Urteil des VG Freiburg vom 28.07.2016

aufenthaltserlaubnis, lebensgemeinschaft, schutz der ehe, eugh

VG Freiburg Beschluß vom 28.7.2016, 6 K 1047/16
Leitsätze
Zur (hier: abgelehnten) Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eines in Deutschland wohnenden
drittstaatsangehörigen Ehemannes einer deutschen Staatsangehörigen, die in der Schweiz wohnt und arbeitet.
Zur Auslegung des Freizügigkeitsabkommens EU/Schweiz in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH
(Rechtssachen "Diatta", "Iida" und "Ruiz Zambrano").
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Der Antragsteller, ein am … 1978 geborener Staatsangehöriger der Republik Kosovo, wendet sich gegen die
Entscheidung der Antragsgegnerin vom 10.02.2016. Diese Entscheidung erging auf Anträge des
Antragstellers auf Erteilung einer unbefristeten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die er am
19.05.2015 und am 10.08.2015 bei den zu diesen Zeitpunkten aufgrund Wohnsitzes jeweils zuständigen
Ausländerbehörden der Landeshauptstadt Stuttgart und des Landratsamts Böblingen gestellt hat. Die
Aufenthaltserlaubnis wurde dem Antragsteller erstmals am 26.05.2009 zum Zweck des Familiennachzugs
zu seiner deutschen Ehefrau (Frau E.) erteilt und ist seither ohne Unterbrechung, zuletzt vom 20.05.2012
bis zum 20.05.2015, immer wieder verlängert worden. Unter Nr. 1 der Entscheidung vom 10.02.2016
lehnte die Antragsgegnerin (die seit 01.11.2015 wegen Zuzugs des Antragstellers nach R... zuständig ist)
die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ebenso ab, wie unter Nr. 2 eine weitere Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis. Ferner forderte sie den Antragsteller unter Nr. 3 auf, Deutschland spätestens 30 Tage
ab Zustellung der Verfügung zu verlassen, und drohte ihm schließlich unter Nr. 4 für den Fall, dass er diese
Verpflichtung nicht freiwillig fristgerecht erfüllt, die Abschiebung in den Heimatstaat Kosovo an. Gegen diese
ihm am 16.02.2016 zugestellte Entscheidung erhob der Antragsteller am 18.02.2016 Widerspruch, über den
noch nicht entschieden ist.
2 Am 08.04.2016 hat der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Er beantragt, die aufschiebende
Wirkung seines Widerspruchs anzuordnen, soweit in der angefochtenen Entscheidung die Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und ihm die Abschiebung angedroht worden ist. Den Antrag auf Erteilung
einer Niederlassungserlaubnis verfolgt er ausdrücklich nicht weiter.
II.
3 Das Begehren nach vorläufigem Rechtsschutz ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig. Der
Verlängerungsantrag vom 19.05.2015 wurde noch unter Geltung der bis zum 20.05.2015 befristeten
Aufenthaltserlaubnis (vom 20.05.2012) gestellt und löste somit ursprünglich die Fortbestehensfiktion gemäß
§ 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG aus. Diese Fiktion erlosch - mit der Folge einer Vollziehbarkeit der
Ausreisepflicht (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) - durch die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 84 Abs. 1
Nr. 1 AufenthG sofort vollziehbare Ablehnungsentscheidung. In diesem Fall kann zulässigerweise
Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO begehrt werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.11.2007 – 11 S
2364/07 – Rn. 2 und 3, juris). Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung ergibt sich die Zulässigkeit eines
Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO aus deren ebenfalls kraft Gesetzes bestehenden sofortigen Vollziehbarkeit
(§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, § 12 LVwVG).
4 Der Antrag ist jedoch unbegründet. Nach der im summarischen Verfahren möglichen Erkenntnis hat der
Antragsteller aller Voraussicht nach keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin bestehen derzeit nicht,
weshalb das öffentlich Vollzugsinteresse überwiegt.
5
1.)
