Urteil des VG Freiburg vom 30.10.2006

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VG Freiburg Beschluß vom 30.10.2006, A 3 K 710/06
Abschiebungsanordnung bei Folgeantrag und Abschiebung in sicheren Drittstaat
Leitsätze
Soll ein Asylbewerber nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 in einen sicheren Drittstaat überstellt werden, kann das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge eine Abschiebungs- anordnung nach § 34a AsylVfG erlassen.
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens je zur Hälfte.
Gründe
1 Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage - A 3 K 709/06 - gegen den Bescheid des Bundesamts
für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -, mit dem die Anträge auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt und die Abschiebung
nach Slowenien angeordnet wurde, ist nicht statthaft. Denn gem. § 34a Abs. 2 AsylVfG darf die Abschiebung nicht nach § 80 VwGO ausgesetzt
werden.
2 Das Bundesamt hat zu Recht eine Abschiebungsanordnung gem. § 34a Abs. 1 AsylVfG erlassen mit der Folge, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG
Anwendung findet. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG)
abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der
Ausländer den Asylantrag auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG beschränkt oder vor der Entscheidung des
Bundesamtes zurückgenommen hat (§ 34a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Unschädlich ist damit, dass der Antrag der Antragsteller vom 07.08.2006 nur
auf „die Feststellung von Abschiebungshindernissen gem. § 60 AufenthG“ gerichtet war. Auch handelt es sich bei Slowenien, das Mitglied der
Europäischen Union ist, um einen sicheren Drittstaat i.S. von Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (vgl. § 26a Abs. 2 AsylVfG).
Die Antragsteller sind „aus“ Slowenien eingereist. Der sichere Drittstaat muss nicht die letzte Station vor der Einreise des Ausländers in die
Bundesrepublik Deutschland gewesen sein. Vielmehr reicht es für die Anwendung des Art. 16a Abs. 2 GG aus, dass der Ausländer sich während
seiner Reise irgendwann in einem sicheren Drittstaat befunden hat und dort Schutz nach den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention
hätte finden können (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.05.1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 -, NVwZ 1996, 700, 704; BVerwG, Urt. v. 02.09.1997 - 9 C 5.97 -,
BVerwGE 105. 194). Es liegt auch keiner der in § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG geregelten Ausnahmefälle vor. Dass das Bundesamt nicht über das
Vorliegen eines Abschiebungsverbotes i.S. von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG entschieden hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden (vgl. § 31 Abs. 4
Satz 1 AsylVfG). Eine Prüfung dieser Vorschriften findet in Bezug auf den behaupteten Verfolgerstaat nicht statt, sofern die Aufenthaltsbeendigung
in den sicheren Drittstaat erfolgt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, aaO.). Einer der vom Bundesverfassungsgericht (vgl. Urt. v. 14.05.1996, aaO.)
entwickelten und benannten Ausnahmefälle (vgl. dazu GK-AsylVfG, Stand: September 2005, § 26a Rn. 77 ff.) liegt nicht vor, soweit die
Antragsteller im Hinblick auf die allgemeine Lebenssituation in .../Serbien sowie die Frage der Behandelbarkeit der - im Übrigen nicht belegten -
Erkrankung der Antragstellerin Ziff. 2 in Serbien das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes i.S. von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geltend machen.
Allenfalls in Bezug auf die Verhältnisse im Drittstaat - hier Slowenien - kann der Ausländer sich auf durch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vermittelten
Abschiebungsschutz berufen (vgl. GK-AsylVfG, § 29 Rn. 5.4; Hailbronner AuslR, B 2, § 34a Asyl-VfG Rn. 15).
3 § 34a AsylVfG ist auch auf den von den Antragstellern gestellten Folgeantrag anwendbar. Dies wird durch § 71 Abs. 4 zweiter Halbsatz AsylVfG
und § 71 Abs. 5 Satz 2 letzter Halbsatz AsylVfG ausdrücklich klargestellt (vgl. Hailbronner, aaO., § 34a Rn. 28). Auch § 35 Satz 2 AsylVfG hindert
den Erlass der Abschiebungsanordnung nicht. Die Vorschrift sieht in den Fällen des § 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG die Androhung der Abschiebung in
den anderen Vertragsstaat, der sicherer Drittstaat (§ 26a AsylVfG) und für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist oder die
Zuständigkeit übernimmt, vor. Um einen solchen völkerrechtlichen Vertrag handelt es sich beim Dubliner Übereinkommen vom 15.06.1990. In der
Europäischen Union ist dieser Vertrag weitgehend durch die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (ABl. L 50 v. 25.02.2003)
abgelöst worden (so genannte Dublin II Verordnung), die auch für das zum 01.05.2004 beigetretene Slowenien gilt (vgl. Hailbronner, aaO. § 34a,
Rn. 21). Die Verordnung trifft Regelungen hinsichtlich der Zuständigkeit für die Durchführung eines Asylverfahrens in der Europäischen Union.
