Urteil des VG Freiburg vom 19.06.2006

VG Freiburg: eines Vornamens, Belastungssituation, Transliteration ausländischer Namen, wichtiger grund, eltern, namensänderung, schriftzeichen, ermessen, familienname, form

VG Freiburg Urteil vom 19.6.2006, 1 K 1495/05
Änderung eines Vornamens - Belastungssituation - Transliteration ausländischer Namen
Tenor
Der Bescheid des Landratsamts R. vom 15.4.2004 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums F. vom 30.6.2005 werden
aufgehoben. Das beklagte Land - Landratsamt R. - wird verpflichtet, den Vornamen „Nikolaus“ des Klägers in den Vornamen „Nico“ zu ändern.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt eine Änderung seines Vornamens.
2
Der am ....1983 in Kasachstan geborene Kläger siedelte mit seiner Familie (Eltern und 8 Geschwister) im November 1988 nach Deutschland
über. Als deutschsprachige Form des Vornamens des Klägers wählten seine Eltern „Nikolaus“. Im Oktober 1993 erfolgte die Einbürgerung der
gesamten Familie.
3
Am 18.1.2004 beantragte der Kläger die Änderung seines Vornamens von „Nikolaus“ in „Nico“. Als Grund gab er Verspottung bzw. Vergleiche mit
dem Weihnachtsmann an. Nach vorheriger Anhörung lehnte das Landratsamt R. mit Entscheidung vom 15.4.2004 (zugestellt am 20.4.2004) den
Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, es liege kein wichtiger Grund i.S.v. § 3 NÄG vor, weil es sich bei „Nikolaus“ um einen gängigen
deutschen Namen handle, der nicht anstößig sei. Zwar gebe dieser Name zweifellos Anlass zu Hänseleien, diese seien aber nicht derart
beleidigend und ehrverletzend, dass sie als unzumutbare Beeinträchtigung aufzufassen seien.
4
Der Kläger erhob am 10.5.2004 Widerspruch und führte aus, von seinen Eltern sei er „Nikolaj“ genannt worden. Bei der Einreise sei dieser Name
falsch in deutsche Dokumente übersetzt worden; „Nikolaj“ bedeute nicht „Nikolaus“.
5
Mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums F. vom 30.6.2005 (zugestellt am 2.7.2005) wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die
Widerspruchsbehörde führte aus, der Kläger habe seit November 1988 seinen ständigen Aufenthalt in Deutschland. Sowohl Erklärungen der
Eltern als auch Eintragungen im Familienbuch enthielten als überbesetzten Namen „Nikolaus“. Zwar fehle bei der Übersetzung der russischen
Geburtsurkunde durch eine vereidigte Urkundenübersetzerin die Bestätigung, dass die ISO-Norm angewendet worden sei. Erkundigungen der
Widerspruchsbehörde hätten jedoch ergeben, dass der Name sowohl „Nikolaus“ als auch „Nikolaj“ in der Übersetzung lauten könne. Soweit der
Kläger Spott, Hänseleien und Beleidigungen anführe, seien diese nicht nachvollziehbar. Allein der Umstand, dass viele Vornamen zu harmlosen
Wortspielen Veranlassung gäben, rechtfertige keine Namensänderung. Solche Wortspiele seien üblich bei Kindern, nicht jedoch beim Kreis, dem
der Kläger angehöre. Selbst unter Jugendlichen jedoch gebe es unzählige Namen, die zu Spott und Verballhornen einlüden. Es werde für wenig
lebensnah gehalten, dass der Kläger im Alter von 22 Jahren im privaten oder beruflichen Umfeld irgendwelchen Hänseleien ausgesetzt sei. Es
hindere ihn nichts, sich mit dem gewünschten Vornamen „Nico“ von Freunden, Bekannten und Verwandten rufen zu lassen, und den Namen
„Nikolaus“ nur in amtlichen Dokumenten in voller Form zu verwenden. Schließlich sei davon auszugehen, dass die Eltern im Jahr 1995 bei
Abgabe ihrer Namenserklärungen sich der Auswirkungen einer einmaligen Namenswahl bewusst gewesen seien.
6
Der Kläger hat am 1.8.2005 Klage erhoben, zu deren Begründung er ergänzend Schwierigkeiten im Freundeskreis und Beruf angeführt hat.
Ferner hat er auf die Gefahr hingewiesen, dass ihn die psychische Belastung mit seinem Vornamen um seine Arbeitskraft bringen könne. Er
beantragt,
7
den Bescheid des Landratsamts R. vom 15.4.2004 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums F. vom 30.6.2005 aufzuheben
und das beklagte Land - Landratsamt R. - zu verpflichten, seinen Vornamen „Nikolaus“ in den Vornamen „Nico“ zu ändern.
8
Das beklagte Land beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den Akteninhalt (jeweils ein Heft des
Landratsamts und des RP F.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
11 Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet, weil der Kläger Anspruch auf die von ihm begehrte Vornamensänderung hat (§ 113 Abs. 5 Satz
1 VwGO). Einer solchen Änderung des Vornamens und nicht nur einer bloßen Berichtigung der Personenstandsurkunden bedarf es, weil der
ursprüngliche (russische) Vorname „Nikolaj“ des Klägers im Vertriebenenverfahren gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 3 BVFG in „Nikolaus“ geändert worden
ist. Anspruchsgrundlage für die Vornamensänderung ist § 3 NÄG. Nach § 1 NÄG kann u.a. ein Familienname eines deutschen
Staatsangehörigen auf Antrag geändert werden. Ein Familienname darf gemäß § 3 Abs. 1 NÄG nur geändert werden, wenn ein wichtiger Grund
die Änderung rechtfertigt. Gemäß § 11 NÄG schließlich finden u.a. die §§ 1 bis 3 auf die Änderung von Vornamen Anwendung. Liegt ein wichtiger
Grund vor, so ist ein durch §§ 1 und 3 NÄG eingeräumtes Ermessen regelmäßig auf Null i.S. einer zwingenden Namensänderung reduziert.
12 Die Voraussetzung eines wichtigen Grundes ist hier erfüllt. Bei dem Begriff des wichtigen Grundes in § 3 Abs. 1 NÄG handelt es sich um einen
unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in vollem Umfang überprüft werden
kann. Für die rechtliche Beurteilung kommt es darauf an, ob das Interesse des Klägers an der Namensänderung schutzwürdig ist, weil es
Vorrang hat vor dem schutzwürdigen Interesse der durch eine Namensänderung betroffenen Träger des bisherigen und des neuen Namens und
vor den in den gesetzlichen Bestimmungen zum Ausdruck gekommenen Grundsätzen der Namensführung, zu denen auch die Ordnungsfunktion
des Namens sowie sicherheitspolizeiliche Interessen an der Beibehaltung des bisherigen Namens gehören (zum Familiennamen vgl. BVerwG,
Beschl. v. 17.5.2001 - 6 B 23/01 - Juris). Ein solchermaßen schutzwürdiges und im Anschluss an eine Abwägung als überwiegend zu
erachtendes Interesse des Klägers ergibt sich hier daraus, dass es um die Änderung des gegenüber dem Familiennamen geringer
„bestandsfesten“ Vornamens geht, sowie aus dem Hinzutreten weiterer besonderer Umstände. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung
sehr eindrücklich und glaubhaft, sogar bis hin zu einem Tränenausbruch, geschildert, dass er seit Schulkindertagen bis in die Gegenwart durch
immer wiederkehrende Assoziationen seiner Mitmenschen zwischen seinem Vornamen und der Figur des Weihnachtsmanns betroffen ist. Dies
stellt für ihn eine permanente psychische Belastung dar (zu einem solchen Fall beim Nachnamen: VG Potsdam, Urt. v. 18.1.2005 - 3 K 3455/99 -
Juris). Anschauliche Beispiele aus jüngerer Zeit und anlässlich unterschiedlicher Situationen hat der Kläger hier gegeben. Einen - bislang nicht
manifestierten bzw. behandlungsbedürftigen - Krankheitswert dieser Belastung kann man dem Kläger ebenso wenig zumuten wie eine Aufgabe
seines Freundeskreises oder gar der Arbeit, bei welcher er durch Chef und Mitarbeiter ebenfalls immer mal wieder wegen seines Vornamens
Spott erfährt. Im übrigen wäre selbst bei einer Änderung des persönlichen/personellen Umfelds nicht sichergestellt, dass dies eine Änderung im
Verhalten der Mitmenschen bewirkte. Gerade deshalb hält das Gericht es auch für unzumutbar, dass der Kläger seinen bisherigen Vornamen
behält und sich im Alltag als „Nico“ benennt. Er hat plausibel und überzeugend dargelegt, dass die bis heute entstandene Situation ihn gerade
auch dadurch belastet, dass er rechtlich zum Führen des ungeliebten Vornamens verpflichtet ist. Außerdem könnte der Kläger hierdurch auch
nicht verlässlich sicherstellen, dass außer denen, die seinen Vornamen bereits kennen, auch andere Leute diesen nicht erfahren.
