Urteil des VG Düsseldorf vom 31.05.2002

VG Düsseldorf: gesetzlicher vertreter, gemeindeordnung, stadt, unterzeichnung, kontrolle, hauptsache, minderheit, aussetzung, immobiliengesellschaft, stimmabgabe

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 L 2051/02
Datum:
31.05.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 2051/02
Tenor:
Die Anträge werden abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000,-- Euro festgesetzt.
Der Tenor soll den Beteiligten vorab fernmündlich bekannt gegeben
werden.
Gründe:
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Die am 31. Mai 2002 gestellten Anträge,
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1. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung als Oberbürgermeister der
Stadt E anzuweisen, sich in den Organen der „N Immobiliengesellschaft mbH & Co. KG"
für eine Aussetzung der Unterzeichnung des „Totalunternehmervertrages N" bis zur
nächsten Ratssitzung (6. Juni 2002) auszusprechen,
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2. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung als Oberbürgermeister der
Stadt E anzuweisen, von der für den 31. Mai 2002 geplanten Unterzeichnung einzelner
Verträge bzw. des Vertragsnetzwerkes „N" bis zur Sitzung des Rates der Stadt E am 6.
Juni 2002 abzusehen,
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haben keinen Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf
Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert
werden könnte. Der Erlass einer solchen Sicherungsanordnung setzt voraus, dass der
zu Grunde liegende materielle Anspruch, der Anordnungsanspruch, und die
Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, der Anordnungsgrund, glaubhaft gemacht
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sind (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung
[ZPO]).
Wird eine die Entscheidung der Hauptsache vorwegnehmende einstweilige Anordnung
begehrt, setzt der Erlass der Anordnung voraus, dass das Begehren schon auf Grund
der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden summarischen
Prüfung der Erfolgsaussichten bei Anlegung eines strengen Maßstabes erkennbar
Aussicht auf Erfolg hat.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 13. August 1999 - 2 VR 1/99 -
, BVerwGE 109, S. 258 ff.; Beschluss vom 14. Dezember 1989 - 2 ER 301/89 -,
Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 15.
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Daran scheitert das Antragsbegehren. In der Hauptsache ist es auf Feststellung
gerichtet, dass die Unterzeichnung des Vertragsnetzwerkes „N" in der am 31. Mai 2002
vorgesehenen Form nicht im Einklang steht mit dem Beschluss des Rates der Stadt E
vom 11. März 2002 (Drucksache 01/068/02), und zielt damit der Sache nach auf
Untersagung der für den 31. Mai 2002 beabsichtigten Vertragsunterzeichnung. Die im
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gestellten Anträge nehmen dieses
Hauptsachebegehren faktisch vorweg, zumal gemäß § 7 Abs. 2 des von den
Vertragsparteien bereits unterzeichneten Generalplanungs- und Bauvertrages
Kündigungsrechte ausgelöst werden, wenn bis zum 31. Mai 2002 „ein Einvernehmen
über einen ausschreibungskonformen Vertragsschluss nicht erzielt werden kann".
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Das Begehren des Antragstellers in der Hauptsache hat nach dem bisherigen Sach-
und Streitstand keine hinreichende Aussicht auf Erfolg
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vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 1989 - 2 ER 301/89 -,
a.a.O., S. 2,
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so dass der erforderliche Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist.
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Der Antragsteller wendet sich in seiner Eigenschaft als Mitglied des Rates der Stadt E
gegen die Unterzeichnung des Vertragsnetzwerkes „N E" durch den Antragsgegner in
dessen organschaftlicher Stellung als Hauptverwaltungsbeamter und gesetzlicher
Vertreter der Stadt E und führt zur Begründung an, die Vertragsunterzeichnung sei durch
den Ratsbeschluss vom 11. März 2002 nicht gedeckt. Es handelt sich damit um eine
Rechtsstreitigkeit über die sich aus dem kommunalen Verfassungsrecht ergebenden
Rechte und Pflichten zweier kommunaler Organe bzw. ihrer Mitglieder (so genanntes
Kommunalverfassungsstreitverfahren). Die gegenüber dem Antragsgegner geltend
gemachten Ansprüche, sich in den Organen der „N Immobiliengesellschaft mbH & Co.
KG" für eine Aussetzung der Unterzeichnung des „Totalunternehmervertrages N" am 31.
Mai 2002 auszusprechen und die Unterzeichnung einzelner Verträge bzw. des
Vertragsnetzwerkes „N" am 31. Mai 2002 zu unterlassen, bestünden daher nur dann,
wenn dem Antragsteller als Ratsmitglied eine durch das kommunale Innenrecht
zugewiesene Rechtsposition zukäme, die durch die streitige Vertragsunterzeichnung
beeinträchtigt würde. Eine solche Rechtsposition des Antragstellers, die durch die
beanstandete Maßnahme des Antragsgegners berührt werden könnte, ist nicht
ersichtlich.
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Sie setzte voraus, dass dem Antragsteller ein entsprechendes wehrfähiges Organrecht
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zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesen wäre.
