Urteil des VG Freiburg vom 25.02.2014

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VG Freiburg Urteil vom 25.2.2014, 5 K 840/13
Kindergartenbeitrag; Geschwisterrabatt nur bei gleichzeitigem Wohnsitz aller
Kinder am Wohnsitz des Kindes
Leitsätze
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine Gemeinde den Kindergartenbeitrag
nach der Zahl der Kinder im selben Haushalt staffelt und damit nicht auch weitere
Kinder berücksichtigt, für die ein Elternteil unterhaltspflichtig ist und die in einem oder
mehreren anderen Haushalten leben.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung des Kindergartenbeitrags für sein
viertes Kind.
2 Die Beklagte betreibt den Kindergarten ... als öffentliche Einrichtung. Dort werden
Kinder zwischen ein bis sechs Jahren betreut. Zur teilweisen Deckung des dabei
entstehenden Aufwandes und der Betriebskosten erhebt sie Gebühren nach der
„Gebührenordnung für den Kindergarten ...“ vom 21.06.2012, geändert am
06.12.2012 mit Wirkung ab dem 01.12.2012 (im Folgenden: GebO). Die monatliche
Gebühr wird für elf Monate (September bis Juli) erhoben. Gemäß § 5 GebO
betragen die Gebühren für Kinder unter 3 Jahren bei Ganztagsbetreuung über fünf
Tage für das Kind aus einer Familie mit einem Kind unter 18 Jahren 288 EUR, für
ein Kind aus einer Familie mit vier und mehr Kindern unter 18 Jahren 47 EUR.
Durch die Änderung der Gebührenordnung vom 06.12.2012 wurde bei § 5 GebO
vermerkt: „Berücksichtigt werden nur Kinder, die im gleichen Haushalt wohnen“.
3 Unter dem 28.09.2012 zeigte Frau ... der Beklagten an, dass ihr am 21.08.2011
geborener Sohn ..., ab Dezember die U 3 Gruppe des Kindergartens
voraussichtlich fünf Tage in der Woche besuchen werde; zugleich beantragte sie
für ... die Festsetzung eines Beitrags in Höhe von 45 EUR (gemeint waren wohl 47
EUR). Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Kläger drei weiteren Kindern
Unterhalt zahle. Diese Kinder leben nicht im Haushalt des Klägers.
4 Die Beklagte teilte unter dem 24.10.2012 mit, dass die Elternbeiträge nach der
sogenannten familienbezogenen Sozialstaffelung erfolgten, bei der alle im selben
Haushalt lebenden Kinder bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahrs berücksichtigt
würden. Danach müssten die vier Kinder alle im selben Haushalt leben. Eine
andere Auslegung ihrer Gebührenordnung sei nicht möglich.
5 Unter dem 27.11.2012 erhoben der Kläger und die Mutter von ... Widerspruch.
6 Zum 01.12.2012 wurde ... in den Kindergarten aufgenommen und besucht seither
die Ganztagesgruppe U 3 von Montag bis Freitag.
7 Mit an den Kläger gerichteten Bescheid vom 14.12.2012 setzte die Beklagte den
Kindergartenbeitrag für ... auf 288 EUR fest.
8 Der Kläger und die Mutter von ... erhoben am 17.12.2012 erneut Widerspruch, den
das Landratsamt Emmendingen mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2013
zurückwies.
9 Der Kläger hat am 10.05.2013 Klage erhoben. Er trägt vor: Es sei im Hinblick auf
den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht hinzunehmen, dass der Geschwisterrabatt
nur bei gleichzeitigem Wohnsitz aller Kinder am Wohnsitz des Kindes, welches die
Einrichtung besuche, gewährt werde. Die Beklagte müsse nach der sozialen
Belastbarkeit differenzieren. Dabei sei das Sozialstaatsprinzip zu beachten. Der
Bescheid sei schon deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte glaube, bei der
Festsetzung der Gebühren kein Ermessen zu haben. Der Kläger könne nichts
dafür, dass ... Geschwisterkinder habe, die nicht dauerhaft im väterlichen Haushalt
lebten. Er müsse für diese drei Kinder sogar mehr Geld als Unterhalt aufbringen,
als wenn sie bei ihm im Haushalt lebten. Die gebotene Sozialstaffelung habe
gerade für den Fall zu gelten, dass Kinder in verschiedenen Haushalten lebten. Im
Übrigen sei die Gebührenordnung der Beklagten nicht in deren Sinne auszulegen.
