Urteil des VG Freiburg vom 12.06.2014

subjektives recht, vorläufige einstellung, vollstreckung, aufschiebende wirkung

VG Freiburg Beschluß vom 12.6.2014, 4 K 1212/14
Vergnügungssteuerpflicht bei Bordellbetrieben - einstweilige Einstellung der
Vollstreckung - Anspruch auf Niederschlagung
Leitsätze
Die Regelungen in einer Vergnügungsteuersatzung, nach denen das gezielte
Einräumen der Gelegenheit zu sexuellen Diensten in Bordellen, bordellartigen
Betrieben und ähnlichen Einrichtungen der Vergnügungsteuer unterliegt und für
diesen Fall der Betreiber zum Steuerschuldner bestimmt wird, sprechen dafür, dass
der Inhaber des betr. Etablissements Steuerschuldner ist und nicht die Frauen, die
persönlich dort sexuelle Dienste anbieten.
Der Eigentümer/Vermieter der Wohnung, in der die zuvor genannte Einrichtung
betrieben wird, ist in diesen Fällen in der Regel nicht Steuerschuldner.
Zu sonstigen Gründen, die für die Eigenschaft einer Person als Betreiber einer zuvor
genannten Einrichtung sprechen (im Anschluss an VGH Bad.-Württ., Urteil vom
23.02.2011, VBlBW 2011, 400).
Eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung nach den §§ 15 Abs. 1 LVwVG, 258
AO kommt nur dann in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass
die Steuerschulden innerhalb eines absehbaren Zeitraums zurückgeführt werden
können.
Auf die §§ 3 Abs. 1 Nr. 6b KAG, 261 AO, wonach Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis niedergeschlagen werden dürfen, wenn feststeht, dass die
Einziehung keinen Erfolg haben wird, oder wenn die Kosten der Einziehung außer
Verhältnis zu dem Betrag stehen, kann ein Steuerpflichtiger sich nicht berufen. Bei der
Niederschlagung handelt es sich um einen innerdienstlichen Rechtsakt, der kein
subjektives Recht des Steuerpflichtigen begründet.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 1.295,75 EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der Antrag der Antragstellerin ist auslegungsbedürftig. Er kann, wie es die
Antragsgegnerin getan hat, zum einen als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 16.12.2013 erhobenen Klage der
Antragstellerin - 4 K 2693/13 - gegen die (Vergnügung-)Steuerbescheide der
Antragsgegnerin vom 24.07.2013 und vom 15.08.2013 sowie deren
Widerspruchsbescheid vom 13.11.2013 zu verstehen sein (1.). Er kann zum
anderen aber auch, wie es dem Wortlaut der Antragsschrift eher entspricht, auf den
Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO auf vorläufige
Einstellung der Vollstreckung aus den zuvor genannten Bescheiden gerichtet sein
(2.). In beiden Fällen kann der Antrag im Ergebnis keinen Erfolg haben.
2
1.
Als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der oben gen. Klage ist
der Antrag der Antragstellerin zwar statthaft und auch im Übrigen zulässig, da es
sich bei den angegriffenen Bescheiden um Abgabenbescheide handelt, bei denen
kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) die aufschiebende Wirkung von
Rechtsbehelfen entfällt und Vollstreckung droht, so dass ein an sich gebotenes
außergerichtliches Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung hier entbehrlich ist
(vgl. § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO). Der Antrag ist aber nicht begründet.
3 Nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten die
Aussetzung der sofortigen Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die
Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch
überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese
Vorschrift ist nach allgemeiner Auffassung bei Abgabenbescheiden - wie hier -
auch im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO
anzuwenden (siehe u. a. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18.12.2007 - 2 S
1830/07 -, juris; OVG Berl.-Brandenb., Beschluss vom 25.02.2014 - 2 S 49/13 -,
juris, m.w.N.; Sächs. OVG, Beschluss vom 09.08.2012 - 5 B 163/12 -, juris, m.w.N.;
Beschlüsse der Kammer vom 16.12.2011 - 4 K 2193/11 - und vom 18.10.2011 - 4
K 1477/11 -; Bostedt, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2013,
Teil 2-VwGO, § 80 RdNr. 155, m.w.N.).