Zu prüfen sind hier (nur) die Vorschriften über den Familiennachzug. Aufgrund des dem
Aufenthaltsgesetz zugrunde liegenden Konzepts unterschiedlicher Aufenthaltstitel mit jeweils
eigenständigen Voraussetzungen und Rechtsfolgen können zwar mehrere Aufenthaltstitel nebeneinander
erteilt werden, solange das Gesetz nicht eindeutig etwas anderes bestimmt (BVerwG, Beschl. v. 01.04.2014
– 1 B 1.14 –, Rn. 5, juris). Allerdings verlangt ein Antragsbegehren, dass nach der vom Ausländer gegebenen
Begründung seines Antrags für die Ausländerbehörde deutlich erkennbar ist, zu welchem Aufenthaltszweck
bzw. zu welchen Aufenthaltszwecken er einen Aufenthaltstitel begehrt (Armbruster, in: HTK-AuslR /
Rechtsschutz / 2.1.1, Rn. 36-39 m.w.N. [Stand: 29.12.2014]). Aufgrund des Vortrags im Widerspruchs- und
Gerichtsverfahren, der wesentlich auf den Fortbestand einer ehelichen Lebensgemeinschaft und den daraus
folgenden Schutz der Ehe abhebt, ist davon auszugehen, dass der Antragsteller die Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis ausschließlich zum Zweck des Familiennachzugs (§§ 27, 28 AufenthG) begehrt. Die
Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Erwerbstätigkeit (§ 18 AufenthG), welcher im Antrag beim
Landratsamt Böblingen angegeben worden war (VAS. 1087), ist damit nicht (mehr) beantragt. Soweit der
Antragsteller mit den Anträgen vom 19.05.2015 und 10.08.2015 diese Verlängerung „unbefristet“
beantragte, zielten diese auf einen verfestigten Aufenthaltstitel in Gestalt der Niederlassungserlaubnis ab (§
28 Abs. 2 Satz 1 und 2 AufenthG). Von diesem Aufenthaltstitel hat der Antragsteller inzwischen jedoch
wieder ausdrücklich Abstand genommen, was zugleich als Antragsrücknahme gegenüber der
Antragsgegnerin aufgefasst werden kann.
6
a.)
Ein Verlängerungsanspruch aus § 28 Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.V.m. §§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 27 Abs. 1
AufenthG besteht aller Voraussicht nach nicht. Nach diesen Vorschriften wird die Aufenthaltserlaubnis dem
ausländischen Ehegatten eines Deutschen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, zur
Herstellung und Wahrung der familiären - hier: ehelichen - Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zum
Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG) verlängert, solange die familiäre - hier: eheliche -
Lebensgemeinschaft fortbesteht. Diese Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist akzessorisch zur
erstmaligen Erteilung, d.h. vom Fortbestand des Zwecks (Herstellung und Wahrung der familiären
Lebensgemeinschaft) abhängig. Wenn dieser Zweck nicht mehr erreicht werden kann, kommt eine
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht mehr in Betracht. Die Akzessorietät der Aufenthaltserlaubnis
bleibt bis zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltstitels bestehen (Zeitler, in: HTK-AuslR / § 27
AufenthG / zu Abs. 1, Rn. 6/7 [Stand: 01.04.2016]). An diesen Voraussetzungen fehlt es voraussichtlich.
7 Allerdings gilt dies nicht bereits für das Tatbestandsmerkmal der Herstellung und Wahrung der ehelichen
Lebensgemeinschaft. Im summarischen Verfahren ist dessen - von der Antragsgegnerin eingewendetes -
Fehlen nicht verlässlich festzustellen. Selbst wenn Eheleute typischerweise ihren Lebensmittelpunkt in einer
gemeinsamen Wohnung haben, kann eine eheliche Lebensgemeinschaft auch dann bestehen, wenn sie -
etwa aus beruflichen Gründen - in getrennten Wohnungen leben oder aus gewichtigen Gründen - z.B.
Berufstätigkeit oder Inhaftierung - wenig persönlichen Kontakt haben. In einem derartigen Fall ist allerdings
erforderlich, dass das Bestehen einer über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinausreichenden familiären
Beistandsgemeinschaft auf andere Weise erkennbar sichergestellt ist, etwa durch eine jedenfalls
erforderliche intensive Kommunikation zwischen den Eheleuten als Indiz für eine gemeinsame
Lebensgestaltung, durch Beistandsleistungen oder Besuche im Rahmen des Möglichen. Maßgeblich ist der
nachweisbar betätigte Wille, mit der Partnerin bzw. dem Partner als wesentlicher Bezugsperson ein
gemeinsames Leben zu führen. Ob dieser Wille vorliegt und praktiziert wird, ist allerdings eine Frage des
jeweiligen Einzelfalls; die abstrakte Festlegung weiterer Kriterien für das Maß an tatsächlicher
Verbundenheit zwischen den Eheleuten ist nicht möglich (BVerwG, Beschl. v. 22.05.2013 – 1 B 25.12 –, Rn.
