Urteil des VG Freiburg vom 14.06.2013

treu und glauben, prostitution, vollziehung, aufschiebende wirkung

VG Freiburg Beschluß vom 14.6.2013, 4 K 529/13
Rechtmäßigkeit einer Kündigungsauflage und einer Nutzungsuntersagung
hinsichtlich der Nutzung von Räumlichkeiten zur gewerbsmäßigen Prostitution
Leitsätze
Der Erlass einer "Kündigungsauflage" in Verbindung mit einer an den
Wohnungseigentümer adressierten baurechtlichen Nutzungsuntersagung erweist sich
im Vergleich zu einer ebenfalls möglichen an den Mieter der baulichen Anlage
gerichteten Nutzungsuntersagung bzw. Duldungsverfügung in der Regel als wenig
zweckmäßig. Deshalb erfordert der Erlass einer "Kündigungsauflage" im Rahmen der
behördlichen Ermessensausübung ein besonderes Eingehen auf die Zweckmäßigkeit
einer solchen Maßnahme.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.02.2013 wird wiederhergestellt, soweit der
Antragstellerin darin unter den Nummern 3. und 4. aufgegeben wurde, den
bestehenden Mietvertrag mit dem/der Betreiber/in des bordellartigen Betriebes im
Erdgeschoss ihres Anwesens W.-straße … fristlos zu kündigen und der
Antragsgegnerin darüber bis zum 15.03.2013 einen Nachweis vorzulegen und für den
Fall, dass der/die die Betreiber/in des bordellartigen Betriebs ihr die Wohnung in den
zuvor bezeichneten Räumen nicht bis zum 30.04.2013 überlassen bzw. nicht
ausschließlich zu Wohnzwecken nutzen sollte, Räumungsklage zu erheben und der
Antragsgegnerin auch darüber einen Nachweis bis spätestens 15.05.2013
vorzulegen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 10.125 EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der Antrag der Antragstellerin ist gerichtet auf Wiederherstellung bzw. Anordnung
der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 21.02.2013, mit der ihr - unter Anordnung der sofortigen
Vollziehung - unter Nr. 1. die Nutzung der Räumlichkeiten im Erdgeschoss des
Anwesens W.-straße … (Flst.-Nr. … der Gemarkung der F.) als bordellartiger
Betrieb und zur Ausübung der Prostitution untersagt und ihr unter Nr. 3. und 4.
aufgegeben wurde, die fristlose Kündigung des bestehenden Mietvertrags für die
zuvor genannten Räumlichkeiten ggf. auch in Form der Änderungskündigung
auszusprechen und im Fall der Nichtbeachtung der Kündigung durch den
Betreiber des bordellartigen Betriebs eine Räumungsklage zu erheben, sowie
unter Nr. 6. ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR angedroht wurde. Dieser
Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO bereits unzulässig, soweit er gegen die im
angegriffenen Bescheid unter Nr. 6. verfügte Zwangsgeldandrohung gerichtet ist,
im Übrigen aber zulässig. Er ist aber nur in dem aus der Beschlussformel
ersichtlichen (in wirtschaftlicher Hinsicht geringfügigen) Umfang begründet, im
Übrigen ist er unbegründet.
2 Klarstellend weist die Kammer darauf hin, dass der angegriffene Bescheid der
Antragsgegnerin nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist, soweit der
Antragstellerin darin unter Nr. 2. aufgegeben wurde, den Abschluss von
Mietverträgen zur Ermöglichung der Prostitution künftig zu unterlassen. Denn für
diese Verfügung hat die Antragstellerin ausdrücklich keine sofortige Vollziehung
angeordnet.
3
1.
