Urteil des VG Freiburg vom 19.06.2008

VG Freiburg (antragsteller, gutachten, konsum, anlage, fahreignung, psychologisches gutachten, neue tatsache, aufschiebende wirkung, zeitpunkt, kokain)

VG Freiburg Beschluß vom 19.6.2008, 1 K 1008/08
Bedingte Fahreignung trotz einmaligem Kokainkonsums
Leitsätze
Ist das krisenhafte Geschehen, das zu einem Drogenmissbrauch beim Fahrerlaubnisinhaber geführt hat, beendet,
so kann im Einzelfall eine bedingte Fahreignung wiedererlangt sein. Auch wenn es neben einem ausreichenden
Abstinenzzeitraum noch einer intensiven verkehrspsychologischen Aufarbeitung des Persönlichkeitsproblems
bedarf, so kann diese im Wege von Auflagen zur Fahrerlaubnis angeordnet werden und folglich ein milderes Mittel
als die Entziehung nach § 46 Abs. 1 FeV sein.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Entscheidung des Landratsamts
Schwarzwald-Baar-Kreis vom 2.5.2008 wird hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 wiederhergestellt und hinsichtlich der Nrn.
3 und 6 angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist erfolgreich. Er richtet sich gemäß § 80 Abs. 5
VwGO zulässigerweise gegen die Entscheidung des Landratsamts Schwarzwald-Baar-Kreis vom 2.5.2008.
Darin wurde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der innegehabten Klassen B, BE, C1, C1E, CE, M und L
entzogen (Nr. 1), ferner erging die Aufforderung, den Führerschein unverzüglich nach Zustellung der
Entscheidung, spätestens bis zum 16.5.2008, abzugeben (Nr. 2). In Nr. 3 der Entscheidung drohte die Behörde
dem Antragsteller die zwangsweise Einziehung des Führerscheins an, sollte er der Ablieferungspflicht nicht
nachkommen (Nr. 3). Der Sofortvollzug der Nrn. 1 bis 3 wurde angeordnet (Nr. 4), schließlich wurde für
Entscheidung noch in Nr. 6 eine Verwaltungsgebühr nebst Auslagen von 202,63 EUR festgesetzt.
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Der Antrag ist begründet. Die vom Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende
Abwägung fällt zu Gunsten des Interesses des Antragstellers aus, auch während der Dauer des
Hauptsacheverfahrens vom Vollzug der Entziehungsverfügung in Nr. 1 der Entscheidung vom 2.5.2008 - und in
der Folge auch demjenigen der Annexentscheidungen in Nrn. 2, 3 und 6 - verschont zu bleiben. Denn nach der
im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist von der
Rechtswidrigkeit dieser Verfügung auszugehen. Der Antragsteller erweist sich nämlich mit überaus hoher
Wahrscheinlichkeit derzeit wieder als bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und es kann durch
Auflagen - mithin ein milderes Mittel als die Fahrerlaubnisentziehung (vgl. § 46 Abs. 2 FeV) - sichergestellt
werden, dass von ihm keine Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs ausgehen.
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Allerdings ist zunächst davon auszugehen, dass der Antragsteller aufgrund missbräuchlichen Konsums von
Kokain während des Zeitraums Oktober 2006 bis Februar 2007 ursprünglich ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen war. Bereits der einmalige Konsum eines anderen Betäubungsmittels im Sinne von § 1 Abs. 1
BtmG als Cannabis begründet regelmäßig die Fahrungeeignetheit des Betreffenden im Sinne von § 3 Abs. 1
Satz 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StVG sowie § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV. Die
Fehlhaltung und die Willensschwäche, die zum Drogenkonsum führt, und der damit einhergehende
Kontrollverlust sind die Gründe, aus denen der Verordnungsgeber in Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV bei harten
Drogen generell und bereits bei einmaliger Einnahme von fehlender Fahreignung ausgeht. Da illegale
Betäubungsmittel nicht in rechtlich normierten und von einer zuverlässigen Instanz kontrollierten
Zusammensetzungen vertrieben werden, muss jeder Konsument einer solchen Droge damit rechnen, dass sie
bei ihm u. U. nicht vorhersehbare Wirkungen hervorruft; dieser Effekt kann besonders schwach, aber auch
unerwartet stark sein (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 22.11.2004 - 10 S 2182/04 - VBlBW 2005, 279; Saarl.
