Urteil des VG Freiburg vom 29.07.2013

psychologische begutachtung, inhaber, besitz, blutalkoholkonzentration

VG Freiburg Beschluß vom 29.7.2013, 4 K 1179/13
Gutachtenanforderung bei Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe
Leitsätze
§ 2a Abs. 4 Satz 1, 2. Halbs. StVG stellt für Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe
gegenüber den allgemeinen Regelungen in den §§ 3 StVG sowie 11 ff. und 46 FeV
eine eigenständige und speziellere Regelung dar.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
1 Der Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, ihm (dem Antragsteller) vorläufig
die Fahrerlaubnis der Klasse B zu erteilen, begegnet bereits wegen des in der
Rechtsprechung weitgehend anerkannten Grundsatzes des Verbots der
Vorwegnahme der Hauptsache gewissen Bedenken (vgl. hierzu Bostedt, in:
Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2013, Teil II-VwGO, § 123
RdNrn. 82 ff., m.w.N.; zur grundsätzlichen Kritik an dieser Rechtsfigur siehe u. a.
Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Aug. 2012,
Bd. 2, § 123 RdNrn. 88 ff.; zur Frage, ob das Verbot der Vorwegnahme der
Hauptsache ein Element der Zulässigkeit oder der Begründetheit ist, siehe Hufen,
Verwaltungsprozessrecht, 8. Aufl. 2011, § 33 RdNrn. 17 f.). Diese Bedenken können
jedoch dahingestellt bleiben, da der Antrag aus anderen Gründen keinen Erfolg
haben kann.
2 Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung
(auch) zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche
Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder wenn diese
Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch
und der Grund, weshalb es des Erlasses einer einstweiligen Anordnung bedarf, sind
hierbei glaubhaft zu machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO).
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1.
Der Antragsteller hat zunächst keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Soweit er hierzu lediglich - auch mittels eidesstattlicher Versicherung - ausführt,
dass er dringend auf seinen Führerschein angewiesen und ihm ein weiteres
Zuwarten nicht mehr möglich sei, weil er den Verlust seines Arbeitsplatzes
befürchte, äußert er diesbezüglich nur Vermutungen. Konkrete Absichten seines
Arbeitgebers, den Arbeitsvertrag mit dem Antragsteller zu kündigen, falls dieser nicht
alsbald (bis wann genau?) im Besitz einer Fahrerlaubnis sei, hat der Antragsteller
nicht, beispielsweise durch eidesstattliche Versicherung des Arbeitgebers, glaubhaft
gemacht. Die vom Antragsteller schlicht behaupteten, nicht glaubhaft gemachten
angeblichen Nachfragen seines Arbeitgebers nach dem Sachstand lassen des
Weiteren auch nicht den Rückschluss zu, dass der Arbeitsplatz des Antragstellers
tatsächlich in Gefahr ist. Im Gegenteil hat der Antragsteller seinen jetzigen
Arbeitsplatz auch ohne Fahrerlaubnis im Juli 2012 angetreten - damals war sein
Führerschein beschlagnahmt - und er hat sogar im Dezember 2012 eine
Festanstellung erhalten, obwohl er weiterhin nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war.
Aus dem vorgelegten Arbeitsvertrag ergibt sich nicht, dass der Besitz oder der
baldige Erwerb einer Fahrerlaubnis Voraussetzung für den Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses sei. Gründe, die erkennen ließen, dass sich an diesen
arbeitsrechtlichen Voraussetzungen etwas geändert hätte, wurden nicht glaubhaft
gemacht.
4 Schon allein wegen dieser fehlenden Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds
ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unbegründet.
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2.
Hinzu kommt, dass der Antragsteller auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft
gemacht hat. Denn der Antragsgegner darf wohl zu Recht gemäß § 11 Abs. 8 FeV
auf die fehlende Kraftfahreignung des Antragstellers schließen, nachdem dieser das
vom Landratsamt L. sehr wahrscheinlich zu Recht angeforderte medizinisch-
psychologische Gutachten nicht beigebracht hat. Die entsprechende Anordnung
des Landratsamts vom 17.05.2013 erweist sich im Ergebnis sehr wahrscheinlich als
rechtmäßig. Zwar ist dem Antragsteller zuzugeben, dass eine solche Anordnung
ihre Rechtsgrundlage nicht in § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV findet, weil die tatbestandlichen
Voraussetzungen einer der dort unter den Buchstaben a) bis e) genannten
Alternativen nicht vorliegen; insbesondere scheidet eine Anwendung von § 13 Satz
1 Nr. 2c) oder d) FeV aus, nachdem der Antragsteller ein Fahrzeug mit einer
Blutalkoholkonzentration von „nur“ 1,2 ‰ und nicht 1,6 ‰ geführt hatte. Doch ergibt
sich die Berechtigung des Landratsamts zur Anordnung einer medizinisch-
psychologischen Begutachtung im vorliegenden Fall aus § 2a Abs. 4 Satz 1 StVG.