Zunächst hat die Antragsgegnerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung der
zuvor genannten Verfügungen in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise schriftlich begründet. Zweck
des (lediglich formellen) Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO
ist es, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen Interesses an
der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts anzuhalten und sie zu
veranlassen, sich die besondere Ausnahmesituation eines Wegfalls der kraft
Gesetzes grundsätzlich bestehenden aufschiebenden Wirkung eines
Rechtsbehelfs bewusst zu machen (Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010,
§ 80 RdNr. 42, m.w.N.). Außerdem sollen dem Betroffenen die für die
Sofortvollzugsanordnung maßgeblichen Gründe zur Kenntnis gebracht werden, so
dass ihm eine Verteidigung seiner Rechte möglich ist. Ferner soll die Begründung
der Sofortvollzugsanordnung die Grundlage für eine gerichtliche Kontrolle der
Anordnung bilden (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 22.01.2013 - 10 S
282/12 - und vom 25.09.2012, DVBl 2012, 1506, m.w.N.; OVG NRW, Beschluss
vom 22.01.2001, NJW 2001, 3427; Beschluss der Kammer vom 24.05.2013 - 4 K
616/13 -). Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin unter anderem auf das
öffentliche Interesse an einer zeitnahen Umsetzung des Bauplanungsrechts zur
Verhinderung unzulässiger Nutzungen zu Zwecken der Prostitution abgestellt und
ausgeführt, es sei der Öffentlichkeit in diesen Fällen nicht zuzumuten, bis zur
Bestandskraft der Nutzungsuntersagung, die erst nach Jahren erwirkt werden
könne, zuzuwarten. Dies lässt sich rechtlich nicht beanstanden. Die
Antragsgegnerin hat damit die Gründe angegeben, die nach ihrer Ansicht im
vorliegenden Fall dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des
Verwaltungsakts den Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Antragstellers
einräumen. Ob diese Erwägungen der Behörde tatsächlich genügen, um die
Anordnung des Sofortvollzugs zu rechtfertigen, ist für die Einhaltung des - von der
materiellen Prüfung des Bestehens eines Sofortvollzugsinteresses zu
unterscheidenden - formellen Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 Satz 1
VwGO nicht von Bedeutung. Das Gericht nimmt im Rahmen des § 80 Abs. 5
VwGO eine eigene Interessenabwägung vor und ist nicht auf die bloße
Überprüfung der von der Behörde getroffenen Entscheidung nach § 80 Abs. 2 Satz
1 Nr. 4 VwGO beschränkt (VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 25.09.2012, a.a.O.,
vom 27.10.2009, VBlBW 2010, 122, und vom 22.11.2004, VBlBW 2005, 279).
4
2.
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der im angegriffenen
Bescheid unter Nr. 1. ausgesprochenen Nutzungsuntersagung überwiegt das
private Interesse der Antragstellerin an einer Fortsetzung dieser Nutzung bis zum
Abschluss des Widerspruchs- und eines sich ggf. daran anschließenden
Klageverfahrens. Dies folgt daraus, dass nach der im Verfahren auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen, aber auch ausreichenden
summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach davon
auszugehen ist, dass die verfügte Nutzungsuntersagung rechtmäßig ist und der
Widerspruch der Antragstellerin deshalb insoweit keinen Erfolg haben wird.
Darüber hinaus ist ein besonderes Vollziehungsinteresse zu bejahen.
5 Materiell-rechtlich beruht die Nutzungsuntersagung auf § 65 Satz 2 LBO. Nach
dieser Vorschrift kann die Nutzung untersagt werden, wenn Anlagen im
Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden.
6
2.1
Dies setzt als tatbestandliche Voraussetzung (lediglich) voraus, dass die in
Streit stehende Nutzung von keiner Baugenehmigung gedeckt ist, sie also formell
baurechtswidrig ist. Die Kammer hat in ihrem Urteil vom 08.11.2012 - 4 K 912/12 -
(VBlBW 2013, 225), auf das die Antragsgegnerin in diesem Verfahren mehrfach
verwiesen hat und das aus diesem Grund, aber auch deshalb, weil die Mieterin der
von der in diesem Verfahren angegriffenen Nutzungsuntersagung betroffenen
Räume identisch ist mit der Mieterin der Räume, deren Nutzung in jenem Verfahren
(4 K 912/12) Verfahrensgegenstand war, den Beteiligten bekannt sein dürfte,
ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur
begründet, aus welchen Gründen es für das Vorliegen der tatbestandlichen
Voraussetzungen einer Nutzungsuntersagung nicht auch der materiellen
Baurechtswidrigkeit der Nutzung bedarf. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird
deshalb insoweit auf die Gründe dieses Urteils verwiesen.