OVG, Beschl. v. 14.5.2008 - 1 B 191/08 - juris; Bayer. VGH, Beschl. v. 20.11.2007 - 11 C 07.2783 - juris). Zu
den harten Drogen gehört entgegen den Ausführungen den Antragstellers gerade auch Kokain. Charakteristisch
für die Wirkung dieses Betäubungsmittels sind eine Verminderung der Kritikfähigkeit sowie des Vorsichts- und
Sorgfaltsverhaltens, gepaart mit Euphorie, gesteigertem Antrieb und Gefühlen von Dominanz und
Überlegenheit. Die besonderen Risiken eines Kokainmissbrauchs liegen in einer sich schnell entwickelnden
(psychischen) Abhängigkeit, Depressionen, Psychosen und Wahnvorstellungen (Dietz, BayVBl. 2005, 225,
232; Schreiber, NJW 1999, 1770, 1771). Bereits die einmalige Einnahme dieser Droge hat demnach den
Verlust der Fahreignung zur Folge, weil sie zu einer signifikanten Erhöhung der Straßenverkehrsgefährdung
führt.
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Im Fall des Antragstellers gilt auch nicht ausnahmsweise etwas anderes. Darauf, bislang unfallfrei gefahren zu
sein und zwischen Kokainkonsum und Fahren getrennt zu haben, kann er sich nicht berufen. Ein Abweichen
von der Grundregel des § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV lässt sich nicht damit
rechtfertigen, dass dem Betroffenen keine konkreten Straßenverkehrsgefährdungen anzulasten sind, die ihm
unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln unterlaufen wären. Denn die genannten Bestimmungen zielen darauf
ab, aus dem Konsum von Betäubungsmitteln herrührende Gefahren für den Straßenverkehr auszuschließen,
bevor sie in konkrete Straßenverkehrsgefährdungen oder gar Schädigungen von Verkehrsteilnehmern oder
Dritter umschlagen. Ausnahmen von der Ungeeignetheitsregel werden grundsätzlich nur dann anzuerkennen
sein, wenn in der Person des Betäubungsmittelkonsumenten Besonderheiten bestehen, die darauf schließen
lassen, dass seine Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher, umsichtig und verkehrsgerecht zu
führen, sowie sein Vermögen, zwischen dem Konsum von Betäubungsmitteln und der Teilnahme am
Straßenverkehr zuverlässig zu trennen, nicht erheblich herabgesetzt sind. In Betracht kommen hier
Kompensationen der Wirkungen des Betäubungsmittelkonsums durch besondere menschliche Veranlagung,
durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -
umstellungen (vgl. Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV). Im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren obliegt
es grundsätzlich dem Fahrerlaubnisinhaber, das Bestehen solcher atypischen Umstände in seiner Person
substantiiert darzulegen (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.5.2002 - 10 S 835/02 - VBlBW 2003, 23).
Solche Besonderheiten sind hier beim Antragsteller jedoch nicht ersichtlich. Im Rahmen der psychologischen
Exploration hat er gegenüber der Begutachtungsstelle für Fahreignung (näher zum medizinisch-
psychologischen Gutachten der ... GmbH siehe unten) zwar angegeben, im Anschluss an den abendlichen
Konsum in seiner Gaststätte entweder bei der Kellnerin übernachtet oder sich ein Taxi gerufen zu haben (vgl.
Seite 12 des Gutachtens). Schon am nächsten Tag nachmittags ist er jedoch wieder mit dem Auto gefahren,
ohne sich dabei nach dem zuvor Dargelegten sicher sein zu können, nicht mehr unter der Wirkung von
Betäubungsmitteln zu stehen.
