Urteil des VG Düsseldorf vom 24.01.2011

VG Düsseldorf (antragsteller, aufenthaltserlaubnis, antrag, einreise, aufschiebende wirkung, aufenthalt, verschlechterung des gesundheitszustandes, schengen, bezug, wirkung)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 27 L 1633/10
Datum:
24.01.2011
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
27. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
27 L 1633/10
Schlagworte:
Drittstaat Kurzaufenthalt Visum Sichtvermerk Fiktion Eheschließung
Normen:
AufenthG § 5 Abs 2 AufenthG § 28 Abs 1 AufenthG § 81 Abs 3 AufenthV
§ 15 AufenthV § 39 VO (EG) Nr 539/2001 Art 1 Abs 2 SDÜ Art 20 Abs 1
Leitsätze:
Zur Berechnung der Dauer des Kurzaufenthaltsrechts eines
visumsfreien Drittstaatsangehörigen im Fall der zwischenzeitlichen
Rückkehr.
Die Annahme einer Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG
setzt voraus, dass der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in
zeitlicher Nähe zu dem vorangegangenen rechtmäßigen Aufenthalt
steht. Bei der näheren Bestimmung der zeitlichen Grenze sind die
Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des rechtmäßigen
Voraufenthalts zu berücksichtigen.
Zur Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Bestimmung des
Aufenthaltszwecks, nach dem sich richtet, ob der Ausländer im Sinne
des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG mit dem erforderlichen Visum
eingereist ist.
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abge-lehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Der sinngemäß gestellte Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung der Klage vom 5. Oktober 2010 Az.: 27 K 6627/10 -
gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 30. September 2010 -
Az.: 00/00 xx 000000 - hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis und
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung anzuordnen,
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hat keinen Erfolg.
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1. Hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis ist der Antrag bereits mangels
Rechtsschutzinteresses unzulässig.
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Die Eignung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
zur Verbesserung der Rechtsposition des Antragstellers wäre nur zu bejahen, sofern
und soweit die angegriffene Versagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 30.
September 2010 die Wirkung eines belastenden Verwaltungsaktes hat, indem sie ein
Bleiberecht des Antragstellers in Form einer auf Grund von § 81 Abs. 3 oder 4 des
Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern
im Bundesgebiet (AufenthG) entstandenen Fiktionswirkung beendet (vgl. § 58 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Ist dies der Fall, könnte eine Anordnung der aufschiebenden
Wirkung zwar die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG nicht erneut
aufleben lassen,
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- insoweit ist im Hinblick auf § 84 Abs. 2 Satz 1 und 3 AufenthG die zur Fiktionswirkung
gemäß § 69 Abs. 2 oder 3 des früheren Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt
von Ausländern im Bundesgebiet (AuslG) entwickelte Rechtsprechung übertragbar,
wonach es dazu einer Aufhebung der angegriffenen Versagungsverfügung bedarf, vgl.
hierzu BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2000 – 1 C 14.99 -, juris (Rn. 10); OVG NRW,
Beschluss vom 5. November 2001 - 18 B 241/01 -
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würde aber zur Hemmung der Vollziehung der durch die Antragsablehnung vollziehbar
gewordenen Ausreisepflicht führen.
7
Vgl. zu § 69 Abs. 3 AuslG: BVerwG, a.a.O.; OVG NRW, a.a.O., OVG NRW, Beschluss
vom 12. Dezember 2001 - 18 B 1457/01 -, nordrhein-westfälische
Rechtsprechungsdatenbank (NRWE), abrufbar unter: www.nrwe.de (Rn. 6 ff.).
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Die Ausreisepflicht des Antragstellers ist hier aber nicht durch die angegriffene
Versagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 30. September 2010 eingetreten oder
vollziehbar geworden. Diese Verfügung hat keine fiktionsbeendende Wirkung, weil
schon der Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG
nicht ausgelöst hat.
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Eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG scheitert daran, dass der Antragsteller
bisher über keinen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügte.
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Durch den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist aber auch weder eine
Erlaubnisfiktion noch eine Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 AufenthG eingetreten.
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Nach Satz 1 dieser Vorschrift gilt der Aufenthalt eines Ausländers, der sich rechtmäßig
im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, und die Erteilung
eines Aufenthaltstitels beantragt, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als
erlaubt. Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller jedoch nicht, da er sich im
Zeitpunkt der Stellung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28
AufenthG mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 20. Juli 2010 –
eingegangen bei der Antragsgegnerin am Folgetag – nicht mehr rechtmäßig im
Bundesgebiet aufhielt.
