Urteil des VG Freiburg vom 23.02.2016

behinderung, rechtskräftiges urteil, befreiung, entschädigung

VG Freiburg Urteil vom 23.2.2016, 5 K 774/14
Leitsätze
1. Die Ausschreibung eines Dienstpostens eines stellvertretenden
Bereichsdienstleiters einer Justizvollzugsanstalt (bewertet A 9) ist typischerweise
geeignet, schwerbehinderte Beamte zu benachteiligen, wenn sich nur Beamte
bewerben können, die nicht vom Schicht- und Wechseldienst befreit sind.
2. Die aus einer diskriminierenden Ausschreibung folgende Vermutung (§ 22 AGG),
dass eine Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG wegen eines in § 1 AGG
genannten Merkmals erfolgt ist, kann der Arbeitgeber widerlegen, wenn die
Auswahlentscheidung bei einem Einstellungsverfahren allein auf den Leistungs- und
Eignungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG zurückzuführen ist. Dies gilt jedenfalls
dann, wenn der Bewerber in das Auswahlverfahren miteinbezogen und in diesem
auch sonst nicht benachteiligt worden ist.
Der Dienstposten eines (stellvertretenden) Bereichsdienstleiters in einer
Justizvollzugsanstalt unterliegt nicht der Meldepflicht gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB
IX. Demzufolge haben schwerbehinderte Bewerber keinen Anspruch darauf, zu einem
Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden (im Anschluss an BVerwG, Urt. v.
15.12.2011 - 2 A 13.10 -).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes.
2 Der am ...1958 geborene Kläger ist seit dem 01.04.1991 als Beamter im
Justizvollzugsdienst des beklagten Landes tätig. Mit Wirkung vom 01.09.2001
wurde er zum Hauptsekretär im Justizvollzugsdienst, Besoldungsgruppe A8,
ernannt und im allgemeinen Vollzugsdienst eingesetzt. Seit dem 05.12.2007 ist für
ihn eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 50 festgestellt.
Zuletzt war er von der Verpflichtung zur Leistung von Spät- und Nachtdienst sowie
Wochenenddiensten befreit.
3 Am 08.07.2013 bewarb sich der Kläger um den am 01.07.2013 ausgeschriebenen
Dienstposten als stellvertretender Bereichsdienstleiter 4, bewertet nach
Besoldungsgruppe A9, bei der Justizvollzugsanstalt Freiburg. In dem
Ausschreibungstext hieß es unter anderem: „Bewerben können sich
leistungsstarke und belastbare Beamtinnen und Beamten die nicht vom Schicht-
und Wechseldienst befreit (gilt nicht für Beamtinnen und Beamten, die mit
Erreichen des 55. Lebensjahres nicht mehr zu Nachtdienst verpflichtet sind) und in
einer Abteilung auch im Stockwerksdienst eingesetzt sind“. Mit Schreiben vom
28.08.2013, übergeben am 16.09.2013, teilte die Justizvollzugsanstalt dem Kläger
mit, dass er für die ausgeschriebene Stelle nicht berücksichtigt werden könne und
beabsichtigt sei, sie durch einen Mitbewerber zu besetzen.
4 Mit Schreiben vom 06.11.2013 erhob der Kläger Widerspruch gegen die
Besetzungsentscheidung und machte zugleich „Schadensersatz“ auf Grundlage
des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes bei dem Beklagten geltend. Zur
Begründung verwies er darauf, dass in der Ausschreibung ohne sachlichen Grund
die Teilnahme am Schicht- und Wechseldienst gefordert worden sei. Diese
Einschränkung betreffe vor allem Bewerber mit einer (Schwer-)Behinderung. Es
bestehe daher der Verdacht, dass bei der Auswahlentscheidung Kriterien
herangezogen wurden, die ihn benachteiligten.
