Urteil des VG Freiburg vom 22.08.2016

diplom, erstausbildung, polizeidienst, universität

VG Freiburg Urteil vom 22.8.2016, 7 K 1689/16
Förderungsfähigkeit eines Master-Studiums, hier: Hochschulabschluss vor dem
Bachelorabschluss
Leitsätze
Die Förderungsfähigkeit eines Master-Studiums ist nach § 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 BAföG nicht ausgeschlossen,
wenn der Studierende vor dem Bachelor-Abschluss einen Hochschulabschluss erlangt hat, der jedoch - weil das
Studium weniger als drei Jahre dauerte - den Erstausbildungsanspruch für das Bachelorstudium nach § 7 Abs. 1
Satz 1 BAföG i.d.F vor dem 01.08.2016 nicht ausgeschlossen hatte.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 29.10.2015 und seines Widerspruchsbescheides
vom 20.04.2016 verpflichtet, der Klägerin die beantragte Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe zu
bewilligen.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1 Die Klägerin begehrt Ausbildungsförderung für ihr Master-Studium.
2 Sie absolvierte zunächst eine Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei. Am 01.10.2006 nahm sie an der
Hochschule für Polizei ein Studium auf, das sie am 20.03.2009 mit dem Grad der Diplom-Verwaltungswirtin
(FH) abschloss.
3 Nachdem sie auf ihren Antrag hin aus dem Polizeidienst entlassen worden war, nahm sie zum
Wintersemester 2011/2012 an der Universität U. ein Studium der Biowissenschaften auf. Hierfür beantragte
sie Ausbildungsförderung. Das Studierendenwerk U. lehnte diesen Antrag unter Verweis auf den von ihr
bereits erworbenen Hochschulabschluss ab. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe verpflichtete es jedoch mit
(rechtskräftigem) Urteil vom 08.12.2014 zur Gewährung von Ausbildungsförderung, weil die Vorausbildung
der Klägerin an der Fachhochschule zwar regelmäßig drei Jahre in Anspruch nehme, im Fall der Klägerin die
tatsächliche Studienzeit – auf die es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein
ankomme – jedoch nur 30 Monate gedauert habe. Daher seien die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 BAföG
erfüllt.
4 Am 15.07.2014 schloss die Klägerin den Bachelor-Studiengang erfolgreich ab. Zum Wintersemester
2014/2015 nahm die Klägerin an der Universität X. ein Master-Studium im Fach Biologie auf. Nachdem sie
einen zum Oktober 2014 gestellten Antrag auf Bewilligung von Ausbildungsförderung zurückgenommen
hatte, stellte sie am 29.09.2015 beim Beklagten einen Antrag für den Bewilligungszeitraum September bis
Dezember 2015. Diesen Antrag lehnte das beklagte Studierendenwerk mit Bescheid vom 29.10.2015 ab.
Den Widerspruch der Klägerin wies es mit Bescheid vom 20.04.2016, zugestellt am 27.04.2016, zurück. Der
Klägerin stehe kein Anspruch auf Ausbildungsförderung nach § 7 Abs. 1a BAföG zu, da sie – entgegen § 7
Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 BAföG – über mehr als einen Bachelorabschluss, nämlich zusätzlich einen
Fachhochschulabschluss, verfüge. Die Voraussetzungen für eine Förderung nach § 7 Abs. 2 BAföG lägen
erkennbar nicht vor.
5 Die Klägerin hat am 25.05.2016 Klage erhoben. Zu ihrer Begründung führt sie sinngemäß aus, dass der
Grundförderanspruch noch nicht ausgeschöpft sei, weil sie ihr Fachhochschulstudium in weniger als drei
Jahren absolviert habe. Im Übrigen lägen auch Gründe für die Förderung unter den Voraussetzungen einer
Zweitausbildung vor. Allein mit einem Bachelor-Abschluss seien ihre Berufsaussichten in der von ihr
angestrebten Tätigkeit in der Forschung schlecht, es werde regelmäßig ein Master-Abschluss, wenn nicht gar
eine Promotion, verlangt. Ihre Ausbildung zur Diplomverwaltungswirtin werde nicht berücksichtigt. Vor
diesem Hintergrund seien etwa auch ihre Eltern im Rahmen des familienrechtlichen Unterhaltsanspruchs
dazu verpflichtet, die Studiengangkombination aus Bachelor- und Master-Studiengang als einheitliche
Ausbildung anzuerkennen.