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Diese noch im Februar 2007 bestehende Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen besteht so im
heutigen Zeitpunkt aller Voraussicht nach nicht fort. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer
Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung
maßgeblich (BVerwG, Urt. v. 9.6.2005 - 3 C 25.04 - DVBl. 2005, 1337, 1338). Gelingt dem Betroffenen folglich
der Nachweis der Wiedererlangung der vollen oder bedingten Fahreignung bereits zum für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung maßgeblichen Zeitpunkt, so muss dies im Entziehungsverfahren
berücksichtigt werden und darf nicht erst Gegenstand eines Wiedererteilungsverfahrens sein (VGH Bad.-Württ.,
Urt. v. 30.9.2003 - 10 S 1917/02 - VBlBW 2004, 151; Bayer. VGH, Beschl. v. 20.11.2007, a.a.O.; Hartung,
VBlBW 2005, 369, 377).
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Da vorliegend der Widerspruchsbescheid noch nicht ergangen bzw. zugestellt ist, kann nicht unberücksichtigt
bleiben, dass beim Antragsteller heute - etwa 16 Monate nach Ende des Konsumzeitraums - eine deutlich
veränderte Sachlage besteht. Diese aktuellen Erkenntnisse gehen auf das medizinisch-psychologische
Gutachten der ... GmbH (einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung i.S.v. § 11 Abs. 3
FeV) vom 14.1.2008 zurück. Ungeachtet des Umstandes, dass die Kammer diese Erkenntnisse ohnehin zur
Grundlage einer Entscheidung
zu Gunsten
ihrer grundsätzlichen Verwertbarkeit. Der Antragsteller ist der Aufforderung des Landratsamts vom 27.8.2007
nachgekommen und hat sich der medizinisch-psychologischen Begutachtung am 8.1.2008 gestellt sowie
schließlich am 21.1.2008 deren Ergebnis dem Landratsamt vorgelegt. Das Gutachten bzw. sein Inhalt stellt
damit eine neue Tatsache dar, die für das Verwaltungsverfahren selbstständige Bedeutung hat und deren
Verwertbarkeit nicht von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV abhängt
(vgl. zur Vorgängerregelung des § 15 b StVZO: BVerwG, Urt. v. 18.3.1982 - 7 C 69/81 - NJW 1982, 2885;
Beschl. v. 19.3.1996 - 11 B 14/96 - DÖV 1996, 879). Auch wenn es folglich nicht entscheidungserheblich ist,
weist die Kammer gleichwohl darauf hin, dass an der Rechtmäßigkeit der auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV gestützten
Gutachtensanforderung keine Zweifel bestehen. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, im strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren sei gegen Beweiserhebungsvorschriften verstoßen worden. Im Übrigen hätte selbst eine
fehlende Belehrung über sein Schweigerecht nicht dazu geführt, die Aussagen des Antragstellers im
behördlichen Fahrerlaubnisentziehungsverfahren nicht heranzuziehen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 16.5.2007 -
10 S 608/07 - juris).
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Auf der Grundlage des genannten Gutachtens ist die Kammer bereits für das summarische Verfahren zu der
Überzeugung gelangt, dass der Antragsteller die Kraftfahreignung zwar nicht vollständig, jedoch bedingt
wiedererlangt hat. Ausdrückliche normative Vorgabe, wie lange ein festgestellter Mangel i.S.v. § 46 Abs. 1 FeV
vorliegt, gibt es nicht. Allerdings enthält Nr. 9.5. der Anlage 4 zur FeV die Aussage, dass zur Wiedererlangung
der Eignung im Regelfall eine einjährige Abstinenz nach Entgiftung und Entwöhnung erforderlich ist. Daraus
kann bei systematischer Auslegung gefolgert werden, dass - jedenfalls in aller Regel - ein festgestellter
Eignungsmangel solange fortbesteht, bis zumindest eine einjährige durchgängige Abstinenz nachgewiesen ist.
