Urteil des VG Freiburg vom 01.02.2016

aufschiebende wirkung, mitgliedstaat, aufenthaltserlaubnis, illegaler aufenthalt

VG Freiburg Beschluß vom 1.2.2016, 7 K 2404/15
Leitsätze
Daueraufenthaltsrecht Tschechien; Visumsfreie Einreise zum Zwecke eines
Daueraufenthalts wegen Beschäftigung; Aufenthaltsrecht nach § 38 a AufenthG;
fehlende Sicherung des Lebensunterhalts; keine Zustimmung zu einer Beschäftigung
durch Bundesagentur für Arbeit; Missachtung des Arbeitszeit- und des
Mindestlohngesetzes; Unzuverlässigkeit der Arbeitgeberin (OWi-Verstoß) als
Versagungsgrund; fehlende Aufforderung zur Rückkehr nach Tschechien;
Ausreiseaufforderung bezogen auf ganzen Schengenraum; Abschiebungsandrohung
in Staat außerhalb der Europäischen Union (Vietnam).
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.10.2015 wird hinsichtlich der in Ziffer 3 des
Bescheids verfügten Abschiebungsandrohung angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin tragen die Kosten des Verfahrens je zur
Hälfte.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1 Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines
Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.10.2015 hat in
dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Er war abzulehnen, soweit sich
der Widerspruch des Antragstellers gegen die in dem Bescheid unter Ziffer 1
verfügte Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis richtet
(hierzu zu 1). Hingegen war die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs
anzuordnen, soweit sich der Widerspruch gegen die unter Ziffer 3 des Bescheides
ausgesprochene Abschiebungsandrohung nach Vietnam richtet (hierzu zu 2).
2 1. Soweit der Antragsteller begehrt, die aufschiebende Wirkung seines
Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.10.2015 in Bezug
auf die dort in Ziffer 1 verfügte Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 38a des Aufenthaltsgesetzes (i.d.F. der Bek. v.
25.02.2008, BGBl. I S. 162; zuletzt geänd. d. Art. 3 und 13
AsylverfahrensbeschleunigungsG v. 20.10.2015, BGBl. I S. 1722) - AufenthG -
anzuordnen, ist dieser statthaft und auch sonst zulässig, jedoch in der Sache nicht
begründet.
3 a) Die Statthaftigkeit des Antrags folgt aus § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2; Abs. 2 Satz 1
Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Denn der Aufenthalt des
Antragstellers im Bundesgebiet galt nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aufgrund
seines am 16.07.2015 bei der hierfür nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1; 4 Abs. 1 AAZuVO; §
15 Abs. 1 Nr. 1 LVG; § 3 GemO zuständigen Antragsgegnerin gestellten Antrags
auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bis zur Ablehnung dieses Antrags als
erlaubt, da er sich im Zeitpunkt der Antragstellung auf der Grundlage des Art. 21
Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) rechtmäßig im
Bundesgebiet aufgehalten hatte. Zwar gewährt Art. 21 SDÜ einem Drittausländer,
der im Besitz einer von einem anderen Mitgliedstaat des Schengener
Durchführungsübereinkommens erteilten gültigen Aufenthaltserlaubnis ist,
entsprechend § 15 AufenthV einen erlaubten Aufenthalt im Bundesgebiet nur für
einen Kurzaufenthalt von bis zu 90 Tagen und befreit deshalb grundsätzlich nicht
von dem Erfordernis, für einen - wie hier - von Anfang an beabsichtigten
Daueraufenthalt ein Visumsverfahren nach § 6 Abs. 3 AufenthG durchzuführen (so
etwa für die aufgrund einer allgemeinen Aufenthaltserlaubnis oder eines Visums
eines anderen EU-Mitgliedstaats erfolgte Einreise eines Drittstaatsangehörigen
zum Zwecke der Eheschließung - OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 07.07.2014 - 2
M 23/14 -; HambOVG, Beschl. v. 23.09.2013 - 3 Bs 131/13 -; VGH Bad.-Württ.,
Beschl. v. 14.09.2011 - 11 S 2438/11 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 07.05.2014 - 5 K
4470/13 -, alle in juris). Diese Beschränkung gilt jedoch nicht für die Personen, die -
wie der Antragsteller - in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union die
Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehaben und sich länger
als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten wollen. Dies ergibt sich aus § 39 Nr. 6
AufenthV, der nach seinem Wortlaut dem Inhaber eines Aufenthaltstitels eines
anderen Mitgliedstaates das Recht einräumt, auch während eines Kurzaufenthalts,
etwa nach Art. 21 SDÜ, unter Verzicht auf das Visumsverfahren dann einen
Daueraufenthalt zu beantragen, wenn er - wie hier - einen Anspruch auf einen
solchen geltend machen kann. Damit wird der Verordnungsgeber für den Fall
eines Daueraufenthaltsberechtigten der Anforderung des Antragstellers nach Art.
