Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 26.01.2004

VG Frankfurt: ausweisung, befristung, ausländer, abschiebung, staatsangehörigkeit, verfügung, gefahr, einbürgerung, bewährung, lebensgemeinschaft

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Gericht:
VG Frankfurt 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 E 6870/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 8 Abs 2 AsylVfG
Einbürgerung; nachträgliche Befristung
Tenor
Auf den Hilfsantrag des Klägers wird die Verfügung der Beklagten vom 04.09.2002
in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt
vom 21.10.2003 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichtes erneut über den Antrag des Klägers zu
entscheiden.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten je zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Den jeweiligen Kostenschuldner bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe der jeweiligen Kostenschuld abzuwenden, wenn nicht
zuvor der jeweilige Kostengläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die nachträgliche Befristung einer
Ausweisungsverfügung. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am
01.11.1977 im Rahmen der Familienzusammenführung zu seinen in den
Bundesrepublik Deutschland lebenden Eltern ein. Auf seinen Antrag vom
29.06.1989 wurde ihm eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die in der
Folgezeit letztmalig bis zum 18.03.1999 verlängert wurde.
Bereits am 21.04.1994 heiratete der Kläger die türkische Staatsangehörige G. Aus
dieser Ehe ist ein gemeinsames Kind, der Sohn C., geboren am 07.01.1996
hervorgegangen.
Während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland ist der Kläger wie
folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
Am 16.03.1988 sah die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hanau wegen
Fahrens ohne Fahrerlaubnis von der Verfolgung nach § 45 Abs. 2 JGG ab
(Aktenzeichen: 2 Js 3200,88).
Am 19.02.1990 wurde dem Kläger durch das Amtsgericht Hanau wegen Diebstahls
geringwertiger Sachen eine richterliche Weisung erteilt (Aktenzeichen: 5 Js
1935/89-53Ds).
Am 26.04.1990 wurde der Kläger durch das Amtsgericht Hanau wegen
gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls zu einem Jugendarrest von vier Wochen
verurteilt (Aktenzeichen: 5 Js 17220/89-53Ls)-
Am 29.05.1990 wurde der Kläger durch das Amtsgericht Aschaffenburg wegen
gemeinschaftlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, rechtlich
zusammentreffend mit gemeinschaftlicher Körperverletzung und
Sachbeschädigung gemäß § 27 JGG verurteilt, wobei die Bewährungszeit auf zwei
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Sachbeschädigung gemäß § 27 JGG verurteilt, wobei die Bewährungszeit auf zwei
Jahre festgesetzt wurde (Aktenzeichen: 10 Ls 115 Js 12375/89).
Am 01.03.1991 stellte das Amtsgericht Hanau ein Verfahren gegen den Kläger
wegen gemeinschaftlichem Diebstahls in zwei besonders schweren Fällen nach §
47 JGG ein (Aktenzeichen: 2 Js 3912/88-53Ls).
Mit Urteil vom 19.04.1991 wurde der Kläger vom Amtsgericht Hanau wegen
schweren Diebstahls in sieben Fällen, davon in vier Fällen gemeinschaftlich
handelnd, Beihilfe zum gemeinschaftlichem schweren Diebstahl und Fahrens ohne
Fahrerlaubnis in vier Fällen zu einer Jugendstrafe von zwölf Monaten verurteilt, die
zur Bewährung ausgesetzt wurde. Diese Strafaussetzung wurde wegen neuerlicher
Straftaten widerrufen und nach Verbüßung von neun Monaten wurde der Rest der
Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
Durch Urteil vom 05.05.1994 wurde der Kläger vom Amtsgericht Hanau wegen
teilweise fortgesetztem gemeinschaftlichen schweren Diebstahl in acht Fällen zu
einer Jugendstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt wurde.
Durch Urteil des Amtsgerichts Hanau vom 18.05.1995 wurde der Kläger wegen
eines Vergehens gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Geldstrafe von
zwanzig Tagessätzen verurteilt (Aktenzeichen: 14 Js 3041.7/95-51Cs).