Der Umstand, dass kein Konsum mehr besteht, genügt alleine jedoch noch nicht. Der Konsum insbesondere
harter Drogen offenbart regelmäßig ein erhebliches persönliches Problem. Die geforderte Abstinenz muss daher
zugleich auf einem stabilen, grundlegenden und tiefgreifenden Einstellungswandel beruhen, der eine
Erforschung der Motive und Überlegungen des Betreffenden im Rahmen eines Untersuchungsgesprächs
voraussetzt. Diese Befragung dient auch der Prüfung, ob eine durch ein negatives Drogenscreening belegte -
kurzfristige - Drogenfreiheit nicht tatsächlich vordergründig durch das Bemühen des Fahrerlaubnisinhabers
motiviert ist, seine Fahrerlaubnis zu behalten. Das persönliche Problem muss erkannt und aufgearbeitet,
Vermeidungsstrategien in Konfliktlagen entwickelt und aufgezeigt werden, um Belastungssituationen künftig
ohne Einnahme von Drogen zu bestehen. Nur so ist gewährleistet, dass der Betroffene nach Ablauf des
Abstinenzjahres nicht alsbald wieder in sein früheres gefahrenträchtiges Konsumverhalten zurückfällt (VGH
Bad.-Württ., Beschl. v. 24.5.2002 - 10 S 835/02 - VBlBW 2003, 23; Urt. v. 30.9.2003, a.a.O.; Beschl. v.
3.7.2007 - 10 S 961/07 - juris; Bayer. VGH, Beschl. v. 20.11.2007, a.a.O.; Hartung, a.a.O., S. 377; Zwerger,
DAR 2005, 431, 437; Köhler-Rott, DAR 2007, 682, 684;
vgl. ausdrücklich auch Nr. 1.f) Sätze 1, 4 und 5 der
Anlage 15 zur FeV
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Das medizinisch-psychologischen Gutachten der ... GmbH vom Januar 2008 (im folgenden kurz genannt:
Gutachten) bietet eine ausreichende Erkenntnisgrundlage. Ausgehend von den gutachtlichen Ausführungen
kann die Kammer eine auch für das summarische Verfahren tragfähige Entscheidung zur Frage der Eignung
bzw. bedingten Eignung des Antragstellers treffen (zur eigenständigen Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde
bzw. des Verwaltungsgerichts, bei der das Gutachten „nur“ sachverständige Hilfestellung zu geben hat, vgl. §§
46 Abs. 3, 11 Abs. 1, Abs. 3, 14 Abs. 2 FeV; ferner allgemein: Himmelreich/Janker/Karbach, Fahrverbot,
Fahrerlaubnisentzug und MPU-Begutachtung im Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2007, Rdnr. 1009). Insbesondere
sind die in Anlage 15 zur FeV niedergelegten Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die
Erstellung der Gutachten berücksichtigt bzw. eingehalten worden. Die vom Landratsamt dem Gutachter
vorgegebene Fragestellung (vgl. Nr. 1a, Satz 2 der Anlage 15) entspricht sowohl der Zwecksetzung des § 14
Abs. 2 Nr. 2 FeV als auch insbesondere den speziellen Vorgaben in Nr. 1f) der Anlage 15. Zwar lässt sich aus
der schriftlichen Darstellung des Gutachtens nicht unmittelbar entnehmen, dass der Antragsteller vor der
gesamten Untersuchung über Gegenstand und Zweck Exploration aufgeklärt wurde (vgl. dazu Nr. 1d) der
Anlage 15). Sinn und Zweck sind hier gleichwohl erfüllt gewesen, nachdem der Antragsteller mit der
Gutachtensanforderung vom 27.8.2007 über die Problematik unterrichtet worden war, er ferner ersichtlich vor
diesem Hintergrund selbstständig eine Haaranalyse im Oktober 2007 in Auftrag geben hatte sowie schließlich
ausweislich des Gutachtens (dort Seite 9 unten) zu Beginn der - besonders bedeutsamen - psychologischen
Exploration über deren Zielsetzung informiert worden war.
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Gegenstand der Untersuchung war schließlich auch nicht etwa - wie der Antragsteller eingewendet hat -
unzulässigerweise seine Gesamtpersönlichkeit. Auch wenn das Gutachten auf Seite 18 fordert, vom
Antragsteller „ … wäre zu erwarten gewesen, dass er sich intensiv mit seiner Persönlichkeit auseinander setzt,
um nicht Gefahr zu laufen, dass er in neuerlichen Konfliktsituationen abermals auf die Wirkung von Drogen
zurückgreift … “, so stellt dies keinen Mangel dar. Ungeachtet der Schwierigkeit, die Grenzen zwischen
Persönlichkeitswürdigung unter Berücksichtigung der Relevanz zur Kraftfahreignung und unzulässiger
Gesamtpersönlichkeitswürdigung zu ziehen (vgl. dazu näher Himmelreich/Janker/Karbach, a.a.O., Rdnr. 1156
m.w.N.), geht aus den Wertungen des Gutachtens vielmehr eindeutig hervor, dass es die in Nr. 1b), zweiter
Halbsatz der Anlage 15 als maßgeblich bezeichneten Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen vor
Augen hatte, die für die Kraftfahreignung von Bedeutung sind. An dieser Stelle ging es gerade um die Frage
eines verlässlichen Einstellungswandels bzw. der Wahrscheinlichkeit des künftigen Rückfalls in einen
Drogenmissbrauch.
10 Auf der Grundlage dieses - wie dargelegt - mangelfreien Gutachtens geht zunächst hervor, dass der
Antragsteller am Tag der Untersuchung bereits einen beinahe einjährigen Abstinenzzeitraum, gerechnet vom
letzten Konsum im Februar 2006, zurückgelegt hatte. Eine Berechnung dieser Jahresfrist erst im Anschluss an
eine (hier nicht erfolgte) Entgiftung und Entwöhnung, wie dies Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV vorsieht, kann hier
nicht gefordert werden. Unmittelbar aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgt, dass eine Entgiftung und
Entwöhnung nur erforderlich ist, wenn der Betroffene solcher Maßnahmen bedarf, weil es bei ihm insbesondere
zu einer körperlichen oder psychischen Abhängigkeit gekommen ist (Bayer. VGH, Beschl. v. 20.11.2007,
a.a.O.; vgl. auch die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung [Februar 2000] 3.12.1). An einer solchen (bei
Kokain ausschließlich psychischen) Abhängigkeit fehlt es im Fall des Antragstellers offensichtlich jedoch, das
...-Gutachten vom Januar 2008 geht nicht von Betäubungsmittelabhängigkeit, sondern von einem
missbräuchlichen Konsumverhalten aus.
11 Im heutigen Zeitpunkt ist der einjährige Abstinenzzeitraum zur Überzeugung der Kammer erfüllt. In seiner (auf
Einwendungen des Antragstellers in erfolgten) ergänzenden Stellungnahme vom 28.3.2008 weist der ...-
Gutachter selbst noch einmal daraufhin, dass weder hinsichtlich der objektiven Screening-Befunde noch
bezogen auf die Glaubwürdigkeit des Antragstellers Zweifel daran bestehen, dass das Ende des
Drogenkonsums im Februar 2007 lag. Beachtet man darüber hinaus, dass dem Antragsteller im Anschluss an
fünf verkehrspsychologische Sitzungen zur Aufarbeitung seiner Drogenhintergrundproblematik in der Zeit vom
10.10.2007 bis 17.12.2007 von der Fachpsychologin für Verkehrspsychologie Frau H. eine stabile
Abstinenzmotivation attestiert wurde (Bescheinigung vom 8.1.2008, GAS. 101), dass ferner die von ihm auf
eigene Initiative hin im Oktober 2007 veranlasste Haaranalyse für den Zeitraum Anfang März 2007 bis Anfang
Oktober 2007 einen relevanten Konsum von Drogen weitgehend ausschließt (GAS. 97/99), sowie schließlich,
dass das Gutachten vom Januar 2008 keine Drogenabhängigkeit feststellte, so spricht auch im gegenwärtigen
Zeitpunkt alles für eine seit Februar 2007 durchgängige Abstinenz des Antragstellers.
12 Da allerdings ein nicht unerheblicher Teil des vorgenannten Zeitraums innerhalb des strafrechtlichen
Ermittlungsverfahrens sowie Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens liegt, und mithin nicht ausgeschlossen
werden kann, der Drogenverzicht des Antragstellers sei taktisch vorgeschoben, ohne tatsächlich auf einem
Einstellungswandel zu beruhen, erlangt die psychologische Exploration des Gutachtens vom Januar 2008
wesentliche Bedeutung (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.9.2003, a.a.O. Bayer. VGH, Beschl. v. 29.3.2007 - 11 CS
06.2913 - juris; Hartung, a.a.O., S. 377). Hier sieht sich die Kammer durch das Gutachten in die Lage versetzt,
zu Gunsten des Antragstellers eine derzeit bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen anzunehmen.
13 Dem Gutachten ist zu entnehmen, dass sich der Drogenmissbrauch des Antragstellers als Reaktion auf eine
außergewöhnliche Belastungssituation darstellte. Diese wurde durch Arbeitslosigkeit zu Beginn des Jahres
2005 eingeleitet und verschärfte sich auf Grund einer selbstständigen, aber alsbald sich als unrentabel
erweisenden Tätigkeit des Antragstellers als Gastwirt zwischen August 2006 und Februar 2007 sowohl in
wirtschaftlicher (Schulden von insgesamt ca. 30.000 EUR) als auch in psychologischer Hinsicht (externer und
eigener Erwartungs- und Erfolgsdruck beim Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz). Unter diesen negativen
Bedingungen konsumierte der Antragsteller Kokain mit der Absicht, die entstandenen emotionalen
Dauerbelastungen zu verändern bzw. in ihrer Bedrohlichkeit zu reduzieren. Wie er selbst einräumt und auch
das Gutachten bestätigt, bestand zwischen Oktober 2006 und Februar 2007 ein hochfrequenter Konsum (etwa
3 bis 4 Mal pro Woche, insgesamt ca. 100 Mal), der zugleich das Indiz für eine mehr als enge Bindung an das
Suchtmittel darstellt und als Missbrauch zu bewerten ist (zu Missbrauchskriterien allgemein vgl. auch
Himmelreich/Janker/Karbach, a.a.O., Rdnrn. 1340 ff.). Diese Belastungssituation jedoch ist aktuell in
mehrfacher Hinsicht positiven Veränderungen gewichen. Der Antragsteller hat Mitte Februar 2007 die erfolglose
selbstständige Tätigkeit aufgegeben und steht auf Grund eigener Initiative seit Sommer 2007 wieder in einem
ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis. Im Zeitpunkt der Exploration war seine deutsche
Lebensgefährtin schwanger, seit 11.2.2008 ist der Antragsteller Vater einer Tochter. Hinsichtlich der Schulden
befindet er sich in der Privatinsolvenz mit der Möglichkeit einer Restschuldbefreiung. Zu den früheren Freunden
und Bekannten der Villinger Drogenszene hat er den Kontakt abgebrochen. Seit Februar 2007 konsumiert er
schließlich - wie oben dargelegt - keine Drogen mehr. Eine Belastungssituation, die in ihrer Qualität mit
derjenigen der Jahre 2005 und 2006 vergleichbar ist, besteht folglich nicht mehr.
14 Die erhobenen Befunde würdigt die Kammer - anders als das Gutachten - dahin, dass der Antragsteller eine
wahrheitsgemäße, offene und nachvollziehbare Darstellung der Umstände gegeben hat, die ihn in den
Drogenmissbrauch trieben. Beachtliche Bedenken an einer verlässlichen Abstinenzvorsatzbildung für die
Zukunft rechtfertigen sich folglich nicht. Die Zweifel des Gutachters an der Bereitschaft des Antragstellers,
Konsumbeginn und -häufigkeiten preiszugeben, lassen sich nicht nachvollziehen. Die Schilderung, wonach der
Antragsteller 1999 in einer Wohngemeinschaft Kontakt mit Kokainkonsumenten gehabt hat, ohne selbst jedoch
Kokain konsumiert zu haben, ist nachvollziehbar. Es gibt gerade keine Anhaltspunkte dafür, der Antragsteller
habe sich damals in einer Belastungssituation befunden, er war nämlich ersichtlich nicht arbeitslos, ferner hat
er darauf hingewiesen, sportlich sehr aktiv und „Gesundheitsfanatiker“ gewesen zu sein. Warum der Gutachter
darin eine offene und nachvollziehbare Darstellung vermisst, erschließt sich der Kammer nicht. Für den
Antragsteller spricht vielmehr, dass es für ihn im einer Verschleierungsabsicht und zur Vermeidung von
Verdachtsmomenten leichter gewesen wäre, die Episode mit der Wohngemeinschaft ganz zu verschweigen.