6 Die Klägerin hat schriftsätzlich (sachdienlich gefasst) beantragt,
7
das beklagte Studierendenwerk unter Aufhebung seines Bescheides vom 29.10.2015 und seines
Widerspruchsbescheides vom 20.04.2015 zu verpflichten, ihr die beantragte Ausbildungsförderung in
gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
8 Das beklagte Studierendenwerk hat schriftsätzlich beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Es vertieft die Ausführungen des Widerspruchsbescheids und verweist ergänzend auf die zum 01.08.2016 in
Kraft getretene Änderung des § 7 Abs. 1 BAföG. Diese lasse erkennen, dass der Gesetzgeber es nicht
bezwecke, eine Vielzahl von Studiengängen zu fördern.
11 Der Kammer liegen die Verwaltungsakten des beklagten Studierendenwerks (ein Band) sowie die
Gerichtsakten des vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe geführten Rechtsstreits (5 K 143/13) vor. Hierauf
sowie auf die Gerichtsakten dieses Verfahrens wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.
Entscheidungsgründe
12 Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Berichterstatter an Stelle der Kammer ohne mündliche
Verhandlung (§§ 87a Abs. 2 und 3, 101 Abs. 2 VwGO).
13 1. Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von
Ausbildungsförderung im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Der Bescheid des Beklagten vom 29.10.2015
und sein Widerspruchsbescheid vom 20.04.2016 sind daher rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren
Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
14 Die Klägerin hat gemäß § 7 Abs. 1a BAföG Anspruch auf Ausbildungsförderung. Dem steht nicht entgegen,
dass sie vor dem BA-Abschluss in U. bereits im Rahmen ihrer Tätigkeit als Polizeibeamtin den akademischen
Grad einer Diplom-Verwaltungswirtin erlangt hat.
15 a) Der Wortlaut des Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 BAföG ist mehrdeutig. Neben dem
vom Beklagten zu Grunde gelegten Verständnis, dass der Studierende „
ausschließlich einen [BA-
]Studiengang abgeschlossen“ haben darf, lässt sich die Norm auch dahin interpretieren, dass der
Studierende höchstens „
einen [BA-]Studiengang abgeschlossen“ haben darf.
16 Die Vorschrift des § 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 BAföG ist mit Rücksicht auf ihren Sinn und Zweck, der sich
insbesondere unter Rückgriff auf die Gesetzgebungsgeschichte ermitteln lässt, jedenfalls dahin auszulegen,
dass eine vor dem BA-Abschluss, auf dem der fragliche Masterstudiengang aufbaut, erlangte Ausbildung nur
dann einer weiteren Ausbildungsförderung entgegensteht, wenn diese Ausbildung ihrerseits eine
qualifizierende Ausbildung im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG in der für den Bewilligungszeitraum
maßgeblichen Fassung der Neubekanntmachung vom 07.12.2010 (im Folgenden: a. F.) gewesen ist.
17 Denn die Einschränkung des § 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 BAföG ist vom Gesetzgeber (allein) mit der Erwägung
aufgenommen worden, dass
18 „eine Förderung [nicht] erfolgt, wenn [der Studierende]
nach dem Bachelor- oder Bakkalaureusgrad z. B.
bereits einen Masterstudiengang oder einen grundständigen Diplomstudiengang absolviert hat“.
19 (BT-Drs. 14/4731, S. 31 – Hervorhebung nur hier)
20 Schließlich wolle § 7 Abs. 1a BAföG
21 „nur
eine einzige Bachelor-/Master- oder vergleichbare Studiengangkombination als Alternative zu einem
herkömmlichen grundständigen Studiengang ermöglichen“.
22 (BT-Drs. 14/4731, S. 31 – Hervorhebung nur hier)
23 Einen
vorherigen Abschluss, der förderungsrechtlich gerade nicht zu den berufsbildenden Abschlüssen des §
7 Abs. 1 BAföG a. F. zählt, hat der Gesetzgeber damit gerade nicht im Blick gehabt. Im Gegenteil hält der
Gesetzgeber ausdrücklich an dem bereits bei der Einführung des § 7 Abs. 1a BAföG verfolgten Zweck fest,
die Aufspaltung eines früheren grundständigen Diplomstudiengangs in ein BA- und ein MA-Studium
förderungsrechtlich unschädlich zu machen und die BA-/MA-Studiengangkombination insgesamt als
Erstausbildung zu behandeln (vgl. BT-Drs. 13/10241, S. 8).
24 Danach schließt nur eine solche Ausbildung, die vor dem BA-Studium absolviert wurde, nach § 7 Abs. 1a
Satz 1 Nr. 2 BAföG eine Förderung des MA-Studiums aus, wenn diese ihrerseits den Grundanspruch des § 7
Abs. 1 BAföG a. F. ausgeschöpft hatte (Humborg, in: Rothe/Blanke, BAföG, Stand: März 2015, § 7 Rn. 18.3)
bzw. dem BA-Abschluss zumindest vergleichbar ist (Winkler, in: Beck-OK SozialR, § 7 BAföG Rn. 22). Es ist
mit anderen Worten „unschädlich, wenn der Auszubildende schon eine
weniger als drei Schuljahre dauernde
Ausbildung, z.B. an einer Berufsfachschule, abgeschlossen hat“ (Ramsauer, BAföG, 4. Aufl. 2005, § 7 Rn. 20,
Hervorhebung nur hier).