15 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003 betreffend die
Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl.
L 016 v. 23.01.2004, S. 44; geänd. d. RL 2011/51/EU, ABl. L 132 v. 19.05.2011, S.
1) gerecht, der für diesen Personenkreis in seinem Satz 1 bestimmt, dass der
hierfür erforderliche Aufenthaltstitel unverzüglich, spätestens jedoch drei Monate
nach der Einreise in den zweiten Mitgliedstaat zu beantragen ist, und in seinem
Satz 2 die Beantragung des Aufenthaltstitels bereits auf dem Hoheitsgebiet des
ersten Mitgliedstaats bei den zuständigen Behörden des zweiten Mitgliedstaats nur
als zusätzliche Möglichkeit vorsieht („können akzeptieren“; ähnlich - für die
Situation einer anderweitigen Beschränkung des Art. 21 SDÜ - Müller, in:
Hofmann/Hoffmann, AuslR, § 38 a AufenthG Rn.15; Marx, in: GK-AufenthG,
Loseblatt Stand: März 2015, § 38a Rn. 18; a.A. wohl VG Aachen, Beschl. v.
04.12.2015 - 4 L 823/15 -, juris; zum visumsfreien Nachzug zu einem
Daueraufenthaltsberechtigten vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 13.04.2015 - 19 CS
14.2847 -, InfAuslR 2015, 284).
4 b) Der Rechtsschutzantrag ist jedoch in der Sache unbegründet. Die Ablehnung
des Antrags des Antragstellers auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist
voraussichtlich rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten,
sodass bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden
Interessenabwägung dem über § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesetzlich bestimmten
öffentlichen Vollzugsinteresse gegenüber dem Individualinteresse des
Antragstellers an der Verhinderung der Vollziehbarkeit seiner Ausreisepflicht der
Vorrang einzuräumen ist.
5 Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die von ihm beantragte
Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausübung einer Beschäftigung. Dieser
ergibt sich insbesondere nicht aus der Regelung des § 38a Abs. 1 AufenthG, nach
welcher einem Ausländer, der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen
Union die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehat, eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wenn er sich länger als drei Monate im
Bundesgebiet aufhalten will.
6 Zwar ist der Antragsteller im Besitz einer tschechischen Daueraufenthaltserlaubnis-
EU, sodass er die geforderte Rechtsstellung eines im Sinne des § 2 Abs. 7
AufenthG in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union langfristig
Aufenthaltsberechtigten innehat. Auch will er sich länger als drei Monate, nämlich
zum Zwecke der Aufnahme einer unselbstständigen Beschäftigung, im
Bundesgebiet aufhalten.
7 Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1 AufenthG steht jedoch
entgegen, dass der Antragsteller nicht die allgemeine
Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich
ausreichenden Krankenversicherungsschutzes erfüllt, die - im Einklang mit Art. 19
Abs. 2 Satz 1, 15 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a und b der Richtlinie 2003/109/EG - nach
§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Regel auch bei der Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1 AufenthG vorliegen muss (Bay. VGH,
Beschl. v. 16.11.2012 - 10 CS 12.803 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschl. v.
18.03.2008 - 11 S 378/07 -, InfAuslR 2008, 241).