7 Die Antragsgegnerin hat in ihrer Antragserwiderung (dort auf S. 6) zutreffend und
mit überzeugender Begründung dargelegt, dass und warum im vorliegenden Fall
eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung in Rede steht, insbesondere die
derzeit ausgeübte prostitutive Nutzung nicht von einer Baugenehmigung gedeckt
ist. Auf die zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin nimmt die
beschließende Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Ergänzend
führt die Kammer hierzu aus: Dass in den betreffenden Räumen der Prostitution
(durch laufend wechselnde Frauen) nachgegangen wird, kann nach den in den
Akten dokumentierten Recherchen der Antragsgegnerin und der Polizei nicht
ernstlich bestritten werden; das tut ersichtlich auch die Antragstellerin nicht. Da die
Prostitution in allen Erscheinungsformen, auch in der Form der so gen.
Wohnungsprostitution, eine gewerbliche Nutzung darstellt (BVerwG, Beschluss
vom 28.06.1995, NVwZ-RR 1996, 84; Beschluss der Kammer vom 15.02.2012 - 4
K 2406/11 -; VG Stuttgart, Urteil vom 22.10.2003 - 3 K 1019/03 -, juris, m.w.N.),
bedarf es einer Baugenehmigung für diese Nutzung. Über eine solche
Baugenehmigung verfügt die Antragstellerin, die insoweit materiell beweispflichtig
ist (Urteil der Kammer vom 08.11.2012, a.a.O.; OVG Rhld.-Pf., Urteil vom
12.12.2012, DVBl 2013, 316; BVerwG, Beschluss vom 19.02.1988 - 4 B 33/88 -,
juris, m.w.N.; Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Aufl., Stand:
Dez. 2012, Bd. 2, § 65 RdNr. 25, m.w.N.), nicht.
8 Nach der hier vertretenen Rechtsauffassung kommt es für das Vorliegen der
tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung
nach § 65 Satz 2 LBO auf die insbesondere von der Antragstellerin vorgetragenen
Gründe für eine (angebliche) materielle Baurechtmäßigkeit der Nutzung ihrer
Räume zu Zwecken der Prostitution nicht an.
9
2.2
Auch die Ermessensausübung durch die Antragsgegnerin ist voraussichtlich
nicht zu beanstanden, soweit sie die Nutzungsuntersagung betrifft. Regelmäßig
entspricht es einer sachgerechten Ausübung des Ermessens, die
baurechtswidrige Nutzung zu untersagen. Es wäre rechtsstaatlich bedenklich,
wenn jemandem, der ein Vorhaben ohne die erforderliche Genehmigung
durchführt, hieraus ein materieller Vorteil erwüchse (Beschluss der Kammer vom
15.02.2012, a.a.O.; Sauter, a.a.O., Bd. 2, § 65 RdNr. 105). Ein Grund, der das
Einschreiten gegen die Antragstellerin ausnahmsweise als ermessenfehlerhaft
erscheinen lassen könnte, liegt voraussichtlich nicht vor. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass die Frage, ob die Baurechtsbehörde von ihrer Befugnis, eine
rechtswidrige Nutzung zu untersagen, Gebrauch macht, nach dem klaren Wortlaut
von § 65 Satz 2 LBO in ihrem Ermessen liegt. Die Ausübung dieses Ermessen ist
gemäß § 114 Satz 1 VwGO von den Verwaltungsgerichten nur daraufhin zu
überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder
von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden
Weise Gebrauch gemacht worden ist (so ausdrücklich VGH Bad.-Württ, Beschluss
vom 24.04.2013 - 3 S 2404/12 -, mit dem der Antrag auf Zulassung der Berufung
gegen das Urteil der Kammer vom 08.11.2012 [a.a.O.] abgelehnt wurde). Insoweit
ist die Ermessensausübung durch eine Behörde eine seit Jahrzehnten
anerkannte, selbstverständliche Ausprägung des allgemeinen deutschen
Verwaltungsrechts und kein Ausdruck „absolutistischer“ Machtanmaßung, wie die
Antragstellerin geäußert hat.
10 Insbesondere ist die Antragsgegnerin nicht verpflichtet, die prostitutive Nutzung im
Anwesen der Antragstellerin deshalb zu dulden, weil sie offensichtlich
genehmigungsfähig und ihre Untersagung (bis zu ihrer absehbaren Genehmigung)
deshalb unverhältnismäßig wäre. Im vorliegenden Fall folgt dies bereits daraus,
dass für die untersagte Nutzung bislang von niemandem ein Antrag auf Erteilung
einer Baugenehmigung gestellt worden und die Stellung eines solchen Antrags
nicht einmal beabsichtigt ist. Abgesehen davon ist diese Nutzung nicht
offensichtlich genehmigungsfähig. Das Anwesen der Antragstellerin befindet sich
in einem durch Bebauungsplan festgesetzten allgemeinen Wohngebiet, in dem
bordellartige Nutzungen, auch Wohnungsprostitution, generell unzulässig sind
(BVerwG, Beschluss vom 28.06.1995, a.a.O.; zur Problematik selbst in einem
Mischgebiet siehe VG Stuttgart, Urteil vom 22.10.2003, a.a.O., m.w.N.).
11 Auch ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin
als Zustandsstörerin vorgegangen ist (vgl. Sauter, a.a.O., Bd. 2, § 65 RdNrn.64 ff.
und 96, m.w.N.; Urteil der Kammer vom 08.11.2012, a.a.O.). Gerade bei einer
Nutzung von Räumen zu Prostitutionszwecken ist das auch sachgerecht, weil
Verfügungen, die sich allein an den Pächter bzw. die Nutzer(innen) der
betreffenden Räumlichkeiten wenden, durch die in dem betreffenden Milieu
üblichen häufigen Wechsel der agierenden Personen in besonderer Weise Gefahr
laufen, ins Leere zu gehen.
12 Auch sonst liegen Ermessensfehler voraussichtlich nicht vor. Insbesondere
verstößt die Praxis der Antragsgegnerin nicht gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz. Zwar weist die Antragstellerin zu Recht darauf hin,
dass die Antragsgegnerin mehrfach bekundet habe, gegen so gen. (schlichte)
Wohnungsprostitution nicht vorzugehen, wenn von diesen keine städtebaulichen
Spannungen ausgingen (siehe Gemeinderatsdrucksache G-12/229 vom
31.10.2012) bzw. mit ihnen keine Störungen verbunden seien (siehe Erklärung auf
der Homepage der Antragsgegnerin unter
www.freiburg.de/.../205243_208092_308820_412572_412543.html). Doch ergibt
sich aus diesen Aussagen keine Ermessensbindung der Antragsgegnerin im
vorliegenden Fall, weil zum einen Prostitution in jeder Ausprägung, auch in Form
der so gen. Wohnungsprostitution, wegen ihres Charakters als Gewerbe (siehe
oben) in einem (allgemeinen) Wohngebiet wie hier - anders als (z. B.) in einem
Gewerbegebiet, in dem die Prostitution nur im Fall besonderer Festsetzungen im
Bebauungsplan ausgeschlossen ist (um einen solchen Fall handelte es sich bei
dem Urteil der Kammer vom 08.11.2012, a.a.O.) - per se städtebauliche
Spannungen erzeugt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29.10.1997, NVwZ-RR 1998,
540, und vom 28.06.1995, a.a.O., wörtlich heißt es dort: „[…] bereits die
Wohnungsprostitution [ist] eine gewerbliche Nutzung […], die […] nicht den
Bedürfnissen des Wohngebiets dient und die zudem den Charakter des
Baugebiets als Wohngebiet beeinträchtigt.“; siehe auch VGH Bad.-Württ., Urteil
vom 04.08.1995 - 5 S 846/95 -, juris, m.w.N.) und weil es sich zum anderen bei der
in den Räumen der Antragstellerin praktizierten Prostitution nicht um eine schlichte
Wohnungsprostitution handelt, da dort nach allen vorliegenden Erkenntnissen
nicht das Wohnen, sondern das gewerbliche Angebot von Sexdienstleistungen im
Vordergrund steht, wie die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung (dort auf S.
6 und 10), auf die die Kammer auch insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen
verweist, ausführlich und überzeugend dargelegt hat (zu den Kriterien für die
Annahme von Wohnungsprostitution bzw. von so gen. Terminwohnungen siehe
einerseits Beschluss der Kammer vom 15.02.2012 und andererseits Urteil der
Kammer vom 08.11.2012, jew. a.a.O. und m.w.N.).