4 Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts sind nicht schon
bei offenen Erfolgsaussichten anzunehmen, sondern erst dann, wenn die
Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Heranziehung derart überwiegen, dass
ein Erfolg des Rechtsmittelführers wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen (VGH
Bad.-Württ., Beschluss vom 18.12.2007, a.a.O.). Das Verwaltungsgericht hat in
den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO den prinzipiellen Vorrang des
(öffentlichen) Vollziehungsinteresses zu beachten und ist zu einer
Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände
angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme
rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen
Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (so VG Neustadt, Beschluss
vom 03.08.2011 - 4 L 597/11 -, juris, m.w.N.; Beschlüsse der Kammer vom
16.12.2011 und vom 18.10.2011, jew. a.a.O.; siehe auch Bostedt, a.a.O., § 80
RdNr. 155 m.w.N.); insoweit gilt bei Abgabenbescheiden ein strengerer Maßstab
als in sonstigen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO.
5 Eine unbillige Härte ist anzunehmen, wenn durch die sofortige Vollziehung für den
Betroffenen (persönliche) Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung
hinausgehen und die nicht oder nur schwer wiedergutzumachen sind, z. B. bei
drohender Insolvenz oder Existenzgefährdung; auf sachliche Billigkeitsgründe
kann eine Aussetzung nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gestützt werden (OVG
NRW, Beschluss vom 07.07.1997, NVwZ-RR 1999, 210; VG Neustadt, Beschluss
vom 03.08.2011, a.a.O., m.w.N.; Beschlüsse der Kammer vom 16.12.2011 und
vom 18.10.2011, jew. a.a.O.; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 80 RdNr.
116).
6 Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung der
sofortigen Vollziehung im vorliegenden Fall nicht vor.
7
1.1
Die angegriffenen Steuerbescheide begegnen nach gegenwärtigem Sach- und
Streitstand und nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung keinen ernstlichen
Rechtmäßigkeitszweifeln im vorgenannten Sinne. Diese Bescheide haben ihre
Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 4 KAG in Verbindung mit der Satzung der
Antragsgegnerin über die Erhebung einer Vergnügungsteuer
(Vergnügungsteuersatzung) vom 20.11.2012, gegen die Bedenken wegen eines
Verstoßes gegen höherrangiges Recht weder von der Antragstellerin vorgebracht
worden noch sonst erkennbar sind (vgl. hierzu ausführlich VGH Bad.-Württ., Urteil
vom 23.02.2011, VBlBW 2011, 400). Mit diesen Vorschriften steht die mit den
angegriffenen Bescheiden geltend gemachte Steuererhebung in Einklang.
8 Die Antragstellerin macht im Wesentlichen nur insoweit Einwendungen gegen ihre
Steuerpflicht geltend, als sie der Auffassung ist, sie sei nicht Betreiberin im Sinne
von § 4 Abs. 2 der Vergnügungsteuersatzung und damit nicht Steuerschuldnerin.
Dem dürfte jedoch nicht zu folgen sein. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 der
Vergnügungsteuersatzung unterliegt das gezielte Einräumen der Gelegenheit zu
sexuellen Diensten in Bordellen, bordellartigen Betrieben und ähnlichen
Einrichtungen der Vergnügungsteuer. Danach knüpft der Steuertatbestand nicht
an der Leistung bzw. dem Anbieten sexueller Dienste an, sondern an dem
(gezielten) Einräumen dieser Dienste. Das belegt auch ein Vergleich mit § 2 Abs. 1
Nr. 7 der Vergnügungsteuersatzung, wonach der Steuertatbestand in dem
Angebot sexueller Dienste besteht. Schon das spricht dafür, dass die
Antragstellerin als Inhaberin des Etablissements („...“) und nicht die Frauen, die
persönlich dort sexuelle Dienste anbieten, nach den §§ 2 Abs. 1 Nr. 6 und 4 Abs. 2
der Vergnügungsteuersatzung Steuerschuldnerin ist.
