Urteil des VG Freiburg vom 23.09.2016

persönliche anhörung, bundesamt, grundsatz der öffentlichkeit, angemessene frist

VG Freiburg Urteil vom 23.9.2016, A 1 K 2611/16
Asylrechtsstreit; Untätigkeitsklage; zureichender Grund für Nichtbescheidung;
verwaltungsgerichtliches "Durchentscheiden"
Leitsätze
1. Das Gericht ist bei asylrechtlichen Streitigkeiten nicht gehalten, bei einer Untätigkeitsklage
"durchzuentscheiden" und eine Entscheidung in der Sache zu treffen.
2. Eine (vorübergehende) Überbelastung der Behörde kann grundsätzlich einen zureichenden Grund i.S.v. § 75
Satz 3 VwGO darstellen.
3. Anders als bei Asylanträgen, die im Jahr 2015 gestellt worden sind, ist eine solche vorübergehende
Überlastung bei Asylanträgen, die bereits im Jahr 2014 beim Bundesamt anhängig gemacht worden sind, nicht
anzuerkennen.
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, das Asylverfahren des Klägers fortzuführen und über den von ihm gestellten
Asylantrag zu entscheiden.
Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt eine Bescheidung seines beim Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt)
gestellten Asylantrags.
2 Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 20.08.2014 in das Bundesgebiet ein. Am 09.09.2014 beantragte
er beim Bundesamt seine Anerkennung als Asylberechtigter. Dabei gab er an, aus Somalia zu stammen;
Identitätspapiere legte er nicht vor.
3 Eine inhaltliche Bearbeitung des Asylantrags ist seither nicht erfolgt.
4 Der Kläger hat am 03.08.2016 Klage erhoben, zu deren Begründung er geltend macht, dass die Beklagte
seinen Asylantrag bislang ohne zureichenden Grund nicht bearbeitet und beschieden habe. Die Klage sei
daher gemäß § 75 VwGO als Untätigkeitsklage zulässig.
5 Der Kläger beantragt,
6 die Beklagte zu verpflichten, sein Asylverfahren fortzuführen und über den von ihm gestellten Asylantrag zu
entscheiden.
7 Die Beklagte beantragt,
8 die Klage abzuweisen sowie hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und eine angemessene Frist für die
Entscheidung festzusetzen.
9 Dem Gericht liegt ein Heft Akten des Bundesamts vor. Der Inhalt dieser Akten und die im laufenden Verfahren
gewechselten Schriftsatze samt Anlagen sind Gegenstand der Entscheidung. Hierauf wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
10 Der Vorsitzende entscheidet im Einverständnis der Beteiligten als Berichterstatter und ohne mündliche
Verhandlung (§ 87a Abs. 2 und 3, 101 Abs. 2 VwGO).
11 Die Klage ist als Untätigkeitsklage im Sinne des § 75 VwGO zulässig und begründet; denn die Beklagte ist
zur Fortführung des Verfahrens und zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers verpflichtet (vgl. §
113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
12 Nach § 75 Satz 1 VwGO ist eine Klage zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines
Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.
Die Voraussetzungen des § 75 Satz 2 VwGO, wonach eine Untätigkeitsklage nicht vor Ablauf von drei
Monaten nach Antragstellung erhoben werden kann, sind vorliegend offensichtlich erfüllt, nachdem der
Asylantrag des Klägers bereits im September 2014 gestellt wurde, ohne dass bislang über ihn entschieden
worden ist. Darüber hinaus ist auch keinerlei inhaltliche Bearbeitung des Antrags erfolgt; insbesondere
haben bislang weder eine Anhörung des Klägers noch sonstige Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung
stattgefunden.