5 Mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2014 wies die Justizvollzugsanstalt Freiburg
den Widerspruch zurück. Ein Anspruch auf Beförderung bestehe grundsätzlich
nicht. Ein Bewerber könne nur verlangen, dass die Auswahl im
Bewerbungsverfahren gemäß Art. 33 Abs. 2 GG, § 9 BeamtStG nach Eignung,
Befähigung und fachlicher Leistung getroffen werde. Dieser
Bewerbungsverfahrensanspruch des Klägers sei gewahrt worden. Die
Ausschreibung vom 01.07.2013 sei zwar insoweit fehlerhaft, als dass ihr das
konstitutive Anforderungsprofil „nicht vom Schicht- und Wechseldienst befreit“ ohne
sachlichen Grund zugrunde gelegt worden sei. Dieses Anforderungsprofil habe
sich jedoch nicht gegen Schwerbehinderte gerichtet, da die
Schwerbehinderteneigenschaft und die Befreiung von Schicht- und Wechseldienst
nicht zwangsläufig miteinander verknüpft seien. Im Übrigen sei dem Kläger auch
kein Nachteil entstanden, weil er sich gleichwohl auf die Stelle beworben habe und
in den Auswahlprozess einbezogen worden sei. Der Kläger sei bei der Besetzung
der Stelle allein deshalb nicht berücksichtigt worden, weil der erfolgreiche
Bewerber im Hinblick auf Leistung und Befähigung vor ihm gelegen habe. Die
Auswahl sei aufgrund der letzten Regelbeurteilung vom März 2012 erfolgt. Diese
weise für den erfolgreichen Bewerber bei allen einzelnen Leistungsmerkmalen
eine teils deutlich höhere Punktzahl auf als für den Kläger. Im Gesamturteil ergebe
sich ein Leistungsvorsprung von 1,50 Punkten. Bei sieben
Befähigungsmerkmalen, darunter bei der für den ausgeschriebenen Posten
besonders bedeutsamen „Organisationsfähigkeit“ sowie dem „praxisgerechte
Arbeiten“, liege der erfolgreiche Bewerber vor dem Kläger, der auch in keinem
anderen Merkmal eine bessere Beurteilung habe erreichen können.
6 Der Kläger hat am 26.03.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus: Der
Anspruch auf Entschädigung stehe ihm nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG zu, da er
aufgrund seiner Behinderung benachteiligt worden sei. Entgegen § 82 Satz 2 SGB
IX sei er nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Es fehle ihm insoweit
nicht offensichtlich an der fachlichen Eignung. Auch bestehe die gesetzliche
Verpflichtung entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch
dann, wenn die freie Stelle nicht der Bundesagentur für Arbeit gemeldet werden
müsse. Darüber hinaus führe bereits der Verstoß gegen das Gebot zur neutralen
Stellenausschreibung gemäß § 11 AGG zu einer Beweislastumkehr nach § 22
AGB und sei Indiz dafür, dass er aufgrund seiner Schwerbehinderung nicht
berücksichtigt worden sei. Insoweit falle auch auf, dass die Absage an ihn rasch
erfolgt sei und erst der Widerspruchsbescheid sich auf einen Leistungsvorsprung
des anderen Bewerbers stütze. Für die Höhe des Entschädigungsanspruchs sei in
Ansatz zu bringen, dass die Bewerberauswahl allein aufgrund der
Regelbeurteilung aus dem Jahr 2012 erfolgt sei, die ebenfalls eine Benachteiligung
wegen seiner Schwerbehinderung enthalte, was auf die Benachteiligung bei der
Stellenbewerbung durchschlage. Er gehe deshalb gerichtlich auch gegen die
Beurteilung vor. Eine Entschädigung in Höhe von mindestens zwei
Bruttomonatsgehältern der Besoldungsgruppe A9, Stufe 11 (3.140,09 EUR pro
Monat jeweils zuzüglich allgemeiner Stellenzulage i.H.v. 132,69 EUR) sei vor
diesem Hintergrund angemessen.
7 Der Kläger beantragt,
8
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger eine angemessene Entschädigung,
mindestens jedoch 6.545,56 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
9 Der Beklagte beantragt,
10 die Klage abzuweisen.
11 Er trägt ergänzend vor: Bei der ausgeschriebenen Stelle handele es sich lediglich
um eine interne Neubesetzung. Für die Erfüllung der mit dem Dienstposten des
Abteilungsdienstleiters einhergehenden Aufgaben sei eine Zugehörigkeit zur
Laufbahn des Vollzugsdienstes unerlässlich. Erfahrung im Justizvollzugsdienst sei
notwendige Voraussetzung für die Bewältigung der Aufgaben. Die Stelle unterliege
daher nicht der Meldepflicht des § 82 Satz 1 SGB IX, so dass die Pflicht zur
Einladung zum Vorstellungsgespräch keine Anwendung finde. Bei der Stelle
handele es sich ferner nur um einen nach A9 bewerteten Dienstposten, nicht um
eine Beförderungsstelle von A8 auf A9. In der Justizvollzugsanstalt Freiburg seien
48 Personen vom Schicht- und Wechseldienst befreit, davon 14 als behindert oder
schwerbehindert anerkannt. Die übrigen Befreiungen seien überwiegend auf das
Erreichen der Altersgrenze von 55. Jahren zurückzuführen, vereinzelt seien
Beamte in Eltern- oder Teilzeit befreit, ebenso der Vollzugsdienstleiter und der
Personalratsvorsitzende.
