Urteil des VG Freiburg vom 12.08.2016

asylg, aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, anhörung

VG Freiburg Beschluß vom 12.8.2016, A 3 K 1639/16
Vorläufiger Rechtsschutz gegen Abschiebungsandrohung nach Verfahrenseinstellung durch
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; Rechtsschutzbedürfnis
Leitsätze
Einem Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO gegen eine Abschiebungsandrohung fehlt nicht wegen der Möglichkeit
des Antrags auf Wiederaufnahme gem. § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG das Rechtsschutzbedürfnis.
Die Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG erfordert einen qualifizierten Hinweis auf die Folgen einer Nichtteilnahme
an der Anhörung nach § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage - A 3 K 1638/16 - gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des
Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 06.05.2016 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
1 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage - A 3 K 1638/16 -gegen die
Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - ist nach §
80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs.1 AsylG statthaft. Der Antrag ist auch zulässig. Insbesondere
fehlt es nicht am erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Dies gilt trotz der Möglichkeit nach § 33 Abs. 5 Satz 2
AsylG, die Wiederaufnahme des vom Bundesamt nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG eingestellten Asylverfahrens
zu beantragen.
2 Das Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz kann in der hier vorliegenden Fallkon-stellation erst dann
entfallen, wenn das mit dem Rechtsschutzbegehren verfolgte Ziel durch ein gleich geeignetes, keine
anderweitigen rechtlichen Nachteile mit sich bringendes behördliches Verfahren ebenso erreicht werden kann
wie in dem angestrebten gerichtlichen Verfahren. Hingegen reicht es nicht, wenn der Gesetzgeber die
Möglichkeit eröffnet, einen Antrag an die zuständige Behörde zu stellen, der andere Rechtsfolgen als eine
gerichtliche Aufhebung des belastenden Verwaltungsakts zeitigt. Nach diesen Grundsätzen kann nicht von
einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses ausgegangen werden, wenn, wie es der Wortlaut des § 33 Abs.
5 Satz 6 Nr. 2 AsylG zumindest nahe legt, die erste Wiederaufnahmeentscheidung nach § 33 Abs. 5 Satz 2
AsylG ein späteres erneutes Wiederaufnahmebegehren selbst dann sperrt, wenn die erste
Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig gewesen ist. In einer solchen Fallgestaltung
verstößt es gegen das in Art. 19 Abs. 4 GG normierte Gebot des effektiven Rechtsschutzes, das
Rechtsbedürfnis für den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zu verneinen (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 20.07.2016 - 2 BvR 1385/16 -, Rn. 8, juris).
3 Der Antrag ist auch begründet. Denn die angegriffene Verfügung des Bundesamts ist aller Voraussicht nach
rechtswidrig und verletzt die Antragsteller in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für den Erlass einer
Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG liegen nicht vor, weil das Bundesamt zu Unrecht die
Einstellung des Asylverfahrens der Antragsteller wegen Nichtbetreibens festgestellt hat. Gemäß § 33 Abs. 5
Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt das Asylverfahren ein, wenn der Asylantrag nach § 33 Abs. 1 AsylG als
zurückgenommen gilt, weil der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2
AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur
Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist und nicht unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis
auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Das Eingreifen der Fiktion der
Rücknahme des Asylantrags wegen Nichtbetreibens nach § 33 Abs. 1 AsylG setzt aber voraus, dass der
Ausländer schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis auf diese Rechtsfolgen hingewiesen wurde (§ 33 Abs. 4
AsylG). An einer derartigen - zwingend notwendigen - Belehrung fehlt es jedoch nach Aktenlage. Die den
Antragstellern am 09.11.2015 (siehe die Postzustellungsurkunde auf Seiten 30-31 der Akte des Bundesamts)
zugestellten Belehrungen (Seiten 6-15 der Akte des Bundesamts) enthielten keinen Hinweis auf die
Rücknahmefiktion bei Nichtbetreiben des Asylverfahrens. Den erforderlichen qualifizierten Hinweis (vgl. VG
Regensburg, Beschluss vom 19.07.2016 - RO 11 S 16.3199 - juris) auf die Folgen einer Nichtteilnahme an der
Anhörung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes vom 11.03.2016 (BGBl I, S. 390)
konnten diese Belehrungen ohnehin nicht enthalten, da diese Vorschrift zum damaligen Zeitpunkt noch nicht
in Kraft war. Aber auch die Ladung zur Anhörung vom 14.04.2016 enthielt keinen solchen Hinweis.
4 Damit kann offen bleiben, ob (auch) die Antragsteller Ziff. 2 und 3, deren Anhörung nicht von vorneherein
nach § 24 Abs. 1 Satz 6 AsylG entbehrlich war, ordnungsgemäß zum Anhörungstermin geladen worden sind,
insbesondere ob sie die alleinige Mitteilung des Anhörungstermins gegenüber der Antragstellerin Ziffer 1
gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AsylG gegen sich gelten lassen müssen. Nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AsylG setzt dies
allerdings voraus, dass in der Entscheidung oder Mitteilung ausdrücklich darauf hingewiesen wurde,
gegenüber welchen Familienangehörigen sie gilt. Offen bleiben kann auch, ob ein eventueller Fehler
unbeachtlich ist, da die Antragstellerin Ziffer 1 als gesetzliche Vertreterin der Antragsteller Ziffer 2 und 3 die
Möglichkeit gehabt hätte, (Asyl-)Gründe für ihre 2008 und 2010 geborenen Kinder vorzutragen.
5 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht
erhoben.
6 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).