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Zwar ist der Antragsteller als Staatsangehöriger der ehemaligen jugoslawischen
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Republik Mazedonien gemäß Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage II der EG-VisaVO
Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der
Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der
Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der
Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumspflicht befreit sind (ABl. L
81 vom 21. März 2001, S. 1) -
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seit dem 19. Dezember 2009
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vgl. Verordnung (EG) Nr. 1244/2009 des Rates vom 30. November 2009 zur
Änderung der EG-VisaVO (ABl. L 336 vom 18. Dezember 2009, S. 1) -
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grundsätzlich für einen Aufenthalt, der insgesamt drei Monate nicht überschreitet, von
der Visumspflicht nach Art. 1 Abs. 1 EG-VisaVO befreit. Auch sieht Art. 20 Abs. 1 des
Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ)
19
am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichnetes Übereinkommen zwischen dem
Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen
Republik, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande
zur Durchführung des am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichneten
Übereinkommens betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den
gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22. September 2000, S. 19) -
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21
vor, dass sich solche sichtvermerksfreien Ausländer in dem Hoheitsgebiet der
Vertragsparteien unter bestimmten weiteren Voraussetzungen frei bewegen können.
Dies hat grundsätzlich – wie in § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorbehalten – zur Folge,
dass der Antragsteller für die einem solchen Kurzaufenthalt dienende Einreise und den
Kurzaufenthalt im Bundesgebiet selbst keines Aufenthaltstitels bedarf (vgl. § 15 der
Aufenthaltsverordnung – AufenthV). Das Recht auf Kurzaufenthalt ist gemäß Art. 20
Abs. 1 SDÜ allerdings auf einen Zeitraum von höchstens drei Monaten innerhalb einer
Frist von sechs Monaten von dem Datum der ersten Einreise an beschränkt (vgl. §§ 1
Abs. 2, 15 AufenthV). Diese Sechsmonatszeiträume können zwar aufeinander folgen.
Die jeweils neue Begründung eines Kurzaufenthaltsrechts setzt jedoch voraus, dass der
Drittstaatsangehörige erneut in den Schengen-Raum einreist und dass diese erneute
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Einreise nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten ab dem Datum seiner zeitlich ersten
(beziehungsweise nachfolgend jeder weiteren diese Frist wahrenden) Einreise in den
Schengen-Raum erfolgt.
Vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 3. Oktober 2006 - Rs. C-241/05 (Bot) -, juris
(Rn. 28 f.); Zeitler, HTK-AuslR / § 15 AufenthV / Kurzaufenthalt 12/2009 Nr. 4.1.
23
Danach war der Aufenthalt des Antragstellers bei Stellung seines Antrags auf Erteilung
der Aufenthaltserlaubnis am 21. Juli 2010 von Art. 20 Abs. 1 SDÜ in Verbindung mit Art.
1 Abs. 2 EG-VisaVO nicht mehr gedeckt. Zwar wäre die Dreimonatsfrist unter
Zugrundelegung der Einreise des Antragstellers in den Schengen-Raum am 16. Mai
2010 bis zum 21. Juli 2010 nicht abgelaufen. Mit dieser Einreise begann jedoch eine
solche Dreimonatsfrist nicht zu laufen. Denn der Antragsteller war nach den nachträglich
von ihm bestätigten Angaben seiner Ehefrau anlässlich der gemeinsamen Anhörung bei
der Antragsgegnerin am 30. Juli 2010 bereits zum Weihnachtsfest 2009 nach
Deutschland gekommen. Ausweislich der Stempel in seinem Reisepass ist er am 23.
Dezember 2009 in das Bundesgebiet eingereist und am 20. März 2010, das heißt
entsprechend § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
24
vgl. zum Rückgriff auf die Bestimmungen des BGB zur Fristberechnung im
vorliegenden Zusammenhang: Zeitler, HTK-AuslR / § 15 AufenthV / Kurzaufenthalt
12/2009 Nr. 4.1; Westphal/Stoppa, Änderungen im Ausländerrecht durch die 9.
Verordnung zur Änderung der Durchführungsverordnung zum Ausländergesetz,
NVwZ 1999, 1280 (1281); vgl. in Bezug auf § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG auch OVG
NRW, Beschluss vom 7. Mai 1999 – 18 B 732/99 -, juris (Rn. 12) -
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26
ohne Berücksichtigung des Tages seiner Einreise nach 87 Tagen wieder ausgereist.
