Urteil des VG Freiburg vom 04.08.2008

VG Freiburg (antragsteller, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, anordnung, straftat, bad, medizinisches gutachten, psychologisches gutachten, verurteilung, zweifel, anlass)

VG Freiburg Beschluß vom 4.8.2008, 1 K 1299/08
Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wegen aggressiven
Verhaltens
Leitsätze
Auch bei der Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) kann es sich, jedenfalls
wenn weitere Umstände vorliegen (hier: verbale Bedrohung von Arbeitskollegen im Jahr vor der Straftat) um eine
Straftat handeln, bei der Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen. Dem steht es nicht
entgegen, dass diese Straftat nicht in Nr. 3.14 der Begutachtungs-Leitlinie zur Kraftfahrereignung ausdrücklich
genannt ist.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 6.250,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag nach § 80 Abs.5 VwGO ist zulässig. Er richtet sich zum einen gegen den Bescheid des
Landratsamts Rottweil vom 7.2.2008. Darin wurde unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis aller
Klassen entzogen und der Antragsteller zur unverzüglichen Ablieferung des Führerscheins aufgefordert (Nrn. 1
bis 3), ferner die Wegnahme angedroht (Nr. 4) und eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 124,08 EUR
festgesetzt (Nr. 5). In einem weiteren Bescheid vom 18.2.2008 setzte das Landratsamt die Wegnahme des (bis
dahin vom Antragsteller nicht abgelieferten) Führerscheins im Wege des unmittelbaren Zwanges fest (Nr. 1)
und erhob eine weitere Verwaltungsgebühr in Höhe von 30,-- EUR (Nr. 2). Da diese Maßnahmen kraft
Einzelfallanordnung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) bzw. kraft Gesetzes (§ 12 Satz 1 LVwVG i.V.m. § 80
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO bzw. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) sofort vollziehbar sind, ist der Eilantrag
sachdienlich auf die Wiederherstellung und Anordnung der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren rechtzeitig
gegen beide Bescheide erhobenen Klage vom 9.7.2008 (1 K 1254/08) gerichtet.
2
Die Übergabe des Führerscheins am 28.2.2008 an den Polizeivollzugsdienst hat nicht etwa zur (teilweisen)
Erledigung der angefochtenen Bescheide und daraus folgender Unstatthaftigkeit des Eilantrags geführt. Denn
der Antragsteller wollte hierdurch erkennbar die drohende Wegnahme vermeiden, ohne aber auf eine rechtliche
Klärung im Widerspruchs- und gerichtlichen Verfahren zu verzichten. Ohnehin führt der (freiwillige oder
erzwungene) Vollzug eines Verwaltungsakts dann nicht zu seiner Erledigung, wenn die Vollzugsfolgen
rückgängig gemacht werden können (in diesem Sinne unter Hinweis auf § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO bei einer
Vollstreckungsmaßnahme, die sich rückgängig machen lässt: BVerwG, Beschl. v. 17.11.1998 - 4 B 100/98 -
BauR 1999, 733). Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren folgt dies aus § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO, der
zusätzlich zur Anordnung/Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung die gerichtliche Anordnung einer
Vollzugsfolgenbeseitigung ermöglicht. Eine solche - überdies vom Antragsteller tatsächlich auch schon mit
Klageerhebung beantragte - Folgenbeseitigung wäre hier ohne weiteres möglich, weil bei Erfolg des Eilantrags
der Antragsgegner zur Aushändigung des Führerscheins verpflichtet werden könnte.
3
Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die
Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der
Fahrerlaubnisentziehung
beanstanden (dazu 1.). Für die auf diesem Grundverwaltungsakt bzw. seiner Vollziehbarkeit aufbauenden
Folgemaßnahmen gilt Entsprechendes (dazu 2.).
4
1.)
ordnungsgemäß. Aus der Begründung des Bescheids geht ausreichend i.S.d. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO
hervor, dass der Antragsgegner den Antragsteller wegen seiner Weigerung, das geforderte Gutachten
beizubringen, für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ansieht, sodass seine Teilnahme am
Straßenverkehr zwecks Schutzes von Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer sofort und ohne
Zuwarten unterbunden werden muss. Die Behörde kann sich auf die den Verwaltungsakt selbst tragenden
Erwägungen stützen und darauf Bezug nehmen, wenn - wie es im Recht der Fahrerlaubnisentziehung unter
dem Aspekt der Gefahrenabwehr regelmäßig der Fall ist - die den Erlass des Verwaltungsakts rechtfertigenden
Gründe zugleich die Dringlichkeit der Vollziehung ergeben (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 24.6.2002 - 10 S
985/02 - VBlBW 2002, 441).
