Urteil des VG Düsseldorf vom 26.04.2007

VG Düsseldorf: bundesamt für migration, aufenthaltserlaubnis, strafverfahren, lebensgemeinschaft, scheinehe, zeugnisverweigerungsrecht, rücknahme, verwaltungsprozess, ermittlungsverfahren, polizei

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 K 5056/06
Datum:
26.04.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 K 5056/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der am 00.0.1965 geborene Kläger stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien, gehört
dem Volk der Roma an und reiste 1993 nach Deutschland ein. Ein nach der Einreise
gestellter Asylantrag blieb ebenso erfolglos wie ein 1998 gestellter Asylfolgeantrag. Am
18. August 1998 heiratete der Kläger in N eine deutsche Staatsangehörige und erhielt
daraufhin von der Ausländerbehörde der Stadt N im Januar 1999 eine bis zum 12.
Januar 2000 befristete Aufenthaltserlaubnis. Bereits im März 1999 kam es zur Trennung
der Eheleute. Zu einem den Ausländerakten nicht zu entnehmenden Zeitpunkt wurde
die Ehe offenbar geschieden.
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Am 18. September 2001 stellte der Kläger einen weiteren Asylfolgeantrag, auf den das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge) durch Bescheid vom 5. Februar 2002 die Durchführung eines
weiteren Asylverfahrens ebenso wie eine Abänderung des Bescheides vom 22. Mai
1998 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG ablehnte. Die dagegen gerichtete Klage
(14 K 966/02.A) nahm der Kläger am 1. Oktober 2002 zurück, nachdem er am 15.
August 2002 in P die deutsche Staatsangehörige D geheiratet hatte. Der Kläger meldete
sich daraufhin in der Wohnung seiner Ehefrau S-straße 00 in P an und erhielt am 18.
November 2002 vom Beklagten eine zunächst bis zum 17. November 2003 befristete
Aufenthaltserlaubnis, die am 23. Oktober 2003 bis zum 22. Oktober 2005 verlängert
wurde. Obwohl der Beklagte unter dem 27. September 2004 und 12. Oktober 2004
Vermerke über das Getrenntleben der Ehegatten aufnahm, wurde die
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Aufenthaltserlaubnis am 11. Oktober 2005 erneut verlängert, und zwar bis zum 10.
Oktober 2007.
Am 15. November 2005 erklärte die Ehefrau des Klägers als Beschuldigte in dem gegen
sie gerichteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der
Scheinehe gegenüber der Polizei, dass sie den Kläger nur zum Schein gegen Zahlung
von Geld geheiratet habe. Weil es ihr wirtschaftlich schlecht gegangen sei, habe sie sich
auf diesen Handel eingelassen. Ihr Ehemann habe eine von ihr aus anderem Grund zu
entrichtende Geldstrafe gezahlt und ferner die Bezahlung der Wohnungsmiete sowie
alle Kosten für die Hochzeit übernommen. Es sei von vornherein klar gewesen, dass die
Ehe nach zwei Jahren wieder geschieden werden sollte, weil der Kläger ein
dauerhaftes Aufenthaltsrecht haben würde. Der Kläger könne kaum deutsch. Man habe
sich mit Händen und Füßen verständigt. Der Kläger habe in der Folgezeit auch immer
pünktlich die Miete bezahlt, ohne jemals in ihre Wohnung in der S-straße eingezogen zu
sein. Am 1. Dezember 2003 sei sie alleine in die H1-straße 00 gezogen. Im September
2004 habe sie sich entschlossen, sich scheiden zu lassen. Der Kläger habe zu dieser
Zeit die Miete nicht mehr zahlen wollen. Er habe sie dann jedoch darum gebeten, die
Scheidung rückgängig zu machen und versprochen, die Miete wieder pünktlich zu
entrichten und ihr monatlich etwa 200,00 Euro extra zu geben. Daraufhin habe sie alles
wieder rückgängig gemacht, einschließlich einer bereits erfolgten
Wohnungsabmeldung. Der Kläger halte sich aber nach wie vor nicht in der Wohnung
auf. Wenn etwas Wichtiges sei, rufe sie ihn an oder fahre zur L-straße, wo seine
Verwandten wohnten. Ungefähr einmal pro Monat komme er vorbei und schaue nach,
ob Post für ihn gekommen sei. Sie - die Ehefrau - habe weder vor der Ehe noch nach
der Eheschließung jemals sexuelle Kontakte zum Antragsteller gehabt. Die Ehe sei nur
darauf ausgerichtet gewesen, dem Kläger einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Bei ihrer
richterlichen Vernehmung vor dem Amtsgericht P (00 Gs 0000/00) am 16. November
2005 schilderte die Ehefrau diesen Sachverhalt ausweislich der darüber gefertigten
Sitzungsniederschrift noch einmal.