4, juris, m.w.N.). Der Akteninhalt sowie ferner der Vortrag des Antragstellers und auch die schriftliche
Erklärung seiner Ehefrau vom März 2016 (VAS. 1247 bzw. GAS. 49) geben durchaus ernsthafte
Anhaltspunkte, die gegen eine Trennung der Ehegatten sprechen. Für den Wegzug des Antragstellers im
August 2014 nach K... bzw. im Dezember 2014 nach F... folgt dies schon daraus, dass dies wegen der
Therapie seiner Alkohol- und Spielsucht erfolgte. Aber auch die Abmeldung der Ehefrau im April 2015 in die
Schweiz, wenngleich nach Beendigung der stationären Therapie in F... (am 24.02.2015) erfolgt, lässt noch
keinen verlässlichen Schluss auf eine endgültige Trennung zu. Der Antragsteller hat hierzu vorgetragen,
dass er nach Abschluss der Therapie ein völlig neues Leben beginnen wollte und zunächst hierzu eine
vollzeitige Arbeitsstelle hier in Deutschland antrat. Wie Frau E. in ihrer Erklärung vom März 2016 ausführt,
wollen sich die Ehegatten damals dahin entschieden haben, dass sie zunächst allein in die Schweiz zieht,
und der Antragsteller nach Klärung seines deutschen Aufenthaltsrechts nachkommt. Wenn es die Arbeit
zulasse, verbrächten sie jede freie Minute miteinander. Bereits gegenüber der ursprünglich das
Antragsverfahren führenden Landeshauptstadt Stuttgart hatte Frau E. Ende Juli 2015 (VAS. 1059/1061)
schriftlich mitgeteilt, die Ehegatten hätten wegen der Therapie ihres Ehemannes und aus beruflichen
Gründen keine gemeinsame eheliche Wohnung. Sie lebe vom Antragsteller nicht wegen Scheidung getrennt
(eine solche sei nicht beantragt), sondern aus beruflichen Gründen und beabsichtige, die eheliche
Lebensgemeinschaft wieder aufzunehmen. Besuche erfolgten, so wie es die Therapie zulasse. Bei dieser
Sachlage kann eine endgültige bzw. verlässliche Klärung nur in einem Hauptsacheverfahren erfolgen.
8 Die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug scheitert indessen an einem anderen
Umstand. Frau E. hat nämlich derzeit keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr im Bundesgebiet. Denn seit
Mitte April 2015 wohnt und arbeitet sie ausschließlich in der Schweiz (...). Allein Besuche Frau E.s in
Deutschland sind nicht geeignet, für die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts etwas anderes anzunehmen,
ebenso wenig ein, wie vorgetragen, umfänglicher und regelmäßiger Telefonkontakt. Der Antragsteller strebt
ferner eine Herstellung bzw. Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau auch gar nicht
im Bundesgebiet an. Wie er in der Antragsbegründung (dort Seite 5 oben) ausführen lässt, haben die
Eheleute beschlossen, dass er seiner Frau in die Schweiz folgt, wenn er hier sein aufenthaltsrechtliches
Verfahren geklärt hat.
9 Auch aus Unionsrecht ergibt sich derzeit nichts Überwiegendes für einen Aufenthaltsanspruch. Zwar hat
Frau E. durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz von einem unionsrechtlichen (Arbeitnehmer-
)Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht. Aufgrund des Abkommens zwischen der EG und der Schweiz über
die Freizügigkeit vom 21.06.1999 (im Folgenden: FreizügAbk EU/Schweiz) ist seit Juli 2002 die
unionsrechtliche Freizügigkeit auch im Verhältnis zur Schweiz wirksam und als Bestandteil des
Gemeinschaftsrechts anzusehen, welches Anwendungsvorrang vor entgegenstehenden Bestimmungen des
innerstaatlichen Rechts genießt (Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 5. Aufl. 2015, § 2 Rn. 317;
Zeitler, in: HTK-AuslR / EU-Recht / Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz, Rn. 15 [Stand: 30.09.2011]; GK-
AufenthG, Band 1, § 1 Rn. 35 [April 2013]). Allerdings kann nach Unionsrecht ein Getrenntleben unschädlich
sein, solange zumindest die Ehe noch formell besteht. Insoweit dürfte angesichts des identischen Wortlauts
der jeweiligen Bestimmungen Art. 7 lit. d) i.V.m. Anhang I Art. 3 FreizügAbk EU/Schweiz (zur Auslegung des
Abkommens vgl. EuGH, Urt. v. 12.11.2009 – C-351/08 –, Rn. 27-29, juris) zugunsten des
Antragstellers so auszulegen sein, wie Art. 10 VO Nr. 1612/68/EWG. Danach hat der Ehegatte einer Person,
die Staatsangehörige einer Vertragspartei ist und ein Aufenthaltsrecht hat, das Recht, bei ihr Wohnung zu
nehmen. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht auch dem drittstaatsangehörigen Ehegatten eines
Unionsbürgers das (von diesem abgeleitete) unionsrechtliche Aufenthaltsrecht weiterhin zu, der die
gemeinsame Ehewohnung verlässt, eine eigene Wohnung bezieht und sich von seinem
freizügigkeitsberechtigten Ehepartner auf Dauer trennt, solange das eheliche Band nicht durch die
zuständige Stelle aufgelöst worden ist. Der Ehegatte muss folglich nicht notwendigerweise ständig bei dem
Unionsbürger wohnen, um Inhaber eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts zu sein (vgl. zur Regelung in Art.