5
Auch in materieller Hinsicht hat die Kammer keinen Anlass, den Sofortvollzug zu beanstanden. Es bestehen
nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung. Deshalb überwiegt zugleich auch das Interesse der
Allgemeinheit an der unverzüglichen Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs das Interesse des
Antragstellers, bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens von Vollzugsfolgen verschont
zu bleiben (zum Abwägungsmaßstab vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 24.6.2002, a.a.O.). Rechtsgrundlage der
Fahrerlaubnisentziehung ist § 46 Abs. 1 und Abs. 3 FeV i.V.m. § 11 FeV. Werden Tatsachen bekannt, die
Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet ist,
finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung. Ein Kraftfahrer hat zur Klärung der Zweifel
beizutragen, die an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen. Entzieht er sich trotz
berechtigter Zweifel der angeordneten Eignungsuntersuchung, muss die Verkehrsbehörde aus der Nichtvorlage
des Gutachtens grundsätzlich auf die fehlende Kraftfahreignung schließen, § 11 Abs. 8 FeV (vgl. auch
Hartung, VBlBW 2005, 369 [372], m.w.N.). Dies setzt allerdings voraus, dass die Anordnung der Untersuchung
rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (vgl. zu § 15b StVZO: BVerwG, Urt. v.
13.11.1997 - 3 C 1/97 - BayVBl 1998, 634).
6
Diese Voraussetzungen liegen bei summarischer Prüfung sehr wahrscheinlich vor. Die Anforderung eines
medizinisch-psychologischen Gutachtens mit Schreiben des Landratsamts vom 21.11.2007 entspricht sowohl
formellen als auch materiell-rechtlichen Anforderungen.
7
In
förmlicher Hinsicht
Anordnung nach §§ 11, 13, 14 FeV muss im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein und der
Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das in ihr Verlautbarte die
behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Die verdachtsbegründenden Umstände
müssen so genau bezeichnet sein, dass es dem Betroffenen möglich ist, auch unter Heranziehung eines
Rechtsanwalts abzuschätzen, ob nach den Vorschriften der FeV hinreichender Anlass zu der angeordneten
Überprüfung besteht (BVerwG, Urt. v. 5.7.2001 - 3 C 13.01 - NJW 2002, 78; VGH Bad.-Württ., Beschl. v.
24.6.2002, a.a.O.). Das Schreiben des Landratsamts ist verständlich genug und enthält insbesondere gleich zu
Beginn die konkreten Gründe (die Straftat des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte am 4.5.2006 sowie
die im Jahr 2005 erfolgte Bedrohung von Arbeitskollegen), aus denen die Behörde die Eignungszweifel
herleitet. Diese sowie die übrigen Ausführungen betreffend die Fragstellung des Gutachtens und die
Rechtsfolgen einer verweigerten oder verspäteten Vorlage erfüllen im übrigen die in § 11 Abs. 6, Abs. 8 Satz 2
FeV normierten Inhalte und Förmlichkeiten. Im übrigen ist auch die Angabe der hier einschlägigen
Rechtsgrundlage (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV) erfolgt. Erforderlich wäre dies nicht gewesen, sofern sich nur
die Anordnung im Ergebnis als rechtmäßig erweist (vgl. betreffend die Angabe einer tatsächlich nicht
einschlägigen Rechtsgrundlage: VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 24.6.2002, a.a.O.; Hartung, a.a.O. [S. 371]).
8
Unschädlich ist schließlich, dass das Landratsamt im Schreiben vom 25.1.2008, mit dem es den Antragsteller
zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung anhörte, fälschlicherweise (offensichtlich aufgrund Verwendung
eines falschen Textbausteins) ausführte, man habe „ die Vorlage eines medizinisch-psychologischen
Gutachtens angeordnet, weil (der Antragsteller) nach einer Entziehung der Fahrerlaubnis einen weiteren
Verkehrsverstoß innerhalb der Probezeit begangen “ habe. Angesichts der eindeutigen Vorkorrespondenz - der
Antragsteller war zusätzlich zur Aufforderung vom 21.11.2007 noch einmal unter dem 6.12.2007 an seine
Obliegenheit erinnert worden - und der im übrigen auch im genannten Schreiben erfolgten Bezugnahme auf die
(formell ordnungsgemäße) Gutachtensanforderung vom 21.11.2007 durfte der Antragsteller nur von einem
offensichtlichen Schreibversehen - und nicht etwa, wie er nunmehr geltend macht, von einer „Lüge“ bzw.