12 Dem Gericht liegen die Personalakten der Justizvollzugsanstalt Freiburg für den
Kläger (ein Heft) vor.
Entscheidungsgründe
13 Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
14 Die Klage ist - als allgemeine Leistungsklage - zulässig. Das
Entschädigungsbegehren setzt eine vorherige Behördenentscheidung in Form
eines Verwaltungsakts nicht voraus. Da der Kläger auch weder eine auf dem
Gebiet des Beamtenrechts liegende Entscheidung begehrt noch gegen eine
solche vorgeht, bedarf es auch keines Vorverfahrens nach § 54 Abs. 2 Satz 2
BeamtStG (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.02.2012 - 4 S 82/12 - AE 2012, 142).
15 Die Klage ist jedoch unbegründet.
16 Die Beteiligten unterfallen zwar dem persönlichen Anwendungsbereich des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§ 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 i.V.m. § 24
Nr. 1 AGG).
17 Dem Kläger steht jedoch ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG
nicht zu. Der Beklagte hat den Kläger nicht wegen seiner Behinderung
benachteiligt.
18 Es kann daher offenbleiben, ob der Kläger, der unter dem 06.11.2013 von dem
Beklagten „Schadensersatz“ gefordert hat, damit auch sein
Entschädigungsbegehren nach § 15 Abs. 4, Abs. 2 AGG rechtzeitig geltend
gemacht hat, wozu die Kammer jedoch neigt (a.A. LAG Düsseldorf, Urt. v.
12.11.2008 – 12 Sa 1102/08 – DVP 2010, 349).
19 Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann ein Beschäftigter bei einem Verstoß gegen
das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG wegen eines Schadens, der
nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld
verlangen. Zu den Gründen, aus denen nach § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG eine
Benachteiligung verboten ist, gehört unter anderem auch eine Behinderung.
Bereits der Verstoß gegen die Verpflichtung des § 11 AGG, einen Arbeitsplatz
benachteiligungsfrei auszuschreiben, kann die Vermutung begründen, die
Benachteiligung sei wegen des in der Ausschreibung bezeichneten verbotenen
Merkmals erfolgt (BVerfG, Beschl. v. 21.09.2006 - 1 BvR 308/03 - NJW 2007, 137;
BAG, Urt. v. 24.04.2008, 8 AZR 257/07 - NJW 2008, 3658).
20 1. Der Beklagte hat die Stelle zum stellvertretenden Bereichsdienstleiter nach
Überzeugung der Kammer unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1, § 11 AGG
ausgeschrieben. Denn er hat Einstellungsanforderungen aufgestellt, die zwar dem
Anschein nach neutrale Kriterien enthalten, tatsächlich aber Bewerber wegen
eines in § 1 AGG benannten Grunds schlechter stellen. Dies begründet den
Verdacht einer mittelbaren Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG.
21 Für die Annahme einer mittelbaren Benachteiligung wegen einer Behinderung im
Sinne des § 3 Abs. 2 AGG ist kein statistischer Nachweis erforderlich, dass
behinderte Bewerber durch das in Frage stehende Kriterium tatsächlich wegen
ihrer Behinderung benachteiligt werden. Es ist ausreichend, wenn das Merkmal
hierzu typischerweise geeignet ist. Dies folgt bereits aus dem Gesetzeswortlaut.
Darüber hinaus entspricht es dem unionsrechtlichen Gebot des effet utile, wonach
die Regelungen einer Richtlinie innerhalb ihres Geltungsbereichs praktische
Wirksamkeit entfalten sollen; eine statistische Erhebung der
Benachteiligungswahrscheinlichkeit sieht aber die dem Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz zugrunde liegende Richtlinie 2000/78/EG nicht vor (vgl.