13 Die in § 75 Satz 2 VwGO vorgesehenen Dreimonatsfrist wird nicht durch Art. 31 der europäischen
Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU verlängert. Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU sieht eine
grundsätzliche Verfahrensdauer in Asylsachen von sechs Monaten vor, die unter gewissen Voraussetzungen
um neun weitere Monate verlängert werden kann. Ausnahmsweise können diese Fristen um drei weitere
Monate verlängert werden (vgl. Art. 31 Abs. 3 Satz 4 der Richtlinie). Werden beide Fristen somit um jeweils
3 Monate verlängert, besteht eine 21-Monatsfrist, wie sie auch von Art. 31 Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU
als Maximalfrist festgelegt wird. Die Regelungen sind auf den vorliegenden Fall jedoch noch nicht anwendbar.
Der deutsche Gesetzgeber hat die europäische Verfahrensrichtlinie bislang nicht in nationales Recht
umgesetzt. Art. 31 Abs. 3 und Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU können auch nicht unmittelbar angewendet
werden, weil die Umsetzungsfrist, die gem. Art. 51 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU erst am 20.07.2018
endet, insoweit noch nicht abgelaufen ist. Auch ist der Rechtsgedanke des Art. 31 Abs. 3 und Abs. 5 der
Richtlinie 2013/32/EU nicht dahingehend zu übernehmen, dass schon heute für Asylverfahren
europarechtlich eine längere Frist als die dreimonatige Frist des § 75 Satz 2 VwGO angemessen sein soll,
weil andernfalls durch die Fristverlängerung eine mittelbare Anwendung zulasten der Antragssteller
konstruiert würde. Dies würde zudem der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom
14.11.2013 - C 4/11 -) zuwiderlaufen, der ausdrücklich betont, dass die Situation von Asylbewerbern nicht
durch eine unangemessen lange Dauer zur Bearbeitung ihres Verfahrens verschlimmert werden darf (vgl.
VG Stuttgart, Urteil vom 23.03.2016 - A 12 K 439/16 - juris; VG Trier, Urteil vom 18.08.2016 - 5 K
3379/16.TR -). Unabhängig davon ist im vorliegenden Fall mittlerweile auch eine Frist von 21 Monaten
abgelaufen.
14 Es ist ferner nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage, dass der Asylbewerber vor
Klageerhebung bei der Beklagten einen Antrag im Sinne des § 24 Abs. 4 AsylG auf Mitteilung gestellt hat, bis
wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden werde. Es sind keine Anhaltspunkte dafür
vorhanden, dass mit dieser Vorschrift die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage in
Abweichung von § 75 VwGO für asylrechtliche Streitigkeiten modifiziert werden sollen, denn sie regelt
ersichtlich lediglich die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Mitteilung des voraussichtlichen
Entscheidungszeitpunkts (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 08.07.2016 - A 3 K 172/16 - juris m.w. Nachw.; VG
Trier, Urteil vom 18.08.2016 - 5 K 3379/16.TR -).
15 Das Gericht ist wegen der Besonderheiten des Asylverfahrens nicht gehalten, „durchzuentscheiden“ und
eine Entscheidung in der Sache zu treffen, d.h. Spruchreife nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO herzustellen
(ebenso: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 01.07.1997 - A 13 S 1186/97 -; VG Karlsruhe, Urteil vom
08.07.2016 - A 3 K 172/16 - juris; VG Stuttgart, Urteil vom 23.03.2016 - A 12 K 439/16 - juris; VG
München, Urteil vom 08.02.2016 - M 24 K 15.31419 - juris; VG Trier, Urteil vom 18.08.2016 - 5 K
3379/16.TR -; a.A. BayVGH, Beschluss vom 07.07.2016 - 20 ZB 16.30003 - juris sowie - nicht tragend - VG
Freiburg, Beschluss vom 26.01.2016 - A 5 K 2597/15 - juris). Zwar geht das Bundesverwaltungsgericht in
seinem Urteil vom 07.03.1995 (- 9 C 264.94 - juris-Rn. 14) davon aus, dass das Verwaltungsgericht auch im
Asylverfahren die Sache grundsätzlich spruchreif zu machen hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat
hiervon allerdings wegen der besonderen Struktur des asylrechtlichen Verwaltungsverfahrens eine