27
Der Zeitraum von sechs Monaten ab dem Datum der ersten Einreise, innerhalb dessen
man sich drei Monate visumsfrei im Schengen-Raum aufhalten darf, endigte daher im
Fall des Antragstellers bezogen auf seine erste Einreise am 23. Dezember 2009
entsprechend §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB erst mit dem Ablauf des 23. Juni
2010 und damit nach seiner Wiedereinreise am 16. Mai 2010, so dass letztere kein
neues Kurzaufenthaltsrecht zu begründen vermochte. Es ist weder geltend gemacht
worden noch sonst ersichtlich, dass der Antragsteller zwischen dem Fristablauf am 23.
Juni 2010 und der Antragstellung am 21. Juli 2010 noch einmal aus dem Schengen-
Raum aus- und wieder eingereist ist. Der Antragsteller hält sich somit nach Ablauf des
mit der Einreise am 23. Dezember 2009 in Anspruch genommenen dreimonatigen
Kurzaufenthaltsrechts, das nach seinem Voraufenthalt von 87 Tagen und den
verbleibenden drei Tagen nach seiner Wiedereinreise mit Ablauf des 19. Mai 2010
endigte (vgl. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1, 191 BGB), illegal in Deutschland auf.
28
Offenbleiben kann bei alledem, ob die Annahme eines fortwährenden
Kurzaufenthaltsrechts am 21. Juli 2010 bereits daran scheitert, dass der damals noch
unverheiratete Antragsteller am 16. Mai 2010 nach eigenen Angaben in der Anhörung
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vom 30. Juli 2010 ohne Geld und arbeitslos wieder einreiste (vgl. Art. 20 Abs. 1 SDÜ in
Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchstabe c SDÜ a.F. und Art. 5 Abs. 1 Buchstabe c, Art.
39 Abs. 1 und 3 des Schengener Grenzkodex).
Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.
März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch
Personen (ABl. L 105 vom 13. April 2006, S. 1).
30
Der Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28
AufenthG vom 21. Juli 2010 hat auch die Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 2
AufenthG nicht ausgelöst.
31
Ähnlich wie im Rahmen des § 81 Abs. 4 AufenthG
32
vgl. hierzu zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 19. April 2010 – 18 B 195/10 -, juris
(Rn. 4 ff.) -
33
34
löst ein Antrag die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur dann aus,
wenn er in zeitlicher Nähe zu dem vorangegangenen rechtmäßigen Aufenthalt steht.
35
So auch Benassi, Rechtsfolgen der Beantragung eines Aufenthaltstitels, InfAuslR 2006,
178 (179); ihm folgend Albrecht in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Kommentar
zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., § 81 Rn. 12; a.A. Sperlich in:
Blechinger/Bülow/Weißflog, Das neue Zuwanderungsrecht, Stand: Juni 2007, Kapitel
3/20.5.2 S. 5 und 15; Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz
(GK-AufenthG), Stand: Oktober 2010, § 81 Rn. 20.2; Renner, Ausländerrecht –
Kommentar, 8. Aufl., § 81 Rn. 29.
36
Denn Satz 2 regelt den Anschlussaufenthalt an einen solchen rechtmäßigen Aufenthalt.
Sinn dieser Vorschrift ist es, ein Privileg durch die Fiktion geduldeten Aufenthalts zu
gewähren. Sowohl der geschilderte inhaltliche Zusammenhang als auch der Zweck des
§ 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erfordern eine zeitliche Nähe des Antrags zum
rechtmäßigen Aufenthalt.
37
Vgl. Benassi, a.a.O.
38
Hierfür spricht auch der vom Gesetzgeber verwendete Begriff der Verspätung, der
sprachlich bereits voraussetzt, dass zwei Umstände zueinander in einem konkreten
zeitlichen Bezug stehen.
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Vgl. zu diesem begrifflichen Verständnis im Hinblick auf § 81 Abs. 4 AufenthG OVG
NRW, Beschluss vom 23. März 2006 – 18 B 120/06 -, juris (Rn. 35).