13 Schließlich dürfte die Antragsgegnerin ihr Recht auf Einschreiten gegen die
unzulässige Nutzung nicht verwirkt haben. Die Baurechtsbehörde hat bei ihrer
Tätigkeit zwar auch den Grundsatz der Verwirkung als einen Fall des auch das
öffentliche Recht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben zu
beachten. Ein Recht darf nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit
der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände
hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und
Glauben erscheinen lassen. Ein Recht ist insbesondere dann verwirkt, wenn der
Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf
vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend
machen werde, der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das
Recht nicht mehr ausgeübt werde, und sich infolge dessen in seinen
Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete
Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Diese
Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Bloße Untätigkeit einer Behörde ist kein
Verhalten, das geeignet wäre, bei dem Vermieter von Räumen, die zur Prostitution
genutzt werden, die berechtigte Erwartung zu begründen, gegen diese Nutzung
werde nicht mehr eingeschritten (vgl. zum Ganzen Beschluss der Kammer vom
15.02.2011, a.a.O., m.w.N.; siehe auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl. 2011, §
53 RdNrn. 41 ff., m.w.N.), zumal im vorliegenden Fall unklar ist, seit wann genau in
den betreffenden Räumen der Prostitution nachgegangen wird und ob die für
Maßnahmen nach § 65 LBO zuständige Baurechtsbehörde schon seit Längerem
davon Kenntnis hatte.
14 Auch im Übrigen ergeben sich - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - aus
dem zeitlichen Ablauf des Verwaltungsverfahrens keine rechtliche Bedenken
gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung. Die nach § 28 Abs. 1 LVwVfG
erforderliche Anhörung der Antragstellerin hat mit Anschreiben vom 11.01.2013
rechtzeitig vor Erlass dieser Verfügung am 21.02.2013 stattgefunden.
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2.3
Bei dieser Sach- und Rechtslage besteht auch ein besonderes
Vollziehungsinteresse. Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung der angegriffenen Nutzungsuntersagung besteht in der andernfalls
drohenden weiteren Verfestigung einer ungenehmigten Nutzung zu Zwecken der
Prostitution in einem von Wohnnutzung geprägten und im Bebauungsplan als
allgemeines Wohngebiet festgesetzten Gebiet und dem hierdurch eintretenden
„Abwertungseffekt“, den das Handlungskonzept der Antragsgegnerin gerade
verhindern will. Eine Fortsetzung der ungenehmigten Prostitution in den Räumen
der Antragstellerin bis zum Eintritt der Bestandskraft der Nutzungsuntersagung, die
ggf. Jahre dauern kann, ist geeignet, eine Vorbildwirkung für andere Anbieter von
Sexdienstleistungen in diesem Gebiet, das gerade wegen seiner Bahnhofsnähe
besonders anfällig dafür ist, auszuüben. Bei einer Fortdauer der aufschiebenden
Wirkung von Widerspruch und Klage während dieser (u. U. langen) Zeit könnten
die Antragstellerin sowie die anderen Nutznießer der in ihren Räumen ausgeübten
Prostitution die Früchte ihres rechtswidrigen Handelns ernten, was einem redlich
handelnden Bauherrn, der vor einer genehmigungspflichtigen Nutzung die
erforderliche Baugenehmigung einholt, verwehrt wäre. Allein solche Möglichkeiten
schüfen Anreize für die Nachahmung derartigen Verhaltens.
16
3.
Demgegenüber ergibt die im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO gebotene
Interessenabwägung ein Überwiegen der privaten Interessen der Antragstellerin
gegenüber den öffentlichen Vollzugsinteressen, soweit die Antragsgegnerin der
Antragstellerin unter Nr. 3 ihres Bescheids vom 21.02.2013 aufgegeben hat, den
bestehenden Mietvertrag über die betreffenden Räume gegenüber dem/der
Betreiber/in des bordellartigen Betriebs fristlos zu kündigen und einen Nachweis
darüber bis zum 15.03.2013 vorzulegen. Dabei kann es hier dahingestellt bleiben,
ob der Antragstellerin als Vermieterin nach den geltenden zivilrechtlichen
Bestimmungen überhaupt ein Recht zur fristlosen Kündigung gegenüber dem/der
Mieter/in bzw. Pächter/in ihrer Räume zusteht, die aller Voraussicht nach im
Einklang mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Miet- bzw. Pachtvertrag
und mit Wissen und Wollen beider Vertragsparteien genutzt werden (soweit in
Rechtsprechung und Literatur eine zusammen mit der Nutzungsuntersagung an
den/die Eigentümer/in gerichtete „Kündigungsauflage“ als grundsätzlich von § 47
Abs. 1 LBO bzw. seinen Vorgängerregelungen gedeckt bezeichnet wird [vgl.
