Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 02.12.2010

VG Frankfurt: grundstück, landwirtschaftlicher betrieb, vorbescheid, stadt, erheblichkeit, vollstreckung, haus, stall, rechtsverletzung, belastung

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Gericht:
VG Frankfurt 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 1163/09.F
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 35 BauGB, § 66 BauO HE
2002
Leitsatz
Vorbescheid, Immissionen, Planungsrecht, Außenbereich, Gebot der Rücksichtnahme
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen zu tragen, die diese selbst zu tragen haben.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Den Klägern bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe der noch festzusetzenden Kostenschuld abzuwenden, falls nicht der
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger wohnen in der D-Straße im Ortsteil E. der Stadt A-Stadt. Die D-Straße
ist die letzte Straße am Ortsrand. Das Gebiet ist als Dorfgebiet im Bebauungsplan
ausgewiesen, es befinden sich dort aber lediglich Wohnhäuser. Außerhalb der
Ortslage, allerdings nur wenige Meter vom Ortsrand entfernt, liegt der Bauernhof
der Beigeladenen, die auf ihrem Haupterwerbsbetrieb von ca. 114 ha Größe,
davon 90 ha Grünland, Milchwirtschaft betreiben. Die Kläger wehren sich – unter
anderem auch zivilgerichtlich – schon seit Jahren gegen den ihrer Ansicht nach zu
großen Lärm und die Geruchsbelästigung für ihr Grundstück, die nach ihrer
Auffassung eine vernünftige Nutzung des Freibereichs kaum ermögliche.
Mit Urteil des erkennenden Gerichts vom 31.01.2007 wurde eine Klage der Kläger
gegen die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Abkalbstalles
auf dem Grundstück der Beigeladenen abgewiesen (Az.: 4 E 5235/05 (2)). Im Urteil
heißt es, die Tatsache, dass das Grundstück der Kläger in einem Dorfgebiet im
Sinne des § 5 BauNVO liege, mindere den Anspruch der Kläger, von dorftypischen
Immissionen, wie sie von einer Rinderhaltung ausgehen, verschont zu bleiben.
Weiter folge eine Vorbelastung daraus, dass das Grundstück im Innenbereich, der
Hof aber im Außenbereich liege. Der Eigentümer eines Wohngrundstücks im
Innenbereich müsse mit dem Heranrücken einer im Außenbereich privilegierten
Bebauung rechnen, was jedoch die Schutzwürdigkeit der vorhandenen
Wohnbebauung nicht aufhebe, jedoch das Maß der Zumutbarkeit bezüglich
typischerweise auftretenden Immissionen von gerade im Außenbereich
privilegierten Vorhaben hebe. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, die zitiert wurde, sei ein hinzukommendes Vorhaben
im Hinblick auf das Rücksichtnahmegebot dann unbedenklich, wenn es zu keiner
stärkeren Belastung führe.
Mit Bauvoranfrage vom 18.04.2008 beantragten die Beigeladenen die
planungsrechtliche Prüfung der Errichtung eines Jungviehstalles und eines
Güllebehälters auf dem Grundstück Gemarkung E., Flur 1, Flurstücke 56/4 und 57.
Nach der Bau- und Betriebsbeschreibung zu der Bauvoranfrage sollen die beiden
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Nach der Bau- und Betriebsbeschreibung zu der Bauvoranfrage sollen die beiden
Vorhaben lediglich der Verbesserung des Haltungsverfahrens und der Minderung
von Geruchsemissionen dienen, eine Erhöhung des Viehbestandes ginge mit den
Baumaßnahmen nicht einher. Das bisher gehaltene Jungvieh (ca. 100 Stück) solle
in dem neuen Stall untergebracht werden, die alten Stallungen sollten zum
Unterstellen von Maschinen und Geräten benutzt werden. Der neue Stall soll
nordöstlich eines bisher vorhandenen Stallgebäudes in einer Größe von 60,40 m x
15,25 m errichtet werden. Die Entfernung der nächstliegenden Gebäudekante der
neuen Stallung zum Haus der Kläger beträgt mindestens 100 m. Der neue
Güllebehälter soll nordwestlich des vorhandenen Güllebehälters errichtet werden,
damit weiter vom Grundstück der Kläger entfernt als der vorhandene. Hier beträgt
die Entfernung zum Haus der Kläger mindestens 150 m (jeweils aus den
Planunterlagen herausgemessen). Im Genehmigungsverfahren nahm das
Sachgebiet Immissionsschutz des Beklagten dahingehend Stellung, dass
gegenüber Wohnhäusern in einem allgemeinen Wohngebiet vom
Emissionsmittelpunkt der Anlage, wie die Betriebsbeschreibung sie angebe, ohne
