Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 22.03.2010

VG Frankfurt(oder ): handel mit betäubungsmitteln, aufschiebende wirkung, ermittlungsverfahren, vollziehung, erfahrung, beschuldigter, interessenabwägung, verwaltungsakt, daten, zukunft

1
2
3
4
5
6
Gericht:
VG Frankfurt (Oder)
6. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
VG 6 L 89/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 81b Alt 2 StPO
Anforderungen an eine Anordnung einer erkennungsdienstlichen
Behandlung
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Altern. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthafte
und auch sonst zulässige Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid
des Antragsgegners vom 22. März 2010 wiederherzustellen,
ist unbegründet.
Da der Antragsgegner die formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO
beachtet und die sofortige Vollziehung auf Seite 2 des angegriffenen Bescheides mit
konkreten, einzelfallbezogenen Umständen begründet hat, die nicht zu beanstandenden
sind, ist Maßstab der gerichtlichen Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
nach § 80 Abs. 5 VwGO eine umfassende Interessenabwägung zwischen dem privaten
Aussetzungsinteresse und dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des
Verwaltungsaktes. Dabei ist vom Gericht zu prüfen, ob das öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung das private Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss des
Widerspruchs- bzw. des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens von dem Verwaltungsakt
verschont zu bleiben, überwiegt. Im Rahmen dieser Abwägung ist insbesondere von
Belang, ob sich der Verwaltungsakt als rechtmäßig erweist.
Vorliegend fällt die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Die von dem
Antragsgegner auf § 81b 2. Altern. der Strafprozessordnung (StPO) gestützte
Anordnung ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.
Gemäß § 81b 2. Altern. StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke eines Beschuldigten
auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an
ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig
ist. Ob es notwendig ist, erkennungsdienstliche Unterlagen anzufertigen und
aufzubewahren, bemisst sich danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen
gerichteten Ermittlungsverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer
Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles Anhaltspunkte für die Annahme
bietet, dass gegen den Betroffenen mit guten Gründen künftig oder auch gegenwärtig
andernorts wegen einer strafbaren Handlung ermittelt werden könnte; dabei können Art,
Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren
zur Last gelegten Straftaten berücksichtigt werden, daneben auch seine Persönlichkeit
sowie der Zeitraum, in dem er strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Das Gesetz
setzt allerdings keineswegs voraus, dass der Betroffene wegen einer Straftat bereits
verurteilt worden oder der Betroffene sogar als „Gewohnheitsverbrecher“ einzustufen
wäre, wie der Antragsteller fälschlich annimmt. Es genügt, dass der Betroffene, wie
dargestellt, vermutlich erneut Beschuldigter eines Ermittlungsverfahrens sein wird.
Weitere Voraussetzung ist nur, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen geeignet
sein müssen, die Ermittlungen zu fördern, sei es, dass sie den Betroffenen überführen,
sei es, dass sie ihn entlasten (st. Rspr., BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 - 1 C 29.79
-, BVerwGE 66, 192, 199; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Juni 2009 - OVG 1
M 4.08 - und Urteil vom 6. März 2007 - 1 B 4.06 -). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht
7
8
9
10
11
12
M 4.08 - und Urteil vom 6. März 2007 - 1 B 4.06 -). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht
des Betroffenen darf zudem nur in dem Umfang beschränkt werden, in dem es zum
Schutz öffentlicher Interessen bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unerlässlich
ist.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Art und Schwere des Anlassverfahrens
sowie die vielen Ermittlungsverfahren in der Vergangenheit vermögen die vom
Antragsgegner verfügte Maßnahme zu rechtfertigen. Bei der dem Antragsteller zum
Vorwurf gemachten Anlasstat - gewerbsmäßiger Handel mit Betäubungsmitteln (§ 29a
Abs. 1 Nr. 2 des Betäubungsmittelgesetzes) - handelt es sich wegen der hohen
Strafandrohung von Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr um ein Verbrechen (§ 12 Abs.
1 des Strafgesetzbuches). Dass insoweit gegen den Antragsteller als Beschuldigten
ermittelt wird, begegnet keinen Bedenken. Die im Verwaltungsvorgang dokumentierten
Aussagen anderer Beschuldigter (s. etwa Blatt 6, 14), auf die der Antragsgegner seinen
Anfangsverdacht stützt, stellen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von §
152 Abs. 2 StPO dar. Ob die Vorwürfe letztlich zutreffen, muss nicht hier, sondern wird im
strafgerichtlichen Verfahren geklärt werden; § 81b 2. Altern. StPO knüpft gerade nicht an
die (straf-)gerichtliche Feststellung einer rechtswidrig und schuldhaft begangenen Tat
oder auch nur an dringenden Tatverdacht an, sondern setzt lediglich voraus, dass
rechtmäßig gegen den Betreffenden ermittelt wird. Dies ist hier jedoch der Fall.
Die im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen getroffene Prognose, es sei davon
auszugehen, dass der Antragsteller in Zukunft nicht von der Begehung von Straftaten
„Abstand nimmt“ und dass - nach kriminalistischer Erfahrung – die Lichtbilder des
Antragstellers dazu dienen könnten, die illegale Drogenszene in und um Fürstenwalde
und Storkow zu erhellen, ist auch unter Berücksichtigung des Schriftsatzes des
Antragstellers vom heutigen Tage angesichts der bereits erwähnten Zeugenaussagen
nicht zu beanstanden. Die auffällige Häufung strafrechtlich relevanter Vorwürfe, mit
denen der 1984 geborene Antragsteller seit dem Jahr 2000 aktenkundig geworden ist,
lässt die Annahme des Antragsgegners nachvollziehbar erscheinen, auch in der Zukunft
werde es gegen den Antragsteller gerichtete Ermittlungsverfahren geben. Dies gilt selbst
unter Berücksichtigung dessen, dass für sich genommen die einzelnen Tatvorwürfe nach
kriminalistischer Erfahrung möglicherweise nicht geeignet wären, eine für den
Antragsteller nachteilige Entscheidung zu tragen. Denn der Antragsgegner schließt
gerade aus der mit 41 sehr großen Zahl der Ermittlungsverfahren, von den überdies
allein 13 den Verdacht des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln betrafen, dass der
Antragsteller sich zumindest im Dunstkreis der Drogenszene aufzuhalten pflegt. Weitere
Verfahren wegen Verstößen gegen das Waffengesetz, Körperverletzungsdelikte etc.
untermauern die Prognose des Antragsgegners, dass es auch künftig polizeiliche
Ermittlungshandlungen gegen den Antragsteller geben wird.
Die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen erweist sich auch als geeignet,
die künftigen Ermittlungen zu fördern. Es liegt auch auf der Hand, dass die bei einer
erkennungsdienstlichen Behandlung gewonnenen Daten geeignet sind, bei der
Erforschung und Aufklärung von Straftaten insbesondere aus dem Bereich der
Betäubungsmittelkriminalität zu helfen und den Antragsteller als Täter künftiger oder
weiterer einschlägiger Taten entweder zu überführen oder ihn, wie er es ausdrückt, von
„haltlosen Vorwürfen anderer Beschuldigter“ zu entlasten.
Die Anordnung ist schließlich hinreichend bestimmt (§ 37 Abs. 1
Verwaltungsverfahrensgesetz). Auf S. 2 des Bescheides hat der Antragsgegner im
einzelnen klar und verständlich bezeichnet, um welche Maßnahmen es ihm geht:
„Lichtbild 3-teilig, Ganzaufnahme, Finger- und Handflächenabdrücke,
Personenbeschreibung“.
Bei seiner weiteren, über die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren
hinausgehenden Interessenabwägung hat das Gericht Schwere und Dauer des
Grundrechtseingriffs berücksichtigt, daneben aber auch im Blick gehabt, dass der
Antragsteller die weitere Entwicklung selbst mit in der Hand hat. Denn die Speicherung
der gewonnenen Informationen wird unzulässig, wenn nichts mehr dafür spricht, dass der
Betroffene erneut einschlägig oder ähnlich strafrechtlich in Erscheinung treten wird und
deshalb ausgeschlossen werden kann, dass die vorhandenen Daten die Arbeit der Polizei
noch fördern können (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1990 – 1 C 30.86 -, NJW 1990,
2768, 2770).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes. Der
Auffangstreitwert wurde wegen der Vorläufigkeit der angestrebten Regelung nur zur
Hälfte in Ansatz gebracht wurde (s. Nrn. 1.5 und 35.4 des Streitwertkatalogs der
Hälfte in Ansatz gebracht wurde (s. Nrn. 1.5 und 35.4 des Streitwertkatalogs der
Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum