Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 15.03.2017

VG Frankfurt(oder ): ausschuss, geschäft, erlass, vertretung, gemeindeverwaltung, einfluss, winterdienst, gemeindeordnung, rechtsgrundlage, veranlagung

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Gericht:
VG Frankfurt (Oder)
5. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 K 164/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 23 Abs 1 KomVerf BB
Rechtsanwalt, Stadtrat; Verstoß gegen das kommunalrechtliche
Vertretungsverbot
Tenor
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, Rechtsanwalt xxx, wird vom Verfahren
ausgeschlossen.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich in diesem und weiteren Klageverfahren (5 K 273/08, 5 K 527/08,
5 K 1478/08 und 5 K 250/10) gegen die jährliche Heranziehung zu Straßenreinigungs-
und Winterdienstgebühren durch den Beklagten.
In diesen Verfahren wird die Klägerin von Rechtsanwalt xxx vertreten, der der Sozietät
xxx in xxx angehört und seit 2003 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung der Stadt
xxx) ist. Seit xxx ist er jeweils stimmberechtigtes Ausschussmitglied im Haupt- und
Kulturausschuss sowie stellvertretendes Ausschussmitglied im Ausschuss für Bildung
und Sport.
Das Gericht hat Rechtsanwalt xxx mit Eingangsverfügung vom 12. März 2009 auf das
kommunalrechtliche Vertretungsverbot hingewiesen, zu dem sich Rechtsanwältin xxx ein
anderes Mitglied der o.g. Sozietät, mit Schriftsatz vom 31. März 2009 eingelassen hat.
Sie trägt für Rechtsanwalt xxx vor, eine Verletzung der Treuepflicht liege nicht vor. Eine
Einzelfallbefassung eines Stadtverordneten der Stadt xxx sei hier ausgeschlossen. Denn
bei dem Erlass und der Vertretung von Abgabenbescheiden handele es sich stets um
ein Geschäft der laufenden Verwaltung, die grundsätzlich in die alleinige Zuständigkeit
des Hauptverwaltungsbeamten der Stadt xxx falle. Das kommunale Vertretungsverbot
betreffe aber nur den Bereich, in dem der Betroffene für die Gemeinde Entscheidungen
treffen könne. Mithin seien Vorgänge ausgeschlossen, die nicht der Zuständigkeit der
Gemeindevertretung unterliegen würden. Für den Bereich der konkreten
Abgabenerhebung könne Rechtsanwalt xxx keine Entscheidung treffen, da dies
gesetzlich zwingend ausgeschlossen sei.
II.
Das Tätigwerden von Rechtsanwalt xxx als Prozessbevollmächtigter der Klägerin im
vorliegenden Verfahren ist unzulässig (1.), und deshalb ist er - nach Anhörung (zuletzt
mit richterlicher Verfügung vom 19. Oktober 2010) - vom Verfahren insgesamt
auszuschließen. (2.).
1. Indem Rechtsanwalt xxx als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung die
Interessen der Klägerin in diesem und weiteren Klageverfahren (s.o) wahrnimmt,
verstößt er gegen das in § 23 Abs. 1 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg
(BbgKVerf) normierte kommunalrechtliche Vertretungsverbot. Danach dürfen
ehrenamtlich Tätige, die in der Gemeindevertretung oder in einem beschließenden
Ausschuss mitwirken, in dem Bereich, in dem sie für die Gemeinde Entscheidungen
treffen, Dritte berufsmäßig bei der Geltendmachung von Ansprüchen und Interessen
gegenüber der Gemeinde nicht vertreten, es sei denn, dass sie als gesetzliche Vertreter
handeln.
Das in § 23 BbgKVerf geregelte Vertretungsverbot soll sicherstellen, dass die Verwaltung
von Einflüssen freigehalten wird, die eine unparteiische und einwandfreie Führung der
Geschäfte gefährden könnten. Es soll verhindert werden, dass ehrenamtlich Tätige ihre
besondere Stellung dazu nutzen können, bestimmte Interessen insbesondere auch
berufsmäßig zu fördern. Schon der bloße Anschein, dass solche Möglichkeiten bestehen,
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berufsmäßig zu fördern. Schon der bloße Anschein, dass solche Möglichkeiten bestehen,
kann das Vertrauen in das Funktionieren der Verwaltung und in die Tätigkeit der Inhaber
von Ehrenämtern beeinträchtigen (Schumacher u.a., KV/BbgKVerf, § 23 Rdnr. 2). Als
Interessenkollisionsnorm dient sie in erster Linie der Sauberkeit im öffentlichen Leben
(BVerfG, Kammerbeschluss vom 07. Oktober 1987 – 2 BvR 674/84, NJW 1988, 694 f.,
juris Rdnr. 6; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 23. August 1996 – 1 Y 22/96, AS-RP-
SL 25, 363 [364]). Nach den Motiven des brandenburgischen Landesgesetzgebers
handelt es sich zwar lediglich um ein „relatives Vertretungsverbot“, das sich auf
diejenigen Sachgebiete beschränkt, in denen den Ehrenamtlichen
Entscheidungsbefugnisse zugewiesen sind (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung zum
Kommunalrechtsreformgesetz - Landtag Brandenburg – Drucksache 4/5056 zu § 23 S.
161). Dadurch sollte die Gewinnung qualifizierter ehrenamtlich Tätiger insbesondere aus
rechtsberatenden Berufen erleichtert werden (Gesetzentwurf a.a.O.). Mithin könnte ein
Rechtsanwalt, der Mitglied der Gemeindevertretung ist, einen Bürger z. B. in einem
Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die Gemeinde vertreten, da es sich hierbei nicht
um eine Angelegenheit handelt, die in die Zuständigkeit der Gemeindevertretung fällt.
Gleiches kann nach Auffassung der Kammer für den Bereich der Pflichtaufgaben zur
Erfüllung nach Weisung gelten.
Das Tätigwerden von Rechtsanwalt xxx in vorliegender Sache ist aber nach diesen
Maßgaben mit § 23 Abs. 1 BbgKVerf unvereinbar. Aufgrund rechtsgeschäftlicher
Bestellung macht er einen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten in Gestalt der
Anfechtung eines Gebührenbescheides geltend, obwohl er seit 2003 Mitglied der
Stadtverordnetenversammlung der Stadt xxx ist. Es ist auch ein Bereich betroffen, in
dem er als Stadtverordneter für die Stadt xxx Entscheidungen trifft. Bei der
Straßenreinigung handelt es sich um eine öffentliche Einrichtung der Gemeinde (§ 12
Abs. 2 BbgKVerf). Die streitgegenständlichen Straßenreinigungs- und
Winterdienstgebühren werden aufgrund der „Satzung der Stadt xxx) über die Reinigung
und den Winterdienst öffentlicher Straßen, Wege und Plätze und die Erhebung von
Gebühren (Straßenreinigungssatzung)“ vom 15. Februar 2008 erhoben, die die
Stadtverordnetenversammlung der Stadt xxx; der Rechtsanwalt xxx angehört, in ihrer
Sitzung am 07. Februar 2008 beschlossen hat. Zufolge § 28 Abs. 2 Nr. 9 BbgKVerf
(gleichlautend § 35 Abs. 2 Nr. 10 Gemeindeordnung in der bis zum Inkrafttreten der
BbgKVerf maßgeblichen Fassung) ist der Gemeindevertretung, die in der kreisfreien
Stadt xxx) die Bezeichnung Stadtverordnetenversammlung führt, die Entscheidung über
den Erlass von Satzungen vorbehalten. Die Erhebung der streitgegenständlichen
Gebühren steht also in einem zwingenden Zusammenhang mit dem genannten
Ratsbeschluss.
Dass es sich bei der Veranlagung zu Straßenreinigungs-/Winterdienstgebühren um ein
„Geschäft der laufenden Verwaltung“ i. S. von § 54 Abs. 1 Nr. 5 BbgKVerf handelt und
Rechtsanwalt xxx nicht im Einzelfall mit der Abgabenerhebung befasst ist, ist
unmaßgeblich. Denn das kommunale Vertretungsverbot dient der Wahrung vernünftiger
Belange des allgemeinen Wohls. Es will sachfremde Einflüsse von der Verwaltung
fernhalten und das Vertrauen der Bürger zur Verwaltung erhalten. Es kann nicht
ernsthaft zweifelhaft sein, dass Stadtverordnete als Gemeindevertreter aufgrund ihrer
ehrenamtlichen Tätigkeit vielfältige Verbindungen sachlicher, politischer und persönlicher
Art zum (Ober-)Bürgermeister und zur Gemeindeverwaltung haben, die bei der
Vertretung privater Ansprüche und Interessen Dritter gegenüber der Gemeinde einer
unzulässigen Einflussnahme Raum geben und vor allem beim Bürger einen
dahingehenden Anschein hervorrufen könnten ; solche Gefahren bestehen generell bei
Ansprüchen und Interessen, die gegenüber der Gemeinde geltend gemacht werden (so
BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 – 7 B 12/88, NJW 1988, 1994, juris Rdnr. 5).
Mithin besteht die theoretische Möglichkeit, dass Stadtverordnete versuchen, auch auf
Verwaltungsentscheidungen Einfluss zu nehmen. Im vorliegenden Fall könnte sich diese
theoretische Möglichkeit einer Befassung mit einer Angelegenheit der laufenden
Verwaltung auch deswegen konkretisieren, da Rechtsanwalt xxx stimmberechtigtes
Mitglied im Hauptausschuss - dem wichtigsten Ausschuss der Gemeinde - ist und zu den
Beratungsgegenständen gemäß dem Geschäftskreis für den Hauptausschuss auch
Angelegenheiten nach § 54 Abs. 1 Nr. 5 BbgKVerf (Geschäft der laufenden Verwaltung)
gehören, „wenn sie ihm vom Oberbürgermeister zur Beschlussfassung vorgelegt
werden“ (s. § 50 Abs. 2 Satz 2 BbgKVerf).
2. Die Kammer ist befugt und gehalten, Rechtsanwalt xxx vom Verfahren
auszuschließen. Zwar fehlt es für eine solche Maßnahme an einer ausdrücklichen
Rechtsgrundlage; insbesondere die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) enthält keine
Bestimmung, die Fälle des Vertretungsverbotes regelt. Allen Prozessordnungen ist aber
gemeinsam, dass sie den Gerichten aufgeben, für einen dem geltenden Recht
entsprechenden Verfahrensablauf Sorge zu tragen und dabei auch die Frage der
entsprechenden Verfahrensablauf Sorge zu tragen und dabei auch die Frage der
prozessualen Zulässigkeit des Auftretens von Bevollmächtigten zu prüfen (vgl. § 67
VwGO, § 157 Zivilprozessordnung (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 – 2
BvR 488/76 -BVerfGE 52, 42ff., juris Rdnr. 40).
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