BAG, Beschl. v. 18.08.2009 – 1 ABR 47/08 – BAGE 131, 342 zur
Altersdiskriminierung, a.A. wohl VG Göttingen, Urt. v. 18.03.2014 - 1 A 247/12 -
juris).
22 Das Einstellungskriterium „nicht vom Schicht- und Wechseldienst befreit“ ist
typischerweise geeignet, behinderte gegenüber nichtbehinderten Bewerbern zu
benachteiligen.
23 Grundsätzlich sind gemäß Ziffer 1.2.1 der Verwaltungsvorschrift des
Justizministeriums zum Schicht- und Wechseldienst sowie zum Bereitschaftsdienst
im Justizvollzug (VwV Schicht- und Wechseldienst) vom 28.07.2011 alle Beamten
des allgemeinen Vollzugsdiensts zum Schicht- und Wechseldienst verpflichtet.
24 Im Hinblick auf eine Schwerbehinderung bzw. aus gesundheitlichen Gründen
können Beschäftigte allerdings vom Schicht- und Wechseldienst befreit werden.
So haben gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Ziffer 4 SGB IX schwerbehinderte Menschen
einen Anspruch auf behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitszeit, soweit
dessen Erfüllung für den Arbeitgeber nicht unzumutbar oder mit
unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist. Daraus kann sich die Pflicht
des Arbeitgebers ergeben, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht zur
Nachtarbeit einzuteilen und dessen Arbeitszeit auf die Fünf-Tage-Woche zu
beschränken (BAG, Urt. v. 03.12.2002 - 9 AZR 462/01 - BAGE 104, 73). Ziffer 1.4.2
VwV Schicht- und Wechseldienst sieht für den Nachtdienst als Teil des
Schichtdiensts eine Befreiungsmöglichkeit aus gesundheitlichen Gründen vor.
25 Besteht danach für schwerbehinderte Beschäftigte die Möglichkeit, von der
allgemeinen Verpflichtung zur Schichtarbeit befreit zu werden, sind
Einstellungsvoraussetzungen, die dieses Merkmal als Ausschlusskriterium für eine
Bewerbung behandeln, geeignet, behinderte gegenüber nicht behinderten
Bewerbern ungünstiger zu behandeln.
26 Dies gilt auch, obwohl die VwV Schicht- und Wechseldienst für eine Befreiung vom
Nachtdienst nicht eine Behinderung, sondern entgegenstehende gesundheitliche
Gründe voraussetzt. Denn das Merkmal der Behinderung knüpft ebenfalls an den
gesundheitlichen Zustand des Bewerbers an (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX). Dabei ist es
unerheblich, dass nicht bei jeder Person, die eine Behinderung im Sinne des § 1
AGG aufweist, zugleich gesundheitliche Gründe für eine Befreiung vom
Nachtdienst vorliegen müssen und dass auch nicht behinderte Bewerber aus
diesem Grund vom Schichtdienst befreit sein können. Denn es genügt, dass von
der Einschränkung in der Ausschreibung typischerweise behinderte Bewerber
betroffen sind (vgl. BAG, Beschl. v. 18.08.2009 - a.a.O.; siehe auch BVerwG, Urt. v.
25.07.2013 - 2 C 12/11 - BVerwGE 147, 244, wonach Behinderungen regelmäßig
zur Folge haben, dass die Leistungsfähigkeit des Betroffenen eingeschränkt ist
oder Einschränkungen zu erwarten sind; vgl. auch EuGH, Urt. v. 11.04.2013 - C-
335/11 - NZA 2013, 553, wonach Behinderte ein zusätzliches Risiko tragen, an
einer mit der Behinderung zusammenhängenden Krankheit zu erkranken).
Insoweit ist auch zu beachten, dass anders als bei krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit, die ggf. behinderte und nicht behinderte Beschäftigte in gleicher
Weise treffen kann (vgl. hierzu auch VG Göttingen, Urt. v. 18.03.2014 a.a.O,
entgegen EuGH, Urt. v. 11.04.2013 a.a.O.), eine Befreiung vom Schichtdienst in
der Regel eine Beeinträchtigung der Gesundheit von gewisser Dauer erfordert, wie
es auch eine Behinderung voraussetzt (vgl. § 2 SGB IX).
27 Unerheblich ist insofern auch, dass nach Ziffer 1.3 VwV Schicht- und
Wechseldienst bestimmte Dienstposten vom Schicht- und Wechseldienst befreit
sind bzw. befreit werden können. Denn dies betrifft lediglich wenige
herausgehobene Stellen im Justizvollzugsdienst und steht - bis auf die Befreiung
des Vollzugsdienstleiters - im Ermessen der Anstaltsleitung. Die Zahl der von
diesem Befreiungstatbestand betroffenen Bewerbern fällt demnach praktisch nicht
ins Gewicht. Soweit nach Ziffer 1.4.1 VwV Schicht- und Wechseldienst Bedienstete
ab dem 55. Lebensjahr vom Nachtdienst befreit werden können, führt dies zu
keinem anderen Ergebnis, da der Ausschreibungstext diese ausdrücklich von dem
Anforderungsmerkmal ausgenommen hat.
28 Bestätigt wird das Vorliegen des Verdachts einer (mittelbaren) Benachteiligung
durch das statistische Verhältnis von behinderten und nicht behinderten
Beschäftigten, die in der Justizvollzugsanstalt Freiburg vom Schicht- und
Wechseldienst befreit sind. Von 48 Befreiungen wurden 14 aufgrund einer
Behinderung erteilt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die übrigen
Befreiungen nach Angaben des Beklagten „ganz überwiegend“ Beschäftigte
betreffen, welche gemäß Ziffer 1.4.1 VwV Schicht- und Wechseldienst aus
Altersgründen keinen Schichtdienst leisten müssen und ohnehin vom
streitgegenständlichen Kriterium ausgenommen sind. Das Merkmal betrifft daher in
der Justizvollzugsanstalt Freiburg neben dem Vollzugsdienstleiter, dem
Personalratsvorsitzenden sowie „vereinzelt“ Beamten in Eltern- bzw. Teilzeit vor
allem behinderte Beschäftigte.
29 Die Einstellungsvoraussetzung der Befreiung vom Schicht- und Wechseldienst ist
sachlich auch nicht gerechtfertigt, wovon der Beklagte in seinem
Widerspruchsbescheid ausdrücklich selbst ausgeht.
30 2. Da der Kläger Tatsachen vorgetragen hat, die eine Benachteiligung wegen
seiner Behinderung vermuten lassen, trägt der Beklagte nach § 22 AGG die
Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor
Benachteiligung vorliegt.
31 Der Beklagte hat die vermutete Benachteiligung durch die Nichteinstellung des
Klägers widerlegt. Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG
besteht zwar bereits dann, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass in dem
Motivbündel, das die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflusst hat, die
Schwerbehinderung als negatives Kriterium enthalten ist. Die Behinderung darf bei
der Einstellungsentscheidung überhaupt nicht zulasten des schwerbehinderten
Bewerbers berücksichtigt werden. Für die Annahme einer Benachteiligung wegen
einer Behinderung reicht es aus, dass dieser Benachteiligungsgrund mitursächlich
war (BAG, Urt. v. 18.11.2008 - 9 AZR 643/07 - NZA 2009, 728; Urt. v. 12.09.2006 -
9 AZR 807/05 - BAGE 119, 262). Auch die höhere Eignung von Mitbewerbern
schließt eine Benachteiligung nicht grundsätzlich aus (VGH Bad.-Württ., Urt. v.
10.09.2013 – 4 S 547/12 –, NZA-RR 2014, 159; BAG, Urt. v. 03.04.2007 - 9 AZR
823/06 -, BAGE 122).
32 Bei einer Entscheidung, die - wie hier - allein auf die Merkmale des Art. 33 Abs. 2
GG zurückzuführen ist, kommt eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner
Behinderung trotz des Verstoßes gegen die Pflicht zur neutralen
Stellenausschreibung jedoch nicht in Betracht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der
Kläger sich wie im vorliegenden Fall trotz des in der Ausschreibung enthaltenen
diskriminierenden Merkmals um die Stelle beworben hat und in das
Bewerbungsverfahren mit einbezogen worden ist, ohne von diesem vorab
ausgeschieden oder in diesem sonst benachteiligt worden zu sein.
33 Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und
fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Diese
Gesichtspunkte sind die allein zulässigen Kriterien für die Bewerberauswahl. Der
Beklagte hat gegen diese Grundsätze nicht verstoßen. Dem steht nicht entgegen,
dass - worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung abgestellt hat - in dem
Absageschreiben die Gründe für die Entscheidung nicht mitgeteilt wurden. Denn
aus der Bewerberübersicht des Beklagten sowie dem Auswahlvermerk (AS 161-
165) ergibt sich, dass der Kläger in das Auswahlverfahren miteinbezogen wurde,
aber nach Abwägung der aus der Regelbeurteilung hervorgehenden Leistungs-
und Befähigungsmerkmale sowie der Gesamtbeurteilung nicht zum Zuge kommen
konnte. Insbesondere liegt er bei der Gesamtbeurteilung mit ... Punkten deutlich
hinter dem letztlich erfolgreichen Bewerber, der im Gesamturteil ... Punkte
vorweisen konnte.
34 Die Kammer verkennt nicht, dass bei der Verletzung des
Bewerbungsverfahrensanspruchs - z.B. durch eine entgegen § 82 Satz 2 SGB IX
unterlassene Einladung zum Vorstellungsgespräch - andere Kriterien als für die
Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG gelten (BAG, Urt. v. 21.07.2009 - 9 AZR
431/08 - NZA 2009, 1087). In diesen Fällen liegt in der Vorenthaltung des
Chancenvorteils bereits eine Benachteiligung, die nicht in Zusammenhang steht
mit der (späteren) Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 GG. Anders liegt es
jedoch hier, wenn die behauptete Benachteiligung, hier die Nichteinstellung, allein
auf den Leistungs- und Eignungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG zurückzuführen
ist.
35 3. Auch eine Benachteiligung wegen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur
Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nach § 82 Satz 2 SGB IX liegt nicht vor.
Diese Bestimmung räumt schwerbehinderten Bewerbern nach Maßgabe von § 82
Satz 1 und Satz 3 SGB IX einen Anspruch darauf ein, von dem öffentlichen
Arbeitgeber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Die
Einladungspflicht besteht allerdings nicht für die Besetzung aller Arbeitsplätze.
Vielmehr gilt sie nur, wenn es um die Besetzung eines Arbeitsplatzes geht, der von
der Meldepflicht und dem damit korrespondierenden Informationsanspruch der
Agentur für Arbeit erfasst wird. Die Meldepflicht besteht nicht, wenn der öffentliche
Arbeitgeber den Arbeitsplatz intern für seine Beschäftigten ausschreibt, weil er sich
berechtigterweise gegen die Besetzung mit einem externen Bewerber entschieden
hat (zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 15.12.2011 - 2 A 13.10 - NVwZ-RR 2012, 320;
rechtskräftiges Urteil der Kammer vom 10.11.2015 - 5 K 1756/13). Ob eine interne
Ausschreibung sachlich gerechtfertigt ist hängt davon ab, ob im Einzelfall
aufgabenbezogene, personalwirtschaftliche oder haushaltsrechtliche Gründe
vorliegen, die nach ihrem Gewicht geeignet sind, den Ausschluss externer
Bewerber zu tragen. Ansonsten könnten die öffentlichen Arbeitgeber die gesetzlich
vorgeschriebene Förderung der als arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten
schwerbehinderten Menschen durch interne Ausschreibungen umgehen (BVerwG,
Urt. v. 15.12.2011 - a.a.O.).
36 Der Beklagte war hier aus aufgabenbezogenen Gründen berechtigt, nur eine
interne Stellenausschreibung vorzunehmen.
37 Eine Meldepflicht der Bundesagentur für Arbeit bestand nicht. Das Amt des
Vollzugsbeamten und die hier angestrebte Funktion als stellvertretender
Bereichsdienstleiter im Justizvollzug sind notwendig miteinander verbunden.
Dieser Dienstposten stellt ein konkretes Amt in der Laufbahn des
Justizvollzugsdiensts dar und setzt damit eine bereits bestehende Zugehörigkeit
zum Vollzugsdienst voraus. Aus Gründen der Anstaltssicherheit erfordert er in
erheblichem Maße Erfahrung im Strafvollzug. Dementsprechend sieht Ziff. 1.2.1.
der zum Zeitpunkt der Ausschreibung geltenden Richtlinien für Ausschreibungs-
und Beförderungsverfahren für die Laufbahnen des mittleren Dienstes im
Justizvollzug (VwV-Ausschreibung und Beförderung) vom 25.05.2007 nur interne
Ausschreibungen - grundsätzlich sogar beschränkt auf die jeweilige
Justizvollzugsanstalt - vor.
38 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Voraussetzungen für
eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht (§ 124a Abs. 1 VwGO)
liegen nicht vor.