„absichtlichen Verwirrung“ - ausgehen; er kann folglich nicht erwarten, dass sich ein solches Versehen
angesichts der sonst eindeutigen Sachlage zu seinen Gunsten auswirkt. Im übrigen hatte der Antragsteller
selbst noch im kurz vor Bescheiderlass beim Landratsamt eingegangenen Schreiben vom 6.2.2008 die Frage
nach dem Sinn der (versehentlichen) Textpassage gestellt, er war im übrigen und wesentlichen jedoch sofort
wieder auf den richtigen, maßgeblichen und den Beteiligten bekannten Sachverhalt zurück gekommen. Selbst
eine unterbliebene Anhörung hätte übrigens keine Auswirkung auf die Fahrerlaubnisentziehung gehabt, weil es
sich bei dieser um eine zwingende Entscheidung handelt (§ 46 LVwVfG).
9
Die Aufforderung vom 21.11.2007 entspricht mit überaus hoher Wahrscheinlichkeit auch den an sie zu
stellenden
materiell-rechtlichen Anforderungen
FeV) kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung von Eignungszweifeln zur Vorbereitung einer Entscheidung
über die Entziehung der Fahrerlaubnis bei (u.a.) Straftaten, bei denen Anhaltspunkte für ein hohes
Aggressionspotenzial bestehen, die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten
Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) anordnen. Diese Bestimmung
trägt dem Umstand Rechnung, dass im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG und den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens nur rechtmäßig ist, wenn die
Fahrerlaubnisbehörde hinreichend konkrete Verdachtsmomente feststellt, die einen Eignungsmangel des
betreffenden Fahrerlaubnisinhabers als nahe liegend erscheinen lassen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 14.9.2004 -
10 S 1283/04 -, NJW 2005, 234).
10 Das Landratsamt hat aller Voraussicht nach zu Recht auf der Grundlage der ihm von den Polizei- und
Strafverfolgungsbehörden mitgeteilten Umstände (zur der gemäß §§ 42 PolG, 474 bis 478 StPO, 14 EGGVG
zulässigen Datenübermittlung und Verwertung vgl. ausführlich VGH Bad.-Württ., Urt. v. 14.9.2004, a.a.O.) die
Voraussetzungen von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV bejaht. Auf das gemäß § 2 Abs. 7 Satz 3 StVG
beigebrachte Führungszeugnis vom 19.12.2006 („ Keine Eintragung “) nach den Vorschriften des
Bundeszentralregisters kann sich der Antragsteller ungeachtet dessen, dass die Rechtskraft der
strafgerichtlichen Verurteilung erst später, nämlich im September 2007 eintrat, nicht zu seinen Gunsten
berufen. Nach § 2 Abs. 7 Satz 1 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde zu ermitteln, ob der Fahrerlaubnisinhaber
zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet und befähigt ist (vgl. auch § 22 Abs. 2 FeV). Satz 2 schreibt ferner
vor, dass sie dazu Auskünfte aus dem Verkehrszentralregister und dem Zentralen Fahrerlaubnisregister nach
den Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes einzuholen hat. Selbst wenn die strafgerichtliche Verurteilung
auch künftig nicht in eines der genannten Register aufgenommen wird (vgl. dazu, dass die ohne Bezug zum
Straßenverkehr begangene Straftat des Antragstellers vom 4.5.2006 nicht in das Verkehrszentralregister
gelangen wird, § 28 Abs. 3 StVG), so bleibt sie doch verwertbar. Eine Beschränkung der Fahrerlaubnisbehörde
auf den Inhalt der in § 2 Abs. 7 StVG aufgeführten Register widerspräche ihrer Aufgabe, durch eine
Überprüfung der Fahrerlaubnisbewerber und -inhaber im Hinblick auf Eignungsmängel die Sicherheit des
allgemeinen Straßenverkehrs sicherzustellen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 14.9.2004, a.a.O.).