Ausnahme zugelassen, wenn das Bundesamt überhaupt noch keine sachliche Entscheidung über einen
Asylantrag getroffen hat. Aus der besonderen Struktur des asylrechtlichen Anerkennungsverfahrens folgt
hiernach, dass die vom Bundesamt verweigerte sachliche Prüfung nicht durch das Gericht zu treffen,
sondern vorrangig vom Bundesamt als zuständiger Fachbehörde nachzuholen ist. Zwar betrifft diese
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich nur Fälle, in denen nach den §§ 32 und 33
AsylVfG (heute: AsylG) eine Sachentscheidung unterblieben ist. Für den Fall, dass das Bundesamt über einen
Asylantrag ohne sachlichen Grund innerhalb angemessener Frist nicht entschieden hat, kann aber im
Ergebnis nichts anderes gelten (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 01.07.1997, aaO.). Dem Kläger ginge bei
einem Durchentscheiden des Gerichts eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden
Verfahrensgarantien ausgestattet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.03.1995, aaO.). Ferner kann das Gericht
bei einer ablehnenden Entscheidung über den Asylantrag keine Abschiebungsandrohung mit den
entsprechenden gesetzlich vorgeschriebenen Fristen aussprechen. Diese Entscheidung hat vielmehr das
Bundesamt zu treffen, wobei sich die von ihm zu setzende Ausreisefrist danach richtet, ob es den Asylantrag
als unbeachtlich, offensichtlich unbegründet (vgl. § 36 Abs. 1 AsylG) oder lediglich als einfach unbegründet
(vgl. § 38 Abs. 1 AsylG) ablehnt. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu (VGH Bad.-
Württ., ebd.). Schließlich wäre in diesen Fällen mit einem Durchentscheiden des Gerichts keine
Verfahrensbeschleunigung verbunden, da gegen eine nach der Entscheidung des Gerichts durch das
Bundesamt ergehende Abschiebungsandrohung wiederum gerichtlicher Rechtsschutz in Anspruch
genommen werden könnte.
16 Hinzu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht im Asylrecht auch in den so genannten Dublin-Verfahren,
in denen das Bundesamt den Asylantrag nicht in der Sache geprüft hat, den Gerichten keine Berechtigung
zuweist, den geltend gemachten Asylanspruch sachlich zu prüfen, sondern eine Anfechtungsklage als allein
statthafte Klageart ansieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.10.2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162).
17 Ferner sprechen auch europarechtliche Gesichtspunkte gegen ein Durchentscheiden. Denn aus
unionsrechtlichen Gründen muss im Anwendungsbereich der Asylverfahrensrichtlinie Asylbewerbern eine
auf bloße Verwaltungsentscheidung gerichtete Untätigkeitsklage möglich sein. Entscheidend ist, dass sowohl
Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2005/85/EG (Asylverfahrensrichtlinie alte Fassung - AsylVf-RL a.F.) als
auch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie neue Fassung - AsylVf-RL n.F.),
die auf nach dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge anzuwenden ist (vgl. Art. 52 AsylVf-RL n.F.), den
Asylbewerbern ein subjektives Recht auf eine behördliche Entscheidung nach einer persönlichen Anhörung
und anschließend einen Anspruch auf dessen gerichtliche Überprüfung einräumen. Dabei kann eine
Anhörung durch ein Gericht in der mündlichen Verhandlung die in Art. 13 Abs. 1 AsylVf-RL a.F. und in Art.
15 Abs. 1 AsylVf-RL n.F. vorgesehenen Anforderungen an die persönliche Anhörung nicht stets wahren.
Denn Art. 13 Abs. 1 und 2 AsylVf-RL a.F. wie auch Art. 15 Abs. 1 und 2 AsylVf-RL n.F. sehen vor, dass die
persönliche Anhörung vor der Verwaltung regelmäßig ohne die Anwesenheit von Familienangehörigen und
unter Bedingungen stattfindet, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten, während der
Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 Satz 1 GVG i.V.m. § 55 VwGO) Ausnahmen gemäß § 171a ff. GVG
(i.V.m. § 55 VwGO) nur unter engeren Voraussetzungen zulässt (vgl. VG München, Urteil vom 08.02.2016 -
M 24 K 15.31419 - juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2016 - A 4 K 5054/15 -).