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Am 15. November 2005 wurde die Wohnung H1straße 00 auf Grund richterlichen
Beschlusses durchsucht. Ausweislich des Durchsuchungsberichts wurde die Wohnung
offensichtlich von der Ehefrau und ihrer sechsjährigen Tochter allein bewohnt. In der
gesamten Wohnung konnte kein persönlicher Gegenstand des Klägers aufgefunden
werden.
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Nach Anhörung nahm der Beklagte durch Ordnungsverfügung vom 17. Mai 2006 die
dem Kläger am 18. November 2002, am 23. Oktober 2003 und am 11. Oktober 2005
erteilten befristeten Aufenthaltserlaubnisse jeweils mit Wirkung vom ersten Tag der
Gültigkeit an unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung zurück und
drohte dem Kläger die Abschiebung nach Serbien- Montenegro nach Ablauf einer
Ausreisefrist von einem Monat an. Gegen den ihm am 26. Mai 2006 zugestellten
Bescheid erhob der Kläger ohne Begründung am 22. Juni 2006 Widerspruch, den die
Bezirksregierung E durch Bescheid vom 24. August 2006 (zugestellt am 25. August
2006) zurückwies. Zur Begründung hieß es: Dem Kläger sei eine Aufenthaltserlaubnis
erteilt worden, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen von Anfang an nicht
vorgelegen hätten. Vielmehr habe der Kläger den Aufenthaltstitel durch unzutreffende
Angaben, nämlich durch das Vortäuschen einer ehelichen Lebensgemeinschaft
erschlichen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW seien
erfüllt. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei ein Vertrauensschutz des Klägers
zu berücksichtigen. Dabei könnten die in § 48 Abs. 2 VwVfG aufgestellten
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Abwägungsgesichtspunkte, insbesondere die Kriterien aus § 48 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG
entsprechend herangezogen werden. Der Kläger könne sich jedoch nicht auf einen
besonderen Vertrauensschutz berufen, weil er die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis
durch das Vorspielen falscher Tatsachen arglistig erwirkt habe. Denn die
Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen sei lediglich erfolgt, um ihm ein
Aufenthaltsrecht zu verschaffen. Gründe, auf Grund derer dem Kläger der weitere
Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglicht werden müsse, lägen nicht vor und seien auch
nicht vorgetragen worden. Der Kläger habe den überwiegenden Teil seines
Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch
genommen. Sonstige persönliche oder wirtschaftliche Bindungen im Bundesgebiet
seien nicht ersichtlich. Zudem sei der Kläger zweimal bestraft worden. Eine Integration
in die hiesigen Lebensverhältnisse sei offensichtlich nicht erfolgt. Die Rücknahme der
Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung für die Vergangenheit entspreche der gesetzlichen
Regel des § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG. Anhaltspunkte für die Annahme eines
Ausnahmefalles seien nicht ersichtlich. Ein Anspruch auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Zweck bestehe nicht und stehe somit auch einer
Rücknahme nicht entgegen. Insbesondere komme § 31 Abs. 1 AufenthG nicht in
Betracht, weil eine eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen
Ehefrau nie bestanden habe. Die Einhaltung der Jahrsfrist gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1
VwVfG finde im Hinblick auf § 48 Abs. 4 Satz 2 VwVfG keine Anwendung. Unabhängig
davon sei sie gewahrt, denn der Antragsgegner habe von den die Scheinehe
begründenden Umständen durch eine Mitteilung des Polizeipräsidiums P vom 16.
November 2005 Kenntnis erlangt. Die Ordnungsverfügung vom 17. Mai 2006 sei
demgemäß rechtzeitig erlassen worden.
Am 15. September 2006 hat der Kläger Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz
beantragt (24 L 1831/06). Er trägt vor: Das gegen seine Ehefrau in die Wege geleitete
Ermittlungsverfahren sei zwischenzeitlich eingestellt worden. Seitens der
Bezirksregierung L1 sei unter dem 2. Dezember 2005 gemäß § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB
die Aufhebung seiner Ehe beantragt worden. Dieses Verfahren sei zwischenzeitlich
vom Amtsgericht P bis zur Entscheidung im Strafverfahren ausgesetzt worden.