10 VO Nr. 1612/68/EWG: EuGH Urt. v. 13.02.1985 - Rs 267/83 -, NJW 1985, 2087; BVerwG, Urt.
v. 21.05.1985 - 1 C 36.82 -, NJW 1985, 2099; vgl. in diesem Sinne auch zur Nachfolgereglung in Art. 3 Abs.
1 der Richtlinie 2004/38/EG: EuGH, Urt. v. 08.11.2012 – C-40/11 –, Rn. 57 ff., juris; Urt. v.
10.07.2014 – C-244/13 –, Rn. 37, juris).
10 Auf das - zwischen den Beteiligten streitige und im summarischen Verfahren nicht verlässlich zu klärende
(s.o.) - Fortbestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft kommt es in diesem Zusammenhang somit nicht an.
Der ausländische Ehegatte kann sich jedoch nur dann auf ein abgeleitetes Recht berufen, wenn der
Deutsche von seinem Freizügigkeitsrecht bereits Gebrauch gemacht hat und mit dem Ehegatten nach
Deutschland zurückkehrt (sog. Rückkehrer-Fälle, vgl. EuGH, Urt. v. 11.12.2007 – C-291/05 –, juris;
Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG § 28 Rn. 6; Marx, a.a.O., § 6 Rn. 189), oder
wenn er dem Deutschen in den Aufnahmemitgliedstaat folgt, um dort sein Recht in Anspruch zu nehmen
(EuGH, Urt. v. 08.11.2012 , a.a.O., Rn. 64; Urt. v. 11.12.2007 , a.a.O., Rn. 24). Die Ehefrau
des Antragstellers hat nichts dafür erkennen lassen, nach Deutschland zurückzukehren. Im Gegenteil will
der Antragsteller zu ihr in die Schweiz. Das verschafft ihm aber keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin,
dieses Recht kann vielmehr nur im Aufnahmemitgliedstaat in Anspruch genommen werden, in dem der
Unionsbürger, dessen Familienangehöriger er ist, wohnt (EuGH, Urt. v. 08.11.2012 , a.a.O., Rn. 64),
mithin nur in der Schweiz.