Dort ist geregelt: Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 (StVG) bleibt unberührt;
die zuständige Behörde kann insbesondere auch die Beibringung eines Gutachtens
einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anordnen, wenn
der Inhaber einer Fahrerlaubnis innerhalb der Probezeit Zuwiderhandlungen
begangen hat, die nach den Umständen des Einzelfalls bereits Anlass zu der
Annahme geben, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Diese
Vorschrift findet auf den Antragsteller Anwendung, da er bis zur Entziehung der
Fahrerlaubnis durch Strafbefehl des Amtsgerichts S. vom 15.05.2012 noch im
Besitz einer Fahrerlaubnis auf Probe gemäß § 2a StVG war. Denn bei Begehung
der Trunkenheitsfahrt (gemäß § 316 StGB) am 03.03.2012 war er noch keine zwei
Jahre im Besitz der Fahrerlaubnis und die Sicherstellung seines Führerscheins
hemmte den weiteren Ablauf der Probezeit (siehe § 2a Abs. 1 Satz 5 StVG). Die
oben wiedergegebene Regelung in § 2a Abs. 4 Satz 1, 2. Halbs. StVG stellt für
Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe - anders als der Antragsteller mehrfach
gegenüber dem Landratsamt zum Ausdruck gebracht hat - gegenüber den
allgemeinen Regelungen in den §§ 3 StVG sowie 11 ff. und 46 FeV eine
eigenständige und speziellere Regelung dar; letztere Vorschriften bleiben, wie der
ausdrücklich Hinweis in § 2a Abs. 4 Satz 1 StVG auf § 3 StVG zeigt, allerdings
ergänzend anwendbar (vgl. Bayer. VGH, Beschlüsse vom 02.02.2009 - 11 CS
08.2319 -, juris RdNrn. 20 f., und vom 14.02.2006 - 11 CS 05.1504 -, juris RdNr. 30;
VG München, Beschlüsse vom 11.08.2009 - M 1 K 09.1830 -, juris RdNrn. 15 f., und
vom 28.05.2009 - M 1 S 09.1832 -, juris RdNrn. 18 ff.; siehe auch Dauer, in:
Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, 1-StVG, § 2a RdNr.
18).
6 Durch sein Verhalten am 03.03.2012, bei dem der Antragsteller infolge der
Trunkenheit auch einen Verkehrsunfall verursacht hatte - die entsprechende Straftat
nach § 315c StGB blieb laut dem oben genannten Strafbefehl des Amtsgerichts S.
lediglich gemäß den §§ 154, 154a StPO unverfolgt -, hat der Antragsteller sich als
ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, indem er den
missbräuchlichen Konsum von Alkohol und das Fahren eines Kraftfahrzeugs nicht
trennen konnte. Die ca. 1 ½ Stunden nach der Trunkenheitsfahrt bei ihm
gemessene Blutalkoholkonzentration von 1,2 ‰ - im Tatzeitpunkt dürfte der Wert
noch höher gewesen sein - liegt über dem Grenzwert von 1,1 ‰, ab dem zusätzlich
zu der durch den Unfall belegten relativen Fahruntüchtigkeit auch eine absolute
Fahruntüchtigkeit anzunehmen ist. In dem damaligen Verhalten offenbarte sich eine
äußerst bedenkliche Einstellung des Antragstellers gegenüber den Pflichten eines
Kraftfahrzeugführers, obwohl er wusste, dass er die Fahrerlaubnis erst „auf Probe“
besaß. Für die Fahrerlaubnisbehörde besteht in einem solchen Fall durchaus
Anlass zu überprüfen, ob diese Einstellung weiterhin vorherrscht. Die Anordnung
eines Fahreignungsgutachtens auf der Grundlage von § 2a Abs. 4 Satz 1, 2. Halbs.
