Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 15.03.2017

VG Frankfurt(oder ): einstweilige verfügung, gerichtliche zuständigkeit, satzung, verwertung, zwangsvollstreckung, zivilprozessordnung, grundstück, hauptsache, haushalt, auflage

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Gericht:
VG Frankfurt (Oder)
5. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 L 355/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 17a Abs 1 GVG, § 35 InsO, § 36
InsO, § 80 InsO, § 40 VwGO
Belieferung eines Grundstückseigentümers mit Trinkwasser
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Tenor
1. Der Antragstellerin wird für das Verfahren in erster Instanz Prozesskostenhilfe unter
Beiordnung des Rechtsanwalts ... aus ... bewilligt.
2. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die
Antragstellerin mit Trinkwasser zu beliefern.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
A. Der Antragstellerin ist nach § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. §
114 der Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt ...
aus ... beizuordnen (§ 121 ZPO), weil sie nach den gegebenen persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, die
beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
B. Der Antrag der Antragstellerin,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie mit
Trinkwasser zu beliefern,
kann im vorliegenden Verfahren beschieden werden; das Verfahren ist nicht
unterbrochen.
I. Gemäß § 173 VwGO in Verbindung mit § 240 ZPO wird im Falle der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei das Verfahren, wenn es die
Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren
geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Diese
Voraussetzungen liegen nicht vor, weil das Verfahren nicht die Insolvenzmasse betrifft.
Was hierzu gehört, ergibt sich aus §§ 35 und 36 der Insolvenzordnung (InsO). Nach der
erstgenannten Vorschrift erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das
dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er
während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3
InsO gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur
Insolvenzmasse. Sachen, die zum gewöhnlichen Hausrat gehören und im Haushalt des
Schuldners gebraucht werden, fallen nicht in die Insolvenzmasse, wenn ohne weiteres
ersichtlich ist, dass durch ihre Verwertung nur ein Erlös erzielt werden würde, der zu dem
Wert außer allem Verhältnis steht. Hiernach wird der von der Antragstellerin geltend
gemachte Anspruch auf Wasserlieferung nicht vom Insolvenzverfahren erfasst. Es
erscheint schon zweifelhaft ob der - wohl höchstpersönliche - Anspruch auf Belieferung
mit Trinkwasser ein Vermögenswert im Sinne von § 35 InsO ist; jedenfalls ist aber
offenkundig, dass es im Haushalt der Antragstellerin benötigt wird und eine Verwertung
nicht in Betracht kommt.
II. Der Antrag ist ferner zulässig.
Der Verwaltungsrechtsweg ist, und zwar ungeachtet der Verweisung durch das
Amtsgericht, gemäß § 40 VwGO eröffnet. Gemäß § 1 Abs. 1 der
Wasserversorgungssatzung des ... vom 25. Januar 2007 (Wasserversorgungssatzung -
WAS) ist die Wasserversorgung in dem Gebiet, in dem sich das Grundstück der
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WAS) ist die Wasserversorgung in dem Gebiet, in dem sich das Grundstück der
Antragstellerin befindet, öffentlichrechtlich organisiert. Nach § 5 Abs. 1 derselben
Satzung kann jeder Grundstückseigentümer im Versorgungsgebiet des Antragsgegners
verlangen, dass sein Grundstück nach Maßgabe dieser Satzung an eine
Wasserversorgungseinrichtung angeschlossen (Anschlussrecht) und mit Wasser beliefert
wird (Benutzungsrecht). Nach der zu der genannten Satzung ergangenen
Entgeltordnung vom selben Datum (Entgeltordnung) erfolgt die Bereitstellung von
Trinkwasser durch den Antragsgegner gemäß § 1 Entgeltordnung zu den Bedingungen
der Verordnung über "Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVB
WasserV)" also in privatrechtlicher Form. Geht es in einem gerichtlichen Verfahren um
die Trinkwasserbelieferung durch den Antragsgegner, so hängt die gerichtliche
Zuständigkeit nach Auffassung der Kammer davon ab, ob ein gegen den Antragsgegner
gerichteter Anspruch auf Trinkwasserversorgung als solcher geltend gemacht werden
soll, also die Frage zu entscheiden ist, ob überhaupt eine Belieferung zu erfolgen hat
oder ob Gegenstand des Verfahrens die Ausgestaltung eines diesbezüglichen Anspruchs
ist. Im ersteren Fall, geht es also um das Benutzungsrecht, sind für die Beantwortung
der sich daraus ergebenden Fragen die Vorschriften der WAS einschlägig, die
öffentlichrechtlichen Charakter haben. Denn sie verpflichten den Verband als
Körperschaft des öffentlichen Rechts einseitig, Anschluss an die und Benutzung der
Wasserversorgungseinrichtungen zu gewährleisten. Mithin ist für solche Verfahren das
Verwaltungsgericht zuständig. Geht es dagegen um die Ausgestaltung eines
bestehenden Wasserlieferungsverhältnisses, ist nach den nunmehr gültigen
Rechtsgrundlagen nicht mehr das Verwaltungsgericht, sondern die ordentliche
Gerichtsbarkeit zuständig.
An diesen Grundsätzen gemessen ist im vorliegenden Verfahren der
Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Allerdings ist der Antragsgegner im Erörterungstermin
vom 14. Mai 2007 von seiner ursprünglich sinngemäß vertretenen Auffassung abgerückt,
wonach die Antragstellerin keinen Anspruch auf weitere Belieferung mit Trinkwasser
habe, solange die aufgelaufenen Zahlungsrückstände nicht im Wesentlichen getilgt
seien. Vielmehr ist er inzwischen im Grundsatz bereit, sie mit Trinkwasser zu beliefern,
lehnt jedoch ab, den nach den nunmehr gültigen Rechtsgrundlagen erforderlichen
Vertrag mit ihr abzuschließen und will diesen stattdessen ausschließlich mit dem
Insolvenzverwalter eingehen. Dieser Streitpunkt ist nach den Vorschriften der
Insolvenzordnung zu beantworten, fällt also in die Zuständigkeit der Zivilgerichte. Bis die
dortige Entscheidung getroffen ist, steht aber das in § 5 Abs. 1 WAS begründete
Benutzungsrecht der Antragstellerin als solches im Streit. Denn der Antragsgegner ist
ferner der Auffassung, vor Abschluss des Vertrages schulde er eine Wasserlieferung
nicht.
III. Der auf die weitere Belieferung mit Trinkwasser gerichtete Antrag ist auch begründet.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert
werden könnte; einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung,
vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen nötig erscheint, um wesentliche Nachteile
abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder wenn sie aus anderen Gründen
nötig erscheint. Der Antragsteller muss einen materiellen Anspruch auf die begehrte
Leistung (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund)
glaubhaft machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
Diese Voraussetzungen sind gegeben.
1. Die Antragstellerin hat nach dem zitierten Wortlaut des § 5 Abs. 1 WAS als
Eigentümerin des Grundstücks ... 46 einen Anspruch auf Belieferung mit Wasser. Diese
Rechtsstellung hat sie jedenfalls durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht
verloren. Gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht hierdurch lediglich das Recht des Schuldners auf
den Insolvenzverwalter über, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten
und über es zu verfügen. Das Eigentum an den zur Insolvenzmasse gehörenden Sachen
selbst ist dagegen von diesem Übergang nicht betroffen.
Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass die vom Antragsgegner
vorübergehend sinngemäß vertretene Auffassung nicht haltbar ist, wonach ihm selbst
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und trotz fortlaufender Bezahlung der laufenden
Wasserlieferungen ein Zurückbehaltungsrecht im Hinblick auf künftige Wasserlieferungen
zustehe, bis die zur Tabelle angemeldeten Verbindlichkeiten vollständig oder weitgehend
erfüllt seien. Damit würde der Sache nach der Zweck des Insolvenzverfahrens
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erfüllt seien. Damit würde der Sache nach der Zweck des Insolvenzverfahrens
aufgehoben, der darauf gerichtet ist, den Insolvenzgläubigern ein - abgesehen von den
in der Insolvenzordnung vorgegebenen Rangfolgen - gleichmäßiges Befriedigungsrecht
einzuräumen. Außerdem würde eine Liefersperre damit in unzulässiger Weise als ein
gesetzlich nicht vorgesehenes Mittel der Zwangsvollstreckung eingesetzt (vgl. VG
Meiningen, Urteil vom 21. Februar 2006 - 2 K 110/03.Me -, juris).
Eine über die vorstehenden Ausführungen hinausgehende Entscheidung auch dahin, ob
der Antragsgegner den Wasserlieferungsvertrag mit der Antragstellerin oder dem
Insolvenzverwalter abzuschließen haben wird, kommt nicht in Betracht. Eine
entsprechende Befugnis und Verpflichtung des Verwaltungsgerichts folgt insbesondere
nicht aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts. Gemäß § 173 ZPO in
Verbindung mit § 17 a des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sind in Fällen, in denen
ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für unzulässig erklärt hat,
andere Gerichte an diese Verweisung gebunden. Daraus folgt, dass das Gericht, an
welches verwiesen worden ist, nach seiner eigenen Verfahrensordnung zu entscheiden
hat, und zwar auch dann, wenn die Verweisung zu Unrecht erfolgt ist; hinsichtlich des
anzuwendenden materiellen Rechts verbleibt es jedoch bei dem der Sache nach
anwendbaren Recht, so dass durch das Verwaltungsgericht gegebenenfalls auch
zivilrechtlich zu beantwortende Fragestellungen zu entscheiden sind (Kopp/Schenke,
VwGO, 14. Auflage 2005, § 41 RdNr. 25).
Das rechtfertigt indes nicht, über die eingangs aufgeworfene Frage zu entscheiden.
Denn die mit einem Verweisungsbeschluss verknüpfte Bindungswirkung reicht nicht über
den Gegenstand des Verfahrens im Zeitpunkt der Verweisung hinaus (Kopp/Schenke, a.
a. O., RdNr. 23). Im Zeitpunkt der Verweisung durch das Amtsgericht stand zwischen
den Beteiligten jedoch ausschließlich die Frage im Streit, ob der Antragstellerin
überhaupt ein im Wege der einstweiligen Anordnung zu regelnder Anspruch auf
Wasserbelieferung zustand. Seinerzeit war noch die der nunmehr gültigen
Wasserversorgungssatzung vorausgegangene Satzung vom 26. Oktober 2005
maßgebend, die das Benutzungsverhältnis zwischen dem Antragsgegner und den
Eigentümern der im Verbandsgebiet belegenen Grundstücke ausschließlich
öffentlichrechtlich ausgestaltet hat. Die Änderung der Rechtslage, wonach die
Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses nunmehr privatrechtlich durch Abschluss
eines Vertrages erfolgt, ist erst durch die Wasserversorgungssatzung vom 25. Januar
2007, also während des vorliegenden Verfahrens herbeigeführt worden.
Die Kammer merkt allerdings an, dass nach dem bereits zitierten Inhalt der §§ 80, 35
InsO das Recht des Schuldners, sein Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen,
nur insoweit auf den Insolvenzverwalter übergeht, als es zur Insolvenzmasse gehört.
Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte fallen aber die pfändungsfreien Teile eines
Arbeitseinkommens gemäß § 850 c ZPO gerade nicht in die Insolvenzmasse (LAG
Schleswig Holstein, Urteil vom 18. Januar 2006 - 3 Sa 549/05 -, Juris Rdnr. 21 mit
weiteren Nachweisen).
2. Die Sache ist auch weiterhin eilbedürftig. Der Antragsgegner hatte mit Schreiben vom
26. Juni 2006 angekündigt, die Wasserversorgung der Antragstellerin im Hinblick auf ihre
Zahlungsrückstände einzustellen, ist hiervon auch in der Zwischenzeit nicht abgerückt
und begründet dies inzwischen damit, es bestehe kein Wasserlieferungsvertrag mit ihr
und könne mit ihr auch nicht abgeschlossen werden, weil hierfür der Insolvenzverwalter
zuständig sei. Hierin liegt zugleich die Rechtfertigung für die mit dem Charakter eines
einstweiligen Rechtsschutzverfahrens regelmäßig nicht zu vereinbarende Vorwegnahme
der Hauptsache. Die mit der Einstellung einer Wasserversorgung für die Antragstellerin
verbundenen Nachteile sind so schwerwiegend und unzumutbar, dass sie nicht auf die
Durchführung des Hauptsacheverfahrens verwiesen werden kann.
C. Die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Fürstenwalde vom 4. Juli 2006 wird durch
die vorliegende einstweilige Anordnung abgelöst.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1 u. Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1, 63 Abs. 3
des Gerichtskostengesetzes - GKG -. Dabei nimmt die Kammer im Hinblick auf die
begehrte Vorwegnahme der Hauptsache eine Minderung des Streitwerts für das
vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht vor.
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