11 Dass ein Nachzug in die Schweiz von vornherein aussichtslos wäre, kann nicht angenommen werden.
Insoweit wären die strafrechtlichen Verfehlungen des Antragstellers in der Vergangenheit zwar nicht
unbeachtlich. Art. 5 Anhang I des FreizügAbk EU/Schweiz bestimmt, dass die auf Grund dieses Abkommens
eingeräumten Rechte durch Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und
Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden dürfen. Insoweit wird u.a. auf die Richtlinie
64/221/EWG Bezug genommen. Diese wiederum bestimmt in Art. 3, dass bei Maßnahmen ausschließlich das
persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelperson ausschlaggebend sein darf und
strafrechtliche Verurteilungen allein ohne weiteres eine solche Maßnahme nicht begründen können. Für die
Zwecke des Nachzugs zu seiner Ehefrau würde deshalb aus allein spezialpräventiven Gründen auf die Frage
einer vom Antragsteller ausgehenden Wiederholungsgefahr abzustellen sein. Im summarischen Verfahren
können dem Vortrag des Antragstellers und den aus den strafrechtlichen Entscheidungen zu entnehmenden
Umständen indessen durchaus beachtliche Anhaltspunkte dafür entnommen werden, dass eine konkrete
Wiederholungsgefahr möglicherweise nicht (mehr) von ihm ausgeht. Die zwischen Oktober 2009 und Juni
2014 begangenen Straftaten (Beleidigung, Bedrohung, Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung,
Diebstahl im besonders schweren Fall) fielen in eine Zeit des Alkoholmissbrauchs und der Spielsucht, welche
sich nach dem Tod des Vaters im Jahr 2012 noch verstärkten. Einige Zeit nach der letzten Straftat im
Sommer 2014 trug sich der Antragsteller mit Suizidgedanken, begab sich aber hilfesuchend zunächst in das
Zentrum für Psychiatrie R... und absolvierte sodann (12.08.-02.12.2014) eine Langzeittherapie mit
anschließender (02.12.2014-24.02.2015) Adaption und betreutem Wohnen (vgl. die Feststellungen im Urteil
des Amtsgerichts Konstanz vom 23.03.2015 [VAS. 1035] sowie die Bescheinigungen der K... Kliniken vom
24.02.2016 [GAS. 39] und des Vereins für Jugendhilfe vom 25.02.2016 [GAS. 41]). Ebenfalls ab Sommer
2014 ging der Antragsteller wieder einer Erwerbstätigkeit nach (zunächst als Spenden- und Mitgliedswerber
bei den ... [so die Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Radolfzell vom 04.08.2015, VAS. 1072] und
dann von September 2015 bis Februar 2016, vermittelt über eine Leiharbeitsfirma, bei der Müllabfuhr R...
[vgl. Aufhebungsvertrag vom 15.02.2016 mit der Fa. ... GmbH, GAS. 43]). Gemäß Auskünften seiner
Bewährungshelferin vom 26.02.2016 (GAS. 45-47) und vom 13.05.2016 (GAS. 67-69) führt er sich bislang
in der Bewährungszeit unauffällig. Ferner lebt er seit Herbst 2015 alkoholabstinent und hat darüber hinaus
noch einen Kursplatz für ein Anti-Gewalt-Training belegt. Immerhin hat auch die Antragsgegnerin in der
Antragserwiderung ausgeführt, von der Annahme eines Ausweisungsinteresses für den Fall einer - wie
jedenfalls vom Antragsteller und seiner Ehefrau geltend gemacht: - fortbestehenden ehelichen
Lebensgemeinschaft abzusehen. Ob die Verfehlungen des Antragstellers den schweizerischen Behörden zur
Kenntnis gelangen, ist überdies nicht völlig sicher. Insoweit bestimmt Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie
64/221/EWG lediglich, dass das Aufnahmeland, wenn es dies für unerlässlich hält, den Herkunfts-
Mitgliedstaat um Auskünfte über das Vorleben des Antragstellers in strafrechtlicher Hinsicht ersuchen
„kann“. Die Anfragen dürfen keinen systematischen Charakter haben.
12 Auch der Unionsbürgerstatus der Ehefrau steht einer Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis sehr
wahrscheinlich nicht entgegen. Allerdings können Art. 20 AEUV und das damit verbundene Recht aus Art.
21 AEUV, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nationalen
Maßnahmen gegenüber Drittstaatsangehörigen entgegenstehen, die bewirken, dass den Unionsbürgern der
tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird (EuGH,
Urt. v. 08.03.2011 – C-34/09 –, Rn. 42-44, juris; Urt. v. 05.05.2011 – C-434/09
–, Rn. 47/48, juris). Das solche Sachverhalte kennzeichnende gemeinsame Element besteht
darin, dass sie in einem immanenten Zusammenhang mit der Freizügigkeit eines Unionsbürgers stehen, die
beeinträchtigt würde, wenn den Drittstaatsangehörigen das Recht verweigert würde, in den Mitgliedstaat,
in dem dieser Bürger wohnt, einzureisen und sich dort aufzuhalten, und die daher dieser Weigerung
entgegensteht (EuGH, Urt. v. 08.11.2012 , a.a.O., Rn. 72). Vorliegend kann jedenfalls derzeit nicht
von einer konkreten Beeinträchtigung des Freizügigkeitsrechts von Frau E. ausgegangen werden. Denn sie
und der Antragsteller haben es in der Hand, dessen Nachzug in die Schweiz in die Wege zu leiten. Solange
dies nicht ernsthaft betrieben worden ist, kann nicht die Rede davon sein, die Ehefrau des Antragstellers
werde in ihrem Unionsbürgerrecht behindert, etwa weil sie durch die Ablehnung der Verlängerung seiner
Aufenthaltserlaubnis gezwungen wäre, ihm in die Republik Kosovo zu folgen. Eine derzeit rein
hypothetische Aussicht einer Beeinträchtigung dieses Rechts genügt nicht (EuGH, Urt. v. 08.11.2012
, a.a.O., Rn. 77).
13
b.)
§ 31 AufenthG (i.V.m. § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) ist vorliegend nicht zu prüfen. Der Antragsteller
beruft sich gerade darauf, dass die eheliche Lebensgemeinschaft weiterhin besteht, so dass er eine
Verlängerung kraft eigenständigen Aufenthaltsrechts schon gar nicht beantragt.
14
c.)
Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG kommt schließlich nicht in
Betracht. Einen Aufenthalt aus humanitären Zwecken hat der Antragsteller nicht beantragt. Im Rahmen der
oben erfolgten Prüfung der §§ 27, 28 AufenthG ist das von ihm geltend gemachte Recht aus Art. 6 GG bzw.
Art. 8 EMRK geprüft worden. In solchen Fällen scheidet eine Legalisierung des Aufenthalts aus familiären
Gründen unter Rückgriff auf die Vorschriften über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären
Gründen im fünften Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes, insbesondere nach § 25 Abs. 5
AufenthG, schon aus systematischen Gründen aus (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.03.2009 – 11 S 2990/08
–, Rn. 29, juris; VG Freiburg, Beschl. v. 08.09.2009 – 4 K 1284/09 –, Rn. 8, juris).
15
2.)
Die Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen der §§ 58, 59 AufenthG
liegen vor. Zielstaatsbezogene Hindernisse sind nicht erkennbar oder vorgetragen.
16
3.) Wenngleich der vorläufige Rechtsschutzantrag damit erfolglos bleibt, bedarf es wegen
der Besonderheit des Falles jedoch abschließend folgenden Hinweises:
17 Einem (hier nicht streitgegenständlichen) tatsächlichen Vollzug einer Abschiebung des Antragstellers in die
Republik Kosovo steht nach Auffassung der Kammer ein Vollstreckungshindernis gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1
AufenthG entgegen. Wie oben ausgeführt, kann der Antragsteller selbst im Fall, dass keine eheliche
Lebensgemeinschaft mehr mit Frau E. aber noch eine formelle Ehe bestehen sollte, ein unionsrechtlich
abgeleitetes Recht auf Ehegattennachzug in die Schweiz gegenüber den dortigen Behörden geltend machen,
welches nicht von vornherein aussichtslos ist. Ihn im Anschluss an ein in Deutschland erfolgloses
aufenthaltsrechtliches Verfahren in die Republik Kosovo abzuschieben, würde dieses in Art. 6 GG bzw. Art. 8
EMRK wurzelnde Recht erheblich beeinträchtigen, so dass von einer rechtlichen Unmöglichkeit einer
Abschiebung auszugehen ist. Mit Blick auf den Umstand, dass der Antragsteller sich seit April 2009 in
Deutschland aufhält und auch seine nächsten Verwandten hier leben, wäre es unzumutbar, ihm den
Nachzug in die Schweiz vom Kosovo aus zuzumuten. Hierbei darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass
er derzeit kein Einkommen hat und das Betreiben eines Nachzugs vom Kosovo aus – schon wegen der
Reisekosten – mit erheblich höherem finanziellen Aufwand verbunden sein dürfte. Zu seinen Gunsten
sprechen schließlich, wie oben Seite 4/5 dargelegt, durchaus auch beachtliche Anhaltspunkte dafür, dass
weiterhin eine eheliche Lebensgemeinschaft in Deutschland mit Blick auf die besonderen Umstände der
Ehegatten besteht bzw. in absehbarer Zeit in der Schweiz intensiviert fortgesetzt wird. Durch eine
Abschiebung des Antragstellers in den Kosovo würde die Pflege und Wahrung dieser ehelichen Beziehung
erheblich erschwert bzw. beeinträchtigt.
18 Die Antragstellerin besitzt gemäß § 61 Abs. 1e AufenthG die Möglichkeit, durch Nebenbestimmungen zu
einer Duldung sicherzustellen, dass der Antragsteller den Nachzug in die Schweiz auch ernsthaft und in
einem überschaubaren Zeitrahmen betreibt.
III.
19 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr.
2, 52 Abs. 2 GKG, wobei für das vorläufige Rechtsschutzverfahren eine Halbierung des Auffangwerts
vorgenommen worden ist.