Berücksichtigung der meteorologischen und orographischen Standorteinflüsse ein
Sicherheitsabstand von ca. 150 m nach der VDI-E3474 (Emissionsminderung-
Tierhaltung) erforderlich sei. Es werde empfohlen, nur dann eine Baugenehmigung
in Aussicht zu stellen, wenn durch Gutachten eines Sachverständigen für
Immissionsschutz in der Landwirtschaft dargelegt werde, dass die von dem
geplanten Jungviehstall mit Güllebehälter und den auf dem Flurstück 56/4 bereits
vorhandenen landwirtschaftlichen Anlagen ausgehenden Gerüche nicht den
Umfang erreichten, dass das Kriterium der Erheblichkeit im Sinne des BImSchG
erfüllt werde. Nach Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens seitens der Stadt
A-Stadt 2008 erging am 04.08.2008 der Vorbescheid, mit dem lediglich die
Prüfung der Bauvoranfrage in bauplanungsrechtlicher Hinsicht erfolgte. Weiter
heißt es dort, dass die beiliegenden Auflagen und Hinweise der Abteilung
Umwelttechnik und Immissionsschutz bei der Planung zu beachten seien. Dieser
Hinweis bezieht sich auf die zuvor zitierte Forderung nach Vorlage eines
Gutachtens hinsichtlich der Erheblichkeit einer Geruchsbeeinträchtigung im
Baugenehmigungsverfahren.
Am 22.08.2008 erhoben die Kläger Widerspruch gegen den Vorbescheid. Sie
rügten ihre unterlassene Anhörung und machten darauf aufmerksam, dass jede
Verstärkung der Geruchsbelästigung ihren Protest hervorrufen würde, was der
Baugenehmigungsbehörde bekannt sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2009 wies der Beklagte den Widerspruch der
Kläger zurück. Der Betrieb der Beklagten sei ein zulässigerweise errichteter,
bestehender landwirtschaftlicher Betrieb. Mit der nunmehr in Aussicht gestellten
Baugenehmigung sei keine Bestandserweiterung des Großviehbestandes
vorgesehen. Es solle lediglich der Viehbestand auf dem Betriebsgelände unter
Einhaltung größerer Abstände zur vorhandenen Wohnbebauung verlagert werden.
Der neue Güllebehälter solle mit einem Dach versehen werden und dadurch
ebenfalls zu einer Reduzierung der Geruchsemissionen beitragen. Im Vorbescheid
sei die Vorlage eines Immissionsgutachtens hinsichtlich der
Geruchsbeeinträchtigung bei Stellung eines Bauantrages gefordert, weshalb eine
Verletzung nachbarlicher Rechte durch den Vorbescheid nicht erkennbar sei.
Am 04.05.2009 haben die Kläger Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter
verfolgen, die Aufhebung des Vorbescheides zu erreichen. Die Kläger sind der
Meinung, dass schon die jetzige Geruchsbelästigung und Lärmbelästigung
unzumutbar sei. Das Vorhaben diene eindeutig der Bestandserweiterung und
bringe zusätzliche Geruchsbelästigungen. Die mehrfachen Ortsbesichtigungen
durch Richter im Zivilprozess gegen die Beigeladenen hätten gezeigt, dass schon
derzeit eine ganz erhebliche Geruchsbelästigung gegeben sei, das Maß des
Zumutbaren sei schon jetzt überschritten. Soweit die Beigeladenen gutachterliche
Stellungnahmen vorgelegt hätten, aus denen sich das Gegenteil entnehmen
lasse, beruhten diese auf fehlerhaften Annahmen, insbesondere einer viel zu
kurzen Zeit der Prüfung einer Geruchsbeeinträchtigung.
Die Kläger beantragen,
den Vorbescheid des Beklagten vom 04.08.2008 zu Gunsten der C. für die
Errichtung eines Jungviehstalles sowie eines Güllebehälters auf dem Grundstück
der Beigeladenen und den darauf bezüglichen Widerspruchsbescheid des
Beklagten vom 31.03.2009 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, das objektive Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt, die
Behauptung der Kläger, die Baumaßnahmen sollten einer Bestandserweiterung
dienen, widersprächen der Betriebsbeschreibung, die Gegenstand des
Bauvorbescheides sei. Die Einhaltung der Vorschriften des
Bundesimmissionsschutzgesetzes könne nicht im Rahmen eines
planungsrechtlichen Vorbescheides überprüft werden.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze sowie den der beigezogenen Behördenvorgänge (1
Blattsammlung) und den der Akte des beigezogenen Gerichtsverfahrens 4 E
5235/05 (2) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig, sie hat jedoch keinen Erfolg, weil der
angefochtene Bauvorbescheid jedenfalls die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt
(§ 113 Abs. 1 VwGO).