11 Der Antragsteller hat im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV eine Straftat begangen, bei der Anhaltspunkte
für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen. Darauf, dass diese Straftat nicht im Zusammenhang mit dem
Straßenverkehr stand und dass der Antragsteller - wie er geltend macht - bislang überhaupt nicht im
Straßenverkehr aufgefallen ist, kommt es im Rahmen dieser Vorschrift nicht an. Die Urteile des Amtsgerichts
Oberndorf vom 4.10.2006 und - die Berufung gegen jenes Urteil verwerfend - des Landgerichts Rottweil vom
29.3.2007 befinden den Antragsteller des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte schuldig. Nach den
Feststellungen der Strafgerichte hat der Antragsteller am 4.5.2006 die (eine Nachschau auf seinem Hof
durchführende) Amtstierärztin und den sie begleitenden Polizeibeamten in die Flucht getrieben, indem er ihnen
mit einer Mistgabel in der Hand hinterher rannte und dabei rief „Euch stech´ ich ab“. Diese Bedrohung und
Nötigung der Vollstreckungsbeamten war massiv, sie wurde von ihnen als lebensbedrohlich aufgefasst.
12 Die Gründe, mit denen der Antragsteller die Richtigkeit seiner rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung in
Frage stellen will, geben der Kammer keinen Anlass, von einem anderen Sachverhalt auszugehen bzw. einen
solchen zu ermitteln. Jenseits der (das hier nicht erfolgende Abweichen zu Lasten des Fahrerlaubnisinhabers
betreffenden) Vorschrift des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG gibt es zwar keine angeordnete Bindungswirkung.
Angesichts der umfassenden Sachaufklärungsmöglichkeiten im Strafprozess und wegen des Umstands, dass
der Antragsteller seine Einwände bzw. Verteidigung (rechtswidrige Amtshandlung; grundlose frühere
Beschlagnahme von 18 Rindern; Hofverbot) schon dort - wie im übrigen in den Urteilen überzeugend
ausgeführt: erfolglos, weil unzutreffend - geltend machte, sind die strafgerichtlichen Ermittlungen vorliegend
jedoch ohne weiteres zugrunde zu legen (in diesem Sinne zur Bedeutung strafgerichtlicher Feststellungen auch
VG Freiburg, Urt. v. 19.6.2006 - 1 K 2125/04; vgl. ferner ausführlich: Wölfl, DÖV 2004, 433 ff., m.w.N.).
13 Ohne Bedeutung ist ferner, dass es sich bei der Verurteilung des Jahres 2007 um die erste strafrechtliche
Maßnahme gegen den Antragsteller handelte. Die Anwendung von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV, der im
systematischen Zusammenhang mit § 2 Abs. 4 StVG und § 11 Abs. 1 Satz 3 FeV steht, kommt auch in
Betracht, wenn bisher nur eine Verurteilung wegen einer Straftat erfolgt ist (VGH Bad.-Württ., Beschl. v.
25.07.2001 - 10 S 614/00 -, NZV 2002, 604). Ferner ist zu beachten, dass die Norm nur von Anhaltspunkten für
ein hohes Aggressionspotenzial spricht. Untersuchungsmaßnahmen sind nach der Konzeption des § 46 Abs. 3
FeV i.V.m. §§ 11 bis 14 FeV zulässig, wenn aufgrund von tatsächlichen Umständen Zweifel an der
Fahreignung bestehen. Neben der massiven Bedrohung und Nötigung von Vollstreckungsbeamten im Mai 2006
gibt es weitere solche Umstände vorliegend übrigens auch deshalb, weil der Antragsteller im Jahr 2005 (aus
nichtigem Anlass heraus) eine Arbeitskollegin damit bedrohte, sie mit einem Schlauch zu verprügeln, sowie
einen Arbeitskollegen dahin bedrohte, ihm mit der Axt den Schädel zu spalten. Dass es ich bei diesen früheren
- wenngleich offenbar nicht zur Strafanzeige gelangten - Vorfällen nicht nur um Bagatellen handelte, zeigt sich
daran, dass der Antragsteller deshalb seine Arbeitsstelle verlor. Dies hat er selbst in seiner polizeilichen
Vernehmung am 8.5.2006 (vgl. Vermerk des Polizeireviers Oberndorf vom 10.5.2006, VAS. 15) sowie im
Verfahren vor dem Amtsgericht Oberndorf (vgl. Urteil vom 4.10.2006, unter I. der Gründe) angegeben. Der
nunmehr erhobene Einwand, er sei zu dieser Aussage von einem „übereifrigen Polizisten, der offensichtlich
seine Macht ausspielen und unbescholtene Bürger schädigen“ wolle, überredet worden, greift nicht durch. Dass
gegen (strafprozessuale) Beweiserhebungsvorschriften verstoßen worden wäre, ist bereits nicht ersichtlich.
