Urteil des VG Freiburg vom 21.11.2016

einkünfte, satzung, berufliche tätigkeit, treu und glauben

VG Freiburg Urteil vom 21.11.2016, 7 K 1599/16
Beitrag für ein berufsständisches Versorgungswerk -hier: Psychotherapeutenkammer-
Leitsätze
1. Bei der Beitragsbemessung ist das berufsständische Versorgungswerk nicht darauf beschränkt, die Einkünfte
aus den den Mitgliedern (hier: durch das Approbationsrecht) exklusiv zugewiesenen Tätigkeiten heranzuziehen;
es darf vielmehr alle Einkünfte aus der beruflichen Tätigkeiten zugrunde legen, solange diese nicht ohne jeden
Zusammenhang mit der Berufsqualifikation stehen, auf der die Mitgliedschaft beruht.
2. Dass der Beitragspflichtige eine bestimmte Tätigkeit bereits (legal) ausgeübt hat, bevor er die die
Mitgliedschaft begründende Berufsqualifikation (hier: die Approbation zum Psychotherapeuten) erlangt hat,
steht der Heranziehung der daraus erzielten Einkünfte folglich nicht entgegen.
3. Die Beifügung einer auflösenden Bedingung, wonach eine begünstigende Entscheidung (hier: eine
Beitragsbefreiung), nur so lange wirksam sein soll, wie die Voraussetzungen vorliegen, verstößt, wenn ein
Anspruch auf die begünstigende Entscheidung besteht, gegen § 36 Abs. 1 (L)VwVfG.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung seines Einkommens aus einer heilpädagogischer Praxis bei
der Beitragsbemessung durch das Versorgungswerk der Psychotherapeuten.
2 Der Kläger absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Diplom-Heilpädagogen und ist seit 1994 in diesem
Beruf tätig. Im Jahr 1997 machte er sich mit einer eigenen Praxis selbständig. Seit April 2002 ist er zudem in
einer kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanz als Angestellter im Umfang von ca. 10 Stunden/Woche
tätig. Am 22.04.2014 wurde er von der Psychotherapeutenkammer Baden-Württemberg als Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeut approbiert und damit gemäß Art. 1 Abs. 1 des Staatsvertrages zwischen dem
Land Baden-Württemberg und dem Land Nordrhein-Westfalen über die Zugehörigkeit der
Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten des Landes Baden-Württemberg zum Versorgungswerk der
Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen vom 28.10.2008 (GV. NRW 2008, 754) i. V. m. § 2 Abs. 2
Nr. 5 des baden-württembergischen Gesetzes über das Berufsrecht und die Kammern der Ärzte, Zahnärzte,
Tierärzte, Apotheker, Psychologischen Psychotherapeuten sowie der Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten (im Folgenden: HBKG BW) Pflichtmitglied des beklagten Versorgungswerkes.
3 Am 18.08.2014 gab der Kläger in einem formularmäßigen „Erfassungsbogen zur Mitgliedschaft“ an, seit
2001 als Angestellter tätig und in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert zu sein (Feld Nr.
330). Er beantragte die vollständige Befreiung von der Beitragspflicht wegen dieser anderweitigen
Pflichtversicherung (Feld Nr. 410 und 411). Weiter erklärte er, Beiträge in Höhe des Regelpflichtbeitrags
i.S.v. § 28 Abs. 2 der Satzung des Beklagten entrichten zu wollen (Feld Nr. 511). Er fügte die
Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2012 und die Entgeltabrechnung für Juni 2014, jeweils bezogen auf
die Kinder- und Jugendpsychologische Ambulanz, bei. Daraufhin befreite ihn das beklagte Versorgungswerk
mit Bescheid vom 21.08.2014 rückwirkend ab dem 22.04.2014 vollständig von der Beitragspflicht. Im
Bescheid wird ausgeführt:
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„Die Befreiung gilt nur solange Sie aus einer ggf. gleichzeitig ausgeübten selbständigen Tätigkeit nicht mehr
als geringfügige Einkünfte (derzeit 595 EUR monatlich) erwirtschaften.