Eine Rechtsverletzung Dritter bei Erteilung einer baurechtlichen Genehmigung
setzt voraus, dass in konkretisierte Rechte gerade dieser Dritten eingegriffen wird.
In Frage kommt hier eine als drittschützend anerkannte Verletzung des Gebotes
der Rücksichtnahme, das auch im Rahmen von § 35 BauGB zur Anwendung
kommt. Eine solche Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme kommt jedoch
vorliegend deshalb nicht in Betracht, weil eine Veränderung der Emissionssituation
des Betriebs der Beigeladenen nicht erkennbar wird, schon gar nicht eine solche,
die zu Lasten der Kläger ginge. Gegenstand des erteilten Vorbescheides ist
nämlich nicht, wovon die Kläger allerdings in ihrer Argumentation ausgehen, eine
Betriebserweiterung. Zur Genehmigung gestellt und planungsrechtlich genehmigt
ist lediglich eine Bebauung, die eine anderweitige Unterbringung bisher schon im
Betrieb gehaltener Jungrinder ermöglicht. Der neue Güllebehälter hält einen
weiteren Abstand zum Grundstück der Kläger als der alte, der neue Jungviehstall
rückt ebenfalls nicht näher an die Kläger heran. Weshalb bei dieser Situation eine
Veränderung der Emissionen für das klägerische Grundstück eintreten sollte, bleibt
dem Gericht unerfindlich. Die Kläger haben hierzu auch nichts vorgetragen, außer
dass sie – wie schon im vorhergehenden Verfahren hinsichtlich des Abkalbstalles –
immer wieder betonen, schon jetzt unerträglicher Geruchsbeeinträchtigung
ausgesetzt zu sein und weiter behaupten, die Bauvorhaben dienten einer
Erweiterung des Betriebs der Beigeladenen.
Sind somit weder Anhaltspunkte vorgetragen noch ersichtlich, dass durch den
erteilten Vorbescheid eine Änderung der Immissionsbelastung für das klägerische
Grundstück eintreten könnte, ist der Schutz der Kläger hiergegen auch dadurch
sichergestellt, dass die Beigeladenen bei Stellung eines Bauantrages durch ein
Gutachten nachweisen müssen, dass keine Geruchseinwirkungen auftreten
werden, die das Kriterium der Erheblichkeit im Sinne des BImSchG erfüllen. Eine
Rechtsverletzung der Kläger läge jedenfalls erst dann vor, wenn eine Veränderung
der Emissionen des Hofes der Beigeladenen zu ihren Lasten eintreten würde. Es
ist nämlich weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der landwirtschaftliche
Betrieb der Beigeladenen, der zu den derzeitigen Emissionen führt, den Rahmen
baurechtlich genehmigter Nutzung überschreitet. Das Gericht weist darauf hin,
dass bei Erteilung einer Baugenehmigung bei der dann vorzunehmenden
Interessenabwägung bestehende Vorbelastungen nicht außer Betracht bleiben
dürfen. Was von einem genehmigten Betrieb – legal – an Belastungen verursacht
wird und sich auf eine vorhandene Wohnbebauung auswirkt, kann deren
Schutzwürdigkeit mindern. Nur eine Verschlechterung der Immissionslage könnte
im vorliegenden Fall gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen (vgl. BVerwG, Urt.
v. 21.01.1983 – NVwZ 83, 609 f.). Im Übrigen kann durch technische Maßnahmen,
wie z. B. Abluftfilter, die Emissionslage auch so verändert werden, als würde die
Emissionsquelle einen weiteren Abstand zum beeinflussten Grundstück haben. Ob
allerdings die Emissionslage sich zu Lasten der Kläger bei Durchführung der
geplanten Baumaßnahmen ändert, kann erst anhand einer detaillierten Planung
im Bauantragsverfahren überprüft werden.
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Als unterliegende Beteiligte haben die Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die
Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen, die sich nicht durch Stellung
eines Antrags am Kostenrisiko beteiligt haben, haben ihre außergerichtlichen
Kosten selbst zu tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V.
m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.