Slowenien hat der Überstellung der Antragsteller mit Schreiben vom 18.09.2006 - auf die Verordnung bezugnehmend („EC Council Regulation
Dublin II“) - zugestimmt. Soweit - wie im vorliegenden Fall - die Überstellung nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 erfolgt, findet § 29 Abs. 3
AsylVfG mangels einschlägiger Vorschriften im Asylverfahrensgesetz entsprechende Anwendung (vgl. Hailbronner, aaO., § 29 Rn. 28; GK-
AsylVfG, § 29 Rn. 121).
4 Obwohl hiernach § 35 Satz 2 AsylVfG Anwendung findet ist der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG zulässig. Dies folgt
insbesondere aus § 29 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG, wonach § 26a Abs. 1 AsylVfG unberührt bleibt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte dadurch
klargestellt werden, „dass die Regelungen der §§ 26a, 34a Asyl-VfG Anwendung finden, wenn der Ausländer aus dem zuständigen Vertragsstaat
eingereist ist“ (vgl. BT-Drs. 12/4984, S. 48). Der Anwendung der Drittstaatenklausel in den Fällen, in denen der Vertragsstaat zugleich sicherer
Drittstaat ist, steht daher nichts entgegen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 30.09.1996, NVwZ 1997, 1141; VG Freiburg, Beschl. v. 24.07.2002 - A 8 K
11119/02 - juris; VG Bremen, Beschl. v. 07.04.2000 - 4 V 711/00-A - juris; Hailbronner aaO., § 34a Rn. 25 ff.). Auch die Regelungen der
Verordnung (EG) Nr. 343/2003 hindern die Anwendung des § 34a AsylVfG nicht. Artikel 19 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung schreibt vor, dass dem
Asylsuchenden im Falle eines unbeachtlichen Asylantrags die Frist für die Durchführung der Überstellung anzugeben ist und „gegebenenfalls“ der
Zeitpunkt und der Ort zu nennen sind, zu dem bzw. an dem sich der Antragsteller zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den
zuständigen Mitgliedstaat begibt. Die Frist für die Durchführung der Überstellung ist im angefochtenen Bescheid vom 19.09.2006 angegeben. Dort
heißt es, dass Deutschland verpflichtet sei, die Antragsteller nach Slowenien als zuständigen Mitgliedstaat innerhalb von 6 Monaten nach
Zustimmung zu überstellen. Eine Pflicht zur Erteilung einer Abschiebungsandrohung mit dem Ziel, dem Betroffenen eine freiwillige Ausreise zur
Abwendung der Abschiebung zu ermöglichen, ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Die Formulierung „gegebenenfalls“ verdeutlicht, dass die
freiwillige Übersiedlung des Asylbewerbers in den anderen Vertragsstaat nur eine Verfahrensalternative ist. Dies folgt auch aus Art. 7 Abs. 1 der
Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02.09.2003 (ABl. L 222 v. 05.09.2003). Danach „kann“ die Überstellung in
den zuständigen Mitgliedstaat auf Initiative des Asylbewerbers innerhalb einer vorgegebenen Frist (a), in Form einer behördlich kontrollierten
Ausreise (b) oder einer behördlichen Überstellung (c) erfolgen. Die Wahl des Vorgehens im Einzelfall erfolgt nach den nationalen
Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, der den Ausländer überstellt (vgl. Art. 19 Abs. 3 Satz 1 VO-EG-Nr. 343/2003). Die Antragsgegnerin hat sich
hier für eine begleitete Überstellung entschieden und war daher berechtigt, eine Abschiebungsanordnung zu erlassen (vgl. VG Stuttgart, Beschl. v.
29.03.2005 - A 18 K 10372/05 - juris; Hailbronner aaO., § 34a AsylVfG Rn. 22; a.A. GK-AsylVfG, § 29 Rn. 134 ff., Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, § 34
AsylVfG Rn. 2; VG Giessen, Beschl. v. 03.02.2006, AuAS 2006, 67 = InfAuslR 2006, 250 = NVwZ-RR 2006, 427). Es bestand kein Anlass, den
Antragstellern eine Frist zur freiwilligen Ausreise nach Slowenien zu setzen, nachdem sie gerade von dort illegal nach Deutschland gereist waren
und auch im Übrigen keine verlässlichen Anhaltspunkte vorlagen, dass sie sich auf eigene Initiative nach Slowenien begeben oder der
Ausreisepflicht freiwillig nachkommen wollten. Offen bleiben kann unter diesen Umständen, ob und unter welchen Voraussetzungen der
Ausländer eine Überstellung auf eigene Initiative beanspruchen bzw. ob er Rechte aus Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 herleiten
kann.
5 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs.1, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs.1 ZPO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b
AsylVfG).
6 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).