8 Zwar hat der Antragsteller mit der Antragstellung eine Beschäftigungszusage des
Betreibers eines Nagelstudios sowie einen entsprechenden Arbeitsvertrag
vorgelegt, nach welcher der in diesem Bereich bereits in Prag in Tschechien tätige
Antragsteller ab sofort auf der Basis einer wöchentlichen Arbeitszeit von 50
Stunden einen Bruttoarbeitslohn von 1.700,- Euro erhalten soll. Dieses Einkommen
wäre der Höhe nach wohl ausreichend, um den Lebensunterhalt des Antragstellers
ohne Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln zu sichern; der Antragsteller
konnte und kann diese Arbeitsstelle jedoch nicht antreten, weil ihm die Ausübung
der Beschäftigung mit Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 38a
AufenthG nicht erlaubt werden kann. Denn nach § 38 Abs. 3 Satz 1 AufenthG
berechtigt die Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1 AufenthG nur dann zur
Ausübung einer Beschäftigung, wenn entweder die Bundesagentur für Arbeit der
Ausübung der Beschäftigung nach § 39 Abs. 2 AufenthG zugestimmt hat oder
durch Rechtsverordnung nach § 42 AufenthG oder zwischenstaatliche
Vereinbarung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne eine
solche Zustimmung zulässig ist.
9 Die hiernach für die Ausübung der Beschäftigung des Antragstellers in dem
Nagelstudio der Firma U.S. Star Nails erforderliche Zustimmung der
Bundesagentur für Arbeit - die Tätigkeit ist weder nach der
Beschäftigungsverordnung noch nach zwischenstaatlichen Vereinbarungen
zustimmungsfrei zulässig - liegt jedoch nicht vor. Die Bundesagentur für Arbeit hat
vielmehr mit Entscheidung vom 30.07.2015 die Erteilung der Zustimmung mit der
Begründung verweigert, dass der Lohn nicht den tariflichen bzw. ortsüblichen
Bedingungen für inländische Arbeitnehmer in Höhe von 8,50 Euro/Std. entspreche
und zudem die festgesetzte Wochenarbeitszeit von 50 Stunden für diesen
Personenkreis nach dem Arbeitszeitgesetz nicht zulässig sei. Die Zustimmung zu
der Beschäftigung des Antragstellers beim gleichen Arbeitgeber zu abgeänderten
Bedingungen eines neuen Arbeitsvertrags vom 05.08.2015, nach dem der
Antragsteller nunmehr 40 Stunden pro Woche arbeiten und ein Bruttogehalt von
1.800,- Euro zuzüglich 111,50 Euro Logis erhalten sollte, wurde mit Entscheidung
vom 10.08.2015 verweigert, da Ermittlungen bei der Arbeitgeberin ergeben hätten,
dass dort unter Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz tatsächlich
Wochenarbeitszeiten von 50 Stunden und mehr abverlangt worden seien. Zudem
sei gegenüber der potentiellen Arbeitgeberin des Antragstellers mit Bescheid des
Hauptzollamts Lörrach vom 23.01.2014 ein Bußgeld verhängt worden, nachdem
diese einen Arbeitnehmer entgegen § 4 Abs. 3 AufenthG beschäftigt hatte, obwohl
er nicht zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigt gewesen sei.
10 Es kann dahingestellt bleiben, ob die Ausländerbehörde - etwa aufgrund ihrer
Bindung an die Entscheidung der innerhalb des ausländerrechtlichen Verfahrens
zu beteiligenden Bundesagentur für Arbeit (vgl. §§ 4 Abs. 2; 18 Abs. 2 Satz 2; 39
Abs. 1 Satz 1 AufenthG) - die Annahme der fehlenden Sicherung des
Lebensunterhalts und damit das Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzung nach §
5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG allein auf den Umstand stützen kann, dass der
Antragsteller mangels Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit seiner
beabsichtigten Beschäftigung nicht nachgehen darf (so etwa VG Ansbach, Beschl.
v. 10.02.2011 - AN 19 S 10.02332 -, juris). Denn auch wenn in Hinblick auf das
Erfordernis des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG und der
fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber der im aufenthaltsrechtlichen
Verfahren allein verwaltungsintern beteiligten Bundesagentur für Arbeit (vgl.
BVerwG, Urt. v. 08.12.2009 - 1 C 14/08 -, BVerwGE 135, 325 Rn 15;
Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Loseblatt
Stand: Juni 2015, Bd. I, AufenthG § 39 Rn. 4) zumindest im
verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzverfahren eine inzidente Prüfung der
Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Zustimmung zur Beschäftigung vorgenommen
werden muss, stellt sich die Prognose der Antragsgegnerin hinsichtlich der
fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts des Antragstellers als rechtmäßig dar.
Die Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit zur Versagung der erforderlichen
Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung des Antragstellers bei dem
Nagelstudio U.S. Star Nails in Weil am Rhein ist rechtmäßig, und es sind auch
keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Antragsteller seinen
Lebensunterhalt einschließlich der Krankenversicherung auch ohne diese
Beschäftigung ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen sichern kann.