Durch Urteil des Landgerichts Hanau vom 16.10.1997 wurde der Kläger wegen der
Beihilfe zum gemeinschaftlichem Raub, des besonders schweren Falles des
gemeinschaftlichen Diebstahls in vier Fällen, wobei es in einem Fall bei dem
Versuch blieb sowie der Beihilfe zum gemeinschaftlich besonders schwerem Fall
des Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten
verurteilt (Aktenzeichen: 3 Js 4015/97-Kls).
Mit Verfügung der Beklagten vom 09.11.1998 wurde der Kläger unbefristet aus der
Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Zur Begründung der auf § 47 Abs. 1
Nummer 1 AuslG gestützten Ausweisung ist ausgeführt, dass ein Fall der Ist-
Ausweisung vorliege und dem Kläger besonderer Ausweisungsschutz nicht zugute
komme.
Am 18.12.2000 wurde der Kläger in die Türkei abgeschoben. Im Januar 2002 wurde
die Ehefrau des Klägers eingebürgert.
Am 19.03.2002 beantragte der Kläger die nachträgliche Befristung der Wirkung der
Ausweisungsverfügung um eine zeitnahe Rückkehr nach Deutschland zu seiner
Ehefrau und zu seinem Sohn zu ermöglichen.
Mit Verfügung vom 04.09.2002 befristete die Beklagte die Ausweisungsverfügung
und Abschiebung bis zum 18.12.2007. Zur Begründung ist im wesentlichen
ausgeführt, bei der Bemessung der Frist orientiere sich die Beklagte an den
Tilgungsfristen des Bundeszentralregistergesetzes. Aufgrund der Verurteilung des
Klägers zu einer mehrjährigen Haftstrafe betrage die Frist zur Tilgung fünfzehn
Jahre. Zugunsten des Klägers sei zu berücksichtigen, dass seine Ehefrau
inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe und der Kläger Vater
eines sechsjährigen Kindes sei. Die Ehefrau des Klägers sei versicherungspflichtig
beschäftigt und erziele ein Einkommen, das auch den Lebensunterhalt des Klägers
sicherstellen könne. Demgegenüber sei zu berücksichtigen, dass der Kläger wegen
erheblicher Straftaten ausgewiesen worden sei und der Familienkontakt durch
Begegnungen im nahen Ausland aufrechterhalten werden könne. Auch ein
vorübergehender Aufenthalt der Ehefrau und des gemeinsamen Kindes in der
Türkei sei nicht ausgeschlossen. Gegen den Kläger spreche im übrigen, dass er
über keine abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung verfüge und zum
Zeitpunkt seiner Inhaftierung arbeitslos gewesen sei und auch davor lediglich
Hilfsarbeiten ausgeführt habe. Da der Kläger Kokain konsumiere und eine
Rauschmittelabhängigkeit nicht ausgeschlossen werden könne, sei seine berufliche
Integration zweifelhaft. Zu berücksichtigen sei auch, dass den Kläger in der
Vergangenheit der Umstand, dass er verheiratet sei und Vater eines Kindes sei
nicht davon abgehalten habe, Straftaten zu begehen. Erkenntnisse darüber, wie
der Kläger sein Leben in seinem Heimatland gestaltet habe, lägen nicht vor. Unter
Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der für und gegen den
Kläger sprechenden Umstände sei eine Sperrwirkung von sieben Jahren
angemessen.
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Der Kläger legte Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid des
Regierungspräsidiums Darmstadt vom 21.10.2003 zurückgewiesen wurde. Der
Kläger sei in die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland nicht integriert. Dies
werde durch die erheblichen Straftaten und den Lebenswandel des Klägers belegt.
Diese Umstände rechtfertigten, einen Ausnahmefall anzunehmen und von einer
Befristung gänzlich abzusehen. Da der Kläger jedoch mit einer türkischen
Staatsangehörigen verheiratet sei, die inzwischen eingebürgert worden sei und
Vater eines gemeinsamen Kindes sei bestehe ein grundgesetzlich geschütztes
Rechtschutzinteresse des Klägers daran, zu seiner Familie nach Deutschland
zurückzukehren. Andererseits müsse den öffentlichen Interessen in spezial- und
generalpräventiver Hinsicht Rechnung getragen werden. Die von der Beklagten
vorgenommene Abwägung sei nicht zu beanstanden.