Aus dem genannten Vermerk vom 10.5.2006 geht vielmehr hervor, dass der Antragsteller zuvor über seine
Rechte aufgeklärt wurde. Daraus ist aber auch ersichtlich, dass der Antragsteller, nach seiner Arbeitsstelle
befragt, spontan die betreffenden Angaben machte, die folglich gar nicht mit dem Tatvorwurf am 4.5.2006 im
Zusammenhang standen. Im übrigen hätte selbst ein Verstoß gegen Vorschriften über die Vernehmung als
Beschuldigter angesichts der hohen Bedeutung der Schutzpflicht des Staates im Straßenverkehr diese
Angaben des Antragstellers nicht unverwertbar gemacht (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 16.5.2007 - 10 S
608/07 - juris).
14 Das Landratsamt hat schließlich das im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV eingeräumte Ermessen
erkannt und ordnungsgemäß betätigt. Entsprechend der vorstehend dargelegten Bedeutung des § 11 Abs. 3
Satz 1 Nr. 4 FeV ist eine Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens dann
gerechtfertigt, wenn sich aus einer Straftat Hinweise für ein hohes Aggressionspotenzial ergeben, die im
Hinblick auf die durch die Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Fahrzeugführers am öffentlichen
Straßenverkehr gefährdeten hochrangigen Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer eine Überprüfung geboten
erscheinen lassen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend mit überaus hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt. Der
Antragsteller hat am 4.5.2006 völlig unbeherrscht und in massiver Weise die Tierärztin und den Polizeibeamten
mit einer Mistgabel bedroht und förmlich in die Flucht gejagt. Er selbst hat bei seiner strafgerichtlichen
Vernehmung angegeben, „ausgerastet“ zu sein und „tierisch“ geschrien zu haben. Anhaltspunkte für eine
(ausnahmsweise) verständliche, weil etwa einer besonderen Belastungssituation entspringende Reaktion gibt
es derzeit nicht. Erhärtet wird der Verdacht eines nicht alltäglichen, außergewöhnlichen und mithin schon
deshalb als hoch einzustufenden Aggressionspotenzials ferner, wenngleich nicht mit Blick auf sein äußeres
Verhalten, so doch durch die überaus heftige - geradezu rohe - Wortwahl, mittels der der Antragsteller im Jahr
2005 zwei Arbeitskollegen überzog. Dass er auch hierbei bedrohlich bzw. aggressiv wirkte, zeigt sich daran,
dass er daraufhin seinen Arbeitsplatz verlor.
15 Das alles gibt genügend Anlass, beim Antragsteller einen berechtigten Verdacht betreffend die Ungeeignetheit
zum Führen von Kraftfahrzeugen zu hegen. Nach Kapitel 3.14 der (als sachverständige Konkretisierung des §
11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV heranzuziehenden) Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung des
Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
und beim Bundesministerium für Gesundheit ist nach § 2 Abs. 4 StVG ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen, wer Straftaten begangen hat, die auf ein hohes Aggressionspotenzial schließen lassen und
dabei Verhaltensmuster deutlich werden lässt, die sich so negativ auf das Führen von Kraftfahrzeugen
auswirken können, dass die Verkehrssicherheit gefährdet wird. Bei Straftaten, die ein hohes
Aggressionspotenzial erkennen lassen, wird kein expliziter Zusammenhang mit dem Straßenverkehr gefordert.
Bei hohem Aggressionspotenzial besteht nämlich auch in konflikthaften Verkehrssituationen (etwa bei
Fahrfehlern anderer) die Gefahr, dass der Fahrer emotional impulsiv handelt und damit das Risiko einer
Verkehrssituation noch erhöht anstatt entschärft wird. Auch besteht die Gefahr, dass eigene Bedürfnisse
aggressiv durchgesetzt werden. Der Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten außerhalb und innerhalb
des Straßenverkehrs ist empirisch nachgewiesen (vgl. Schubert, Schneider, Eisenmenger, Stephan,
Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Auflage, Nr. 1 zu Kapitel 3.14).