40
Ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der erst längere Zeit nach Ablauf
des Zeitraums gestellt wird, in dem sich der Ausländer ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig
41
im Bundesgebiet aufgehalten hat, ist nicht verspätet, sondern vom Voraufenthalt
losgelöst. Dementsprechend muss der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
zur Annahme einer Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG an den
rechtmäßigen Voraufenthalt anknüpfen. Ein solcher Bezug ist zeitlich nicht grenzenlos
anzunehmen. Ihm kann allein ein längerer Zeitablauf entgegenstehen.
Nur so lässt sich auch der Wertungswiderspruch zwischen den Vorschriften des § 81
Abs. 3 und 4 AufenthG weitestgehend vermeiden.
42
So auch Sperlich, a.a.O., S. 15.
43
Denn es ist sachlich nicht gerechtfertigt, säumigen Ausländern, die sich unter
Umständen schon viele Jahre legal im Bundesgebiet aufgehalten haben, kein
vorläufiges Aufenthaltsrecht zuzuerkennen, während säumige Ausländer, die nur über
den relativ schwachen Aufenthaltsstatus des visumsfrei eingereisten Touristen verfügen,
ein derartiges Recht erhielten.
44
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. März 2006 – 18 B 120/06 -, juris (Rn. 33).
45
Ein solcher Wertungswiderspruch würde aber auch dann eintreten, wenn man mit der
Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG
NRW), der sich die Kammer angeschlossen hat, davon ausgeht, dass nur die
Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten haben und
nach dessen Ablauf, aber noch in einem inneren Zusammenhang, insbesondere in
zeitlicher Nähe zu diesem die Verlängerung dieses oder die Erteilung eines anderen
Aufenthaltstitels beantragen, ein vorläufiges Bleiberecht besitzen,
46
so zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 19. April 2010 – 18 B 195/10 -, juris (Rn. 4
ff.) -
47
48
während Ausländer, die visumsfrei eingereist sind, zeitlich unbegrenzt durch einen nach
Ablauf ihres Aufenthaltsrechts gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
in den Genuss der Duldungsfiktion kämen.
49
Bei der näheren Bestimmung der zeitlichen Grenze, bis zu der noch von einer
Verspätung gesprochen werden kann und der Antrag eines in der Vergangenheit ohne
Titel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig gewesenen Ausländers auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eine Duldungsfiktion auslöst, ist
auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen und die konkrete Situation zu
berücksichtigen, in der sich der betreffende Ausländer befindet.
50
Vgl. Benassi, a.a.O.; Albrecht, a.a.O.
51
Als Anhaltspunkte für eine noch als geringfügig anzusehende und den inneren
Zusammenhang wahrende Fristversäumnis hat der 18. Senat des
52
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) im
Zusammenhang mit der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG bislang die Frist
von sechs Monaten, innerhalb derer nach § 81 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ein
Aufenthaltstitel für ein in Deutschland geborenes Kind zu beantragen ist, sowie die nach
§ 41 Abs. 3 Satz 1 AufenthV für Staatsangehörige privilegierter Staaten geltende Frist
von drei Monaten erwogen.
Vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 19. April 2010 – 18 B 195/10 -, juris (Rn. 10)
m.w.N.
53
Insoweit hat die entscheidende Kammer indes bereits in ihrem Beschluss vom
14. Dezember 2010 – 27 L 1167/10 – dargelegt, dass es unter Berücksichtigung der
gängigen verfahrensrechtlichen Fristen von zwei Wochen, einem Monat oder im
Einzelfall auch zwei Monaten naheliegt, sich bei der Bestimmung der
Geringfügigkeitsgrenze an einem Zeitraum von mehreren Tagen oder Wochen zu
orientieren,
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- vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 28. September 2009 – 19 CS 09.1610 -, juris
(Rn. 4); Sächsisches OVG, Beschluss vom 30. November 2009 – 3 B 174/08 -, juris (Rn.
3) [bis zu einer Woche] -
55
und diese nicht auf Monate auszudehnen. Hierfür spricht gerade in Bezug auf die
vorliegende Konstellation visumsfrei eingereister Ausländer auch, dass insoweit nur für
solche aus wenigen, in § 41 Abs. 1 AufenthV abschließend aufgezählten Staaten – zu
denen die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien nicht zählt – die Frist zur
Beantragung des Aufenthaltstitels auf einen Zeitraum von drei Monaten nach der
Einreise ausgeweitet ist (vgl. § 41 Abs. 3 Satz 1 AufenthV), ansonsten ein
Aufenthaltstitel, der ausnahmsweise im Bundesgebiet eingeholt werden kann, aber
grundsätzlich unverzüglich nach der Einreise beantragt werden muss (vgl. § 81 Abs. 2
Satz 1 AufenthG).