Vgl. allgemein OVG NRW, Urteil vom 24. April 2001 - 15 A 3021/97 - NWVBl. 2002, S.
31, m.w.N.; Beschluss vom 21. Mai 2002 - 15 B 238/02 -; ferner z.B. Held/Becker/
Decker/Kirchhof/Krämer/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen,
Stand: Dezember 2001, § 56 GO NRW, Anm. 3.
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Daran fehlt es hier. Der Antragsteller beruft sich zur Begründung seines Begehrens
darauf, die von dem Antragsgegner beabsichtigte Umsetzung des Ratsbeschlusses vom
11. März 2002 stehe mit dessen Inhalt nicht im Einklang. Dabei handelt es sich der
Sache nach um die Ausübung von Kontrolle gegenüber dem Antragsgegner in seiner
Funktion als Verwaltungsspitze. Es besteht kein innerorganschaftliches
Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner, wonach ein
einzelnes Ratsmitglied hinsichtlich der Umsetzung von Ratsbeschlüssen über
Kontrollbefugnisse verfügte, die es berechtigten, dem Antragsgegner im Stadium der
Durchführung eines Ratsbeschlusses Vorgaben zu machen.
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Gemäß § 55 Abs. 3 GO NRW überwacht der Rat die Durchführung seiner Beschlüsse
sowie den Ablauf der Verwaltungsangelegenheiten (Satz 1). Zu diesem Zweck kann er
vom (Ober-)Bürgermeister Einsicht in die Akten durch einen von ihm bestimmten
Ausschuss oder einzelne von ihm beauftragte Mitglieder verlangen (Satz 2).
Entsprechend heißt es in § 62 Abs. 2 Satz 2 GO NRW, dass der (Ober- )Bürgermeister
die Beschlüsse des Rates unter der Kontrolle des Rates und in Verantwortung ihm
gegenüber durchführt. Danach werden - ungeachtet von Art und Umfang der durch diese
Regelungen zugewiesenen organschaftlichen Befugnisse im Einzelnen - solche
jedenfalls nur zu Gunsten des ausdrücklich genannten Kommunalorganes, mithin des
Rates und - nach § 55 Abs. 4 Satz 1 GO NRW - einer bestimmten Ratsminderheit
begründet, nicht indes zu Gunsten des einzelnen Ratsmitgliedes. Für ein solches
Normverständnis spricht neben dem klaren Wortlaut auch die Systematik der die
Kontrolle der Gemeindeverwaltung betreffenden Vorschriften in der Gemeindeordnung.
Die kommunalverfassungrechtliche Konzeption der Gemeindeordnung, wie sie außer in
§§ 55 und 62 GO NRW zum Beispiel in §§ 40 und 41 GO NRW zum Ausdruck kommt,
geht dahin, dass grundsätzlich der Rat in seiner Gesamtheit, nicht aber der einzelne
Mandatsträger die Verwaltung der Gemeinde zu überwachen, zu kontrollieren und zu
bestimmen hat.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. September 1989 - 15 A 1657/87 -, NWVBl. 1991, S. 115
(116).
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Das einzelne Ratsmitglied ist in Wahrnehmung eigener organschaftlicher
Zuständigkeiten lediglich insoweit an der Kontrolle der Verwaltung beteiligt, als ihm
Fragerechte gegenüber dem (Ober-)Bürgermeister eingeräumt sind, vgl. § 47 Abs. 2
Satz 2 GO NRW.
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Siehe dazu Held/Becker/Decker/Kirchhof/Krämer/Wansleben, a.a.O., § 47 GO NRW,
Anm. 7.1, wonach das Fragerecht der Ratsmitglieder der Kontrolle des Bürgermeisters
zuzuordnen und damit im engen Zusammenhang mit § 55 GO NRW zu sehen sei.
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Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht mit Blick darauf, dass in § 55
Abs. 3 Satz 2 bzw. Abs. 4 Satz 1 GO NRW das einzelne Ratsmitglied im
Zusammenhang mit der Ausübung der Kontrollbefugnisse (Akteneinsichtsrecht)
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angeführt wird. Denn Voraussetzung ist das Vorliegen eines entsprechenden
Ratsbeschlusses oder die Initiative einer bestimmten Minderheit (Fünftel der
Ratsmitglieder). Damit ist aber die Zuständigkeit für die Wahrnehmung der
Kontrollbefugnis auch insoweit dem Rat bzw. der bestimmten Minderheit zugeordnet.
Auch im Übrigen bieten sich keine Anknüpfungspunkte für eine Auslegung von §§ 55,
62 GO NRW, wonach die Kontrollrechte neben dem Rat in seiner Gesamtheit auch
dessen Mitgliedern als Organteil zukommen. Nach der Konzeption der nordrhein-
westfälischen Gemeindeordnung sind die Fälle, in denen den Ratsmitgliedern eigene
Mitgliedschaftsrechte zugeordnet sind, entweder ausdrücklich als solche
gekennzeichnet, vgl. z.B. §§ 45, 47 Abs. 2 Satz 2, 48 Abs. 2 Satz 3, 58 Abs. 1 Sätze 4
und 6 GO NRW. Oder die Zuweisung eigener Organrechte ergibt sich - unter
entsprechender Auslegung der jeweils einschlägigen innerorganisatorischen Norm - mit
Rücksicht auf das Mitwirkungsrecht des einzelnen Ratsmitglieds bei Beschlüssen,
Abstimmungen und Wahlen, das es zwecks Gewährleistung einer freien und effektiven
Willensbildung bereits im Vorfeld der Stimmabgabe zu schützen gilt (z.B. durch das
Recht auf Teilnahme an Sitzungen, Beratungen, Abstimmungen, organisationsinternen
Wahlen, durch Antragsrechte, das Recht auf ordnungsgemäße Ladung zu
Ratssitzungen, Abwehr von die Willensbildung beeinträchtigenden Störungen,
Informationsrechte).
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Vgl. etwa Held/Becker/Decker/Kirchhof/Krämer/Wansleben, a.a.O., § 56 GO NRW, Anm.
3; Rehn/Cronauge, Kommentar zur Gemeindeordnung für Nordrhein- Westfalen, Stand:
März 2001, § 47 Anm. II 3; ferner z.B. OVG NRW, Urteil vom 5. Februar 2002 - 15 A
2604/99 - betreffend den Informationsanspruch von Ratsmitgliedern über den Kreis der
Bewerber um das Amt eines Beigeordneten.
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Eine vergleichbare Sachverhaltskonstellation ist hier nicht gegeben. Der Antragsteller
macht keine Beeinträchtigung von Mitwirkungsrechten bei Beschlüssen, Abstimmungen
und Wahlen geltend, sondern rügt die Umsetzung eines bereits gefassten
Ratsbeschlusses. Da in diesem Stadium, wie dargelegt, die Zuständigkeit für die
Verwaltungskontrolle nach den Regelungen der Gemeindeordnung - vorbehaltlich des
hier nicht einschlägigen Fragerechts nach § 47 Abs. 2 Satz 2 GO NRW - dem Rat
insgesamt überantwortet ist, fehlt es an einem Anknüpfungspunkt für eine Ausweitung
der Kontrollorgane im Wege der Auslegung.
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Dazu, dass die Kontrollbefugnisse nicht dem einzelnen Mandatsträger zustehen,
sondern dem Rat in seiner Gesamtheit, vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 22. September
1989 - 15 A 1657/87 -, NWVBl. 1991, S. 115 (116).
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Zu einer anderen rechtlichen Beurteilung vermag dabei auch nicht die Überlegung zu
führen, dass in Fällen besonderer Dringlichkeit die dem Rat zugewiesenen
Kontrollbefugnisse nicht mehr effektiv wahrgenommen werden könnten, weil eine
Einberufung des Rates zwecks entsprechender Beschlussfassung nicht mehr rechtzeitig
möglich sei. Aus dieser Überlegung lässt sich schon deshalb keine außerordentliche
Wahrnehmungskompetenz einzelner Ratsmitglieder ableiten, weil die
Gemeindeordnung hierfür eine ausdrückliche Regelung bereithält. Die Bestimmungen
in § 60 GO NRW ermöglichen auch in Fällen besonderer Eilbedürftigkeit die Ausübung
der Kontrollrechte, da die Entscheidungsbefugnis des Rates auf den Hauptausschuss
bzw. auf den (Ober-)Bürgermeister und ein Ratsmitglied übergeht.
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Hinsichtlich des Antrages zu 1. ergibt sich eine organschaftliche Rechtsposition des
Antragstellers schließlich auch nicht mit Blick auf § 113 Abs. 1 GO NRW. Soweit § 113
Abs. 1 Satz 2 GO NRW bestimmt, dass die Vertreter der Gemeinde in Organen
juristischer Personen, an denen die Gemeinde beteiligt ist, an die Beschlüsse des Rates
gebunden sind, folgt daraus kein Weisungsrecht des einzelnen Ratsmitgliedes. Auch
insoweit ist die Zuständigkeit ausdrücklich dem Rat zugewiesen, nicht aber dem
einzelnen Mandatsträger.
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Ist die Rechtslage hier eindeutig zu Lasten des Antragstellers zu beurteilen, braucht die
Kammer der Frage nicht mehr nachzugehen, wie sich der Umstand auswirkt, dass der
Antragsteller den dem Gericht unterbreiteten Sachverhalt seit „Mittag des 28. Mai 2002"
kennt, das Gericht aber erst wenige Stunden vor der beabsichtigten
Vertragsunterzeichnung angerufen hat. Allerdings spricht alles dafür, dass sich vor
diesem Hintergrund nicht nur tatsächliche, sondern auch in der Kürze der Zeit nicht
mehr klärbare Zweifel in der rechtlichen Bewertung zu Lasten des Antragstellers
ausgewirkt hätten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.
Im Hinblick auf die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache hat die Kammer für jedes
der beiden Antragsbegehren den Auffangstreitwert ohne Reduzierung zu Grunde gelegt.
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