Urteil des VG Freiburg vom 11.07.2016

aufschiebende wirkung, wohnraum, satzung, zweckentfremdung

VG Freiburg Beschluß vom 11.7.2016, 4 K 1586/16
Zweckentfremdungsverbotssatzung der Stadt Freiburg vom 28.01.2014
Leitsätze
Wohnraum, der zu anderen als Wohnzwecken einschließlich Leerständen genutzt wird, fällt nicht in den
Anwendungsbereich der Satzung der Stadt Freiburg über das Wohnraumzweckentfremdungsverbot vom
28.01.2014 (ZES), wenn die andere Nutzung bereits vor dem Inkrafttreten der Satzung am 01.02.2014 und
seitdem ununterbrochen in zulässiger Weise ausgeübt worden ist.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin
vom 13.04.2016 in der Fassung des Bescheids vom 03.06.2016 ergangenen Aufforderungen, ein
Sanierungskonzept vorzulegen (Nr. 1), den Leerstand des Wohngebäudes der Antragstellerin im Anwesen …, zu
beenden und den Wohnraum in diesem Gebäude Wohnzwecken zuzuführen (Nr. 2.) sowie Nachweise über die
fristgerechte Vermietung vorzulegen (Nr. 3.), wird wiederhergestellt und angeordnet, soweit gegenüber der
Antragstellerin in diesem Bescheid die Festsetzung von Zwangsgeldern angedroht und eine Gebühr festgesetzt
wird.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 11.205,55 EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der im Sinne der Beschlussformel sachdienlich auszulegende Antrag der Antragstellerin ist gemäß § 80 Abs.
5 VwGO zulässig. Soweit die Antragsgegnerin im Bescheid vom 22.04.2016 hinsichtlich der Verfügungen
unter den Nummern 1. bis 3. gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet
hat, ist der Antrag der Antragstellerin sachdienlich gerichtet auf die Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung ihres Widerspruchs und, soweit der Widerspruch der Antragstellerin gegen die Verfügungen unter
den Nummern 5. und 6. kraft Gesetzes (
gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 VwGO) keine
aufschiebende Wirkung hat, auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Dieser Antrag
ist auch begründet. Das Interesse der Antragstellerin, die Vollziehung der von ihr angefochtenen
Verfügungen bis zu einer Entscheidung über ihren Widerspruch aufzuschieben, überwiegt das gegenläufige
öffentliche Interesse der Antragsgegnerin. Denn der rechtzeitig erhobene Widerspruch der Antragstellerin
gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22.04.2016 in der Fassung des Bescheids vom 03.06.2016 hat
bei der im vorliegenden Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen
Prüfung der Sach- und Rechtslage eine große Aussicht auf Erfolg.
2 Die Antragsgegnerin hat die Aufforderung an die Antragstellerin zur Vorlage eines Sanierungskonzepts auf §
11 Abs. 1 der am 01.02.2014 in Kraft getretenen Satzung der Stadt Freiburg i. Br. über das Verbot der
Zweckentfremdung von Wohnraum in der Stadt Freiburg i. Br. vom 28.01.2014
(
Zweckentfremdungsverbotssatzung) - im Folg.: ZES - gestützt (zur Rechtmäßigkeit dieser Satzung siehe
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 08.12.2015, DVBl 2016, 255). Nach dieser Vorschrift (§ 11 Abs. 1, 1. Halbs.
ZES) haben die dinglich Verfügungsberechtigten und die Besitzerinnen und Besitzer der Behörde die
Auskünfte zu geben und die Unterlagen vorzulegen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Vorschriften
des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum und dieser Satzung zu überwachen.
Voraussetzung für eine Anwendung dieser Vorschrift im vorliegenden Fall ist (u. a.), dass es sich bei dem
Gebäude der Klägerin um Wohnraum im Sinne des § 3 ZES handelt; das dürfte aller Voraussicht nach nicht
der Fall sein.
