeikräfte postiert worden (vgl. dazu auch
OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.10.2013 - 3 L 643/12 -, milo).
75
2.2.3.4
Ist nach den vorliegenden Erkenntnismitteln, wie gesehen, davon
auszugehen, dass jedenfalls die meisten Flüchtlinge Platz in einer staatlichen
Unterkunft erhalten, so ist dort ihr Lebensunterhalt - wenn auch auf niedrigem
Niveau - gesichert. Es lässt sich den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht
entnehmen, dass den Flüchtlingen dort entgegen der Gesetzeslage keine
Kleidung, Nahrung oder Hygieneartikel zur Verfügung gestellt würden.
76 Nach Auskunft des Auswärtigen Amts (AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom
21.01.2013; Auskunft an VG Freiburg vom 11.07.2012) werden auch diejenigen
Flüchtlinge, die außerhalb staatlicher Einrichtungen, etwa in karitativen oder
kirchlichen Unterkünften, leben, teilweise unter Einbeziehung privater Dienstleister,
mit Nahrung und Kleidung versorgt. Dagegen berichtet etwa borderline-europe
(Gutachten an VG Braunschweig, 12/2012), Asylsuchende, die in keinem Zentrum
untergebracht seien, erhielten weder Sach- noch Geldleistungen zur Abdeckung
ihrer Grundbedürfnisse wie Nahrung oder Kleidung. Geklärt sein dürfte jedoch,
dass für diese Gruppe der Flüchtlinge Hilfsorganisationen die notwendige
grundlegende Versorgung der bei ihnen lebenden Flüchtlinge übernehmen. Auch
für diesen Personenkreis dürfte daher nicht festzustellen sein, dass dieser
regelhaft in einem menschenrechtlichen Mindeststandards widersprechenden
Zustand leben müsse. Dies schließt es nicht aus, dass einzelne Asylbewerber in
prekären Verhältnissen extremer Armut und Obdachlosigkeit leben; dieser
Umstand ist aber für die Annahme, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung
nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK
ausgesetzt sein (vgl. dazu auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.03.2014
- 1 A 21/12.A -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.10.2013 - 3 L 643/12 -,
juris), nicht ausreichend.
77
2.2.3.5
Schließlich ist nach aktueller Auskunftslage auch nicht davon auszugehen
sein, dass Flüchtlinge regelhaft von medizinischen Leistungen ausgeschlossen
sind.
78 Zwar mag es im Einzelfall auch bei Bewohnern öffentlicher Unterkünfte - sei es
durch fehlende Informationen, sei es durch fehlerhaft arbeitende oder überlastete
Verwaltungen - zu Schwierigkeiten kommen, in den Besitz einer Gesundheitskarte
zu gelangen. Dies ist aber offenbar der Ausnahmefall.
79 Für Asylbewerber, auch Dublin-Rückkehrer, die keinen festen Wohnsitz vorweisen
können, hat dieser Umstand allerdings Konsequenzen. Der Erhalt der
Gesundheitskarte ist an das Erfordernis eines festen Wohnsitzes geknüpft.
Während das Auswärtige Amt davon ausgeht, es genüge insoweit die Angabe des
Asylbewerbers, berichtet borderline-europe (Gutachten an VG Braunschweig,
12/2012), die Anmeldung eines Wohnsitzes werde durch die Behörde überprüft.
Die Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigrazione (Asylbewerber in Italien,
Bericht vom 20.11.2012) berichtet darüber hinaus davon, viele Flüchtlinge würden
aufgrund von bürokratischen und restriktiven Interpretationen seitens der
Gemeinden nicht im Einwohnermelderegister eingetragen. Selbst wenn dies so
wäre, führte dieser Umstand jedoch nicht dazu, dass diese Flüchtlinge vom Erhalt
der Gesundheitskarte ausgeschlossen würden. Denn vor allem in Rom - wo die
Wohnungsnot, wie gesehen, und daher auch der Anteil der nicht in öffentlichen
Unterkünften untergebrachten Flüchtlinge vermutlich am größten ist - besteht, wie
bereits erwähnt, die Möglichkeit einer von den Behörden anerkannten, durch
Hilfsorganisationen wie die CARITAS zur Verfügung gestellten „virtuellen
Wohnsitznahme“ (borderline-europe, Gutachten an VG Braunschweig, 12/2012;
vgl. dazu auch AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt vom 21.01.2013; Auskunft
an VG Freiburg vom 11.07.2012). Davon abgesehen ist jedenfalls die
medizinische Notfallversorgung in Italien auch ohne Gesundheitskarte
gewährleistet.