11 Gemäß § 39 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt die Zustimmung der Bundesagentur für
Arbeit zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung
allgemein voraus, dass der Ausländer nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen
als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt wird. Dass diese
Voraussetzungen nach dem ursprünglichen Arbeitsvertrag des Antragstellers nicht
erfüllt waren, folgt aus dem Verstoß der dort festgesetzten Arbeitszeit von
werktäglich sowohl isoliert als auch im Halbjahresdurchschnitt mehr als 8 Stunden
gegen die in § 3 Arbeitszeitgesetz bestimmte Höchstdauer der Arbeitszeit von
Arbeitnehmern sowie aus dem aus der 50stündigen Wochenarbeitszeit und dem
Bruttolohn von 1.700 Euro zu errechnenden Stundenlohn von weniger als dem
nach § 1 Abs. 1 und 2 Satz 1 des Mindestlohngesetzes bestimmten Mindestlohn
von brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Dies stellt auch der Antragsteller nicht in
Abrede.
12 Soweit der Antragsteller durch Vorlage einer angepassten Beschäftigungszusage
seiner Arbeitgeberin und eines entsprechenden Arbeitsvertrags vom 05.08.2015
den Versagungsgrund der gesetzwidrig ungünstigen Arbeitsbedingungen
ausräumen und die Einhaltung der Anforderungen an die zulässige
Höchstarbeitszeit sowie des gesetzlichen Mindestlohns nachweisen wollte, hat die
Bundesagentur für Arbeit ihre Zustimmung zu dieser Beschäftigung zurecht auf
den Versagungsgrund des § 40 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG gestützt, nach welchem die
Zustimmung versagt werden kann, wenn die Beschäftigung bei einem Arbeitgeber
erfolgen soll, der - wie die potentielle Arbeitgeberin des Antragstellers - in den
letzten fünf Jahren wegen eines Verstoßes gegen § 404 Abs. 2 Nr. 3 des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch (Beschäftigung eines ausländischen Arbeitnehmers
ohne Beschäftigungserlaubnis) rechtskräftig mit einer Geldbuße belegt worden ist.
13 Die Versagung der Zustimmung zur Beschäftigung des Antragstellers bei der Fa.
U.S. Star Nails steht sowohl in Bezug auf die Berufung auf § 39 Abs. 2 Satz 1
AufenthG als auch hinsichtlich des Versagungsgrundes der „Unzuverlässigkeit der
Arbeitgeberin des Antragstellers“ nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG mit den
Anforderungen der Richtlinie 2003/109/EG in Einklang. Denn die Mitgliedstaaten
können nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2003/109/EG in den Fällen, in
denen ein in einem anderen Mitgliedstaat langfristig Aufenthaltsberechtigter ein
Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Ausübung einer selbstständigen oder
unselbstständigen Erwerbstätigkeit begehrt, nicht nur eine arbeitsmarktpolitisch
begründete Arbeitsmarktprüfung durchführen, bei der andere Personen vorrangig
berücksichtigt werden, sondern auch hinsichtlich der Ausübung der begehrten
Tätigkeit ihre nationalen Verfahren anwenden. Dies entspricht der Ermächtigung in
Art. 21 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/109/EG, nach der Mitgliedstaaten gemäß
dem nationalen Recht festlegen können, unter welchen Bedingungen die in einem
anderen Mitgliedstaat langfristig Aufenthaltsberechtigten Zugang zu einer
unselbständigen oder selbständigen Beschäftigung haben können. Damit ist den
Mitgliedstaaten die Befugnis eingeräumt, die auch sonst bei der Zustimmung zur
Beschäftigung eines Ausländers geltenden Regelungen zur - präventiven -
Sicherung der Arbeitsschutzbestimmungen anzuwenden, zu denen das
Erfordernis der Beachtung der Arbeitsbedingungen für vergleichbare deutsche
Arbeitnehmer in § 39 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 AufenthG ebenso gehört wie der
Versagungsgrund der - aus einem Verstoß gegen das Verbot der Beschäftigung
von Ausländern ohne Beschäftigungserlaubnis abgeleiteten - „Unzuverlässigkeit
des Arbeitgebers des Ausländers“ nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG. Dabei kann
hier dahingestellt bleiben, inwieweit die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen des