StVG ist nicht deshalb zu verneinen, weil § 13 Satz 1 Nr. 2c) FeV eine solche
Begutachtung erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ zwingend
vorschreibt. Denn § 2a Abs. 4 Satz 1, 2. Halbs. StVG stellt für Inhaber einer
Fahrerlaubnis auf Probe, wie erwähnt, eine eigenständige, von den allgemeinen
Regelungen der §§ 11 bis 14 FeV unabhängige Grundlage dafür dar, ein
Fahreignungsgutachten zu verlangen. Von den allgemeinen Regelungen
abzuweichen, rechtfertigt sich auch deshalb, weil ein Fahrerlaubnisinhaber auf
Probe nach den gesetzlichen Regelungen, die dem besonderen
Gefährdungspotential bei Fahranfängern Rechnung tragen, anders zu behandeln ist
als ein erfahrener Kraftfahrer. Dass bei Inhabern einer Fahrerlaubnis auf Probe
strengere Anforderungen hinsichtlich der Fähigkeit, zwischen Konsum von Alkohol
und Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen, zu stellen sind als bei den übrigen
Fahrerlaubnisinhabern, zeigt sich auch anhand von § 24c StVG (ebenso VG
München, Beschlüsse vom 11.08.2009 und vom 28.05.2009, jew. a.a.O.).
7 Soweit die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung ausführt, sie sei im Rahmen
des § 3 Abs. 4 StVG an die Feststellung des Strafgerichts (über die Ungeeignetheit
des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen) im vorausgegangenen
Strafbefehl gebunden, ist diese Ausführung für einen möglichen Anspruch des
Antragstellers auf (Neu-)Erteilung im Ergebnis ohne Bedeutung. Allerdings weist die
Kammer darauf hin, dass diese angebliche Bindung aus mehreren Gründen hier
nicht vorliegt. Zum einen gilt § 3 Abs. 4 StVG nach seinem eindeutigen Wortlaut nur
für das Entziehungsverfahren, nicht für das Verfahren auf (Neu-)Erteilung einer
Fahrerlaubnis, um die es hier allein geht; das gilt vor allem auch deshalb, weil die
Feststellungen des Strafgerichts im Vorfeld einer strafgerichtlichen Entziehung der
Fahrerlaubnis (gemäß § 69 StGB) sich auf einen anderen Zeitpunkt beziehen als
auf den, der für die (Neu-)Erteilung maßgeblich ist. Des Weiteren verbietet § 3 Abs.
4 StVG ein Abweichen vom Inhalt des Urteils nur zum Nachteil des
Fahrerlaubnisinhabers, nicht zu dessen Vorteil. Die Kammer wertet diese fehlerhafte
Aussage des Antragsgegners zu § 3 Abs. 4 StVG jedoch nicht als Ausdruck der
irrtümlichen Annahme einer rechtlichen Gebundenheit im Rahmen der nach § 2a
Abs. 4 Satz 1, 2. Halbs. StVG gebotenen Ermessensausübung. Denn dass der
Antragsteller sich bei seiner Trunkenheitsfahrt als ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen erwiesen hat, steht nicht nur aufgrund des Strafbefehls fest,
sondern ergibt sich (auch) zwingend aus den §§ 2 Abs. 4 und 6 Abs. 1 Nr. 1c) StVG
sowie 11 und 46 FeV in Verbindung mit der Anlage 4 zu § 11 FeV. Die Anordnung
der Beibringung einer medizinischen-psychologischen Begutachtung der
Kraftfahreignung hat das Landratsamt laut seinem Schreiben vom 17.05.2013
dementsprechend auch nicht getroffen, weil die fehlende Eignung des Antragstellers
feststünde, sondern deshalb, um Bedenken bzw. Zweifel an der Wiedererlangung
seiner Kraftfahreignung auszuräumen, und weil das Landratsamt die medizinisch-
psychologische Begutachtung der Kraftfahreignung als geeignetes, erforderliches
und angemessenes Mittel zur Klärung der Eignungszweifel angesehen hat. Das ist
im Rahmen der nach § 2a Abs. 4 Satz 1, 2. Halbs. StVG gebotenen
Ermessensausübung von Seiten des Gerichts nicht zu beanstanden.
8 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
9 Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 und 63 Abs. 2
GKG. Die Kammer orientiert sich dabei am Streitwertkatalog für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327), der für ein Hauptsacheverfahren
bei einer Fahrerlaubnisentziehung der Klasse B den Auffangstreitwert vorsieht. Im
Hinblick auf die Besonderheiten des auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten
Verfahrens hält die Kammer die Hälfte dieses Streitwerts für angemessen.