18 Dieser Vergleich des unionsrechtlich vorgesehenen Verfahrensanspruchs eines Asylbewerbers einerseits mit
der Ausgestaltung des nationalen verwaltungsprozessualen Verfahrensrechts andererseits spricht dafür,
dass ein Asylbewerber nicht verpflichtet ist, seine Untätigkeitsklage auf bestimmte inhaltliche
Rechtspositionen zu richten, deren Spruchreifmachung eine entsprechende Anhörung im Rahmen einer
mündlichen Verhandlung durch das Gericht erforderlich machen könnte, sondern zur Wahrung seiner
unionsrechtlichen Verfahrensrechte im Verwaltungsverfahren seine Untätigkeitsklage auch auf eine bloße
Verpflichtung zur Entscheidung richten kann.
19 Einem Absehen von einem Durchentscheiden bei einer fehlenden behördlichen Entscheidung über den
Asylantrag steht auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verpflichtung der Gerichte,
bei so genannten Folgeanträgen durchzuentscheiden (BVerwG, Urteil vom 10.02.1998 - 9 C 28.97 -
BVerwGE 106, 171), nicht entgegen. Beide Fallkonstellationen unterscheiden sich grundlegend. Während bei
einem Folgeantrag nach erfolgloser Durchführung eines Asylerstverfahrens bereits einmal eine Prüfung des
Asylbegehrens durch die Behörde erfolgt ist, und es im behördlichen Verfahren im Folgeverfahren zunächst
lediglich um die Frage geht, ob die Bestandskraft der ursprünglichen Entscheidung aufgrund bestimmter
Umstände zu durchbrechen ist, ist bei der vorliegenden Konstellation noch überhaupt keine inhaltlich
Prüfung des materiellen Anspruchs des Asylbewerbers erfolgt. Die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts ist zudem zeitlich vor dem Erlass der europäischen Verfahrensrichtlinien
ergangen und konnte von daher deren Vorgaben naturgemäß noch nicht berücksichtigen (vgl. VG Karlsruhe,
Urteil vom 18.07.2016 - A 4 K 5054/15 -).
20 Besonders deutlich wird diese Problematik anhand der vorliegenden Fallkonstellation. Außer der Aufnahme
der wesentlichen Personaldaten ist hier keinerlei Aufklärung des Sachverhalts im Verwaltungsverfahren
erfolgt. Das Gericht müsste also gewissermaßen das gesamte Verwaltungsverfahren in eigener Regie
durchführen. Dieses Ergebnis kann aber kaum mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar sein.
Soweit der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 07.07.2016 - 20 ZB 16.30003 - juris) der
Auffassung ist, die Verwaltungsgerichte hätten das Bundesamt in solchen Fällen durch prozessleitende
Verfügungen oder im Beschlusswege zur Durchführung unabdingbarer Verfahrensschritte anzuhalten, dürfte
dies der Realität der Gerichtsverfahren in der ersten Instanz nicht entsprechen. Abgesehen davon, dass es
wohl keine Rechtsgrundlage gibt, die es den Verwaltungsgerichten ermöglichen würde, das Bundesamt
beispielsweise verbindlich mit Maßnahmen der Identitätsfeststellung, der Einholung eines Sprachgutachtens
oder einer Anhörung des Asylbewerbers zu betrauen, dürfte ein solches Ansinnen jedenfalls in tatsächlicher
Hinsicht auf unüberwindbare Schwierigkeiten stoßen. Nach den Erfahrungen der Kammer ist es schon kaum
möglich, auf einfachste Anfragen sinnvolle Antworten des Bundesamts zu erhalten. Gerichtliche
Verfügungen werden vielmehr häufig gar nicht, verspätet oder inhaltlich unzureichend beantwortet. Wie es
den Verwaltungsgerichten bei dieser Ausgangslage gelingen sollte, das offenbar nach wie vor überlastete
Bundesamt in zahlreichen Fällen dazu zu bewegen, für erforderlich gehaltene Maßnahmen der
Sachverhaltsaufklärung durchzuführen, ist unerfindlich.
21 Die demnach zulässige Klage ist auch in der Sache begründet, denn es fehlt an einem sachlichen Grund für
die Nichtbescheidung des Asylantrags des Klägers. Es liegt kein zureichender Grund i.S.v. § 75 Satz 3 VwGO
für die fehlende Entscheidung über den Asylantrag des Klägers vor, so dass eine Aussetzung des Verfahrens
nicht in Betracht kommt. Die Beklagte beruft sich insoweit zu Unrecht auf die im Jahr 2015 extrem
gestiegenen Zugangszahlen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Eine (vorübergehende)
Überbelastung der Behörde kann zwar grundsätzlich einen zureichenden Grund i.S.v. § 75 Satz 3 VwGO
darstellen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Rn. 13). Für im Jahr 2015 gestellte Asylanträge nimmt
die Kammer auch eine solche vorübergehende Überlastung an (vgl. Beschluss vom 23.08.2016 - A 1 K
2273/16 -). Indes stellt sich die Lage im Jahr 2014 noch anders dar. In diesem Jahr war „nur“ ein Eingang
von 202.834 Asylanträgen zu verzeichnen. Diese Anzahl stellt zwar bereits eine deutliche Steigerung zum
Jahr 2013 mit 127.023 gestellten Asylanträgen dar (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Aktuelle
Zahlen zu Asyl, Februar 2016, S. 4). Eine Überlastung des Bundesamtes wird hierdurch aber nicht
begründet, zumal im Jahr 2014 immerhin 128.911 Asylanträge beschieden wurden. Erst im Jahr 2015 ist ein
extremer Anstieg auf eine Zahl von 476.649 Asylanträgen zu verzeichnen, wobei diese Zahl offenbar allein
die förmlichen Anträge abbildet. In der Gesamtheit dürfte für 2015 vielmehr von bis zu 1,1 Mio. Asylfällen
auszugehen sein. Hiernach spricht Vieles dafür, dass die über zweijährige Untätigkeit der Beklagten im
vorliegenden Verfahren die Folge einer seit mehreren Jahren zu verzeichnenden ständigen
Arbeitsüberlastung des Bundesamtes ist. Diese stellt jedoch keinen sachlichen Grund im Sinne des § 75
VwGO dar (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 23.03.2016 - A 12 K 439/16 - juris; Dolde/Porsch in
Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 75 Rn. 8 m.w. Nachw.).
22 Soweit das Bundesamt schließlich anführt, der Kläger habe keine Personalpapiere vorgelegt, kann auch darin
kein zureichender Grund für die Untätigkeit der Behörde gesehen werden. Vielmehr wäre es in solchen
Fällen Sache des Bundesamts, den Sachverhalt weiter aufzuklären und beispielsweise den Asylbewerber
ausdrücklich zu Mitwirkungshandlungen aufzufordern, ihn zur Klärung der Herkunft zu einem
Sprachgutachten einzubestellen oder ihn mündlich zu seinen persönlichen Verhältnissen im Herkunftsstaat
und zu seinen Fluchtgründen anzuhören. Dies ist hier nicht geschehen. Abgesehen davon ist es im
vorliegenden Fall im Hinblick auf die jahrzehntelang nicht vorhandenen oder jedenfalls nur unzureichenden
staatlichen Strukturen in Somalia auch nicht ausgeschlossen, dass der Kläger wie vorgetragen tatsächlich
keine Personalpapiere besitzt.
23 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83 b AsylG.