56
Im Übrigen erscheint es sachgerecht, bei dieser Beurteilung im Einzelfall maßgeblich
auf die konkrete Dauer des Aufenthalts abzustellen, an den der Antrag auf Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis anknüpfen soll. Dementsprechend hat auch das OVG NRW
in Fällen des § 81 Abs. 4 AufenthG den erforderlichen inneren Zusammenhang
zwischen dem Antrag eines mit Schengen-Visum eingereisten Ausländers auf Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis und dem Ablauf dieses Aufenthaltstitels unter Hinweis auf
dessen kurze Geltungsdauer jedenfalls dann abgelehnt, wenn der Antrag erst mehr als
zwei Monate nach Ablauf des Besuchsvisums
57
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. April 2010 – 18 B 195/10 -, juris (Rn. 14) -
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beziehungsweise nach Ablauf eines Zeitraums nach Ablauf des Schengen-Visums
gestellt wurde, der nahezu der Geltungsdauer dieses Visums von gut einem Monat
entsprach,
60
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Juli 2010 – 17 B 1219/09 –, nicht veröffentlicht -
61
62
und im Einzelfall nicht besondere Umstände gegeben sind, die eine andere Beurteilung
erfordern.
63
Von diesen Grundsätzen ausgehend hat der Antragsteller seinen Antrag auf Erteilung
einer Aufenthaltserlaubnis nicht mehr in der erforderlichen zeitlichen Nähe zu dem
vorangegangenen rechtmäßigen Aufenthalt gestellt. Abzustellen ist insoweit auf seinen
Aufenthalt nach der am 16. Mai 2010 erfolgten Wiedereinreise. Nach seiner
Wiedereinreise durfte sich der Antragsteller nach obiger Darstellung jedoch nur noch
drei Tage, das heißt bis zum Ablauf des 19. Mai 2010 rechtmäßig im Bundesgebiet
aufhalten. In Anbetracht dieser geringen Länge des verbleibenden Aufenthaltsrechts
wahrt der Antrag des Antragstellers, der erst mehr als zwei Monate nach Ablauf seines
rechtmäßigen Aufenthalts gestellt worden ist, den notwendigen zeitlichen
Zusammenhang mit diesem Aufenthalt nicht mehr. Besondere Umstände, die eine
andere Beurteilung rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.
64
Im Übrigen spricht im Hinblick auf die Begründetheit des Antrags nach § 80 Abs. 5
VwGO Vieles dafür, dass der Antragsteller jedenfalls keinen Anspruch auf Erteilung der
begehrten Aufenthaltserlaubnis hat und der Bescheid der Antragsgegnerin vom
30. September 2010 insoweit rechtmäßig ist. In Betracht kommt allenfalls ein Anspruch
auf ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Antrags in Bezug auf § 5 Abs. 2 Satz 2
Alt. 1 AufenthG, was der weiteren Aufklärung bedürfte.
65
Hinsichtlich des Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 AufenthG bliebe zu klären, ob sich der Antragsteller wirklich nicht zumindest
auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 5 in
Verbindung mit § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), wofür der Umstand sprechen könnte,
dass die Antragsgegnerin ihn ausweislich der Ausländerakte am 30. Juli 2010 recht
umfangreich persönlich angehört hat und aus der angefertigten Niederschrift nicht
ersichtlich ist, dass er sich insoweit eines Sprachmittlers bedienen musste. In Bezug auf
die Regelerteilungsvoraussetzung der Unterhaltssicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG)
ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller insoweit eine von der Antragsgegnerin
bisher nicht gewürdigte Bestätigung einer Arbeitsvermittlungsagentur aus N vorgelegt
hat, derzufolge er bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne Probezeit in ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis als Lagerhelfer mit einem Bruttoverdienst von 1.200,-
Euro vermittelt werden könnte, und bei der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AufenthG vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung abgesehen werden soll
(§ 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG).
66
Allerdings dürfte der Antragsteller nicht – wie von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG
vorausgesetzt – mit dem erforderlichen Visum eingereist sein. Hierfür genügt nicht, dass
die Einreise des Antragstellers zu irgendeinem Zweck erlaubt war. Die Formulierung der
Vorschrift unter Verwendung des bestimmten Artikels ("mit dem erforderlichen Visum")
macht vielmehr deutlich, dass in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG das für den
67
Aufenthaltszweck und die Aufenthaltsdauer im konkreten Fall erforderliche Visum
gemeint ist.