Sauter, a.a.O., Bd. 1, § 47 RdNr. 97, und Bd. 2, § 65 RdNr. 96, jew. m.w.N.; Dürr,
VBlBW 1983, 121 <129 f.>; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15.12.1982, VBlBW 1983,
334; Hess. VGH Beschlüsse vom 26.09.1983, BRS 40, Nrn. 225 und 229; VG
Darmstadt, Beschluss vom 12.09.2011 - 2 L 795/11.DA -, juris], ergibt sich daraus
jeweils nicht, dass damit außer der ordentlichen Kündigung auch die Möglichkeit
zur fristloser Kündigung trotz vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache gemeint
ist). Denn diese „Kündigungsauflage“ erweist sich derzeit aller Voraussicht nach
als ermessensfehlerhaft. Denn auch über den Erlass einer solchen
„Kündigungsauflage“ haben die Baurechtsbehörden nach pflichtgemäßem
Ermessen zu entscheiden. Ermessenserwägungen der Antragsgegnerin hierzu
lassen sich jedoch weder dem angegriffenen Bescheid noch dem sonstigen Inhalt
der Akten entnehmen. Es lässt sich deshalb nicht feststellen, dass die
Antragsgegnerin sich die Frage nach der Zweckmäßigkeit der
„Kündigungsauflage“ gestellt hat. Diese Frage stellt sich aber vor allem deshalb,
weil angesichts der von der Antragsgegnerin schon in der Anordnung der
sofortigen Vollziehung und ihrer Begründung sowie in der engen Setzung von
Fristen gegenüber der Antragstellerin zum Ausdruck gebrachten Dringlichkeit der
Nutzungsuntersagung eine auch an den/die Mieter/in der Räume der
Antragstellerin als Zustandsstörerin gerichtete Nutzungsuntersagung, evtl. auch
nur eine Duldungsverfügung (vgl. hierzu Sauter, a.a.O., Bd. 2, § 65 RdNrn. 66 ff.,
m.w.N.), die wirksamere und schneller wirkende Maßnahme gegenüber der
stattdessen oder zusätzlich an die Antragstellerin gerichteten „Kündigungsauflage“
gewesen wäre. Hätte die Antragstellerin die an sie gerichtete „Kündigungsauflage“
nicht angefochten und wäre sie der von ihr verlangten Kündigung gegenüber
ihrem/ihrer Mieter/in nachgekommen, so könnte die Antragsgegnerin den/die
Mieter/in, falls diese/r der Kündigung nicht Folge leisten würde, nicht zwangsweise
aus dem Besitz der Wohnung setzen, solange nicht auch ihm/ihr gegenüber eine
(vollstreckbare) Nutzungsuntersagung (bzw. Duldungsverfügung) vorläge. Deshalb
stellt sich in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich die Frage, ob es nicht
zweckmäßiger ist, anstelle einer an den Wohnungseigentümer adressierten
„Kündigungsauflage“ (auch) eine an den Wohnungsmieter gerichtete
Nutzungsuntersagung zu erlassen (wie hier VGH Bad.-Württ., Urteil vom
15.12.1982, a.a.O.; vgl. auch Dürr, VBlBW 1983, 121 <129 f.>; Sauter, a.a.O., Bd.