ihr bei Vorliegen des letztgenannten Versagungsgrundes eingeräumten
Ermessens gehalten ist, dem hiermit beschränkten Recht des langfristig
Aufenthaltsberechtigten aus Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2003/109/EG
auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit auch in dem zweiten Mitgliedstaat
entsprechend der Zielsetzung der Richtlinie nach der Erwägung Nr. 18, die
Freizügigkeit innerhalb des Binnenmarktes weiter zu fördern, hinreichend
Rechnung zu tragen. Denn im konkreten Fall beruht die auf der rechtskräftig mit
Bußgeldbescheid geahndeten Ordnungswidrigkeit der potentiellen Arbeitgeberin
des Antragstellers gestützte Versagung der Zustimmung zur begehrten
Beschäftigung nicht - zulasten des Antragstellers - allein auf einer
generalpräventiven Zielsetzung der Abschreckung anderer Arbeitgeber, sondern
auf einer hinreichend konkreten Prognose, dass es bei der Beschäftigung des
Antragstellers bei der potentiellen Arbeitgeberin wiederum zu Verstößen gegen
arbeits- oder ausländerrechtliche Bestimmungen kommen wird. Immerhin haben
Ermittlungen des Hauptzollamts bei der potentiellen Arbeitgeberin des
Antragstellers ergeben, dass sie auch sonst Personen unter Verstoß gegen die
Arbeitszeitbestimmungen beschäftigt, sodass auch aus der Sicht des Gerichts
mehr dafür als dagegen spricht, dass die in dem angepassten Arbeitsplatzangebot
vom 05.08.2015 festgelegte Wochenarbeitszeit nicht tatsächlich umgesetzt und
der Antragsteller tatsächlich unter Verstoß gegen gesetzliche
Arbeitsschutzbestimmungen beschäftigt werden wird. Damit findet die Versagung
der Zustimmung zur Beschäftigung auch in der Richtlinie 2003/109/EG ihre
Grundlage deren Art. 15 Abs. 4 Buchst. a Absatz i), bestimmt, dass die
betreffenden Personen im Fall der Ausübung einer Erwerbstätigkeit nachweisen
müssen, dass sie im Besitz eines Beschäftigungsvertrags, einer
Einstellungserklärung oder eines Vertragsangebots gemäß den im nationalen
Recht vorgesehenen Bedingungen sind. Ein solcher Nachweis aber kann so lange
nicht gelingen, wie die konkrete Gefahr besteht, dass das tatsächliche
Arbeitsverhältnis gegen die nationalen Arbeitsschutzgesetze verstoßen wird.
14 2. Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthafte Antrag des Antragstellers auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die in dem
Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.10.2015 unter Ziffer 3 verfügte und nach §
80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 i.V.m. Satz 2 VwGO i.V.m. § 12 Satz 1 LVwVG sofort
vollziehbare Abschiebungsandrohung ist begründet.
15 Die Androhung der Abschiebung des Antragstellers nach Vietnam ist
voraussichtlich rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten. Bei
der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden
Interessenabwägung ist deshalb dem Individualinteresse des Antragstellers an
seinem weiteren vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet der Vorrang gegenüber
dem durch § 12 LVwVG begründeten öffentlichen Interesse an einer sofortigen
Vollziehbarkeit dieser Abschiebungsandrohung einzuräumen.
16 a) Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber
auch hinreichenden summarischen Prüfung spricht zunächst mehr dafür als
dagegen, dass die auf § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gestützte
Abschiebungsandrohung gegen das in § 50 Abs. 3 Satz 2 AufenthG enthaltene
Erfordernis verstößt, einen ausreisepflichtigen Ausländer, dem die Einreise und der
Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem
anderen Schengen-Staat erlaubt ist, dazu aufzufordern, sich unverzüglich in das
Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben.
17 Dieses Erfordernis des § 50 Abs. 3 Satz 2 AufenthG stellt eine Voraussetzung für
die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung als solche dar (ebenso VG
Hamburg, Urt. v. 14.01.2015 - 17 K 1758/14 -, Asylmagazin 2015, 166; VG Berlin,
Beschl. v. 30.1.2014 - 19 L 395/13 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 18.12.2013 - 8 L
1881/13 -, jew. juris; aA VG Aachen, Beschl. v. 04.12.2015 - 4 L 823/15 -, juris).