16 Dass die zuvor genannten Leitlinien als aggressive Straftaten ausdrücklich (nur) schwere oder gefährliche
Körperverletzung, Raub und Vergewaltigung nennen (die Kommentierung von Schubert u.a. benennt ferner
räuberische Erpressung, Sachbeschädigung, Tierquälerei, Brandstiftung, Freiheitsberaubung und
Hausfriedensbruch), steht einer Würdigung des Verhaltens des Antragstellers als verdachtsbegründend nicht
entgegen, weil dies nur regelbeispielhaft („z.B.“, „insbesondere“) erfolgt und eine stets erforderliche
Gesamtwürdigung des Einzelfalls gerade nicht ausschließen soll. Wenn und soweit eine allgemeine Straftat,
wie vom Antragsteller begangen, durch generalisierte, gewohnheitsmäßige Fehleinstellungen und
Fehlreaktionen bedingt ist, erschwert dies auch eine adäquate Bewertung der Normen und Gesetze, die den
Straßenverkehr regeln, und ein entsprechend angepasstes Verhalten als motorisierter Verkehrsteilnehmer. Der
Straßenverkehr ist ein soziales Handlungsfeld, welches von den Beteiligten „ständige Vorsicht und
gegenseitige Rücksicht“ erfordert (vgl. § 1 StVO). Wer aufgrund eines großen Aggressionspotenzials in
schwerwiegender Weise die Rechte anderer verletzt, lässt nicht erwarten, dass er im motorisierten
Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer – zumindest in den sehr häufig auftretenden
Konfliktsituationen – respektieren wird (vgl. Begründung zu den Begutachtungs-Leitlinien; vgl. ferner VG
Würzburg, Urt. v. 19.12.2007 - W 6 K 07.1042 - juris). Die wiederholte und völlig unangemessene sowie in den
Kreisen, in denen der Antragsteller verkehrt, wohl kaum sonst auch übliche Heftigkeit, mit der er in den Jahren
2005 und 2006 bei der Durchsetzung seiner Meinungen und Interessen hervorgetreten ist, begründen den
konkreten - nur durch eine sachverständige Abklärung auszuräumenden oder zu bestätigenden - Verdacht
eines - und sei es auch erst in der Entstehung befindlichen - hohen Aggressionspotenzials.
17 Die auf die Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis erweist sich
auch nicht deshalb als unverhältnismäßig, weil die Straftat des Antragstellers nunmehr schon etwas mehr als
zwei Jahre zurückliegt. Dass das Landratsamt erst im November 2007 tätig wurde, liegt daran, dass - was
absolut sachgerecht war - zunächst die erst am 6.9.2007 eingetretene Rechtskraft der strafgerichtlichen
Verurteilung, die aufgrund Einlegung von Rechtsmitteln hinausgezögert worden war, abgewartet wurde. Ohnehin
gibt es im Recht der Gefahrenabwehr - jedenfalls in Fällen wie hier - keine Verwirkung eines Einschreitens.
Zwar darf eine Straftat nicht ohne jede zeitliche Begrenzung Anlass für eine Gutachtensanforderung nach § 11
Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV sein (vgl. im Kontext des Betäubungsmittelkonsums: BVerwG, Urt. v. 9.6.2005 - 3 C
25.04 -, DVBl. 2005,1337). Im Hinblick auf die 2005 und 2006 zu Tage tretenden Umstände muss jedoch auch
heute noch von einem hinreichend konkreten Gefahrverdacht ausgegangen werden, der der Abklärung bedarf.
Daran ändert nichts, dass der Antragsteller seit 1.11.2007 wieder bei seinem alten Arbeitgeber beschäftigt ist.
Eine die Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial erschütternde Aussagekraft lässt dieser Umstand
derzeit nicht erkennen.