80
2.2.3.6
Vor diesem Hintergrund lässt sich trotz nach wie vor bestehender Defizite
in den Aufnahmebedingungen und auch unter Berücksichtigung der gravierenden
Folgen, die das Fehlen einer zumutbaren Unterkunft für den hiervon Betroffenen
im Einzelfall hat, nicht feststellen, dass die bestehenden Engpässe und Mängel die
Funktionsfähigkeit des Aufnahmesystems insgesamt in Frage stellen und so
gravierend sind, dass sie das Asylverfahren regelhaft seiner Funktion berauben.
81
2.3
Im Ergebnis lässt sich daher auf der Grundlage der vorhandenen
Erkenntnismittel feststellen, dass Asylsuchende, die nach den Regelungen der
Dublin-II-Verordnung nach Italien überstellt werden sollen, derzeit jedenfalls dann,
wenn in ihrer Person keine besonderen (etwa gesundheitlichen) Gründe gegeben
sind, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer durch das Asylverfahren
oder die Aufnahmebedingungen verursachten unmenschlichen oder
erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK / Art. 4 GRCh rechnen
müssen. Dies scheint der Auffassung des UNHCR zu entsprechen, der sich -
anders als seinerzeit im Falle Griechenlands - trotz deutlicher Worte in Bezug auf
bestehende Defizite und Mängel im italienischen Asyl- und Aufnahmesystem nicht
veranlasst gesehen hat, sich gegen Überstellungen von Asylbewerbern an Italien
auszusprechen.
82 Vorliegend aber sind keine besonderen Umstände des Einzelfalles ersichtlich, die
befürchten ließen, dass gerade dem Kläger in Italien entgegen der allgemeinen
Lageeinschätzung eine mit Art. 4 GRCh / Art. 3 EMRK nicht vereinbare
Behandlung drohte. Der Kläger hat nach seiner Ankunft in Italien die Möglichkeit,
einen Asylfolgeantrag zu stellen. Bis zum Abschluss dieses Verfahrens hat er, da
er nach eigenen Angaben während des Asylerstverfahrens nie einen Platz in einer
Unterkunft zugewiesen bekommen hat, die Möglichkeit, in einer öffentlichen
Einrichtung unterzukommen, wo neben der Unterkunft auch Essen, Bekleidung
und sonstige persönliche Bedürfnisse sichergestellt sind. Sollte sich der Kläger
dagegen dafür entscheiden, nach seiner Rückkehr keinen erneuten Asylantrag zu
stellen, bestünden zu seinen Gunsten - nachdem das Asylerstverfahren
rechtskräftig abgeschlossen ist - keine Verfahrensgarantien nach der Genfer
Flüchtlingskonvention, und auch die Aufnahmerichtlinie (RL 2003/9/EG) fände auf
ihn gemäß Art. 3 Abs. 1 keine Anwendung (mehr). Er wäre vielmehr, wenn sein
Aufenthalt nicht behördlicherseits legalisiert wird, verpflichtet, Italien zu verlassen,
und hätte keinen Anspruch auf Unterstützung mehr (AA, Auskunft an VG Freiburg
vom 11.07.2012). Kommt er seiner Ausreisepflicht nicht nach, kann er kein Mehr
an Unterstützung verlangen, als dies italienischen Staatsangehörigen zuteil wird.
Ein staatliches Sozialhilfesystem aber existiert in Italien nur sehr eingeschränkt;
vielmehr sind auch italienische Staatsangehörige grundsätzlich verpflichtet, für
ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen, was naturgemäß mit Schwierigkeiten
verbunden, für einen gesunden, arbeitsfähigen Mann wie den Kläger aber, wie er
bereits bei seinem ersten Aufenthalt in Italien bewiesen hat, nicht unmöglich ist.
Der Umstand, dass es in Italien anders als in Deutschland kein System staatlicher
Unterstützung auch für ausreisepflichtige, jedoch tatsächlich noch nicht
abgeschobene Ausländer gibt, reicht, nachdem, wie bereits gesehen, aus Art. 3
EMRK / Art. 4 GRCh nicht die Verpflichtung erwächst, jemandem finanzielle
Unterstützung zu gewähren, um ihm einen gewissen Lebensstandard zu
ermöglichen, nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner
Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 3
EMRK / Art. 4 GRCh ausgesetzt sein.
III.
83 Die Abschiebungsanordnung in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheides ist hiernach
ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1
Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in
einen nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie
durchgeführt werden kann. Dies ist der Fall, nachdem Italien keine Einwände
gegen seine Zuständigkeit erhoben hat und der Abschiebung keine relevanten
Hindernisgründe entgegenstehen.
84 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Das
Gericht sieht von einem Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach
Ermessen ab.