9 Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in dem oben
gen. Urteil vom 23.02.2011 zum Begriff des Unternehmers der steuerpflichtigen
Veranstaltung als Steuerpflichtigen ausgeführt: Die Klägerin (in jenem Verfahren) -
und nicht die einzelne Prostituierte - sei Unternehmerin der Veranstaltung des
„Laufhauses“/Bordells, da sie nicht lediglich den Prostituierten die Räumlichkeiten,
in denen diese ihre sexuellen Dienste anbieten, zur Verfügung stelle. Vielmehr
liege die Gesamtkonzeption des „Laufhauses“ ausschließlich in ihren Händen. Sie
sei verantwortlich für die Koordination, die Werbung einschließlich des
Internetauftritts und die Vermarktung des gesamten „Laufhaus“-Komplexes; dazu
gehöre nicht nur die Vergabe der Zimmer an die einzelnen Prostituierten, sondern
auch der Betrieb des so gen. Kontakthofs. Auch für den Reinigungsservice des
Gesamtkomplexes einschließlich der Zimmer sowie für den Sicherheitsdienst trage
sie die Sorge. Aufgrund dieser Strukturen sei der Bestand des betreffenden
Bordells allein vom unternehmerischen Handeln der Klägerin abhängig. Auch nach
diesen Grundsätzen ist die Antragstellerin sehr wahrscheinlich Unternehmerin,
wobei der Begriff des Unternehmers hier gleichbedeutend ist mit dem des
Betreibers; der unterschiedliche Gebrauch dieser den jeweiligen Steuerschuldner
bezeichnenden Begriffe erklärt sich allein aus der jeweils unterschiedlichen
Wortwahl in den einschlägigen kommunalen Satzungen (zum synonymen
Gebrauch beider Begriffe siehe Nieders. OVG, Urteil vom 26.11.2012, NVwZ-RR
2013, 531). Das Etablissement „...“, deren Inhaberin die Antragstellerin ist und
dessen Konzeption in der Hand der Antragstellerin liegt, wirbt, ähnlich einer Firma
im Handelsverkehr, unter diesem Namen im Internet und auch die Prostituierten
selbst, die in der Wohnung der Antragstellerin tätig sind, werben nach einem in den
Akten befindlichen Internetausdruck für ihre Leistungen nicht nur unter ihrem
eigenen Namen bzw. Pseudonym und ihrer Anschrift, sondern unter Angabe des
„Firmen“-Namens „...“. Nach ihren eigenen Angaben ist die Antragstellerin in
diesem Etablissement u. a. zuständig für die Ertragsberechnung
(Gewinnermittlung) und die Steuerzahlung, für Versicherungen,
Arbeitsschutzkontrolle und Einhaltung der Hausordnung, die nach Lage der Dinge
allesamt nur das gesamte Etablissement und damit u. a. alle dort tätigen Personen
betreffen können. Diese Aufgaben kann sie nur durch eine gewisse Präsenz in
diesem Etablissement gewährleisten, für die sie auch ein eigenes Zimmer bereit
hält; sie übt auf diese Weise ihre Organisationsgewalt für dieses Etablissement
aus. Dass die Antragstellerin dieses Etablissement auch tatsächlich wie ein
Gewerbe betreibt, zeigt sich zum einen an dem für eine Drei-Zimmer-Wohnung
unüblich hohen Mietzins von 3.350 EUR pro Monat, den sie an die Eigentümerin
zahlt und der in gewinnbringender Weise nur durch Weitervermietung an mehrere
(hier zwei regelmäßig wechselnde) Prostituierte amortisiert werden kann. Wohl zu
Recht führt die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung dazu aus, dass die
Antragstellerin auf diese Weise an der Leistung der Prostituierten partizipiere.
Dementsprechend bezeichnet die Antragstellerin im Schreiben ihres
Prozessbevollmächtigten vom 20.03.2014 ihre Funktion selbst insoweit zutreffend
als selbständig Erwerbstätige (deren Tätigkeit allerdings nicht rentabel sei).
10 Demgegenüber kommt die Eigentümerin/Vermieterin der von der Antragstellerin
gemieteten Wohnung nicht (anstelle der Antragstellerin) als Betreiberin im Sinne
der §§ 2 Abs. 1 Nr. 6 und 4 Abs. 2 der Vergnügungsteuersatzung in Betracht. Das
wäre nur dann der Fall, wenn sie durch organisatorische Mitwirkung maßgeblichen
Einfluss auf das Angebot sexueller Dienstleistungen oder das Einräumen der
Gelegenheit hierzu hätte (siehe Nieders. OVG, Urteil vom 26.11.2012, a.a.O.,
m.w.N.).
11 Ob die Antragstellerin außer nach § 4 Abs. 2 der Vergnügungsteuersatzung
zusätzlich auch nach § 4 Abs. 5 der Vergnügungsteuersatzung Steuerschuldnerin
ist, weil sie die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, in denen die steuerpflichtigen
Dienste angeboten werden, und sie in einer besonderen rechtlichen oder
wirtschaftlichen Beziehung zum Steuergegenstand steht oder einen maßgeblichen
Beitrag zur Verwirklichung des steuerbegründenden Tatbestands leistet, wofür
einiges sprechen dürfte, kann danach hier dahingestellt bleiben.
12
1.2
Die Vollziehung der Steuerbescheide hat für die Antragstellerin auch keine
unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur
Folge. Die von der Antragstellerin beschriebene schwierige wirtschaftliche
Situation, die sie bereits in der Vergangenheit veranlasst habe, eine eidesstattliche
Versicherung abzugeben, ist zum einen nicht Folge der auf den angegriffenen
Bescheiden beruhenden Steuerschuld und zum anderen nicht mit überzeugenden
aktuellen Angaben belegt. Soweit die Antragstellerin vorträgt, ihre
Zimmervermietung, das heißt das Etablissement „...“, sei nicht rentabel,
insbesondere habe sie sich zur Verhinderung der Kündigung durch die
Wohnungseigentümerin hoch verschuldet, ist ihr Verhalten wenig nachvollziehbar
und unglaubhaft, wenn sie gleichzeitig bekundet, sie wolle dieses Etablissement
dennoch weiterbetreiben, weil sie ihre Selbständigkeit behalten wolle. Denn bei
dauerhafter Unrentabilität, das heißt bei dauerhaftem Übersteigen der Ausgaben
gegenüber den Einnahmen, lässt sich auch eine unternehmerische
Selbständigkeit nicht aufrecht erhalten, es sei denn, es bestünden andere
Einnahmequellen, die wiederum gegen die Annahme einer unbilligen Härte
sprächen. Es ist für die Kammer letztlich nicht erkennbar, wovon die Antragstellerin
ihren Lebensunterhalt bestreitet. Auf öffentliche Sozialleistungen ist sie jedenfalls
offensichtlich nicht angewiesen. Für eine Insolvenz der Antragstellerin fehlt es an
jeglichen Anhaltspunkten; einen Antrag auf Einleitung eines Insolvenzverfahrens
hat sie ebenfalls offensichtlich nicht gestellt. Vor allem aber hat die Antragstellerin
den Bescheid vom 13.11.2013, mit dem die Antragsgegnerin den Antrag der
Antragstellerin auf Erlass der mit Bescheid vom 24.07.2013 festgesetzten
Vergnügungsteuer (wegen Unbilligkeit ihrer Einziehung gemäß § 227 AO)
abgelehnt hat, nicht mit Widerspruch angegriffenen, ihn vielmehr bestandskräftig
werden lassen (zur praktisch geringen Bedeutung des Aussetzungsgrunds der
„unbilligen Härte“ in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO neben der Möglichkeit der Stundung
oder des Erlasses nach § 227 AO vgl. Bostedt, a.a.O, § 80 RdNr. 155; vgl. hierzu
auch Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand:
April 2013, Bd. 1, § 80 RdNrn. 298 f., m.w.N.). Den Abschluss einer die
Schuldenlast streckenden Ratenvereinbarung hat die Antragsgegnerin der
Antragstellerin im Bescheid vom 13.11.2013 ausdrücklich angeboten, ohne dass
die Antragstellerin darauf eingegangen wäre.
13
2.
Auch soweit man den Antrag der Antragstellerin als Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO auf vorläufige Einstellung der
Vollstreckung aus den angegriffenen Abgabenbescheiden auslegt, ist er nicht
begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine
einstweilige Anordnung (auch) zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint,
um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder
wenn diese Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend
gemachte Anspruch und der Grund, weshalb es des Erlasses einer einstweiligen
Anordnung bedarf, sind hierbei glaubhaft zu machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920
Abs. 2 ZPO). Die Antragstellerin hat jedoch einen Anordnungsanspruch nicht
glaubhaft gemacht.