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Die Befreiung wirkt solange, wie die Voraussetzungen, die zur Befreiung führen, weiterhin vorliegen.“
6 Auf Nachfrage des Beklagten legte der Kläger im Frühjahr 2015 wiederum Nachweise bezüglich seiner
Angestelltentätigkeit vor. Mit Schreiben vom 23.03.2016 forderte das beklagte Versorgungswerk den Kläger
erstmals auf, Nachweise über die „gesamten berufsbezogenen Einkünfte“ vorzulegen, insbesondere eine
Kopie des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2014. Dieser Aufforderung kam der Kläger umgehend
nach und legte unter anderem den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 vor. Darin werden für den
Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 36.600 EUR und aus freiberuflicher Tätigkeit in
Höhe von 63.876 EUR zugrunde gelegt.
7 Daraufhin erließ das beklagte Versorgungswerk am 07.04.2016 Beitragsbescheide für die Zeiträume 22.04.
bis 31.12.2014, 2015 und 2016. Dabei setzte es monatlich – für den Monat April 2014 zeitanteilig – den
jeweils geltenden Regelpflichtbeitrag von 5/10 des Höchstbetrags der Deutschen Rentenversicherung fest.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe, wie dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014
zu entnehmen sei, von Anfang an Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielt, die über der hälftigen
Beitragsbemessungsgrenze der Deutschen Rentenversicherung lägen, so dass der Regelpflichtbeitrag
festzusetzen sei.
8 Hiergegen erhob der Kläger am 08.04.2016 Widerspruch. Zur Begründung gab er unter anderem an:
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„Meine selbständige Tätigkeit bezieht sich im Wesentlichen auf meine heilpädagogische Praxis, in der ich
nicht psychotherapeutisch arbeite und arbeiten kann. [...] In dem Zeitraum 2015-2016 hatte ich 8
Patienten auf Kostenerstattungsverfahren, die ungefiltert in die Gesamtsteuer einflossen. Mein
Steuerberater kann dies auch separat ausweisen.“
10 In einem weiteren Schreiben vom 18.04.2016 erläuterte er seine Tätigkeit weiter und führte aus, dass sich
seine Tätigkeit nach der Approbation nicht verändert habe, weil er noch keinen Kassensitz erhalten habe.
11 Mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2016 wies das beklagte Versorgungswerk den Widerspruch zurück.
12 Am 18.05.2016 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass das Versorgungswerk zu
Unrecht seine gesamten Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit zur Beitragsbemessung herangezogen habe.
Denn die Einkünfte stammten zum weit überwiegenden Teil aus einer rein heilpädagogischen Tätigkeit, wie
er sie in seiner Praxis schon seit mehr als zwanzig Jahren und mithin schon lange vor seiner Approbation
unverändert ausgeübt habe. Seine Praxis sei auf die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung i. S.
d. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII spezialisiert, bei denen die Betroffenen in die Lage versetzt werden sollen, am
Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, einen angemessenen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben
oder möglichst unabhängig von Pflegeleistungen zu sein. Diese Tätigkeit weise keine Ähnlichkeit mit
psychotherapeutischer Tätigkeit auf, weil die Behandlung nicht auf die Beeinflussung von
Verhaltensanomalien und seelischen Leiden gerichtet sei. Dabei sei auch zu beachten, dass die
heilpädagogischen Patienten zu ca. 80 % Kinder im Alter bis zu 6 Jahren seinen, während die Kinder- und
Jugendpsychotherapie sich nahezu ausschließlich an Schulkinder zwischen 8 und 14 Jahren richte.
Psychotherapeutische Behandlungen habe er, da er noch nicht über einen Kassensitz verfüge, in eigener
Praxis nur vereinzelt durchführen können: Im Jahre 2014 habe er aus der Behandlung von zwei Patienten
insgesamt 3.177,24 EUR erlöst, im Jahr 2015 aus der Behandlung mehrerer Patienten insgesamt 25.925,66
EUR. Im Übrigen habe er psychotherapeutische Leistungen im Rahmen seines Angestelltenverhältnisses in
der kinder- und jugendpsychologischen Ambulanz erbracht. Unabhängig hiervon habe das beklagte
Versorgungswerk verkannt, dass es ihm gegenüber mit Bescheid vom 21.08.2014 eine Befreiung von der
Beitragspflicht ausgesprochen und diese bislang nicht aufgehoben habe. Die der Befreiung zugrunde
liegende Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung des Beklagten sei überdies viel zu unbestimmt.
13 Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
14 die Beitragsbescheide des beklagten Versorgungswerks vom 07.04.2016 für die Zeiträume April bis
Dezember 2014, 2015 und 2016 insoweit aufzuheben, als diesen Einkünfte des Klägers aus
heilpädagogischer und sonstiger nicht-psychotherapeutischer Tätigkeit zugrunde gelegt wurden.
15 Das beklagte Versorgungswerk beantragt schriftsätzlich,
16 die Klage abzuweisen.
17 Zur Begründung wird ausgeführt: Die dem Kläger erteilte Befreiung habe ihre Wirkung dadurch verloren,
dass dieser mehr als nur geringfügige Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit erzielt habe. Diese Regelung
entspreche § 9 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung des Beklagten und sei im Befreiungsbescheid wiederholt worden.
Die für die Beitragsbemessung maßgebliche Vorschrift des § 28 der Satzung des Beklagten müsse vor dem
Hintergrund der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ausgelegt werden. Nach § 6a Abs. 5 des nordrhein-
westfälischen Heilberufsgesetzes (im Folgenden: HeilBerG NRW) sei es Aufgabe des Versorgungswerks, den
Kammerangehörigen eine Absicherung im Alter, bei Berufsunfähigkeit und für die Hinterbliebenen zu
schaffen und sie hierzu aus den Einkünften ihrer beruflichen Tätigkeit zur Beitragszahlung heranzuziehen.
Diese Vorschrift fasse den Begriff der Einkünfte erkennbar weit und enthalte insbesondere keine
Beschränkung auf Einkünfte aus therapeutischer Tätigkeit im Sinne des Approbationsrechts. Die
Beitragspflicht erfasse daher nicht nur Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1
Psychotherapeutengesetz (im Folgenden: PsychThG). Vielmehr würden bei der Bemessung der Beiträge zum
Versorgungswerk Einkünfte aus jeder Tätigkeit erfasst, die eine gewisse fachliche Nähe zur Tätigkeit eines
Psychotherapeuten aufweise, weil bei ihr Kenntnisse, die Voraussetzung für die Approbation waren,
eingesetzt oder mit verwendet würden oder auch nur potentiell zum Einsatz hätten kommen können. Nur
Einkünfte aus solchen (selbständigen) Tätigkeiten, die berufsfremd seien, weil sie in keinem Zusammenhang
mehr mit der psychotherapeutischen Ausbildung stünden, seien bei der Beitragsbemessung ausgenommen.
Dass es sich auch bei der vom Kläger im Rahmen seiner heilpädagogischen Praxis angebotenen
Eingliederungshilfe für Kinder um eine solche Tätigkeit handele, die eine hinreichende Nähe zur
psychotherapeutischen Ausbildung aufweise, zeige sich auch an der Selbstbeschreibung, die der Kläger auf
seiner Homepage veröffentlicht habe. Darin lege der Kläger unter anderem dar, dass er seine Methoden
(auch) auf psychologischen Kenntnissen aufbaue und auf „spieltherapeutische Verfahren“,
„Kinderpsychodrama“ und „Elemente verhaltenstherapeutischer Intervention“ rekurriere. Der Umstand,
dass der Kläger derartige Behandlungen schon lange vor seiner Approbation durchgeführt habe, sei schon
deshalb nicht geeignet, die Nähe zur psychotherapeutischen Ausbildung in Frage zu stellen, weil es gerade
die Ausbildung als Heilpädagoge gewesen sei, die es ihm ermöglicht habe, gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
PsychThG zur Ausbildung zum Kinder- und Jugendpsychotherapeut zugelassen zu werden.
18 Der Kammer liegen die Verwaltungsakten des beklagten Versorgungswerks (ein Ordner) vor. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird hierauf und auf die gewechselten Schriftsätze
verwiesen.
Entscheidungsgründe
19 Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
20 Die angefochtenen Beitragsbescheide vom 07.04.2016 und der Widerspruchsbescheid vom 28.04.2016 sind
auch insoweit rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO), als über die Erlöse aus psychotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen hinaus alle Einkünfte des
Klägers aus selbständiger Tätigkeit zur Beitragsbemessung herangezogen worden sind. Das beklagte
Versorgungswerk hat die Beiträge des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum zutreffend festgesetzt
(1.). Der Festsetzung stand auch der Befreiungsbescheid vom 21.08.2014 nicht entgegen (2.).
21 1. Das beklagte Versorgungswerk hat die Beiträge des Klägers zutreffend gemäß § 28 Abs. 2 seiner Satzung
auf den Regelpflichtbeitrag von 5/10 des Höchstbetrags in der gesetzlichen Rentenversicherung festgesetzt.
Der Kläger verfügte über Einnahmen aus selbständiger beruflicher Tätigkeit im Sinne des Satzungsrechts
(dazu sogleich). Diese lagen im Jahr 2014 mit deutlich über der sich mittelbar aus § 28 Abs. 2 und 3 der
Satzung des Beklagten ergebenden Beitragsbemessungsgrenze. Diese Einkünfte sind gemäß § 28 Abs. 5 Nr.
2 der Satzung des Beklagten auch für die beiden Folgejahre 2015 und 2016 maßgeblich.
22 Wie sich – mittelbar – aus der Zusammenschau von § 28 Abs. 2 und 3 bzw. § 9 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung des
Beklagten ergibt, liegt der Beitragsermittlung bei Mitgliedern, die Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit im
Sinne des Einkommenssteuerrechts erzielen (vgl. hierzu VG Aachen, Urteil v. 21.11.2013 - 5 K 2616/12 -,
juris, Rn. 22), die Vorstellung zu Grunde, dass insofern der Beitragssatz der gesetzlichen
Rentenversicherung angewendet wird, wobei jedoch die Beitragsbemessungsgrenze abweichend von den
Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung halb so hoch angesetzt wird (§ 28 Abs. 2 der Satzung des
Beklagten). Eine individuelle Festsetzung des Beitragssatzes findet gemäß § 28 Abs. 3 der Satzung des
Beklagten nur dann statt, wenn dies beantragt wird. Im Übrigen und wenn die Einkünfte aus selbständiger
Tätigkeit die Beitragsbemessungsgrenze überschreiten, wird der Regelpflichtbeitrag nach § 28 Abs. 2 der
Satzung des Beklagten festgesetzt.
23 a) Zur Frage, welche Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit zur Bemessung des Beitrags nach § 28 der
Satzung des Beklagten heranzuziehen sind, hat das Verwaltungsgericht Aachen im Urteil vom 21.11.2013
(a. a. O., Rn. 25 ff.) ausgeführt:
24 Die Satzung des Beklagten, die in mehreren Bestimmungen von „selbständiger Tätigkeit“ spricht, enthält
selbst keine Definition derselben. Dies spricht allerdings nicht dafür, dass nach dem Willen des
Satzungsgebers jedwede selbständige Tätigkeit des Mitglieds, auch eine berufsfremde, die Beitragspflicht
auslösen sollte. Ein entsprechend weites Verständnis der selbständigen Tätigkeit wäre mit der gesetzlichen
Grundlage, auf der die Satzung beruht, nicht zu vereinbaren.
25 Gesetzliche Grundlage der Satzung des Versorgungswerks ist § 6a Abs. 1 HeilBerG [NRW]. Hiernach haben
die Kammern, zu denen gemäß § 1 Satz 1 Nr. 3 HeilBerG [NRW] auch die Psychotherapeutenkammer
gehört, durch besondere Satzung mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde Versorgungseinrichtungen für die
Kammerangehörigen und ihre Familienmitglieder zu schaffen. Gemäß § 6a Abs. 5 HeilBerG [NRW] erheben
die Versorgungseinrichtungen von ihren Mitgliedern die zur Erbringung der Versorgungsleistungen
notwendigen Beiträge, die sich nach den Einkünften aus der beruflichen Tätigkeit richten und sich an den
Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung orientieren.
26 Der Wortlaut der zuletzt zitierten Bestimmung „aus der beruflichen Tätigkeit“ spricht bereits dafür, dass
nicht jedwede berufliche Tätigkeit, sondern diejenige des Mitglieds gemeint ist, welche Grundlage der
Mitgliedschaft im Versorgungswerk ist. Die von der Mitgliedschaft in der Kammer abgeleitete Mitgliedschaft
im Versorgungswerk beruht auf der Zugehörigkeit der Betreffenden zu einer der in § 1 Satz 1 HeilBerG
[NRW] aufgeführten Berufsgruppen und knüpft in § 2 Abs. 1 HeilBerG [NRW] an die Ausübung „ihres“
Berufs an. Damit ist für die Berufsgruppe der Psychotherapeuten im Sinne des § 1 Satz 1 Nr. 3 HeilBerG
[NRW] die berufliche Tätigkeit als Psychotherapeuten gemeint.
27 Allerdings ist dieser Begriff nicht mit der Berufsausübung im Sinne des bundesrechtlichen Begriffs nach §§ 1
und 2 des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) gleichzusetzen. Voraussetzung für die landesrechtlich
begründete Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer ist nicht die Ausübung von Psychotherapie im
Sinne des § 1 Abs. 3 PsychThG. Für den Begriff der Berufsausübung im Bereich des Heilberufsrechts gilt
vielmehr, dass dieser regelmäßig weiter auszulegen ist als derjenige im Sinne des Approbationsrechts.
28 Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 24. April 2008 -
5 A 4699/05 -, juris; Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg, Urteil vom 26. April 2007 - 8 LC 13/05 -,
juris.
29 Dies ist vor allem damit zu begründen, dass bei der Einführung einer berufsständischen Pflichtversicherung
der Mitgliederkreis grundsätzlich so abgegrenzt werden darf, wie es für die Begründung einer
leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist. So ist eine kollektive Versorgung wirtschaftlich nur mit
Erfolg durchführbar, wenn die Zahl der Mitglieder nicht zu klein ist und Ausnahmen und Befreiungen für
Einzelfälle möglichst gering gehalten werden.
30 Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. November 1982 - 5 C 69.79 -, juris, Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz (OVG Rh.-Pf.), Urteil vom 6. März 2012 - 6 A 11306/11 -, juris.
31 Für ein weites Verständnis des kammerrechtlichen Begriffs der Berufsausübung spricht überdies auch der
Gesichtspunkt der Praktikabilität der Satzungsregelung. Käme es für die Heranziehung zu Beiträgen darauf
an, ob das Mitglied Psychotherapie im Sinne des § 1 Abs. 3 PsychThG ausübt, obläge es dem Beklagten in
jedem Einzelfall zu überprüfen, ob ein Psychologischer Psychotherapeut eine mittels wissenschaftlich
anerkannter psychotherapeutischer Verfahren vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder
Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist, ausübt.
32 Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 6. März 2012, a.a.O.
33 Ausgehend hiervon wird die Pflichtmitgliedschaft in der Psychotherapeutenkammer und damit zugleich im
Versorgungswerk derselben und daraus folgend eine Beitragspflicht nur durch eine solche berufliche
Betätigung begründet, bei der psychotherapeutische Kenntnisse eine gewisse Rolle spielen können und die
eine gewisse Nähe zur Ausübung heilkundlicher Psychotherapie aufweist.
34 Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 6. März 2012, a.a.O.
35 Anders formuliert wird eine psychotherapeutische Tätigkeit im Sinne der Satzung angenommen, wenn der
betroffene Psychotherapeut eine Tätigkeit ausübt, bei der er die Kenntnisse, die Voraussetzung für seine
Approbation waren, einsetzt oder mit verwendet oder auch nur einsetzen oder mit verwenden kann.
36 Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 26. April 2007, a.a.O.
37 Ausgeschlossen sind danach lediglich solche berufsfremden Tätigkeiten, die in keinem Zusammenhang mehr
mit der psychotherapeutischen Ausbildung stehen.
38 Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 26. April 2007, a.a.O.; Oberverwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 29.
November 2005 - 1 A 148/04 -, juris.
39 Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen an und macht sie sich zu eigen.
40 Dass eine Tätigkeit schon vor Beginn der Beitragspflicht ausgeübt wurde, steht entgegen der Auffassung des
Klägers einer Heranziehung der daraus erzielten Einkünfte zur Beitragsbemessung nicht entgegen. Wie vom
Verwaltungsgericht Aachen ebenfalls zutreffend dargelegt (a. a. O., Rn. 30 ff. m. w. N.), sind
berufsständische (Versorgungs-)Einrichtungen bei der Beitragsbemessung nicht auf den durch das
Approbationsrecht ihren Mitgliedern exklusiv zugewiesenen „Kernbereich“ beschränkt, sondern dürfen
darüber hinaus berufliche Tätigkeiten im „Randbereich“ des Berufsbildes erfassen. Allein der Umstand, dass
Tätigkeiten in diesem Randbereich auch von Angehörigen anderer Berufe ausgeübt werden (können), genügt
nicht, um die Einbeziehung in berufsständische Kammern und ihre Versorgungseinrichtung auszuschließen
(vgl. BVerwG, Urt. v. 30.01.1996 - 1 C 9.93 -, juris, Rn. 24).
41 b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die Einkünfte des Klägers aus seiner heilpädagogischen
Praxis zur Beitragsbemessung heranzuziehen. Es kann nämlich – worauf es nach dem Vorstehenden allein
ankommt – nicht davon gesprochen werden, dass diese Tätigkeit ohne jeden Zusammenhang mit der
Qualifikation des Klägers als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut ist. Im Gegenteil: Zwischen dem
Beruf des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und der heilpädagogischen Tätigkeit besteht vielmehr
bereits deshalb eine besonders enge Verbindung, weil das Studium der (Heil-)Pädagogik – neben dem der
Psychologie – überhaupt erst den Zugang zur Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
eröffnet (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PsychThG). Eine hinreichende Nähe der heilpädagogischen Tätigkeit zu
dieser Ausbildung belegt schließlich auch die Selbstdarstellung des Klägers auf seiner Internetseite. Dort legt
er selbst dar, dass er im Rahmen der Eingliederungshilfe auf Methoden der Psychologie zurückgreift und
insbesondere auch spieltherapeutische Verfahren, Elemente aus dem Kinderpsychodrama und der
verhaltenstherapeutischen Intervention zur Anwendung bringt.
42 2. Der Heranziehung des Klägers steht auch nicht die im Bescheid vom 21.08.2014 ausgesprochene
Befreiung entgegen.
43 Allerdings teilt die Kammer nicht die vom Verwaltungsgericht Aachen in seinem Urteil vom 21.11.2013 (a. a.
O., Rn. 20) zugrunde gelegte Auffassung, wonach eine Befreiungsentscheidung sich von vornherein nur auf
die Angestelltentätigkeit beziehe, wenn im Bescheid der Passus enthalten sei, dass diese Entscheidung nur
solange wirke, wie die satzungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Befreiung vorlägen. Vielmehr handelt
es sich beim zweiten und dritten Absatz des in Briefform gefassten Bescheides vom 21.08.2014 jeweils um
eine Nebenbestimmung in Gestalt einer auflösenden Bedingung (a.). Diese sind zwar rechtswidrig, aber
bestandskräftig geworden (b.). Die auflösenden Bedingungen sind auch umgehend eingetreten (c.).
44 a) Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts bestimmt sich entsprechend §§ 133, 157 BGB nach seinem
objektiven Erklärungswert, d. h. danach, wie ihn ein verständiger Bürger an Stelle des Empfängers nach
Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste und durfte (vgl. Kopp/Ramsauer,
VwVfG, § 35 Rn. 54 ff. m. w. N.). Danach hat das beklagte Versorgungswerk im ersten Absatz des
Bescheides vom 21.08.2014 – wie im Übrigen in § 9 Abs. 1 seiner Satzung angelegt – die
vollständige
Befreiung des Klägers von der Beitragspflicht ausgesprochen. Die Pflichtversicherung in der gesetzlichen
Rentenversicherung wird in diesem Zusammenhang zunächst als Begründung („aufgrund“) und nicht als
Grenze der Befreiung genannt. In den folgenden beiden Absätzen hat das beklagte Versorgungswerk sodann
Szenarien formuliert, bei denen die Befreiung von sich aus entfallen soll: Wenn der Kläger aus einer
selbständigen Tätigkeit mehr als geringfügige Einkünfte erzielt oder – was das vorgenannte Szenario im
Übrigen umfasst – die Befreiungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen. Weil der Entscheidung des
beklagten Versorgungswerks eine Prüfung der vom Kläger unverändert ausgeübten (von ihm
irrtümlicherweise aber als irrelevant erachteten) Tätigkeit als Heilpädagoge nicht zugrunde lag, durfte er
nicht davon ausgehen, dass sich die Bedingung nur auf neu hinzutretende Umstände beziehen würde.
45 b) Damit hat das beklagte Versorgungswerk der Befreiungsentscheidung zwei (teilkongruente) auflösende
Bedingungen i. S. d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG (NRW) beigefügt. Hierzu war es jedoch nicht berechtigt.
Gemäß § 36 LVwVfG (NRW) darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, nur dann mit einer
Nebenbestimmung versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist (Alt. 1) oder wenn sie
sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden (Alt. 2). Auf die
Erteilung einer Befreiung besteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung der Beklagten ein Anspruch („Auf
Antrag wird [...] befreit“), wenn die Voraussetzungen vorliegen. Eine besondere Ermächtigung zur
Beifügung von Nebenbestimmungen existiert nicht. Die auflösenden Bedingungen sind auch nicht nach § 36
Abs. 1 Alt. 2 LVwVfG zulässig. Denn diese Ermächtigung dient allein dazu,
im Zeitpunkt des Erlasses des
Verwaltungsakts bestehende Hinderungsgründe auszuräumen. § 36 Abs. 1 Alt. 2 LVwVfG ermächtigt also –
auch bei sogenannten Dauer-Verwaltungsakten – nicht dazu, Nebenbestimmungen zu erlassen, um
sicherzustellen, dass die Erlassvoraussetzungen auch zukünftig gewahrt bleiben, wenn hieran keine
konkreten Zweifel bestehen (Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 36 Rn. 120 ff. m. w. N.).
Dies würde den Bürger um den durch die §§ 48, 49 VwVfG (bzw. das Fachrecht) näher ausgestalteten
Vertrauensschutz bringen. Allerdings sind die Nebenbestimmungen bestandskräftig geworden, nachdem der
Kläger gegen sie nicht vorgegangen ist.
46 c) Die auflösenden Bedingungen sind beide (umgehend) eingetreten. Der Kläger hat – wie unter 1. dargelegt
– zu jederzeit nach Beginn seiner durch die Approbation kraft Gesetzes eingetretenen Mitgliedschaft beim
Beklagten mehr als nur geringfügige Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit im Sinne der Satzung der
Beklagten erzielt.
II.
47 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO, aus
denen die Berufung vom Verwaltungsgericht zuzulassen wäre, sind nicht gegeben.