25 b) Vorliegend hat die Klägerin zwar den Abschluss einer Diplom-Verwaltungswirtin erlangt, der von seiner
Art her eine qualifizierende Berufsausbildung nach § 7 Abs. 1 BAföG a. F. darstellt. Sie hat diesen aber in
weniger als drei Jahren erlangt, weshalb der Förderungsanspruch nach § 7 Abs. 1 BAföG a. F. durch diesen
Abschluss nicht ausgeschlossen war. Das hat das VG Karlsruhe mit seinem Urteil vom 08.12.2014 (5 K
143/13) unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgesprochen. Selbst wenn
diese Regelung systemwidrig (gewesen) sein mag, weil sie trotz Erlangung eines vollwertigen Abschlusses
eine weitere Erstausbildung förderungsfähig macht, kann dies der Klägerin in ihrem weiteren Bildungsweg
nicht entgegengehalten werden. Legt man das soeben dargelegte Verständnis zu Grunde, ist der
Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 BAföG bei einer Entscheidung für eine BA-/MA-
Studiengangkombination nicht einschlägig.
26 Die Richtigkeit des gefundenen Ergebnisses zeigt auch folgende (Kontroll-)Über-legung: Hätte die Klägerin
sich nach ihrem Ausscheiden aus dem Polizeidienst für einen grundständigen Diplomstudiengang bzw. einen
grundständigen Staatsexamensstudiengang entschieden, wäre sie nach § 7 Abs. 1 BAföG a. F. über die volle
Studienzeit gefördert worden. Würde man die vom Beklagten favorisierte Auslegung von § 7 Abs. 1a Satz 1
Nr. 2 BAföG zu Grunde legen, hätte sie vor der Wahl gestanden, entweder einen traditionellen,
„eingliedrigen“ Studiengang zu wählen oder – unter bewusstem Verzicht auf einen Großteil des BAföG-
Anspruchs – einen der neuen zweigliedrigen Studiengänge. Damit wäre der BA-/MA-Studiengang für sie
deutlich unattraktiver gewesen. Gerade diese Schlechterstellung der neuen zweigliedrigen Studiengänge zu
verhindern, ist jedoch erklärtes Ziel des Gesetzgebers gewesen.
27 Nichts anderes folgt aus dem Hinweis des Beklagten auf die Änderung des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG mit
Wirkung zum 01.08.2016. Zwar dürfte die Hinzufügung des letzten Halbsatzes, wonach eine Erstausbildung
„längstens bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses" gefördert werden kann, im Falle eines in weniger als
drei Jahren erworbenen FH-Abschlusses bereits der Förderung
des BA-Studiums entgegenstehen. Einen
Rückschluss auf die Auslegung von § 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 BAföG lässt diese Rechtsänderung gleichwohl
nicht zu, jedenfalls kann sie für die Förderungsfähigkeit eines Masterstudiengangs im streitgegenständlichen
Bewilligungszeitraum September bis Dezember 2015 mit Rücksicht auf die zeitlichen Verhältnisse keine
Bedeutung haben. Denn bei einer für bestimmte Zeiträume (fortlaufend) zu gewährenden (Sozial-)Leistung
wie der Ausbildungsförderung nach dem BAföG kann eine nach dem jeweiligen Bewilligungszeitraum
eintretende Änderungen der Sach- und Rechtslage dem Anspruch nicht entgegengehalten werden (vgl.
Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 222 m. w. N.). Dies gilt entsprechend für die aus einer geänderten
Rechtslage zu gewinnenden systematischen oder teleologischen Erwägungen.
28 Andere Gründe, die der antragsgemäßen Bewilligung von Ausbildungsförderung entgegenstehen könnten,
sind vom Beklagten nicht vorgebracht worden und auch sonst nicht ersichtlich.
29 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 VwGO nicht
erhoben.
30 3. Die Berufung wird zugelassen. Die Frage, ob § 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 BAföG im dargelegten Sinne
einschränkend auszulegen ist, hat grundsätzliche Bedeutung i. S. d. §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO. Sie ist in dem Sinne klärungsbedürftig, als sich ihre Beantwortung nicht unmittelbar aus dem Gesetz
ergibt. Es ist nicht erkennbar, dass sie in ihrer Bedeutung auf einen Einzelfall beschränkt wäre. Schließlich
liegt eine (obergerichtliche) Rechtsprechung – soweit ersichtlich – nicht vor.