Denn die gegenüber dem Antragsteller erlassene Abschiebungsandrohung ist eine
Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG
2008/115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008
über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung
illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 v. 24.12.2008, S. 98) -
Rückführungsrichtlinie -, die nach dessen Abs. 2 - außer in den hier nicht
gegebenen Fällen einer gebotenen sofortigen Ausreise - erst dann erlassen
werden kann, wenn dieser zuvor erfolglos verpflichtet worden ist, sich unverzüglich
in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats zu begeben, für welchen er einen gültigen
Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung besitzt. Dies folgt
daraus, dass die Abschiebungsandrohung an die - mit der Ablehnung seines
Aufenthaltserlaubnisantrags verbundene - gesetzliche Ausreiseverpflichtung des
Antragstellers anknüpft und damit eine behördliche Maßnahme nach Art. 3 Nr. 4
der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG darstellt, mit der sein illegaler Aufenthalt
und seine Rückkehrverpflichtung festgestellt wird (Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG,
Loseblatt Stand: März 2015, § 59 AufenthG, Rn. 270).
18 Es spricht mehr dafür als dagegen, dass die unter Ziffer 2 des Bescheides der
Antragsgegnerin vom 05.10.2015 enthaltene Aufforderung des Antragstellers, „die
Bundesrepublik Deutschland und den Schengen-Raum außer Tschechien bis zum
23.10.2014 (gemeint ist: 2015) zu verlassen“, den Anforderungen des § 50 Abs. 3
Satz 2 AufenthG bereits insoweit nicht entspricht, als der Antragsteller sich
aufgrund seiner Daueraufenthaltsberechtigung jederzeit erlaubt in der
Tschechischen Republik aufhalten darf. Zwar kann die Formulierung zur
Verpflichtung zum Verlassen des Schengenraums mit ihrem Vorbehalt zu
Tschechien zumindest in Verbindung mit den Erläuterungen in den Gründen des
Bescheids zur Abgabe einer Grenzübertrittsbescheinigung bei der dortigen
deutschen Auslandsvertretung als ein ausreichender Hinweis an den Antragsteller
zur Rückkehrmöglichkeit in die Tschechische Republik angesehen werden, die
den Anforderung des § 50 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entsprechen würde, wenn diese
Regelung als entsprechende Schutznorm zugunsten des Antragstellers zu
verstehen wäre (so wohl VG Aachen, Beschl. v. 04.12.2015 - 4 L 823/15 -, juris).
Einem solchen Verständnis steht jedoch der Wortlaut des § 50 Abs. 3 Satz 2
AufenthG entgegen, der in Umsetzung der Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 der
Rückführungsrichtlinie eine „befehlende Regelung“ zur Aufenthaltnahme des
Ausländers in dem anderen EU-Mitglied- oder Schengenstaat erfordert (vgl. auch
VG Berlin, Beschl. v. 30.01.2014 - 19 L 395/13 -, juris) und damit vorrangig dem
Ziel der Zuweisung der Verantwortung für den Aufenthalt des
Drittstaatsangehörigen an den Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des
Schengenraums dient, der diesem einen Aufenthaltstitel erteilt und damit
überhaupt erst die Möglichkeit gegeben hat, von der Freizügigkeit innerhalb der
Europäischen Union oder des Schengenraums Gebrauch zu machen.