Vgl. Bäuerle in: GK-AufenthG, a.a.O., § 5 Rn. 140, der allerdings irrtümlich von der
Verwendung des unbestimmten Artikels spricht; Hailbronner, Ausländerrecht –
Kommentar, Stand: Oktober 2010, § 5 AufenthG Rn. 47; Renner, Ausländerrecht –
Kommentar, 8. Aufl., § 5 AufenthG Rn. 44; OVG NRW, Beschluss vom 10. April 2007 –
18 B 303/07 -, juris (Rn. 20); a.A. allgemein Zeitler, HTK-AuslR, § 5 AufenthG / zu Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 06/2009 Nr. 2.2 unter Hinweis auf die Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AufenthG, jedoch zustimmend für den hier gegebenen Fall eines von der Visumspflicht
befreiten Drittausländers (unter Nr. 3 zu Abs. 2 Satz 1 Nr. 1).
68
Dabei dürfte es nicht auf den bei der Einreise beabsichtigten, sondern auf den mit dem
aktuellen Antrag verfolgten Aufenthaltszweck ankommen, so dass sich die Frage eines
– hier vom Antragsteller gegebenenfalls geltend gemachten – Sinneswandels und der
Plausibilität seiner Darlegung nicht stellt.
69
Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Juli 2008 – 11 S 1041/08 -, juris (Rn.
13); VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. März 2006 – 13 S 389/06 -, juris (Rn.
10); Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 28. August 2008 – 13 ME 131/08 -, juris
(Rn. 3); wohl auch Hessischer VGH, Beschluss vom 16. März 2005 – 12 TG 298/05 -,
juris (Rn. 6, 8 und 12); Bäuerle in: GK-AufenthG, a.a.O., § 5 Rn. 144 ff.; a.A. Renner,
a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 48; diese Frage nicht problematisierend OVG NRW, Beschluss
vom 10. April 2007 – 18 B 303/07 -, juris (Rn. 20) in einem Fall, in dem der Antragsteller
nach der Überzeugung des Senats die Absicht eines Daueraufenthalts bereits bei der
Einreise hatte.
70
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat hierzu in seinem oben zitierten
Beschluss vom 30. März 2006 ausgeführt:
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"...; für diese Interpretation sprechen neben der Vorgängerregelung die systematische
Stellung des § 5 AufenthG bei den Erteilungsvoraussetzungen, die Tatsache, dass die
frühere, auf den jeweiligen Willen abstellende Vermutungsvorschrift des § 71 Abs. 2
Satz 2 AuslG ersatzlos gestrichen worden ist, und die Amtliche Begründung zu der die
unerlaubte Einreise betreffenden Vorschrift des § 14 AufenthG (BT-Drcks. 15/420 (73)
zu Abs. 1). Danach sollte nämlich durch den Verweis auf die Erforderlichkeit des
Aufenthaltstitels nach § 4 AufenthG angesichts der unterschiedlichen Auffassung in
Rechtsprechung und -lehre klargestellt werden, dass sich die Erforderlichkeit des
Aufenthaltstitels "nach objektiven Kriterien und nicht nach dem beabsichtigten
Aufenthaltszweck bemisst" (BT-Drcks., a.a.O.; s. auch BGH, Urteil vom 27.04.2005 - 2
StR 457/04 -, InfAuslR 2005, 332, und Benassi InfAuslR 2006, 182). Auch die
systematische Selbständigkeit des § 39 AufenthV mit ihrer eigenen differenzierten
Regelung der Einholung eines Aufenthaltstitels erst im Bundesgebiet legt die Annahme
nahe, dass es bei § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Frage der "Erforderlichkeit" nicht
auf den damaligen, sondern auf den nunmehr angestrebten Aufenthaltszweck
ankommt."
72
Dem schließt sich die Kammer an.
73
Ein Visum für einen Daueraufenthalt, auf den die jetzt begehrte Erlaubnis zur
Familienzusammenführung in Deutschland gerichtet ist, besaß der Antragsteller bei
74
Einreise nicht.
Die Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG dürfte vorliegend auch nicht durch
den auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung des § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG
erlassenen § 39 AufenthV verdrängt werden. Denn es spricht Einiges dafür, dass der
Antragsteller keinen der dort aufgeführten Tatbestände erfüllt.
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§ 39 Nr. 3 Alt. 1 AufenthV scheidet deshalb aus, weil der Antragsteller zwar
Staatsangehöriger eines im Anhang II der EG-VisaVO aufgeführten Staates ist, sich
jedoch – wie oben gesehen – in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der
Antragstellung
76
vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, a.a.O., § 81 Rn. 13 zu § 39 Nr. 3 AufenthV;
OVG NRW, Beschluss vom 1. September 2008 – 18 B 943/08 -, juris (Rn. 13) zur
2. Alt. des § 39 Nr. 3 AufenthV -
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nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt.
79
Auch § 39 Nr. 5 AufenthV dürfte nicht eingreifen. Denn die Abschiebung des
Antragstellers war zu keinem Zeitpunkt im Sinne dieser Vorschrift tatsächlich
ausgesetzt, so dass die Frage nach dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt
80
vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2010 – 18 B 180/10 -, juris (Rn. 42
ff.) m.w.N. -
81
82
hier offen bleiben kann. Der Antragsteller ist soweit ersichtlich erstmals mit der
Antragstellung ausländerrechtlich in Erscheinung getreten. Anschließend wurde ihm
eine immer wieder verlängerte "Bescheinigung über die Beantragung einer
Aufenthaltserlaubnis" ausgestellt, in der lediglich festgestellt wurde, dass die
Ausreisepflicht gemäß § 50 Abs. 3 AufenthG nicht vollziehbar sei, bei der es sich aber
jedenfalls nicht um eine Duldung nach § 60a AufenthG handelte. Die nach Erlass der
Versagungsverfügung vom 30. September 2010 am Folgetag erteilte Duldung diente
ausdrücklich lediglich der Vorbereitung der Ausreise und dürfte angesichts ihrer
zeitlichen Nähe zur Ablehnung des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und
zum Erlass der Abschiebungsandrohung ebenso wie eine Duldung, die gegebenenfalls
zum Zweck der Durchführung des vorliegenden, am 5. Oktober 2010 anhängig
gemachten Gerichtsverfahrens ausgesprochen worden ist, für die Anwendung des § 39
Nr. 5 AufenthV nicht genügen.
83
Vgl. zu letzterem OVG NRW, Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 18 B 1244/10 -, nicht
84
veröffentlicht; OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2010 – 18 B 180/10 -, juris (Rn. 46).
Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Aussetzung der
Abschiebung – hier insbesondere aus Art. 6 des Grundgesetzes (GG) – im Zeitpunkt der
Stellung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 21. Juli 2010 hatte
oder aber gegenwärtig hat. Ein Aussetzungsanspruch lag beziehungsweise liegt nicht
schon wegen der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen vor.
85
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 18 B 1244/10 -, nicht
veröffentlicht.
86
Auch die Schwangerschaft seiner Ehefrau, die sich laut vorgelegtem Mutterpass am
7. September 2010 in der 8. Schwangerschaftswoche befand, begründet für den
Antragsteller keinen Duldungsgrund. Es ist weder geltend gemacht worden noch sonst
ersichtlich, dass die Abschiebung des Antragstellers zu einer erheblichen
Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Schwangeren oder des Kindes führen
könnte.
87
Vgl. zu diesem Maßstab: OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2009 – 18 B 1156/09
-, nicht veröffentlicht.
88
Im Übrigen ist davon auszugehen, dass das Visumsverfahren bis zur Geburt seines
Kindes abgeschlossen werden kann. Schließlich liegen keine Anhaltspunkte dafür vor,
dass die vom Antragsteller Mitte Juli 2010 erlittene Augenverletzung
(Hornhautpenetration rechts) seiner Ausreise entgegenstand beziehungsweise -steht.
89
Die Antragsgegnerin hat von der Voraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen
Visum nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen. Die Annahme einer fehlenden
Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2
AufenthG) begegnet dabei ebenso wenig rechtlichen Bedenken wie die Ausübung des
diesbezüglichen Ermessens (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
90
Die Ermessensausübung der Antragsgegnerin in der angegriffenen Verfügung bezieht
sich jedoch nicht auf den Fall, dass sich nach entsprechender Sachverhaltsaufklärung
ergeben sollte, dass die übrigen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen (§ 5 Abs. 2 Satz
2 Alt. 1 AufenthG). Insoweit dürfte die Antragsgegnerin, die von der Nichterfüllung der
Tatbestandsvoraussetzungen der erforderlichen Deutschkenntnisse und der Sicherung
des Lebensunterhaltes ausgegangen ist, ihr Ermessen jedoch nach § 114 Satz 2 VwGO
ergänzen können.