3 Nach der expliziten Regelung in § 3 Abs. 3 Nr. 2 ZES liegt Wohnraum nicht vor, wenn der Raum bereits vor
dem Inkrafttreten dieser Satzung und seitdem ohne Unterbrechung zulässiger Weise anderen als
Wohnzwecken diente. Andere als Wohnzwecke sind nach allgemeinem Verständnis vor allem die Zwecke,
die eine Wohnraumzweckentfremdung darstellen, wozu nach langjähriger Rechtsprechung gerade auch das
Leerstehenlassen von Wohnraum zählt (
vgl. hierzu u. a. BVerwG, Urteile vom 17.10.1997, NJW 1998, 94,
und vom 12.12.1979, NJW 1980, 1970, jew. m.w.N.). Dem entsprechen auch die Regelungen in § 4 ZES. So
ist in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ZES bestimmt, dass eine Zweckentfremdung insbesondere vorliegt, wenn der
Wohnraum - vorbehaltlich der Fälle des § 4 Abs. 2 Nr. 1 ZES, das heißt in den Fällen, in denen der Leerstand
darauf beruht, dass der Wohnraum trotz nachweislich geeigneter Bemühungen über längere Zeit nicht
wieder vermietet werden konnte - länger als sechs Monate leer steht. Insoweit stehen Leerstände von mehr
als sechs Monaten den Nutzungen, wie sie in den anderen Nummern des § 4 Abs. 1 Satz 2 ZES bezeichnet
sind (u. a. der Nutzung zu gewerblichen Zwecken [Nr. 1.] oder für Zwecke der Fremdenbeherbergung [Nr.
3.]), gleich. Aus diesen Satzungsbestimmungen folgt, dass Wohnraum (
im Sinne von § 3 Abs. 1 ZES), der zu
anderen als Wohnzwecken einschließlich Leerständen genutzt wird, dann nicht unter die
Zweckentfremdungsverbotssatzung der Antragsgegnerin fällt, wenn diese andere Nutzung bereits vor
Inkrafttreten der Satzung am 01.02.2014 und seitdem ununterbrochen in zulässiger Weise ausgeübt
worden ist.
4 Es spricht Überwiegendes dafür, dass hiernach auch das Gebäude der Antragstellerin, das unstreitig seit
Januar 2008 leer steht, ohne dass es Anhaltspunkte für die Annahme gibt, dass dieser Leerstand - außer
gegen das Recht der Wohnraumzweckentfremdung - gegen irgendwelche Vorschriften verstößt, nicht vom
Wohnraumzweckentfremdungsverbot der städtischen Satzung erfasst wird. Bei summarischer Prüfung
vermag die Kammer der Auffassung der Antragsgegnerin nicht zu folgen, wonach es bei systematischer
Auslegung der Zweckentfremdungsverbotssatzung geboten sei, den Leerstand erst und nur dann zu prüfen,
wenn es (
im Rahmen der Prüfung von § 4 ZES) um die Frage geht, ob eine Zweckentfremdung vorliegt.
Vielmehr spricht Überwiegendes dafür, dass eine Zweckentfremdung von Wohnraum eine Nutzung zu
anderen als Wohnzwecken impliziert und dass die Regelung in § 3 Abs. 3 Nr. 2 ZES nicht losgelöst von der in
§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ZES ausgelegt werden kann.
5 Aus einem Artikel in der Badischen Zeitung vom 14.05.2016 geht hervor, dass die Antragsgegnerin sich
diese Sichtweise inzwischen selbst zu eigen gemacht hat, soweit es um die Nutzung von Wohnraum als
Ferienwohnungen, also um die in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZES geregelten Fälle, geht. Doch dürfte diese
Sichtweise nicht auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZES beschränkt sein, sondern für alle in § 4 Abs. 1 ZES
geregelten Fälle und damit auch für (über sechs Monate andauernde) Wohnungsleerstände gelten. Entgegen
der Auffassung der Antragsgegnerin verlöre die Zweckentfremdungsverbotssatzung damit nicht jegliche
Bedeutung bzw. würde obsolet. Sie behielte im Gegenteil weiterhin ihre Bedeutung, allerdings mit dem
Inhalt im Sinne einer Stichtagsregelung, wonach Änderungen von Wohnnutzungen dann
zweckentfremdungsrechtlich von Bedeutung sind, wenn sie nach dem Inkrafttreten der betreffenden
Satzung am 01.02.2014 (bzw. im Fall des Wohnungsleerstands im Zeitraum von sechs Monaten davor)
erfolgt sind.
6 Soweit das Verwaltungsgericht Berlin in verschiedenen Urteilen, u. a. im Urteil vom 08.06.2016 - 6 K
103/16 - (
juris), entschieden hat, dass Ferienwohnungen in Berlin auch dann vom
Wohnraumzweckentfremdungsverbot erfasst werden, wenn sie bereits vor Erlass der entsprechenden
Verordnung (in Berlin) als solche genutzt wurden (
vgl. hierzu Badische Zeitung vom 09.06.2016), so beruht
das auf einer ausdrücklich anderslautenden Regelung im dortigen Gesetz, nämlich in § 2 Abs. 2 Nr. 1 des
Berliner Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes (
vgl. hierzu VG Berlin, Urteil vom 08.06.2016, a.a.O., RdNrn.