1, § 47 RdNr. 97). Allenfalls lässt sich der Begründung des angegriffenen
Bescheids der Antragsgegnerin entnehmen, dass sie die „Kündigungsauflage“
auch deshalb erlassen hat, weil ihr die Person des/der Mieters/in der betreffenden
Räume bei Erlass des Bescheids noch nicht bekannt war und von der
Antragstellerin nicht benannt worden war. Aber für eine ordnungsgemäße
Ermessensausübung reicht dies nicht aus. Denn sie erklärt nicht, weshalb die
Antragsgegnerin eine solche Nutzungsuntersagung nicht nachträglich gegenüber
dem/der Mieter/in erlassen hat, obwohl sie dessen/deren Daten spätestens seit
dem 20.03.2013 kennt und diese/n Mieter/in bereits am 21.03.2013 wegen des
Erlasses einer gegen ihn/sie beabsichtigten Verfügung angehört hat. Abgesehen
davon wäre der Erlass einer „an den Mieter der Räumlichkeiten in …“ gerichteten
Nutzungsuntersagungsverfügung ohne genaue Kenntnis des Namens und der
Anschrift möglich. Auch wäre es möglich und von § 47 Abs. 1 Satz 2 LBO gedeckt
(gewesen), der Antragstellerin als Vermieterin aufzugeben, die ihr übermittelte
Nutzungsuntersagungs-bzw. Duldungsverfügung unverzüglich an den/die Mieter/in
und alle eventuellen weiteren (Unter-)Mieter/innen ihres Anwesens weiterzuleiten
(zur Reichweite von § 47 Abs. 1 Satz 2 LBO siehe Sauter, a.a.O., Bd. 1, § 47
RdNrn. 33 f.). Soweit die Kammer in ihrem Beschluss vom 15.02.2012 (a.a.O.) zur
Rechtmäßigkeit einer „Auflage zur fristlosen Kündigung“ (beiläufig) - bei hier
unterstellter gleichartiger Ermessensausübung der Baurechtsbehörde - eine
andere Auffassung vertreten hat (ebenso, wenngleich insoweit unklar, VG
Regensburg, Urteil vom 14.07.2011 - RO 7 K 10.2261-, juris), hält sie daran nicht
fest.
17
4.
Die im vorstehenden Absatz dargelegten Gründe gelten entsprechend (erst
recht) auch für das im angegriffenen Bescheid unter Nr. 4. gegenüber der
Antragstellerin verfügte Gebot der Erhebung einer Räumungsklage. Auch diese
„Auflage“, durch die die Schwierigkeiten des von der Antragsgegnerin
beschrittenen Weges deutlich zu Tage treten, erweist sich hiernach sehr
wahrscheinlich als ermessensfehlerhaft und damit als rechtswidrig.
18
5.
Soweit der Antrag der Antragstellerin auch gegen die im angegriffenen Bescheid
unter Nr. 6 ausgesprochene kraft Gesetzes (nach den §§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO
und 12 LVwVG) sofort vollziehbare Zwangsgeldandrohung gerichtet ist, erweist
sich der Antrag bereits als unzulässig. Denn die mit Bescheid der Antragsgegnerin
vom 19.03.2013 erfolgte Festsetzung des (im Bescheid vom 21.02.2013
angedrohten) Zwangsgelds ist, wie sich aus dem Beschluss der Kammer im
Parallelverfahren 4 K 530/13 vom heutigen Tag ergibt, in Bestandskraft
erwachsen. Zur Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses in jenem
Verfahren verwiesen. Der Bescheid vom 19.03.2013 enthält außer der
Zwangsgeldfestsetzung auch eine erneute Zwangsgeldandrohung, die gleichfalls
in Bestandskraft erwachsen ist. Bei dieser Sachlage besteht für die Antragstellerin
kein Rechtsschutzinteresse mehr an einer Anordnung der aufschiebenden
Wirkung ihres Widerspruchs gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom
21.02.2013 ausgesprochene Zwangsgeldandrohung.
19 Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Soweit in diesem
Verfahren die Antragstellerin zum Teil obsiegt hat und die Antragsgegnerin zum
Teil unterlegen ist, hat dieser Teil im Hinblick auf seine wirtschaftliche Bedeutung
im Verhältnis zu der sofort vollziehbaren Nutzungsuntersagung eine völlig
untergeordnete Bedeutung.
20 Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1
und 39 Abs. 1 GKG in Verbindung mit den Nrn. 1.6.1 Satz 2 und 9.4 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327). Dabei
hat die Kammer das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an der
einstweiligen Fortsetzung der untersagten Nutzung im Eilverfahren mit 10.000 EUR
angesetzt.