13 Zu Gunsten des Klägers geht ferner, dass sein ursprünglicher russischer Vorname im Jahr 1988 nicht ordnungsgemäß übersetzt und
solchermaßen durch seine Eltern als geänderter Vornamen i. S. des § 94 Abs. 1 Nr. 3 BVFG gewählt wurde. Ein Übersetzungsmangel ergibt sich
daraus, dass ein nach ISO-Norm für Übersetzungen geltendes Gebot nicht beachtet wurde. Werden danach für eine fremde Sprache (hier:
Kyrillisch) andere als lateinische Schriftzeichen verwendet, sind Vor- und Familiennamen durch Transliteration wiederzugeben, d.h. jedes fremde
Schriftzeichen ist durch ein gleichwertiges lateinisches Schriftzeichen abzubilden. Deshalb hätte, wie auch die allgemein vereidigte und in
mündlicher Verhandlung hinzugezogene Urkundenübersetzerin Frau R. ohne Einschränkung bestätigt hat, der Vorname des Klägers nicht
„Nikolaus“ sondern „Nikolaj“ heißen müssen. Weder dem Kläger noch seinen Eltern kann in diesem Zusammenhang entgegengehalten werden,
dass sie sich nicht gegen den Vornamen „Nikolaus“ ausgesprochen hätten. Wie die informatorisch in der mündlichen Verhandlung angehörte
Mutter des Klägers glaubhaft bestätigt hat, war ihr und ihrem Mann im Jahr 1988 schlicht nicht geläufig, dass im deutschen Kulturkreis „Nikolaus“
mit Weihnachtsmann assoziiert wird; das beruht darauf, dass im Russischen eine solche Gedankenverbindung aufgrund anderer Bezeichnung
des Weihnachtsmannes („Väterchen Frost“) nicht existiert. Das Gericht nimmt der Mutter des Klägers ferner ab, dass die Eltern in den Folgejahren
hilflos reagiert haben, als der Kläger - ab Beginn seiner Schulzeit - immer wieder weinend heimkam, wenn er wegen seines Vornamens
gehänselt worden war. Es liegt auf der Hand, dass die (Hemm)Schwelle zur Durchführung eines Änderungsverfahrens für die nicht unmittelbar
betroffenen Eltern weitaus größer gewesen ist, als dies für den Kläger der Fall war. Der Kläger hat schließlich selbst absolut glaubhaft und
überzeugend dargelegt, dass er sich alsbald nach Erreichen der Volljährigkeit (im Jahr 2001) um eine Änderung des Vornamens bemüht hat.
Das geht im übrigen auch aus der Erklärung des Standesbeamten der Stadt S. .../... zweifelsfrei hervor.
14 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Eine vorläufige Vollstreckbarkeit des Hauptsacheausspruchs ist wegen § 167 Abs. 2
VwGO ausgeschlossen; hinsichtlich der Kostenentscheidung hat das Gericht von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und ebenfalls keine
vorläufige Vollstreckungsmöglichkeit ausgesprochen. Gründe für eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor, weshalb hinsichtlich der
Anfechtbarkeit dieses Urteils folgendes gilt: