Urteil des VG Düsseldorf vom 17.12.2010

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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 2 L 1588/10
Datum:
17.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 1588/10
Schlagworte:
Leistungsvergleich dienstliche Beurteilung Aktualität der Beurteilung
Tenor:
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung auf-
gegeben, die Stelle des Realschulkonrektors an der Abendrealschule S
nicht mit dem Beigeladenen zu besetzen, solange nicht über die
Bewerbung der Antragstellerin unter Beachtung der Rechts¬auf-fassung
des Gerichts erneut entschieden ist.
Der Antragsgegner und der Beigeladene tragen die Gerichtskosten
sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin je zur Hälfte. Im
übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe:
1
Der am 29. September 2010 bei Gericht eingegangene, dem Tenor entsprechende
Antrag hat Erfolg.
2
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines
Rechts der Antragstellerin getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt
oder wesentlich erschwert werden könnte. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in
Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO das Bestehen eines zu sichernden Rechts
(Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft
zu machen.
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Für das von der Antragstellerin verfolgte Begehren besteht zunächst im Hinblick darauf,
dass der Antragsgegner die Absicht hat, die in Streit stehende Stelle alsbald mit dem
Beigeladenen zu besetzen, ein Anordnungsgrund, da durch dessen Ernennung zum
Realschulkonrektor und Einweisung in die freie Planstelle der Besoldungsgruppe A 14
BBesO das von der Antragstellerin geltend gemachte Recht auf diese Stelle endgültig
vereitelt würde.
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Die Antragstellerin hat auch einen ihr Rechtsschutzbegehren rechtfertigenden
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Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Ein Beamter hat zwar keinen Anspruch auf Übertragung eines Beförderungsamtes. Er
hat aber ein Recht darauf, dass der Dienstherr oder der für diesen handelnde
Dienstvorgesetzte eine rechts-, insbesondere ermessensfehlerfreie Entscheidung über
die Vergabe des Beförderungsamtes trifft. Materiell-rechtlich hat der Dienstherr bei
seiner Entscheidung darüber, wem von mehreren Bewerbern er die Stelle übertragen
will, das Prinzip der Bestenauslese zu beachten und Eignung, Befähigung und fachliche
Leistung der Konkurrenten zu bewerten und zu vergleichen (vgl. Art. 33 Abs. 2 GG
sowie § 9 BeamtStG i.V.m. § 20 Abs. 6 Satz 1 LBG NRW). Ist ein Bewerber besser
qualifiziert, so ist er zu befördern. Im Übrigen ist die Entscheidung in das pflichtgemäße
Ermessen des Dienstherrn gestellt. Der Anspruch auf Beachtung dieser Grundsätze ist
nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sicherungsfähig. Soll hiernach die vorläufige
Nichtbesetzung einer Beförderungsstelle erreicht werden, so muss glaubhaft gemacht
werden, dass deren Vergabe an den Mitbewerber sich als zu Lasten des Antragstellers
rechtsfehlerhaft erweist. Hierbei vermag jeder Fehler im Auswahlverfahren,
einschließlich etwaiger Fehler der dabei zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilungen,
den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen, sofern dieser Fehler
berücksichtigungsfähig und potenziell kausal für das Auswahlergebnis ist.
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Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 24. September 2002
2 BvR 857/02 , NVwZ 2003, 200; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen (OVG NRW), Beschlüsse vom 13. September 2001 6 B 1776/00 ,
DÖD 2001, 316, und vom 11. Mai 2005 1 B 301/05 , RiA 2005, 253.
7
Bei der Prüfung des geltend gemachten Bewerbungsverfahrensanspruchs ist im
Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes auch im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes (erforderlichenfalls) derselbe Maßstab wie im Hauptsacheverfahren
anzulegen.
8
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. September 2002 2 BvR 857/02 , a.a.O.;
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 21. August 2003 2 C 14.02 ,
NJW 2004, 870; OVG NRW, Beschluss vom 5. Mai 2006 1 B 41/06 -, juris.
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Hiernach erweist sich die Auswahlentscheidung als zu Lasten der Antragstellerin
rechtsfehlerhaft.
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Allerdings genügt die Entscheidung den formellen Anforderungen.
11
Insbesondere wurde sie in ausreichendem Maße dokumentiert.
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Vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 -, NVwZ 2007, 1178.
13
In dem Besetzungsvermerk der Bezirksregierung E (nachfolgend: Bezirksregierung)
vom 19. August 2010 sind die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich fixiert. Dort
werden mit der Antragsstellerin und dem Beigeladenen die beiden Beamten genannt,
die für die Besetzung der Beförderungsstelle in Betracht kommen. Ferner lassen sich
den Ausführungen die Kriterien entnehmen, nach denen ausgewählt worden ist.
Hiernach sind beide in der dienstlichen Beurteilung mit "üdA" (= "über den
Anforderungen") beurteilt worden. Die Entscheidung ist dann letztlich aufgrund des
deutlich längeren Beförderungsdienstalters zu Gunsten des Beigeladenen getroffen
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worden, welches das Hilfskriterium der Frauenförderung ausschließt. Dabei wurde die
Zeit der Antragstellerin im öffentlichen Schuldienst des Landes Rheinland-Pfalz nicht
berücksichtigt mit der Begründung, sie habe dort die Entlassung beantragt. Dies reicht
aus, um einen Mitbewerber in die Lage zu versetzen, sachgerecht darüber zu befinden,
ob er die Entscheidung des Dienstherrn insgesamt hinnehmen soll oder ob
Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf eine faire und chancengleiche
Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er daher gerichtlichen Eilrechtsschutz in
Anspruch nehmen will.
Ferner ist auch der Personalrat nach §§ 66 Abs. 1, 72 Abs. 1 LPVG ordnungsgemäß
beteiligt worden. Er hat nach einem Informationsgespräch am 2. September 2010
ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet, sodass gemäß § 66 Abs. 2 Satz 8
LPVG die Maßnahme als gebilligt gilt.
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Schließlich ist auch die Gleichstellungsbeauftragte gemäß § 18 Abs. 2 LGG im Hinblick
auf die beabsichtigte Beförderung des Beigeladenen beteiligt worden. Sie hat die
beabsichtigte Maßnahme am 25. August 2010 zur Kenntnis genommen.
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Ungeachtet dessen ist die getroffene Auswahlentscheidung aber in materieller Hinsicht
zu beanstanden.
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Über die Auswahlkriterien des § 9 BeamtStG verlässlich Auskunft zu geben, ist in erster
Linie Sache aktueller dienstlicher Beurteilungen.
18
Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Februar 2003 2 C 16.02 , DÖD 2003, 202, und vom
19. Dezember 2002 2 C 31.01 , DÖD 2003, 200; OVG NRW, Beschlüsse vom
23. Juni 2004 1 B 455/04 , NWVBl 2004, 463, und vom 27. Februar 2004
6 B 2451/03 , NVwZRR 2004, 626.
19
Das Prinzip der Bestenauslese verlangt dabei eine Prognose zur Eignung der Bewerber
für das Beförderungsamt. Dabei kommt es maßgeblich auf deren aktuellen Verhältnisse
an. Entscheidungsgrundlage sind deshalb vorrangig die aktuellen Beurteilungen, weil
sie den aktuellen Leistungsstand der Beamten und dadurch auch deren Eignung für das
Beförderungsamt am besten widerspiegeln.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Mai 2009 – 6 B 179/09 -, www.nrwe.de.
21
Der Antragsgegner hat die Auswahlentscheidung einerseits auf die dienstliche
Beurteilung des Beigeladenen vom 21. April 2010 gestützt, in der dieser mit "übertreffen
die Anforderungen in besonderem Maße" bewertet worden war. Zum anderen hat er
Bezug genommen auf die noch in Rheinland-Pfalz erstellte dienstliche Beurteilung der
Antragstellerin vom 30. Januar 2004, in der diese ein "übertreffen die Anforderungen
deutlich" (die beste von fünf Notenstufen) erhalten hatte.
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Dies begegnet durchgreifenden Bedenken, weil die Beurteilung der Antragstellerin mehr
als sechs Jahre alt und damit nicht mehr hinreichend aktuell ist.
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Anhaltspunkte für die Frage, wann eine Beurteilung noch hinreichend aktuell ist,
ergeben sich aus Nr. 3.4 Abs. 2 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der
Lehrkräfte sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und
Studienseminaren (Runderlass des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom 2.
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Januar 2003, BASS 21 – 02 Nr. 2; nachfolgend: Beurteilungsrichtlinien). Danach kann
von einer nach Nrn. 3.1.3 bis 3.1.5 vorgesehenen Beurteilung abgesehen werden, wenn
eine Beurteilung aus den letzten drei Jahren vorliegt. Wenn auch die dort aufgeführten
Beurteilungsanlässe nicht ohne weiteres mit einer Beförderung zu vergleichen sind,
dürfte sich daraus zumindest eine grundsätzliche zeitliche Tendenz entnehmen lassen.
Auch das OVG NRW sieht grundsätzlich als zeitliche Grenze bzw. als zumindest
"groben Anhalt", ab dem die dienstliche Beurteilung nicht mehr hinreichend aktuell ist,
einen Zeitraum von drei Jahren.
Vgl. Beschlüsse vom 28. März 2003 – 6 B 207/03 – und vom 19. September 2001 – 1
B 704/01 -, DÖD 2001, 315, zu den durch im dreijährigen Turnus geprägte
Regelbeurteilungen der Polizei.
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Diesen zeitlichen Rahmen hat die Beurteilung der Antragstellerin vom 30. Januar 2004
um mehr als das Doppelte und damit deutlich überschritten. Sie ist deshalb als
Grundlage für einen aktuellen Leistungsvergleich der beiden Bewerber ungeeignet. Der
Antragsgegner durfte die Auswahlentscheidung hierauf nicht stützen, zumal er die
Möglichkeit hatte, den aktuellen Leistungsstand der Antragstellerin in Erfahrung zu
bringen. So hätte er etwa bei der Privatschule, an der die Antragstellerin derzeit tätig ist,
anlässlich ihrer Bewerbung um die Beförderungsstelle um die Erstellung einer aktuellen
Anlassbeurteilung nachsuchen können. Oder er hätte unter Auswertung des dort am 25.
Mai 2009 über die Antragstellerin erstellten Leistungsberichtes eine Nachzeichnung
ihrer derzeitigen Leistungen vornehmen können. Das hat er nicht getan.
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Die Auswahlentscheidung ist daher rechtswidrig.
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Unabhängig davon weist die Kammer darauf hin, dass der Dienstherr erst dann auf
Hilfskriterien wie etwa das Dienstalter zurückgreifen darf, wenn alle unmittelbar
leistungsbezogenen Erkenntnisquellen ausgeschöpft und die Bewerber "im
Wesentlichen gleich" einzustufen sind.
28
OVG NRW, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 6 B 1815/09 -, www.nrwe.de.
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Hierzu gehört neben dem Vergleich der Gesamturteile der aktuellen Beurteilungen auch
eine Ausschöpfung (Auswertung) ihrer Inhalte und eine zusätzliche Berücksichtigung
älterer Beurteilungen, die als Erkenntnisse, die über Eignung, Befähigung und fachliche
Leistung Aufschluss geben können, vor den Hilfskriterien heranzuziehen sind.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 2002 – 2 C 31.01 -, ZBR 2003, 359, vom 27.
Februar 2003 – 2 C 16.02 -, ZBR 2003, 420, und vom 21. August 2003 – 2 C 14.02 -,
ZBR 2004, 101.
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Auf die Frage, ob der Beigeladene der Antragstellerin trotz des für sie sprechenden
gesetzlichen Hilfskriteriums der Frauenförderung wegen seines längeren
Beförderungsdienstalters vorzuziehen ist, kommt es nach alledem genauso wenig an
wie darauf, ob die Zeit der Antragstellerin im öffentlichen Schuldienst des Landes
Rheinland-Pfalz deshalb nicht dem Beförderungsdienstalter zugerechnet werden darf,
weil sie auf eigenen Antrag aus dem dortigen Schuldienst entlassen wurde.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Dem Beigeladenen
können Kosten auferlegt werden, weil er einen förmlichen Antrag gestellt hat (vgl. § 154
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Abs. 3 VwGO) und er, ebenso wie der Antragsgegner, in der Sache unterlegen ist.
Die Festsetzung des Streitwerts auf die Hälfte des Auffangwerts beruht auf § 53 Abs. 2
Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Das Gericht lässt die Streitwertbeschwerde nicht gemäß
§ 68 Abs. 1 Satz 2 GKG zu, weil es die gesetzlichen Voraussetzungen nicht für gegeben
erachtet.
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