19 Unabhängig davon begegnet die Ausreiseaufforderung mit ihrer Einbeziehung des
gesamten Schengenraums (außer Tschechien) auch insoweit erheblichen
Bedenken, als dem Antragsteller als Inhaber einer tschechischen
Daueraufenthaltserlaubnis nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG ein
Recht eingeräumt sein dürfte, ohne vorige Rückkehr nach Tschechien unmittelbar
in weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union einzureisen und sich dort
wiederum für längstens drei Monate oder - bei Erfüllung der näheren Bedingungen
des Kapitel III der Richtlinie - auch für einen längeren Zeitraum aufzuhalten. Dieses
Verständnis des Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG entspricht der Erwägung
Nr. 18 zur Begründung der Richtlinie, nach der „die Festlegung der Bedingungen,
unter denen Drittstaatsangehörige, die langfristig Aufenthaltsberechtigte sind, das
Recht erlangen, sich in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten … (dazu beiträgt),
dass der Binnenmarkt als Raum, in dem Freizügigkeit für jedermann gewährleistet
ist, Realität wird“ und „… auch einen wesentlichen Mobilitätsfaktor darstellen
(kann)“. Entsprechend sind die Beschränkungen des titellosen Aufenthaltsrechts in
dem zweiten Mitgliedstaat auch in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG allein
an die dreimonatige Aufenthaltsdauer in diesem Staat, nicht aber an eine
Gesamtdauer der Abwesenheit von dem Mitgliedstaat gekoppelt, in dem der
Drittstaatsangehörige sein Daueraufenthaltsrecht erlangt hat. Weiter stellt Art. 22
Abs. 5 Richtlinie 2003/109/EG klar, dass die Verpflichtung des Mitgliedstaats, für
den das Daueraufenthaltsrecht besteht, zur Rückübernahme des Betreffenden bei
illegalem Aufenthalt in einem zweiten Mitgliedstaat die Möglichkeit unberührt lässt,
dass sich „der langfristig Aufenthaltsberechtigte und seine Familienangehörigen in
einen dritten Mitgliedstaat begeben“. Sofern Art. 21 Abs. 1 SDÜ die Freizügigkeit
der Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einem der Mitgliedstaaten
ausgestellten Aufenthaltstitels sind, auf die freie Bewegung für „bis zu 90 Tage je
Zeitraum von 180 Tagen … im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaat“ des
Schengenraums begründet, steht dies der weitergehenden Rechtsposition der
langfristig Aufenthaltsberechtigten aus der Richtlinie 2003/109/EG nicht entgegen,
da diese Regelung nur einen Mindeststandard festlegen und damit eine
Besserstellung der Betroffenen durch Unionsrecht oder nationale Einreise- und
Aufenthaltsbestimmungen nicht ausschließen.
20 b) Die Abschiebungsandrohung dürfte auch insoweit rechtswidrig sein und den
Antragsteller in seinen Rechten verletzen, als in dieser Vietnam als Zielstaat einer
Abschiebung bezeichnet ist.
21 Zwar liegt in Bezug auf Vietnam keine Feststellung eines Abschiebungsverbots
vor. Auch stünde einer Abschiebung des Antragstellers in dieses Land nicht die
Regelung des § 58 Abs. 1b Satz 1 AufenthG entgegen, da die dort bestimmte
Beschränkung der Abschiebung eines Ausländers, der eine Erlaubnis zum
Daueraufenthalt – EU besitzt, zusätzlich voraussetzt, dass dieser Ausländer in
einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als international
Schutzberechtigter anerkannt worden ist, was beim Antragsteller offensichtlich
nicht der Fall ist.
22 Allerdings dürfte der Abschiebung des Antragstellers nach Vietnam die Regelung
des Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109/EG entgegenstehen, die als Verbot der
Abschiebung auch die Bezeichnung dieses Staats als Zielstaat einer Abschiebung
erfasst (vgl. § 59 Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Art. 22 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie
2003/109/EG ermächtigt den zweiten Mitgliedstaat, in welchem sich ein
Drittstaatsangehöriger mit einem Daueraufenthaltsrecht in einem ersten
Mitgliedstaat unrechtmäßig aufhält und der nach nationalem Verfahrensrecht zur
Ausreise verpflichtet ist (Art. 22 Abs. 1 Buchst. c) Richtlinie 2003/109/EG),
unbeschadet der Verpflichtung des ersten Mitgliedstaates nach Abs. 2 der
Regelung, diesen Drittstaatsangehörigen unverzüglich und ohne Formalitäten
zurückzunehmen, „aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder
der öffentlichen Sicherheit die Rückführung des Drittstaatsangehörigen aus dem
Gebiet der Europäischen Union … zu verfügen.“ Damit dürfte aber eine
Rückführung des Drittstaatsangehörigen in das Gebiet außerhalb der
Europäischen Union in den Fällen, in denen - wie hier - solche schwerwiegenden
Gründe der öffentlichen Ordnung oder öffentlichen Sicherheit nicht gegeben sind,
ausgeschlossen sein. In diesen Fällen sieht die Richtlinie allein die Verpflichtung
des ersten Mitgliedstaates zur Rückübernahme oder die Ausreise oder
Überstellung in einen dritten Mitgliedstaat vor (vgl. Art. 22 Abs. 5 Richtlinie
2003/109/EG).
23 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts beruht auf §§ 53
Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Sie orientiert sich an den Nrn. 1.5; 8.1 der
Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013
(VBlBW 2014, Heft 1, Sonderbeilage).