14 Die Vollstreckung von Abgabenbescheiden - wie hier - bestimmt sich nach den §§
3 Abs. 1 Nr. 6 KAG und 13 ff. LVwVG. Für das Begehren der Antragstellerin
kommen insoweit allein die Vorschriften der §§ 15 Abs. 1 LVwVG, 258 AO (2.1)
und der §§ 3 Abs. 1 Nr. 6b KAG, 261 AO (2.2) in Betracht.
15
2.1
Nach § 258 AO kann die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einstweilen
einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben,
soweit die Vollstreckung im Einzelfall unbillig ist. Eine Unbilligkeit im Sinne dieser
Vorschrift, die zur einstweiligen Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung
führen kann, liegt nur dann vor, wenn die Vollstreckung dem
Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der
durch ein kurzfristiges Zuwarten vermieden werden könnte. Eine Unbilligkeit ist
daher nicht schon dann gegeben, wenn die Vollstreckung möglicherweise
unangemessene nachteilige Folgen hat, z. B. auch dann nicht, wenn durch die
Vollstreckung die Gefahr der Insolvenz erhöht wird oder sogar die Insolvenz nach
sich zieht (BFH, Urteil vom 31.05.2005 - VII R 62/04 -, juris; Brockmeyer, in: Klein,
AO, 11. Aufl. 2012, § 258 RdNr. 7). Vielmehr müssen die Folgen grundsätzlich
durch kurzfristiges Abwarten oder ein anderes Vorgehen vermieden werden
können. Mit anderen Worten kommt eine Einstellung der Vollstreckung nach § 258
AO nur dann in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die
Steuerschulden innerhalb eines absehbaren Zeitraums zurückgeführt werden
können; ist der Steuerschuldner nicht in der Lage, dem Finanzamt einen konkreten
Tilgungszeitraum zu nennen, kann das Finanzamt ohne Ermessensfehler einen
solchen Aufschub ablehnen (FG Nürnberg, Urteil vom 30.04.2014 - 2 K 1290/12 -,
juris; vgl. auch FG München, Urteil vom 22.02.2010 - 14 K 3659/09 -, juris).
16 Hiernach liegen die Voraussetzungen des § 258 AO nicht vor. Es ist nicht
absehbar, dass und in welchen Zeiträumen die Antragstellerin bereit und imstande
ist, die Steuerschulden gegenüber der Antragsgegnerin zu begleichen. Im
Zeitpunkt der Antragstellung (beim Gericht) betrugen sie 2.591,50 EUR und lagen
danach höher als bei Erhebung der Klage gegen die Steuerbescheide vom
24.07.2013 und vom 15.08.2013. Eine Tilgungsvereinbarung existiert ersichtlich
nicht. Soweit die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit Schreiben vom
21.10.2013 mitgeteilt hat, sie sei bemüht, 100 EUR wöchentlich zu zahlen, was
angesichts einer festgesetzten monatlichen Steuerlast von 300 EUR ohnehin
wenig ergiebig gewesen wäre, ist diese Ankündigung offenbar weitestgehend
folgenlos geblieben, wie das Ansteigen der Steuerschuld seither belegt. Auch der
(vorliegende) Antrag bei Gericht ist nicht mit einem Angebot auf Tilgung der
Steuerschuld verbunden.
17
2.2
Auf § 261 AO, wonach Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis
niedergeschlagen werden dürfen, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen
Erfolg haben wird, oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zu dem
Betrag stehen, kann ein Steuerpflichtiger und somit auch die Antragstellerin sich
nicht berufen. Bei der Niederschlagung handelt es sich (lediglich) um einen
innerdienstlichen Rechtsakt, der kein subjektives Recht des Steuerpflichtigen
begründet (Brockmeyer, a.a.O., § 261 RdNr. 2, m.w.N.). Darüber hinaus darf eine
Niederschlagung erst erfolgen, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg
haben wird oder dass die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zur
Steuerschuld stehen, was in der Regel erst dann angenommen werden kann,
wenn ein Vollstreckungsversuch keinen Erfolg gehabt hat und die Überprüfung der
Vermögensverhältnisse des Steuerschuldners ergeben hat, dass die Vollstreckung
auch in der Zukunft erfolglos bleiben wird (Brockmeyer, a.a.O., § 261 RdNr. 5).
18 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 und 63 Abs. 2 GKG.