Daran ändere die zwischenzeitlich ergangene Änderung der Gebührenordnung
nichts. Eine Gebührenstaffelung allein anhand der Zahl der unterhaltsberechtigten
Kinder sei nicht mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden. Die
Handhabung der Gebührensatzung durch die Beklagte diskriminiere alternative
Lebensmodelle. Die Beklagte lege einen zu engen Familienbegriff zugrunde, der
neueren Entwicklungen auch in der Rechtsprechung nicht gerecht werde. Auf
ergänzende Jugendhilfe müsse er sich nicht verweisen lassen.
10 Der Kläger beantragt,
11 den Bescheid der Beklagten vom 14.12.2012 und den Widerspruchsbescheid
des Landratsamts Emmendingen vom 25.04.2013 aufzuheben.
12 Die Beklagte beantragt,
13 die Klage abzuweisen.
14 Sie trägt vor: Ihre Gebührenregelung entspreche einer gemeinsamen Empfehlung
der Kirchen sowie des Gemeindetags und des Städtetags Baden-Württemberg.
Sie sei so in zahlreichen Kommunen im Land umgesetzt worden. Bei der
Ausgestaltung der Erhebung der Elternbeiträge stehe ihr ein großer Spielraum zu.
Die von ihr vorgenommene Gebührenstaffelung sei sachgerecht. Sie diene der
Verwaltungsvereinfachung sowie der Vermeidung der Inanspruchnahme von
Mehrfachvergünstigungen. Zu einer Mehrfachvergünstigung käme es etwa in dem
Fall, dass die Eltern von vier gemeinsamen Kindern getrennt lebten und drei der
Kinder bei der Mutter und ein Kind beim Vater lebten. Nach der Rechtsauffassung
des Klägers würde der Vater für das bei ihm lebende Kind beanspruchen können,
dass er als viertes Kind behandelt werde. Genauso könne aber die Mutter der
Kinder beanspruchen, dass die bei ihr lebenden Kinder als zweites, drittes und
viertes Kind zu behandeln seien. Es sei zudem auch fraglich, ob der Kläger
tatsächlich ungebührlich belastet werde. Schließlich könne er die
Kinderbetreuungskosten grundsätzlich steuerlich geltend machen, so dass ihm
womöglich kein finanzieller Nachteil entstehe. Ggf. könne er auch eine Übernahme
des Kostenbeitrags durch den zuständigen Träger der Jugendhilfe beantragen.
Der durch die Änderung der Gebührenordnung im Dezember 2012 hinzugefügte
Zusatz „Berücksichtigt werden nur Kinder, die im gleichen Haushalt wohnen“ habe
nur der redaktionellen Klarstellung gedient. In diesem Sinn sei der Begriff der
Familie schon in der vorausgehenden Gebührenordnung zu verstehen gewesen,
wie sich aus der zugehörigen Sitzungsvorlage ergebe. Damit liege kein Verstoß
gegen das Rückwirkungsverbot vor. Auf einen solchen könnte sich der Kläger
auch nicht berufen, weil ihm die Auffassung der Beklagten schon vor Änderung der
Gebührenordnung schriftlich mitgeteilt worden sei.
Entscheidungsgründe
15 Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch sonst zulässig, aber nicht
begründet. Der angefochtene Beitragsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16 Rechtsgrundlage des angefochtenen Beitragbescheids ist § 5 der
Gebührenordnung für den Kindergarten „...“ in der Fassung der Änderungssatzung
vom 06.12.2012.
17 Dabei enthält die zum 01.12.2012 rückwirkend in Kraft gesetzte Änderungssatzung
keine materielle Verschlechterung zu Lasten des Klägers. Eine von ihm geltend
gemachte unzulässige Rückwirkung scheidet schon deshalb aus. Bereits aus der
Satzung vom 21.06.2012 ergab sich, dass unter Kindern „aus einer Familie“ nur
solche zu verstehen sind, die in einem gemeinsamen Haushalt leben. Das steht
auch schon in der Begründung (vom 14.06.2013) zum Satzungsentwurf und ergibt
sich ferner daraus, dass die Beklagte der Fortschreibung der Gemeinsamen
Empfehlungen der Kirchen und der Kommunalen Landesverbände aus dem Jahr
2011 (Gemeindetagsinfo Nr. 6/2011) folgen wollte; dort ist als Fußnote
ausdrücklich vermerkt, dass nur Kinder berücksichtigt werden, die im gleichen
Haushalt wohnen.