18 Die Anforderung speziell eines medizinisch-psychologischen Gutachtens kann nach derzeitiger Erkenntnis
ferner auch nicht als zu weitgehend festgestellt werden. Allerdings hat der Antragsteller in seiner Antwort vom
6.12.2007 (VAS. 49) darauf hingewiesen, ein „medizinisches Gutachten“ sei „vor kurzem erstellt“ worden. Die
Forderung nach Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens kann dann rechtswidrig, weil nicht
in diesem Ausmaß erforderlich sein, wenn sich aus einem ausführlichen fachärztlichen Gutachten nur noch ein
Aufklärungsbedarf hinsichtlich einer psychologischen Untersuchung ergibt (VG Augsburg, Beschl. v. 28.2.2008
- AU 3 S 08.114 -, juris). Anhaltspunkte für eine solche Konstellation fehlen vorliegend jedoch. Der
Antragsteller hat das in Bezug genommene Gutachten zu keiner Zeit vorgelegt oder auch nur Einzelheiten
daraus mitgeteilt. Deshalb musste das Landratsamt nach pflichtgemäßem Ermessen davon ausgehen, dass
eine vollständige - medizinische und psychologische - Untersuchung erforderlich ist.
19 Der Einwand des Antragstellers, er könne die finanziellen Mittel für eine Untersuchung nicht aufbringen, greift
schließlich nicht durch. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Kraftfahrer, der von einer berechtigten
Beweisanordnung der Behörde betroffen ist, das geforderte Gutachten auf seine Kosten beizubringen hat. Er
selbst ist der Auftraggeber und Veranlasser des Gutachtens und damit Kostenschuldner (BVerwG, Urt. v.
13.11.1997 - 3 C 1/97 -, NZV 1998, 300; vgl. auch § 11 Abs. 6 Sätze 2 und 5 FeV). Für das Vorliegen ganz
besonderer Umstände, die es ausnahmsweise unzumutbar erscheinen lassen könnten, einen mittellosen
Kraftfahrer mit den aufgezeigten Konsequenzen zu belasten, ist nichts ersichtlich.
20
2.)
aufbauenden
Folgeentscheidungen
des Führerscheins (Nr. 2 des genannten Bescheids) folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV. Im Interesse der
tatsächlichen Umsetzung einer verfügten Fahrerlaubnisentziehung sind § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs.
1 Satz 1 FeV dahin auszulegen, dass sie auch die Ermächtigung der Behörde regeln, dem Betroffenen die
entsprechende Verpflichtung aufzuerlegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.10.2004 - 10 S 475/04 - juris). Da
auch insoweit die sofortige Vollziehung angeordnet wurde, ist dieser Verwaltungsakt vollstreckbar i.S.v. § 2 Nr.
2 LVwVG. An der Rechtmäßigkeit der sodann im Bescheid vom 7.2.2008 verfügten und gemäß §§ 12 Satz 1
LVwVG, 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 VwGO bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Androhung
unmittelbaren Zwangs bestehen keine ernstlichen Zweifel; sie findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 2, 18, 19 Abs.
1 Nr. 3, 20 Abs. 1, Abs. 2, 26 LVwVG; Entsprechendes gilt für die hierauf bezogene Festsetzung dieses
angedrohten Zwangsmittels im Bescheid vom 18.2.2008, die wiederum Grundlage für den Einsatz des
Polizeivollzugsdiensts am 28.2.2008 war. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der kraft Gesetzes
vollziehbaren (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) Gebührenfestsetzungen in beiden Bescheiden (vgl. dazu, dass
sie als mit dem Grundverwaltungsakt angefochten anzusehen sind, § 24 Satz 2 LGebG) bestehen schließlich
ebenfalls nicht; angesichts ihrer geringen Höhe ist weder erkennbar noch überdies vorgetragen, dass sie den
Antragsteller unzumutbar belasten.
21
3.)
53 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Gemäß der neueren Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (vgl. Beschl. v.
13.12.2007 - 10 S 1272/07 -, DAR 2008, 277) legt die Kammer als streitwertbestimmend die
Fahrerlaubnisklasse(n) mit eigenständiger Bedeutung zu Grunde. Das sind beim Antragsteller die
Fahrerlaubnisklassen A und C (vgl. § 6 FeV). Der danach in der Hauptsache maßgebliche 2½-fache
Auffangwert (vgl. Nrn. 46.1 und 46.4 des Streitwertkatalogs) ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu
halbieren.
22 Das Rechtsmittel gegen die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 68 Abs. 1 Sätze 1, 3 und 5 GKG.,