91
2. Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zwar
mangels aufschiebender Wirkung der Klage (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO in
Verbindung mit § 112 Satz 1 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen
(JustG NRW) zulässig, aber unbegründet.
92
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der
Klage anordnen, wenn das Individualinteresse des Antragstellers an der Anordnung der
aufschiebenden Wirkung seiner Klage das – hinsichtlich der Abschiebungsandrohung
durch § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 112 Satz 1 JustG NRW – gesetzlich
angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des
93
Verwaltungsaktes überwiegt. Die hiernach vorzunehmende Interessenabwägung geht
zu Lasten des Antragstellers aus. Die angegriffene Abschiebungsandrohung ist –
abgestellt auf den für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage hier maßgeblichen
Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – offensichtlich rechtmäßig und angesichts
dessen überwiegt auch im Übrigen das Aufschubinteresse des Antragstellers das
Vollzugsinteresse nicht.
Die Abschiebungsandrohung beruht auf § 59 AufenthG. Die für ihren Erlass aufgrund
ihrer Eigenart als vollstreckungsrechtliche Maßnahme vorausgesetzte Ausreisepflicht
(vgl. §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 AufenthG)
94
- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 2009 – 18 A 2620/08 -, zitiert nach Juris
(Rn. 12) -
95
ist hinsichtlich des Antragstellers gegeben. Denn er ist nach dem Ablauf seines
Kurzaufenthaltsrecht aus Art. 20 Abs. 1 SDÜ in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 EG-VisaVO
mit Ablauf des 19. Mai 2010 gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet. Die
Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht setzt die Abschiebungsandrohung anders als die
Abschiebung selbst (vgl. § 58 Abs. 1 AufenthG) nicht voraus.
96
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 2009 – 18 A 2620/08 -, zitiert nach Juris
(Rn. 30 ff.).
97
Sie ist hier mangels Eintritts einer Fiktionswirkung nach Stellung des Antrags auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und aufgrund des gesetzlichen Ausschlusses der
aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung dieses Antrags (§ 84 Abs. 1
Nr. 1 AufenthG) jedoch im Übrigen auch gegeben. Die weiteren gesetzlichen Vorgaben
des § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG für den Erlass der Abschiebungsandrohung sind erfüllt.
Insbesondere ist die dem Antragsteller gesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise von einem
Monat ab Zustellung nicht unangemessen.
98
Die im Übrigen vorzunehmende Interessenabwägung geht angesichts der
offensichtlichen Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ebenfalls zu Ungunsten
des Antragstellers aus.
99
Etwaige Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG, die dem Vollzug der
Abschiebungsandrohung entgegenstehen könnten – insbesondere aus Art. 6 GG im
Hinblick auf die familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau sowie deren
Schwangerschaft – hat der Antragsteller in einem auf Unterlassung der Abschiebung
gerichteten Verfahren nach § 123 VwGO geltend zu machen. In diesem steht es ihm
auch offen, prüfen zu lassen, ob ihm ausnahmsweise ein sicherungsfähiges Recht auf
Durchführung des Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom Inland aus
zusteht. Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit
dem Ziel der Untersagung der Abschiebung und der Erteilung einer Duldung hat der
anwaltlich vertretene Antragsteller indes nicht gestellt. Eine Umdeutung des
ausdrücklich gestellten, in Bezug auf die Versagung der Aufenthaltserlaubnis
unzulässigen und in Bezug auf die Abschiebungsandrohung unbegründeten Antrags
auf Regelung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO in einen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO kommt schon wegen der Andersartigkeit
der Begehren aus prozessualen Gründen nicht in Betracht.
100
Vgl. z.B. OVG NRW, Beschluss vom 19. April 2010 – 18 B 195/10 -, juris (Rn. 14).
101
Zu den genannten Ansprüchen sei aber hier nochmals auf die obigen Ausführungen zu
§ 60a Abs. 2 AufenthG einerseits und §§ 5 Abs. 2 AufenthG, 39 AufenthV andererseits
hingewiesen.
102
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
103
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 2 des
Gerichtskostengesetzes. Sie orientiert sich an den Ziffern 8.1 und 1.5 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 7./8. Juli
2004 in Leipzig beschlossenen Änderungen.
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