Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 15.03.2017

VG Frankfurt(oder ): aufschiebende wirkung, rechtsverletzung, zugang, genehmigung, klagebefugnis, konvention, rechtsschutz, anfechtungsklage, rückgriff, eng

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Gericht:
VG Frankfurt (Oder)
7. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 L 270/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 42 Abs 2 VwGO, Art 10a
EWGRL 337/85
(Klagebefugnis; Drittschutz; Art 10a UVP-Richtline - EWGRL
337/85)
Leitsatz
Immissionsschutzrechtliche Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften sind auch nach
Einführung von Art. 10a UVP-Richtlinie nicht drittschützend im Sinne des Erfordernisses einer
Antrags- bzw. Klagebefugnis; Vorgaben des Gemeinschaftsrechts führen nicht zu einem
Absehen von diesem Erfordernis.
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
II. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag,
festzustellen, dass der Widerspruch der Antragstellerin vom 17. Juli 2007 gegen
die der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des
Antragsgegners vom 30. Juni 2005 – Az.: XXX – aufschiebende Wirkung entfaltet,
hilfsweise, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom
17. Juli 2007 gegen die im Hauptantrag bezeichnete Genehmigung anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Der hinsichtlich des Hauptantrages analog § 80 Abs. 5, hinsichtlich des Hilfsantrages
gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alternative, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthafte Antrag ist
bereits unzulässig. Es kann dahinstehen, ob bereits Verfristungs- und
Verwirkungsgesichtspunkte zu diesem Ergebnis führen, weil die Antragstellerin –
jedenfalls nach dem Vorbringen der Beigeladenen, vgl. Blatt 57 der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners – bereits mehr als ein Jahr vor
Widerspruchseinlegung Kenntnis von der Genehmigung hatte. Denn unabhängig davon
fehlt es an der Sachentscheidungsvoraussetzung der Antragsbefugnis analog § 42 Abs.
2 VwGO.
Der Antrag ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig, soweit die Antragstellerin
geltend machen kann, durch die angegriffene Genehmigung in eigenen Rechten verletzt
zu sein. Die als verletzt gerügte Bestimmung muss zumindest auch dem Schutz von
Individualinteressen und nicht nur dem öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt sein.
Das ist im Hinblick auf die geltend gemachten immissionsschutzrechtlichen
Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften nicht der Fall. Nach §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1
Satz 1 VwGO zielen Klage- und Antragsverfahren im Bereich der Anfechtungsklage auf
die Geltendmachung von Individualrechtsschutz. Verfahrensvorschriften vermitteln in
diesem Zusammenhang grundsätzlich keine selbständig durchsetzbare Rechtsposition,
und zwar auch dann, wenn das Verfahrensrecht auf gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben
beruht (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. Urteile vom 25.
Januar 1996, NVwZ 1996, 788; vom 21. März 1996, NVwZ 1996, 1016; vom 10. April
1997, NVwZ 1998, 508; vom 19. März 2003, NVwZ 2003, 1120; und vom 18. November
2004, NVwZ 2005, 442; ferner Beschluss vom 10. Oktober 2006 – 9 B 27.05 –, juris).
Eine Verletzung materiellen Rechts wird von der Antragstellerin nicht gerügt und drängt
sich dem Akteninhalt nach auch nicht auf.
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Auch Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG vom 27. Juni 1985 (UVP-Richtlinie) in der
Fassung der Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 2003 (ABl. EU Nr. L 156, S. 17 <20>)
räumt keinen umfassenden Rechtsschutz ein. Danach stellen die Mitgliedstaaten im
Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen
Öffentlichkeit, die (a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ (b) eine
Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw.
Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert, Zugang
zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher
Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die
materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen,
Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser
Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten. Was als ausreichendes Interesse und
als Rechtsverletzung gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Ziel, der
betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gericht zu gewähren. Der
Richtlinientext in Art. 10a der UVP-RL ist insoweit nahezu wortgleich mit Art. 9 Abs. 2 der
von der EG ratifizierten sog. Aarhus-Konvention (Übereinkommen über den Zugang zu
Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den
Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 25. Juni 1998, ABl. EU 2005 Nr. L
124 S. 4) und dient der Umsetzung der dortigen Vereinbarungen.
Danach haben die Mitgliedstaaten zwei Möglichkeiten: Sie können den
Individualrechtsschutz davon abhängig machen, dass ein ausreichendes Interesse des
Rechtsschutzsuchenden besteht, oder aber davon, dass eine Rechtsverletzung geltend
gemacht wird. Die Mitgliedstaaten können zwischen dem (französischen) Modell der
Interessentenklage und dem (in Deutschland) herkömmlichen Modell des
Individualrechtsschutzes wählen (vgl. hierzu auch Lecheler, NVwZ 2005, 1156 <1157>;
Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, 489 <495>; v. Danwitz, NVwZ 2004, 272 <276>). Die
Antrags- bzw. Klagebefugnis des Einzelnen kann weiterhin davon abhängig gemacht
werden, dass eine Rechtsverletzung in Betracht kommt. Was eine Rechtsverletzung ist,
bestimmt der jeweilige Mitgliedsstaat. Schon mangels hinreichender Bestimmtheit
kommt damit eine unmittelbare Anwendung von Art. 10 a der RL 2003/35/EG zum hier
maßgeblichen Zeitpunkt des Erteilens der angegriffenen Genehmigung, als die Frist zur
Umsetzung der Richtlinie (25. Juni 2005) abgelaufen war, ohne dass eine Umsetzung in
deutsches Recht erfolgt wäre, nicht in Betracht (so auch m.w.N. OVG Nordrhein-
Westfalen, Urteile vom 27. Oktober 2005 - 11 A 1751/04 -, Juris und vom 2.
März 2006 - 11 A 1752/04 -, Juris ).
Aber auch die mit Ablauf der Umsetzungsfrist gebotene richtlinienkonforme Auslegung
des nationalen Rechts im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der betreffenden
Richtlinie (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 4. Juli 2006, NJW 2006, 2465) führt nach der im
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung im Hinblick
auf die geltend gemachten öffentlichen Belange nicht zu einer Antrags- oder
Klagebefugnis der Antragstellerin oder einem möglichen Erfolg in der Sache. Die
Zulassung einer allgemeinen Popularklage wird gemeinschaftsrechtlich gerade nicht
gefordert; der Prüfungsumfang des Gerichts ist für den hier einschlägigen Bereich der
Anfechtungsklage vielmehr entsprechend dem nach § 42 Abs. 2 VwGO zulässig
gewährten Zugang zum Gericht begrenzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Weder Art.
10a der UVP-Richtlinie noch Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention dürften es
ausschließen, dass der Erfolg des gerichtlichen Verfahrens weiterhin von der Feststellung
solcher Fehler abhängig gemacht werden darf, die zu einer Rechtsverletzung des Klägers
bzw. Antragstellers führen (vgl. hierzu auch Ziekow, NVwZ 2005, 263 <266>; a.A.
Ekardt/Pöhlmann, NVwZ 2005, 532 <534>). Weder die UVP-Richtlinie noch die Aarhus-
Konvention dürften zur Aufgabe der Schutznormtheorie im Bereich des
Individualrechtsschutzes in Umweltangelegenheiten zwingen, vielmehr hat der
Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Den hat er mittlerweile in einer Weise
ausgefüllt, die die Einschätzung des Gerichts unterstreicht, wenngleich die Neuregelung
für den konkreten Fall nicht unmittelbar gilt: Der Bundestag hat am 9. November 2006
zur Umsetzung der RL 2003/35/EG das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz beschlossen; es ist
nach Verkündung im Bundesgesetzblatt am 15. Dezember 2006 in Kraft getreten (BGBl.
I, S. 2816). Das Gesetz gilt für Verfahren, die nach dem 25. Juni 2005 eingeleitet wurden
oder hätten eingeleitet werden müssen, und damit nicht für den hier zu entscheidenden
Fall, in welchem das Verfahren schon vor diesem Stichtag hätte eingeleitet werden
müssen. Auch dieses Gesetz räumt nur für eng umgrenzte Konstellationen gesonderte
Klagerechte ein und knüpft im übrigen an das bestehende Rechtsbehelfssystem nach
der VwGO an. Der Rechtsschutz Dritter gegen Zulassungsentscheidungen nach der
UVP-Richtlinie richtet sich danach weiterhin nach den Vorgaben der VwGO und hängt von
der Geltendmachung und dem Vorliegen einer Verletzung eigener Rechte des Klägers
bzw. Antragstellers im Sinne von § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ab (vgl. hierzu
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bzw. Antragstellers im Sinne von § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ab (vgl. hierzu
ausdrücklich die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/2495, S. 8).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG und entspricht der Hälfte des für ein etwaiges
Hauptsacheverfahren maßgeblichen Wertes; diesen wiederum hat die Kammer unter
Rückgriff auf Ziffer 9.7.1 des Streitwertkatalogs bemessen.
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