15 Anders als der Gutachter hegt die Kammer schließlich auch keine relevanten Glaubhaftigkeitsbedenken im
Zusammenhang mit den Schilderungen betreffend den Kokainkonsum in den Jahren 2006 und 2007. Vorweg ist
dabei fest zu halten, dass - auch vom Gutachter und dem Antragsgegner in keiner Weise thematisiert - dem
Antragsteller nicht schon im Zusammenhang mit dem Konsumbeginn Widersprüchlichkeiten vorgehalten
werden können. Zwar ist in der die Haaranalyse betreffenden Bescheinigung der ... vom November 2007 (VAS.
67/69) mitgeteilt, der Antragsteller habe angegeben, von „Dezember 2006 bis Februar 2007“ Kokain konsumiert
zu haben. Vor dem Hintergrund der sonst weitaus ausführlicheren Angaben des Antragstellers, insbesondere
auch wegen der mit Datierung des Konsumbeginns auf Oktober 2006 einhergehenden Selbstbelastung dürfte
darin allerdings sehr wahrscheinlich ein redaktionelles Versehen liegen. Auch wenn der Antragsteller in
Villingen bereits bei Eröffnung seines Lokals im August 2006 Kontakt zu Bekannten aus der Drogenszene
gehabt haben will, ist es für die Kammer glaubhaft, dass er gleichwohl erst im Oktober 2006 mit dem Konsum
begonnen hat. Das erschließt sich vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller bei Eröffnung seiner Gaststätte
noch an sein Konzept glaubte. Wie er plausibel dargelegt hat, war er im August und September noch mit den
Umsätzen zufrieden, erst danach sei es „nach hinten losgegangen“ und der riesige Schuldendruck habe sich
dann bemerkbar gemacht. Somit ist der Oktober 2006 nachvollziehbar als Zeitpunkt hervorgetreten, in dem die
äußere und innere Belastung des Antragstellers den kritischen Punkt erreichte. Nicht entscheidend zum
Nachteil des Antragstellers erachtet die Kammer schließlich den insoweit im Gutachten durchaus aufgezeigten
relevanten Widerspruch, was den an sich von den Konsumgewohnheiten während der
Gaststättenöffnungszeiten (Donnerstag, Freitag und Samstag) abweichenden, nachgewiesenen Konsum am
Montag, den 18.12.2006 betrifft. Anders als das Gutachten misst die Kammer dem jedoch kein entscheidendes
negatives Gewicht bei, weil bis Februar 2007 der Belastungsdruck nicht wesentlich vom Antragsteller gewichen
war. Mithin änderte auch ein zu anderen Tages- und Wochenzeiten erfolgter Konsum nichts an seiner
Einordnung als missbräuchlich und eine enge Bindung an das Suchtmittel begründend. Selbst wenn den
Angaben des Antragstellers insoweit folglich eine gewisse Offenheit gefehlt haben sollte, so ändert sich an der
Würdigung der Ursachen seines Drogenmissbrauchs nichts.
16 Die im Gutachten erhobenen Befunde würdigt die Kammer folglich - insoweit anders als der Gutachter - dahin,
dass der Antragsteller unter der Bedingung des Fortbestehens der heutigen bzw. einer gleichwertigen, von
Existenzangst freien Situation zum Fahren geeignet ist. Unter der weiteren Bedingung, dass er - wie im
Gutachten plausibel und überzeugend dargelegt - eine intensive Aufarbeitung vornimmt, um zu erkennen,
warum er (was er auf „zu geringes Selbstbewusstsein“ zurückführt) unter der damaligen emotionalen
Dauerbelastung zu Drogen gegriffen hat, und dass er dieses den Drogenmissbrauch begünstigende
Persönlichkeitsproblem ferner entscheidend korrigiert, wird er mit genügender Wahrscheinlichkeit selbst bei
nachteiligen relevanten Situationsänderungen künftig keinen Rückfall in Drogenkonsum erleiden. Auf den
Widerspruch des Antragstellers hin werden damit aber sehr wahrscheinlich die Entziehungsverfügung
aufzuheben und die Fahrerlaubnis durch nachträgliche Auflagen gemäß § 46 Abs. 2 FeV betreffend die
Durchführung weiterer verkehrstherapeutischer Sitzungen, weitere Drogenscreenings sowie schließlich ein
abschließendes medizinisch-psychologisches Gutachten zwecks Frage nach Wiedererlangung der vollen
Eignung zu ergänzen sein (zur Möglichkeit solcher Auflagen vgl.: VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 4.7.1996 - 10 S
975/95 - juris [Auflage der Vorlage von Laborwerten und abschließender medizinisch-psychologischer
Nachuntersuchung]; OVG Koblenz, Urt. v. 29.8.1989 - 7 A 9/89 - NJW 1990, 1194 [Auflage, nach Abschluss
der Gruppentherapie in einer psychosozialen Beratungsstelle regelmäßig wöchentlich an den Sitzungen einer
Selbsthilfegruppe teilzunehmen, regelmäßig im Abstand von zwei Monaten Leberfunktionswerte feststellen zu
lassen und der Behörde entsprechende Bescheinigungen im Abstand von zwei Monaten vorzulegen sowie
schließlich sich einer Nachuntersuchung bei einer anerkannten Untersuchungsstelle zu unterziehen]; OVG
Nordrh.-Westf., Beschl. v. 18.9.1989 - 19 B 2550/89 - juris [psychotherapeutische Nachschulungsmaßnahme]);
ferner allgemein zur bedingten Fahreignung und der Anordnung geeigneter Nachschulungs-, Therapie- und
Rehabilitationsmaßnahmen: Himmelreich/Janker/Karbach, a.a.O., Rdnr. 933 m. w. N.). Da nicht
auszuschließen ist, dass der Antragsteller trotz der begleitenden Maßnahmen in diesem Bemühen scheitern
und der bei ihm vorhandenen Drogengefährdung auf längere Sicht doch wieder in existenziellen
Belastungssituationen erliegen könnte, ist schließlich die Anordnung einer medizinisch-psychologischen
Nachuntersuchung im Interesse der Verkehrssicherheit geboten. Diese Nachuntersuchung nach einer
bestimmten Frist hat neben der Funktion, die vollständige Wiedererlangung bzw. das Fortbestehen der Eignung
nach Ablauf dieser Frist zu überprüfen, auch die Funktion, als zusätzliches Mittel „psychohygienischer“
Führung die Rückfallwahrscheinlichkeit während der Zeit bis zur Nachuntersuchung weiter zu reduzieren
(Stephan, DAR 1989, 125, 132; OVG Koblenz, Urt. v. 29.8.1989, a.a.O.).
17 Aufgrund der voraussichtlichen Rechtswidrigkeit der Nr. 1 der Verfügung vom 2.5.2008 und der deshalb
wiederherzustellenden aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers überwiegt auch das
Suspensivinteresse an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieses
Rechtsbehelfs gegenüber den Nrn. 2, 3 und 6 der Entscheidung des Landratsamts.
18 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53
Abs. 3 Nr. 2 GKG. Gemäß der neueren Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (vgl. Beschl. v.
13.12.2007 - 10 S 1272/07 -, DAR 2008, 277) legt die Kammer als streitwertbestimmend die
Fahrerlaubnisklasse(n) mit eigenständiger Bedeutung zu Grunde. Das ist beim Antragsteller ausschließlich die
Fahrerlaubnis der Klasse C1. Sie umfasst nämlich die Fahrerlaubnis der Klasse B, die wiederum die
Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Klasse M und L enthält (§ 6 Abs. 1, Abs. 3 FeV). Der danach in
der Hauptsache maßgebliche Auffangwert (vgl. Nr. 46.5 des Streitwertkatalogs) ist im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren zu halbieren. Rechtsmittel gegen die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 68 GKG.