18 Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine Gemeinde den
Kindergartenbeitrag nach der Zahl der Kinder im selben Haushalt staffelt und damit
nicht auch weitere Kinder berücksichtigt, für die ein Elternteil unterhaltspflichtig ist
und die in einem oder mehreren anderen Haushalten leben.
19 § 90 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII lässt als Kriterium (neben anderen, insbesondere) für
eine Staffelung der Kostenbeiträge für die Förderung von Kindern in
Tageseinrichtungen ausdrücklich die Anzahl der kindergeldberechtigten Kinder in
der Familie zu. Damit ist dem Landesgesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum
eingeräumt. Die Staffelung kann somit etwa nach der Zahl der Kinder oder nach
der Zahl der Familienangehörigen erfolgen (Winkler, in: Beck´scher Online-
Kommentar Sozialrecht). Gemäß § 6 Satz 1 KiTaG können die Träger der
Einrichtungen Elternbeiträge so bemessen, dass der wirtschaftlichen Belastung
durch den Besuch der Einrichtung sowie der Zahl der Kinder in der Familie
angemessen Rechnung getragen wird.
20 Dem entspricht die Gebührenregelung der Beklagten. Für Kinder unter drei Jahren
bestimmt sie, dass für das Kind aus einer Familie mit einem Kind unter 18 Jahren
für eine Ganztagsbetreuung 288 EUR zu zahlen sind, für Kinder aus einer Familie
mit mehr Kindern unter 18 Jahren abgestuft 207 EUR bis, ab einem Kind aus einer
Familie mit vier Kindern unter 18 Jahren, 47 EUR. Dass (nur) die Zahl der Kinder
unter 18 Jahren berücksichtigt wird, verstößt nicht gegen § 90 Abs. 1 Satz 3 SGB
VIII, soweit dort von „kindergeldberechtigten Kindern“ die Rede ist. Denn dies ist
keine bindende Vorgabe an den Landesgesetzgeber, sondern nur ein
Regelbeispiel für eine zulässige Differenzierung („insbesondere“; vgl. auch
BVerwG, Urt. v. 15.09.1998 - 8 C 25.97 - BVerwGE 107, 188 = NVwZ 1999, 993 zu
einer Gebührenordnung, bei der nur die Kinder einer Familie berücksichtigt
wurden, die zur gleichen Zeit einen Kindergarten besuchen; ebenso BVerwG,
Beschl. v. 19.12.2001 - 9 B 90.01 - NJW 2002, 1062). Des Weiteren verlangt § 90
Abs. 1 Satz 3 SGB VIII nicht zwingend die Berücksichtigung der
Unterhaltsverpflichtung eines Elternteils. Vielmehr wird in dem erwähnten
Regelbeispiel auf die Anzahl der kindergeldberechtigten Kinder „in der Familie“
abgestellt. Schließlich genügt der Gebührenmaßstab ersichtlich auch den
Vorgaben des § 6 Satz 1 KiTaG, der ebenfalls auf die Zahl der Kinder „in der
Familie“ abstellt und die durch diese begründete wirtschaftliche Belastung. Hätte
der Gesetzgeber stattdessen Kinder einbeziehen wollen, die außerhalb des
Haushalts leben und für die ein Mitglied des Haushalts unterhaltspflichtig ist, also
einen weiter gehenden, anderen Familienbegriff zu Grunde legen wollen, hätte er
die genannten Vorschriften anders formuliert (vgl. VG Hamburg, Urt. vom
26.04.2001 - 13 VG 3813/2000 - juris, Rdnr. 16).
21 Die vom Kläger erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken dieser Auslegung
sind offensichtlich unbegründet.
22 Zwar trifft zu, dass der Vater eines Kindes, der mit diesem in einem Haushalt lebt
und Unterhalt an drei weitere Kinder zahlt, die in einem oder mehreren anderen
Haushalten leben, im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG im Vergleich zu einem Vater von
ebenfalls vier Kindern, welche alle mit ihm in einem Haushalt leben, ungleich
behandelt wird. Denn während im ersten Fall für das unter drei Jahren alte Kind
nach der Gebührenordnung der Beklagten 288 EUR zu zahlen sind, ist im zweiten
Fall für dieses eine Gebühr von monatlich 47 EUR zu entrichten.
23 Diese Ungleichbehandlung ist aber nicht willkürlich; denn die bestehenden
Unterschiede der beiden Fälle rechtfertigen ohne Verstoß gegen den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die unterschiedliche Regelung.
24 Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass der Maßstab für die Staffelung der
Gebühren, den die Beklagte bestimmt hat, der Verwaltungsvereinfachung dient,
weil die Beklagte bei dem von ihr gewählten Maßstab für die Gebührenstaffelung
nicht gehalten ist, das Bestehen von Unterhaltsverpflichtungen (und ihre Erfüllung)
aufzuklären.
25 Zudem sind Fallgestaltungen denkbar, bei denen Kinder aus zwei Haushalten
zweimal berücksichtigt würden. So wie der Kläger bei seiner Betrachtungsweise
die drei bei der Mutter lebenden Kinder mitzählt, könnte umgekehrt die Mutter ein
weiteres bei ihr lebendes Kind (aus einer anderen Beziehung oder auch ein
Pflegekind) mitzählen (bei der Betreuung von Kindern unter oder über drei Jahren).
26 Daneben erscheint der Kammer wesentlich, dass nicht die Zahl der Kinder, zu
deren Unterhalt eine Betreuungsperson verpflichtet ist, den Umfang der in einem
dem Haushalt erbrachten Betreuungsleistungen bestimmt, sondern die Zahl der in
diesem Haushalt tatsächlich lebenden, betreuungsbedürftigen Kinder. Von deren
Zahl hängt es in erster Linie ab, ob und ggf. in welchem Umfang die erwachsenen
Haushaltsangehörigen in der Lage sind, zum Erwerbseinkommen der Familie
beizutragen. So ist es Eltern, die beide erwerbstätig sein können, eher zuzumuten,
den Höchstsatz eines Kindergartenbeitrags für ein Kind zu zahlen als Eltern, bei
denen wegen der Zahl der betreuungsbedürftigen Kinder im Haushalt nur ein
Elternteil (oder beide jeweils zur Hälfte) nur ein Erwerbseinkommen erzielen
können. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, dass bei der Gebührenstaffelung
der Beklagten nur die Kinder mitzählen, die noch keine 18 Jahre alt sind.
27 Von einer Diskriminierung von sogenannten Patchworkfamilien kann nicht die
Rede sein. Denn die Staffelung der Gebühren erfolgt gerade unabhängig davon,
aus welchen familienrechtlichen Beziehungen die in einem Haushalt lebenden
Kinder stammen. Nicht gemeinsam einbezogen werden in die
Gebührenermäßigung lediglich Kinder aus sogenannten bi-nuklearen Familien, die
in getrennten Haushalten leben, aber von jeweils einem der erwachsenen
Mitglieder der beiden Haushalte abstammen.
28 Letztlich geht es dem Kläger darum, dass seine durch die Unterhaltsgewährung
geminderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei der Gebührenbemessung
maßgeblich berücksichtigt wird. Dazu ist die Beklagte aber, wie sich aus den oben
gemachten Ausführungen ergibt, gerade nicht verpflichtet. Insoweit ist der Kläger
auf die vielfältigen Familienförderungsmaßnahmen verwiesen, welche gerade an
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Unterhaltslast anknüpfen,
insbesondere im Recht der Einkommensbesteuerung oder im Recht der
Jugendhilfe.
29 Aus den gleichen Gründen verstößt die angegriffene Gebührenstaffelung auch
nicht gegen das allen staatlichen Stellen auferlegte Gebot, die Familie zu schützen
(Art. 6 Abs. 1 GG). Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass Gemeinden nicht
verpflichtet sind, bei der Gestaltung ihrer Kindertagesstättengebühren jegliche die
Familien treffenden Belastungen auszugleichen (BVerwG, Urt. v. 15.09.1998
a.a.O., Rdnr. 18; Beschl. vom 13.04.1994 - NB 4.93 - juris, Rdnr. 10).
30 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nicht
gemäß § 188 Satz 1 VwGO gerichtskostenfrei (a.A. VG Frankfurt/Oder, Beschl. v.
19.08.2013 - 6 K 627/13 - juris m.w.N., gegen BVerwG, Beschl. v 19.12.2001 - 8 B
90.01 -). Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung durch das
Verwaltungsgericht (§ 124a Abs. 1 VwGO) liegen nicht vor.