Offensichtlich hätten dem Familiengericht die Erkenntnisse aus der amtlichen
Ermittlungsakte nicht ausgereicht, um dem Aufhebungsantrag statt zu geben. Er - der
Kläger - habe in der Vergangenheit in ehelicher Lebensgemeinschaft gelebt und tue
dies auch heute. Insbesondere seien Gründe für eine sofortige Vollziehung nicht
vorhanden. Es sei zu berücksichtigen, dass die Konsequenzen, die ihm im Falle einer
Abschiebung drohten gewichtiger seien, als das öffentliche Interesse an seiner
Abschiebung.
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Eine Verurteilung in seinem - des Klägers - Strafverfahren sei bis zum heutigen Tag
nicht erfolgt. Das gegen seine Ehefrau ebenfalls in die Wege geleitete
Ermittlungsverfahren sei zwischenzeitlich eingestellt worden.
8
Die Ehefrau sei bei ihrer richterlichen Vernehmung als Beschuldigte nicht darüber
belehrt worden, dass sie bezüglich ihres Ehemannes ein Zeugnisverweigerungsrecht
gehabt habe.
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Der zur mündlichen Verhandlung nicht persönlich erschienene Kläger beantragt,
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die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 17. Mai 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 24. August 2006 aufzuheben.
11
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
13
Er bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der ergangenen Bescheide und trägt
weiter vor: Die Ehefrau des Klägers sei am Tag vor der mündlichen Verhandlung von
zwei Mitarbeitern des kommunalen Ordnungsdienstes in ihrer Wohnung H1-straße 00
aufgesucht worden. Sie habe gegenüber diesen beiden Mitarbeitern erklärt, dass es
sich bei der hier fraglichen Ehe um eine Scheinehe handele.
14
Am 19. Januar 2007 hat die Ehefrau des Klägers beim Beklagten zu Protokoll erklärt,
dass sie seit dem 30. November 2006 von ihrem Ehemann getrennt lebe.
15
Mit Schriftsatz vom 30. März 2007 hat der Kläger vorgetragen, dass er sich wieder bei
seiner Ehefrau aufhalte. Eine entsprechende Verhandlungsniederschrift sei am 29. März
2007 beim Beklagten aufgenommen worden.
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Die zur mündlichen Verhandlung als Zeugin geladene Ehefrau des Klägers hat wegen
ihrer Ehe mit dem Kläger von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
17
Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (24 L 1831/06) hat das Gericht
durch Beschluss vom 4. Januar 2007, den Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 5. Januar 2007 abgelehnt. Die Beschwerde
gegen diese Beschlüsse hat das OVG NRW durch Beschlüsse vom 15. Februar 2007
(18 B 152/07 und 18 E 105/07) zurückgewiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die Akten des
Amtsgerichts P - Familiengericht - betreffend die Aufhebung der Ehe (00 F 0000/00) und
die gleichfalls beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft E1 in dem gegen den Kläger
und seine Ehefrau gerichteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen des
Verdachts der Scheinehe (000 Js 0/00) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
20
Die Klage ist nicht begründet, weil die angefochtene Ordnungsverfügung des Beklagten
rechtmäßig ist (113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die nach Anhörung ergangene Rücknahme der dem Kläger erteilten
Aufenthaltserlaubnisse entspricht den Vorgaben des § 48 VwVfG NRW, dessen
Anwendbarkeit § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nunmehr klarstellt.
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Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar
geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder - wie hier - für die
Vergangenheit zurückgenommen werden.
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Die Anwendung des § 48 VwVfG zur Beseitigung der einem Ausländer erteilten
Aufenthaltserlaubnis ist gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis von vornherein nicht bestanden haben. Bei einem nachträglichen
Wegfall der Voraussetzungen käme nur das Instrument des § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG
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in Betracht.
Die Voraussetzungen für die dem Kläger erstmals am 18. November 2002 erteilte und
am 23. Oktober 2003 sowie am 11. Oktober 2005 verlängerte Aufenthaltserlaubnis zur
Herstellung und Wahrung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit der deutschen
Staatsangehörigen D haben bereits im Zeitpunkt der Erteilung nicht vorgelegen.
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Die Ehefrau des Klägers hat im Rahmen des gegen sie gerichteten und am 22. Juni
2006 gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellten Strafverfahrens zunächst bei ihrer
Beschuldigtenvernehmung vor der Polizei am 15. November 2005 ausdrücklich
eingeräumt, dass sie den Kläger nur deshalb geheiratet habe, weil ihr dafür vom Kläger
Geldleistungen versprochen und erbracht worden seien. Die Ehe sei nur darauf
ausgerichtet gewesen, dem Kläger einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. In die
angebliche Ehewohnung sei der Kläger niemals eingezogen. Wo er wirklich gewohnt
habe, habe sie nicht gewusst. Diese Angaben hat sie bei ihrer richterlichen
Vernehmung durch das Amtsgericht P am 16. November 2005 wiederholt und bestätigt.
26
Dass die Ehefrau des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden
Gericht mit Rücksicht auf ihre Ehe als Zeugin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht (§§
98 VwGO, 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) Gebrauch gemacht hat, hindert das Gericht nicht, die
von ihr im Rahmen des gegen sie selbst gerichteten Strafverfahrens am 15. November
2005 vor der Polizei und am 16. November 2005 vor dem Amtsgericht P zu Protokoll
gemachten Aussagen zu verwerten.
27
Da die Zeugin im vorliegenden Verfahren berechtigterweise die Aussage verweigert hat,
steht sie für eine persönliche Vernehmung als Beweismittel nicht mehr zur Verfügung.
Stattdessen kann gemäß §§ 98 VwGO, 415 ff. ZPO im Rahmen des Urkundenbeweises
auf die Urkunden zurückgegriffen werden, die Angaben der Zeugin zum Bestehen oder
Nichtbestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Kläger enthalten. Hieran
ist das Gericht nicht durch § 252 StPO gehindert, wonach die Aussage eines vor der
Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem
Recht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch macht, nicht verlesen werden darf. Denn §
252 StPO ist im Verwaltungsprozess weder unmittelbar noch analog anwendbar. Die
Vorschrift gehört systematisch nicht zu den Bestimmungen über den Urkundenbeweis.
Sie beruht auf Besonderheiten des Strafverfahrens und sichert das Recht der
Zeugnisverweigerung, indem sie den Berechtigten bis zur Hauptverhandlung frei
darüber entscheiden lässt, ob seine frühere, vielleicht voreilige Aussage verwertet
werden darf. Demgegenüber geht der Schutz der zur Aussageverweigerung
Berechtigten in allen anderen Prozessordnungen weniger weit,
28
vgl. BSG, Urteil vom 21. Oktober 1998 - B 9 VG 6/97 R -, NJW 1999, 1573.
29
Für das Zivilrecht ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt, dass die im
Strafverfahren gemachte Aussage eines im Zivilprozess von seinem
Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden Zeugen nur dann einem
Verwertungsverbot unterliegt, wenn dieser Zeuge im Strafverfahren nicht
ordnungsgemäß belehrt worden ist,
30
vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2002 - VI ZR 1978/01 - NJW 2003, 1123.
31
Da im Verwaltungsprozess gemäß § 98 VwGO die Vorschriften der §§ 358 - 444 und
32
450 - 494 ZPO über die zivilprozessuale Beweisaufnahme entsprechend anzuwenden
sind, das Gesetz hier keine abweichenden Vorschriften enthält und der
Untersuchungsgrundsatz keine andere Betrachtungsweise gebietet, bestehen keine
Bedenken, diese Rechtsprechung auf den Verwaltungsprozess zu übertragen,
vgl. VG Augsburg, Urteil vom 9. Juli 2002 - Au 1 K 02/72 - juris.
33
Hierin liegt keine Aushöhlung des Zeugnisverweigerungsrechts. Denn die persönliche
Entscheidung des Zeugen, nunmehr im gerichtlichen Verfahren das Zeugnis zu
verweigern, wird geachtet und bleibt in jedem Fall unangetastet. Davon unabhängig ist
jedoch die Entscheidung der Frage, ob Niederschriften über frühere Vernehmungen
dieses Zeugen, bei denen er aus freien Stücken eine Aussage gemacht hat, nunmehr zu
Lasten (oder zu Gunsten) der Beteiligten verwertet werden dürfen,
34
vgl. OLG Köln, Urteil vom 15. Juni 1992 - 5 U 191/91 - VersR 1993, 335; Thomas-Putzo,
Zivilprozessordnung, Kommentar, 27. Aufl., München 2005, § 383 Rdnr. 1; Münchener
Kommentar zur Zivilprozessordnung, Band 2, 2. Aufl., München 2000, § 383 Rdnr. 43.