Der Kläger hat am 24.11.2003 Klage erhoben, mit der er in erster Linie begehrt,
die Wirkung der Ausweisung bis zum 18.12.2003 zu befristen. Er vertritt die
Auffassung, die Befristungsentscheidung sei rechtswidrig. Die Ehefrau des Klägers
habe mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Dieser Umstand sei
in den angegriffenen Bescheiden nicht ausreichend gewürdigt worden. Der Kläger
und seine Ehefrau würden gegenüber solchen Ehepaaren benachteiligt, von denen
ein Ehepartner deutscher Staatsbürger sei und der andere straffällig geworden sei.
In einem solchen Fall wäre bereits ein Ausweisung nicht erfolgt. Im übrigen gebiete
Artikel 6 Abs. 1 GG die Sperrfrist deutlich abzukürzen. Auch der Sohn des Klägers
habe mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Der Sohn leide in
besonderer Weise unter der langen Abwesenheit seines Vaters. Insoweit verweist
der Kläger auf eine ärztliche Bescheinigung vom 03.11.2003. Des weiteren sei
darauf hinzuweisen, dass der Kläger anlässlich seiner Ausweisung
kooperationsbereit bereit gewesen sei und durch die Rücknahme seiner
Asylantrages erst die Rückführung in die Türkei ermöglicht habe. Dieses
Entgegenkommen sei von der Beklagten nicht ausreichend gewürdigt worden. Im
übrigen könne der Kläger sofort nach seiner Einreise im Lebensmittelsupermarkt
seiner Schwester eine Anstellung finden. Damit sei dem Gebot der
Resozialisierung Vorschub geleistet. Eine nachträgliche Befristung auf drei Jahre sei
ausreichend, um dem öffentlichen Interesse genüge zu tun.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.09.2002 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom
21.10.2003 zu verpflichten, die Wirkung der Ausweisung bis zum 18.12.2003 -
hilfsweise einen anderen Termin vor dem 18.12.2007 zu befristen, hilfsweise die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.09.2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 21.10.2003 zu
verpflichten, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichtes neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entgegen der Auffassung des Klägers sei sowohl im Ausgangsbescheid als auch im
Widerspruchsbescheid gewürdigt worden, dass der Kläger mittlerweile mit einer
eingebürgerten Ehefrau verheiratet sei. Die deutsche Staatsangehörigkeit der
Ehefrau des Klägers und der Schutz des Artikel 6 GG stehe allerdings einer
Befristung bis zum Jahr 2007 nicht entgegen. Der Kläger sein in erheblichem
Umfang straffällig geworden, obwohl er mehrmals darauf hingewiesen worden sei,
dass er mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen rechnen müsse. In der
Vergangenheit habe sich der Kläger trotz Heirat und Schutz des Artikel 6 GG nicht
davon abhalten lassen, weiterhin straffällig zu werden. Aufgrund der erheblichen
Straffälligkeit müsse der Schutz des Artikel 6 GG zurücktreten. Die Tatsache dass
die Ehefrau des Klägers mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit habe habe
keinen Einfluss auf die Befristung. Die Einbürgerung der Ehefrau erfolgte zu einem
Zeitpunkt als die Ausweisungsverfügung gegen den Kläger bereits erlassen
gewesen sei. Es sei also für den Kläger als auch für dessen Ehefrau hinreichend
klar gewesen, dass nicht damit zu rechnen ist, dass der Kläger bald wieder in das
Bundesgebiet einreisen dürfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie den Inhalt der vorgelegten Behördenvorgänge (drei Hefter)
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
Die als Verpflichtungsklage statthafte und auch im übrigen zulässige Klage des
Klägers ist in dem aus dem Tenor des Urteils ersichtlichem Umfang auch
begründet. Insoweit ist die Verfügung der Beklagten in der Fassung des
Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt rechtswidrig und
verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Nach § 8 Abs. 2 S. 1 AuslG darf ein Ausländer, der wie der Ehemann der Klägerin
ausgewiesen worden ist, nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin
aufhalten. Nach § 8 Abs. 2 S. 2 AuslG wird auch bei vorliegender Voraussetzungen
eines Anspruches nach diesem Gesetz keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Die
in § 8 Abs. 2 S. 1 und S. 2 AuslG bezeichneten Wirkungen werden nach § 8 Abs. 2
S. 3 AuslG auf Antrag in der Regel befristet.
Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristungsentscheidung sind zwei
Regelungsbereiche zu unterscheiden: Zum einen die Frage, ob eine Befristung
überhaupt in Betracht kommt und zum anderen die Dauer der Frist.
Die Frage, ob überhaupt eine Befristung in Betracht kommt, beurteilt sich danach,
ob ein Regelfall im Sinne der Bestimmungen gegeben ist. In der Regel genügt eine
zeitlich befristete Ausweisung zur Erreichung des damit verfolgten Zweckes.
Ausnahmefälle sind durch einen A-typischen Geschehensablauf gekennzeichnet,
der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der
gesetzlichen Regelung beseitigt. Hierbei müssen überwiegende öffentliche
Interessen vorliegen, die in der Regel dadurch begründet sein müssen, dass der
mit der Ausweisung verfolgte Zweck durch eine zeitlich befristete Fernhaltung aus
dem Bundesgebiet nicht erreicht werden kann. Dabei sind neben dem Gewicht des
Ausweisungsgrundes die mit der Ausweisung verfolgten spezial- und
generalpräventiven Ausweisungszwecke zu berücksichtigen (BVerwG, Beschl. v.
02.05.1996 InfAuslR 1996, 303).
In Ansehung der Ausweisungsverfügung der Beklagten und den dieser Verfügung
zugrundeliegenden strafrechtlichen Verstößen gegen die Rechtsordnung der
Bundesrepublik Deutschland und der mit der Ausweisungsverfügung verfolgten
Zwecke ist, des Umstands, dass der Kläger mit einer deutschen
Staatsangehörigen türkischer Abstammung verheiratet ist und aus der Ehe ein
Kind hervorgegangen ist, das ebenfalls die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt,
hat die Beklagte trotz der erheblichen Straffälligkeit des Klägers zu Recht einen
Regelfall bejaht.
über die Dauer der Frist und die bei ihrer Bemessung zu berücksichtigten
Gesichtspunkte trifft das Gesetz keine Aussage. Es ist allein geregelt, dass die
Frist mit der Ausreise in Lauf gesetzt wird. Gemeint ist damit die erstmalige
Ausreise. Die Festlegung der Frist ist eine Ermessensentscheidung, die sich an den
nach § 40 VwVfG geltenden Grundsätzen auszurichten ist. Für die Befristung der
Sperrwirkung einer Ausweisung bedeutet dies, dass die konkrete Dauer der Frist
nachdem im jeweiligen Einzelfall für die Ausweisung vorgegebenen spezial-
und/oder generalpräventiven Ausweisungszweck zu bemessen ist. Denn auch die
Sperrwirkung soll als gesetzliche Folge der Ausweisung einer künftigen
Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger
erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland vorbeugen, in dem der
Ausländer vom Bundesgebiet ferngehalten wird; dies ist keine zur Ausweisung
hinzutretende Strafe. Die Sperrwirkung teilt mithin den ordnungsrechtlichen
Charakter der Ausweisung und darf daher nur so lange aufrecht erhalten werden,
als der Ausweisungszweck die Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet
noch erfordert oder anders ausgedrückt, wann voraussichtlich die die Ausweisung
begründende Gefahr entfallen ist. Bei dieser Prognose sind alle wesentlichen
Umstände des Einzelfalles - soweit sie von dem Kläger im Rahmen seiner aus § 70
Abs. 1 AuslG folgenden Mitwirkungspflicht geltend gemacht wurden oder - soweit
sie für die Behörde erkennbar sind, zu berücksichtigen und ihrem Gewicht
entsprechend unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen des behördlichen
Ermessens vor allem des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der
Schutzwirkung der Grundrechte sachgerecht abzuwägen. Besonderes Gewicht
kommt dabei den Umständen zu, die nach den für die gerichtliche Beurteilung der
Rechtmäßigkeit einer Ausweisung maßgebenden Zeitpunkt der letzten
Behördenentscheidung eingetreten sind und die Fortdauer der Sperrwirkung als
ungeeignet, nicht erforderlich oder unangemessen erscheinen lassen. Insoweit ist
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ungeeignet, nicht erforderlich oder unangemessen erscheinen lassen. Insoweit ist
die Befristungsentscheidung Ausdruck des verfassungsrechtlichen Grundsatzes
der Verhältnismäßigkeit.
Ungeachtet einer vom Ausländer ausgehenden Gefahr, die es aus spezial-
oder/und generalpräventiven Gründen abzuwehren gilt, sind im übrigen bei der
Entscheidung über die Befristung strafgerichtlicher Verurteilungen unerheblich, die
nach den Vorschriften des Bundeszentralregisters nicht mehr gegen den
Ausländer verwandt werden dürfen (Ziff. 8.2.4.5 der allgemeinen
Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz vom 07.06.2000). Im Hinblick auf
die Regelungen im Bundeszentralregistergesetz erscheint es bei Ausweisungen
wegen Straftaten sachgerecht, von der jeweiligen Tilgungsfrist des
Bundeszentralregisters als Obergrenze der Dauer der Frist auszugehen.
Vorliegend wurde der Kläger gemäß § 47 Abs. 1 Ziff. 1 AuslG für unbefristete
Dauer aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, nach dem er durch
rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichtes Hanau vom 16.10.1997 zu einer
Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden war. Dem gemäß
hatte die Beklagte entsprechend § 46 Abs. 1 Nr. 4 Bundeszentralregistergesetz
bei ihrer Ermessensausübung von einer Frist von 15 Jahren auszugehen. Denn
nach der zitierten Vorschrift beträgt die Tilgungsfrist im Falle einer Verurteilung zu
einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten ohne Bewährung 15 Jahre. Die
Beklagte hat auch nicht verkannt, dass die sich bei der strafgerichtlichen
Verurteilung jeweils aus dem Bundeszentralregister ergebende Tilgungsfrist die
zeitliche Obergrenze der Befristung darstellt, die in Ansehung der von dem
jeweiligen Ausländer ausgehenden und fortbestehenden spezial- oder
generalpräventiven Gefahr auch geringer sein kann.
Ausgehend von der Obergrenze hat die Ausländerbehörde in Ansehung der vom
jeweiligen Ausländer ausgehenden und fortbestehenden spezial- oder
generalpräventiven Gefahr unter Berücksichtigung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und eventuell betroffener Grundrechte eine
Ermessensentscheidung zu treffen, in die die einzelnen Gesichtspunkte
entsprechend ihrem Gewicht einzustellen sind.
Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, dass die türkische Ehefrau des
Klägers inzwischen nach der Ausweisung des Klägers und seiner Abschiebung
eingebürgert wurde. Für den Fall der zwingenden Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr.
1 AuslG führt die eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen
Staatsangehörigen dazu, dass dem Ausländer der besondere Ausweisungsschutz
nach § 48 Abs. 1 Nr. 4 AuslG zugute kommt mit der Folge, dass die Ist-Ausweisung
zu einer Regelausweisung herabgestuft wird (§ 48 Abs. 3 S. 1 AuslG) und eine
Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung erfolgen darf (§ 48 Abs. 1 S. 1 AuslG). In dieser Situation haben die
Ausländerbehörden zu überprüfen, ob die regelmäßig gebotene Ausweisung
deshalb zu unterbleiben hat, weil ein Sachverhalt so erheblich von der gesetzlich
vorausgesetzten Normalsituation abweicht, dass die Ausweisung ungerecht und
insbesondere unverhältnismäßig erscheint und daher ein Ausnahmefall vorliegt.
Bei der Feststellung eines Ausnahmefalles sind alle Umstände zu berücksichtigen,
die in eine Ermessensentscheidung über eine Ausweisung einzustellen sind, also
neben general- und spezialpräventiven Aspekten insbesondere auch die in § 45
Abs. 2 AuslG aufgeführten Gesichtspunkte. Dabei ist insbesondere auch der
Umstand, dass die Ausweisung die Fortführung der Ehe im Inland unmöglich
macht, als nach § 45 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigender Belang auch dann zu
beachten, wenn erst diese eheliche Lebensgemeinschaft zur Herabstufung der Ist-
Ausweisung zu einer Regelausweisung geführt hat. Denn mit der formalen
Herabstufung, die die individuellen Verhältnisse der Lebensgemeinschaft wie etwa
die Ehedauer oder das besondere Angewiesensein des einen auf den anderen
Ehepartner nicht berücksichtigt, wird dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 nicht
genüge getragen. Ferner muss berücksichtigt werden, dass die Ehefrau des
Klägers als deutsche Staatsangehörige grundsätzlich einen unentziehbaren
Rechtsanspruch darauf hat, in Deutschland eine Ehe zu führen und eine
Ausweisung des Ehepartners daher nur gerechtfertigt ist, wenn die
Ausweisungsgründe schwerwiegend sind und der Verbleib im Inland trotz der Ehe
nicht weiter hingenommen werden kann. Dieser Anspruch wird nicht dadurch
relativiert, dass die deutsche Ehefrau türkischer Abstammung ist und deshalb die
ansonsten noch zusätzlich zu berücksichtigenden Probleme einer Eingewöhnung
des deutschen Ehegatten im Herkunftsstaat des Partners hier geringer wären.
Denn die einer deutschen Staatsangehörigen gewährleistete Rechtsposition wird
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Denn die einer deutschen Staatsangehörigen gewährleistete Rechtsposition wird
nicht durch Gegebenheiten wie eine frühere Ausländereigenschaft relativiert (vgl.
hierzu HessVGH, Beschl. v. 15.07.2003, Az.: 12 TG 1484/03 (V)).
Diese vorgenannten Gesichtspunkte, die im Rahmen einer
Ausweisungsentscheidung zu berücksichtigen sind, sind auch dann einzustellen,
wenn die hier, über die Aufrechterhaltung der Wirkungen einer Ausweisung zu
entscheiden ist. Genau so wie bei einem Ausländer, der während eines laufenden
Ausweisungsverfahrens eine deutsche Staatsangehörige heiratet, eine
sogenannte Ist-Ausweisung zu einer Regelausweisung herabgestuft wird, ist bei der
Frage, ob eine Ist-Ausweisung aufrecht zu erhalten ist, der Umstand zu
berücksichtigen, dass der ausgewiesene Ausländer inzwischen mit einer deutschen
Staatsangehörigen verheiratet ist. Für die Frage der Aufrechterhaltungen der
Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung bedeutet dies, dass inzident zu
prüfen ist, ob die ausgesprochene Ist-Ausweisung auch im Falle ihrer Herabstufung
zu einer Regelausweisung aufrecht erhalten werden kann. Es ist kein Grund
ersichtlich, einen ausgewiesenen Ausländer, der nach seiner Ausweisung eine
deutsche Staatsangehörige geheiratet hat oder dessen Ehefrau infolge einer
Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, rechtlich anders zu
behandeln als einen Ausländer, der im Zeitpunkt seiner Ausweisung bereits mit
einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war. Die Schutzwirkungen von Ehe
und Familie aus Art. 6 GG müssen grundsätzlich in beiden Fallgruppen gleich sein.
Vorliegend hat die Beklagte zwar den Umstand, dass der Kläger mit einer
deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist, in die Überlegungen eingestellt, die
Ausführungen sowohl im Ausgangsbescheid als auch im Widerspruchsbescheid
lassen jedoch erkennen, dass die Ermessensüberlegungen wesentlich davon
geleitet wurden, dass ein Fall der Ist-Ausweisung vorgelegen hat und bei derartigen
schwerwiegenden Ausweisungsgründen die Wirkungen der Ausweisung auch im
Hinblick auf die bestehende Ehe mit einer Deutschen nicht kurzfristig bemessen
werden können. Dabei hat die Beklagte verkannt, dass auch im Rahmen der
Ermessensausübung nach § 8 Abs. 2 S. 3 AuslG die Schutzwirkung des § 48 Abs. 1
Nr. 4 AuslG zu beachten ist und die Wirkungen der Ausweisung nur bei einer
schwerwiegenden Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der darin
zum Ausdruck gelangten besonderen Gefährlichkeit des Ausländers
aufrechterhalten werden dürfen.
Des weiteren wird aus der angegriffenen Entscheidung auch nicht deutlich, dass
die Beklagte den Umstand, dass auch das gemeinsame Kind des Klägers und
seiner deutschen Ehefrau inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben
hat und die familiären Bindungen des Klägers zu dem Kind entsprechend der
Wertentscheidung des Grundgesetzes in die Ermessenserwägungen eingestellt
hat. Insoweit kommt es darauf an, ob der Kläger vor seiner Abschiebung für sein
Kind tatsächlich Lebenshilfe erbracht hat. Lag eine Vater-Kind-Beziehung vor, ist in
die Überlegungen einzubeziehen, welcher Trennungszeitraum dem Kind zumutbar
ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Entwicklung von Kindern sehr schnell
voranschreitet, so dass eine lange Trennungszeit zwischen Kind und Vater sich im
Lichte des Art. 6 Abs. 2 GG als unzumutbar darstellen kann (vgl. hierzu etwa
BVerfG, Beschl. v. 31.08.1999 NVwZ 2000, S. 59).
Hat somit die Beklagte nicht alle Gesichtspunkte entsprechend ihrem Gewicht in
die Ermessenserwägung eingestellt, erweist sich die getroffen
Ermessensentscheidung als fehlerhaft und ist aufzuheben.
Andererseits vermag das Gericht nicht festzustellen, dass sich im Hinblick auf den
Schutzgedanken des Art. 6 GG das Ermessen der Beklagten in der Weise reduziert
hat, dass nur die nachträgliche Befristung der Wirkungen der Ausweisung und
Abschiebung auf einen ganz bestimmten Termin ermessensfehlerfrei wäre.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Kläger in ganz erheblichem Umfang
straffällig geworden ist und von ihm eine erhebliche Störung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung ausgegangen ist. In diesem Zusammenhang ist auch von
Bedeutung, dass sich der Kläger frühere strafgerichtliche Verurteilung nicht hat zur
Wahrung dienen lassen, sondern gleichwohl in gleicher Richtung wieder straffällig
geworden ist und ihm hiervon auch nicht seine Eheschließung und die Geburt
seines Kindes abhalten konnten. Soweit es um die weitere Entwicklung des Klägers
nach seiner Abschiebung geht, ist es Sache des Klägers für ihn sprechende
Umstände darzulegen und nachzuweisen. Insoweit kann es von Bedeutung sein,
ob der Kläger sich in seinem Heimatland nach seiner Abschiebung straffrei geführt
hat. Dies könnte durch Vorlage eines türkischen Strafregisterauszuges und die
Bestätigung der zuständigen Staatsanwaltschaft erbracht werden, dass
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Bestätigung der zuständigen Staatsanwaltschaft erbracht werden, dass
Strafverfahren gegen den Kläger nicht anhängig waren und sind. Da sich aus den
Akten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kläger drogenabhängig war bzw.
Drogen genommen hat, was sich im Rahmen einer Gefahrenprognose negativ für
den Kläger auswirkt, könnte eine Änderung des Lebenswandels und ein
drogenfreies Leben durch Vorlage eines ärztlichen Attestes nachgewiesen werden.
Auch die nicht unerhebliche Frage, ob der Kläger nach seiner Rückkehr in die Türkei
erwerbstätig geworden ist und er sich in das türkische Berufsleben integriert hat,
ist offen. Insoweit hat die Ehefrau des Klägers in der mündlichen Verhandlung
erklärt, dass der Kläger seit Dezember 2003 seinen Militärdienst ableiste. Im
Hinblick auf das Vorleben des Klägers vermag das Gericht jedenfalls derzeit nicht
festzustellen, dass vom Kläger die Gefahr der Wiederholung von Straftaten nicht
mehr ausgeht und damit das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert ist. Soweit
mit der Klage die nachträgliche Befristung von Ausweisung und Abschiebung auf
einen bestimmten Termin begehrt wurde, ist diese daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die getroffene
Kostenentscheidung entspricht dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §
708 Nr., 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.