78 ff.). Das Gleiche gilt auch für die Rechtslage in Bayern, insbesondere München, die laut Beschlussvorlage
des Gemeinderats der Antragsgegnerin (
Drs. G-14/001 vom 10.01.2014) Vorbild der Regelungen in Baden-
Württemberg und vor allem der Satzung der Antragsgegnerin war. Diese Rechtslage ist z. B. in München im
Unterschied zu der in Freiburg dadurch gekennzeichnet, dass das Verbot der Zweckentfremdung von
Wohnraum dort ununterbrochen seit dem 01.01.1972 gilt. So ist in der dem § 3 Abs. 3 Nr. 2 ZES
entsprechenden Vorschrift des § 3 Abs. 3 Nr. 2 der Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot
der Zweckentfremdung von Wohnraum bestimmt: „Wohnraum liegt nicht vor, wenn der Raum bereits vor
dem Inkrafttreten des Verbots am 01.01.1972 und seitdem ohne Unterbrechung zulässiger Weise anderen
als Wohnzwecken diente“. Nach dieser Vorschrift stellt sich das Problem des „Bestandsschutzes“
zweckentfremdeten Wohnraums in München praktisch nicht mehr bzw. nur für Zweckänderungen, die vor
dem 01.01.1972 vorgenommen wurden. Dementsprechend hat das Sozialreferat der Landeshauptstadt
München in einem „Informationsblatt zum Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum“
(
https://www.muenchen.de/rathaus/dam/.../ZE%20Flyer%20Internet%202014-2.pdf) u. a. ausgeführt: „Eine
Zweckentfremdungsgenehmigung ist zum Beispiel dann nicht erforderlich, wenn der Wohnraum
nachweislich bereits vor In-Kraft-Treten des Verbotes der Zweckentfremdung von Wohnraum am 01.01.1972
und seitdem ohne Unterbrechung zu anderen als Wohnzwecken genutzt wird.“ Diese Ausführungen, die
nicht zwischen Leerstand und anderen Formen der Zweckentfremdung differenzieren, bestätigen die zuvor
dargelegte Auslegung der Zweckentfremdungsverbotssatzung der Antragsgegnerin.
7 Bei der zuvor dargelegten Auslegung der §§ 3 Abs. 3 Nr. 2 und 4 Abs. 1 (Satz 2 Nr. 4) ZES kann es
dahingestellt bleiben, ob dasselbe Ergebnis bereits aus § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 ZES folgt,
wonach Wohnraum im Sinne der Satzung sämtliche Räume sind, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser
Satzung zur dauerhaften Wohnnutzung objektiv geeignet und subjektiv durch die/den
Verfügungsberechtigte(n) bestimmt sind und wonach die/der Verfügungsberechtigte die subjektive
Bestimmung (erstmalige Widmung oder spätere Umwidmung) ausdrücklich oder durch nach außen
erkennbares schlüssiges Verhalten trifft.
8 Angesichts der hiernach fehlenden Wohnraumqualität des Gebäudes der Antragstellerin können die
weiteren zwischen den Beteiligten ausgiebig erörterten Streitfragen hier dahingestellt bleiben.
9 Auch die weiteren Verfügungen im Bescheid der Antragsgegnerin vom 22.04.2016 in der Fassung des
Bescheids vom 03.06.2016 über die Beendigung des Leerstands und die Zuführung der Räume zu
Wohnzwecken (Nr. 2.) sowie über die Vorlage von Nachweisen hierfür (Nr. 3.) erweisen sich hiernach als
rechtswidrig, da auch sie voraussetzen, dass es sich bei dem Gebäude der Antragstellerin um Wohnraum im
Sinne von § 3 ZES handelt.
10 Nach Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die zuvor
genannten Verfügungen fehlt es an den Voraussetzungen für die Androhung von Zwangsgeldern im Fall der
Zuwiderhandlung gegen diese Verfügungen (Nr. 5.) und für die Gebührenfestsetzung (Nr. 6.), so dass
insoweit die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen ist.
11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
12 Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 sowie 39 Abs. 1
GKG. Dabei bemisst die Kammer den Streitwert für den Antrag gegen die Verfügungen unter den Nummern
1. und 2. mit jeweils 5.000 EUR (
gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 2), gegen die Verfügung unter Nr. 3.
mit 1.000 EUR (
gemäß §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 1 GKG), gegen die Verfügung unter Nr. 5. mit 0 EUR
(
vgl. Streitwertkatalog Nr. 1.7.2) und gegen die Verfügung Nr. 6. mit 205,55 EUR (vgl. Streitwertkatalog Nr.
1.5).