35
Die Ehefrau des Klägers und Zeugin dieses Verfahrens ist im Strafverfahren
ordnungsgemäß vernommen und belehrt worden. Sie ist als damalige Beschuldigte
ausweislich der darüber gefertigten Niederschriften sowohl von der Polizei als auch vom
Amtsgericht darüber belehrt worden, dass es ihr freistehe, sich zu der Beschuldigung zu
äußern oder auch nicht zur Sache auszusagen und jederzeit einen von ihr zu
wählenden Verteidiger zu befragen (§§ 163 a Abs. 4 Satz 2, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO),
36
vgl. hierzu auch OLG Köln a.a.O.
37
Dass die Zeugin bei ihrer richterlichen Vernehmung in dem gegen sie gerichteten
Strafverfahren nur über ihre Rechte als Beschuldigte, nicht aber als Zeugin belehrt
worden ist, ist nicht zu beanstanden. Vielmehr ist das Amtsgericht ordnungsgemäß
verfahren. Ihm blieb gar keine andere Möglichkeit, als die - jetzige - Zeugin seinerzeit
mit Rücksicht auf ihre verfahrensrechtliche Stellung als Beschuldigte zu vernehmen.
Damit schied eine Belehrung über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus. Frau D konnte
nur auf ihre Aussagefreiheit als Beschuldigte hingewiesen werden,
38
vgl. BGH, Urteil vom 16. März 1977 - 3 StR 327/76 - juris.
39
Der Umstand, dass sie im vorliegenden Verwaltungsprozess nunmehr Zeugin ist, ihre
Angaben im Strafverfahren aber als Beschuldigte gemacht hat, hat allein bei der
Beweiswürdigung Berücksichtigung zu finden, nämlich bei der Frage, ob das Gericht die
betreffende Aussage in Ansehung auch dieses Umstands für wahr hält oder nicht,
hindert aber nicht die Verwertung ihrer früheren Aussage,
40
vgl. OLG Köln a.a.O.
41
Die bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung der Ehefrau am 15. November 2005
erfolgte zusätzliche Belehrung, dass sie ein besonderes Zeugnisverweigerungsrecht
habe, wenn sie mit einem der Beschuldigten verheiratet sei, war im Hinblick auf ihren
mitbeschuldigten Ehemann - den Kläger - zwar unzutreffend, weil ein Mitbeschuldigter
nicht die Stellung eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen erlangt,
42
vgl. BGH, Urteil vom 16. März 1977 - 3 StR 327/76 - juris,
43
aber angesichts der gleichwohl gemachten Aussage folgenlos und ist im Übrigen durch
die anschließende richterliche Vernehmung bedeutungslos.
44
Da die die früheren Aussagen der Zeugin enthaltenden Strafakten zum vorliegenden
Verfahren beigezogen wurden (und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers auf
seinen Antrag Einsicht in diese Akten gewährt worden ist) steht ihrer Verwertung im
vorliegenden Verfahren nichts entgegen.
45
Aus den Angaben, die die Ehefrau als Beschuldigte in dem gegen sie gerichteten
Strafverfahren wegen des Verdachts einer Scheinehe gemacht hat, ergibt sich mit
großer Klarheit und unzweideutig, dass sie die Ehe mit dem Kläger ausschließlich zu
dem Zweck geschlossen hat, ihm einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Die Begründung
einer ehelichen Lebensgemeinschaft war danach von Anfang an nicht beabsichtigt und
ist nicht erfolgt. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die
Ausführungen in dem den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der vorliegenden Klage ablehnenden Beschluss des
erkennenden Gerichts vom 4. Januar 2007 (00 L 0000/00) Bezug genommen werden,
worin die Aussagen der Ehefrau bereits gewürdigt worden sind.
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Die Angaben der Ehefrau sind auch ungeachtet des im vorliegenden Verfahren
ausgeübten Zeugnisverweigerungsrechts und in Würdigung des Umstandes glaubhaft,
dass sie sie im Strafverfahren als Beschuldigte gemacht hat. Das Gericht sieht keine
hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Aussagen allein von dem Bestreben der
Ehefrau getragen waren, sich auf Kosten des Klägers zu entlasten. Dagegen spricht
schon der Umstand, dass die Ehefrau mit ihrer Aussage auch den gegen sie erhobenen
strafrechtlichen Vorwurf der Scheinehe erhärtet hat. Allein der Detailreichtum ihrer
Einlassungen unterstreicht vielmehr, dass das Geschehen, wie von ihr geschildert,
tatsächlich vorgefallen ist. Ihre Angaben sind zudem durch das Ergebnis der am 15.
November 2005 auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts P erfolgten
Durchsuchung der angeblichen Ehewohnung H1-straße 00 in P untermauert worden.
Ausweislich des darüber gefertigten Durchsuchungsberichts vom selben Tage wurde
die Wohnung allein von der Ehefrau und ihrer sechsjährigen Tochter bewohnt. In der
gesamten Wohnung konnte kein persönlicher Gegenstand des Klägers aufgefunden
werden. Die Bekundung der Ehefrau, dass der Kläger kaum Deutsch spreche, findet ihre
Entsprechung in dem Umstand, dass er für die mündliche Verhandlung, zu der er
entgegen seiner mit Schriftsatz vom 30. März 2007 bekundeten Absicht, doch nicht
persönlich erschienen ist, um Hinzuziehung eines Dolmetschers gebeten hat. Das
Nichterscheinen des anwaltlich vertretenen Klägers zur mündlichen Verhandlung
wiederum verdeutlicht, dass er entweder kein Interesse daran hatte oder es für
aussichtslos hielt, die bis dahin gemachten Angaben der Ehefrau durch eine eigene
Sachverhaltsdarstellung zu widerlegen. Dabei war der Kläger unter den hier gegebenen
Umständen gehalten, die Zweifel am Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft
auszuräumen. Der Aufenthaltszweck ist vom antragstellenden Ausländer darzutun und
ggf. wenn nicht nachzuweisen, so doch glaubhaft zu machen. Dies gilt nicht nur bei der
Ersterteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sondern auch bei deren Rücknahme, wenn -
wie hier - nachträglich bekannt gewordene erhebliche Bedenken schon gegen das
anfängliche Vorliegen des geltend gemachten Aufenthaltszwecks bestehen,
47
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. August 2005 - 18 B 237/05 -.
48
Dass die ansonsten nur pauschalen Behauptungen des Klägers dazu nicht geeignet
sind, ergibt sich aus den Gründen des im vorläufigen Rechtsschutz ergangenen
Beschlusses vom 4. Januar 2007, auf die auch insoweit verwiesen werden kann. Eine
substanzielle Ergänzung seiner Behauptungen hat der Kläger seither nicht
vorgenommen.
49
Dass der Kläger aus dem bisherigen Gang des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens
sowie des familiengerichtlichen Verfahrens auf Aufhebung seiner Ehe nichts für sich
herleiten kann, ist ebenfalls im Beschluss vom 4. Januar 2007 bereits dargelegt worden.
Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen ebenso verwiesen wie auf die
weiteren Ausführungen des Beschlusses, wonach die angefochtene
Ordnungsverfügung des Beklagten auch im übrigen - einschließlich der
Abschiebungsandrohung - rechtlich nicht zu beanstanden ist.
50
Die vom Kläger beantragte Aussetzung des Verfahrens bis zum Ergehen eines
rechtskräftigen Urteils in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren kam gemäß § 94
VwGO nicht in Betracht, weil das Strafverfahren für das vorliegende Verfahren nicht
vorgreiflich ist.
51
Es bedurfte auch nicht der vom Kläger mit Schriftsatz vom 12. April 2007 angeregten
Vernehmung des Zeugen C zu der Behauptung, dass der Kläger mit seiner Ehefrau
unter der Anschrift H1-straße 00 in P zusammenlebe. Selbst wenn dies derzeit der Fall
wäre, besagte es zur Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ordnungsverfügung, für die auf
den Erlass des am 25. August 2006 zugestellten Widerspruchsbescheides der
Bezirksregierung E vom 24. August 2006 abzustellen ist, nichts. Denn der Kläger hatte
noch mit Schriftsatz vom 30. März 2007 dem Gericht mitgeteilt, dass er sich „wieder" bei
seiner Ehefrau aufhalte, so dass dies auch nach seinem eigenen Vorbringen in einem
nicht näher erläuterten Zeitraum davor nicht der Fall war.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ist nach §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711
ZPO erfolgt.
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