Urteil des VG Düsseldorf vom 24.01.2006

VG Düsseldorf: politische verfolgung, bundesamt für migration, aufschiebende wirkung, asylverfahren, verzicht, rücknahme, asylbewerber, ausnahmecharakter, einverständnis, abschiebung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 K 5138/05.A
Datum:
24.01.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 5138/05.A
Tenor:
Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
vom 21.11.2005 wird insoweit aufgehoben, als darin eine Ausreisefrist
von einer Woche festgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt 3/4 die Beklagte 1/4 der Kosten des Verfahrens, für
das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige und wurde am 00.0.2005 in der
Bundesrepublik Deutschland geboren. Am 10.10.2005 wurde für sie ein Asylantrag als
nach § 14 a Abs. 2 AsylVfG als gestellt erachtet. Mit Schreiben der
Prozessbevollmächtigten vom 11.11.2005 wurde gem. § 14 a Abs. 3 AsylVfG auf die
Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet und erklärt, dass der Klägerin keine
politische Verfolgung drohe.
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Mit Bescheid vom 21.11.2005 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(Bundesamt) fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist und Abschiebungsverbote nach
§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Außerdem forderte es die Klägerin auf, die
Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der
Entscheidung zu verlassen. Andernfalls drohte es die Abschiebung nach Nigeria oder
jeden anderen Staat, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme
verpflichtet ist, an.
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Am 29.11.2005 hat die Klägerin Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf
einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Mit Beschluss vom 22.12.2005 hat das erkennende
Gericht festgestellt, dass die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom
21.11.2005 aufschiebende Wirkung hat ( 1 L 2219/05.A).
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Die Klägerin trägt vor, dass die in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes gesetzte
Ausreisefrist von einer Woche rechtswidrig sei.
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Die Klägerin beantragt schriftlich,
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den Bescheid der Beklagten vom 21.11.2005 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt schriftlich,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung erteilt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Verwaltungs- und Gerichtsakten sowie auf die Auskünfte, auf die die Klägerin
hingewiesen worden ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht durfte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
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Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
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Soweit die Beklagte in Ziffer 3 des Bescheides vom 21.11.2005 eine Ausreisefrist von
einer Woche gesetzt hat, ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren
Rechten.
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Die Ausreisefrist beträgt einen Monat. § 38 Abs. 1 AsylVfG regelt die Dauer der
Ausreisefrist von einem Monat für alle Fälle, in denen der Ausländer nicht als
Asylberechtigter anerkannt wird und keine der eine kürzere Ausreisefrist auslösenden
Sonderregelungen eingreift. Dies ist hier der Fall.
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Für die Klägerin , die als Tochter zweier abgelehnter Asylbewerber am 14.09.2005 in E
geboren wurde, ist auf die Anzeige der zuständigen Ausländerbehörde nach § 14 a Abs.
2 AsylVfG ein Asylverfahren eingeleitet worden. Unter dem 11.11.2005 hat die Klägerin
durch ihre Bevollmächtigten nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG erklären lassen, dass sie auf
die Durchführung eines Asylverfahrens verzichte, da ihr keine politische Verfolgung
drohe. Dementsprechend hat das Bundesamt mit dem angegriffenen Bescheid gemäß §
32 Satz 1 2. Alt. AsylVfG festgestellt, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. Darüber hinaus hat es
gemäß § 34 AsylVfG eine Abschiebungsandrohung erlassen, weil die Klägerin nicht als
Asylberechtigte anerkannt worden ist. Auf diese Verfahrenskonstellation ist für die
darüber hinaus zu treffende Entscheidung, innerhalb welcher Frist die Klägerin
auszureisen hat, um eine Abschiebung abzuwenden, keine der den § 38 Abs. 1 AsylVfG
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verdrängende Sonderregelung anwendbar. Offensichtlich nicht einschlägig sind die §§
36 Abs. 1 (Fälle der Unbeachtlichkeit und offensichtlichen Unbegründetheit) und § 39
Abs. 1 Satz 2 AsylVfG (Abschiebungsandrohung nach unanfechtbarer Aufhebung der
Anerkennung). Auch § 38 Abs. 2 AsylVfG (Ausreisefrist bei Rücknahme des
Asylantrages) ist auf den Fall des Verzichts auf die Durchführung des Asylverfahrens
nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG nicht anwendbar.
Eine unmittelbare Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG auf Fälle des Verzichts nach §
14 a Abs. 3 AsylVfG scheitert am Wortlaut der Regelung, denn sie spricht nur von dem
Fall der Rücknahme des Asylantrages und erwähnt den des Verzichts auf die
Durchführung des Asylverfahrens nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG nicht. Da das
Asylverfahrensgesetz in seinen Regelungen im übrigen die Fälle der Beendigung des
Asylverfahrens durch Verzicht ausdrücklich neben denen der Antragsrücknahme
benennt (§§ 32, 71 Abs. 1 AsylVfG), scheidet eine Subsumtion der
Verfahrenskonstellation des Verzichts auf die Durchführung eines Asylverfahrens nach
§ 14a Abs. 3 AsylVfG unter den Begriff „Rücknahme des Asylantrages" in § 38 Abs. 2
AsylVfG aus.
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§ 38 Abs. 2 AsylVfG kann auch nicht analog auf die Fälle des Verzichts nach § 14a Abs.
3 AsylVfG angewandt werden.
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Gegen eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG spricht schon der
Ausnahmecharakter dieser Vorschrift. Nach § 38 Abs. 1 AsylVfG beträgt die
Ausreisefrist für Asylbewerber, die nicht als Asylberechtigte anerkannt werden, einen
Monat; etwas anderes gilt nur für die Fälle, für die das Gesetz - wie in § 38 Abs. 2
AsylVfG - eine abweichende Regelung trifft. Der Ausnahmecharakter der von § 38 Abs.
1 AsylVfG abweichenden Regelungen ergibt sich auch aus § 75 AsylVfG. Danach löst
eine von § 38 Abs. 1 AsylVfG abweichende Regelung der Ausreisefrist zugleich den
Ausnahmefall des Entfallens der aufschiebenden Wirkung der Klage aus. Als
Ausnahmeregelung ist § 38 Abs. 2 AsylVfG einer analogen und damit erweiternden
Auslegung grundsätzlich nicht zugänglich.
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Für eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG auf die Fälle des Verzichts nach
§ 14 a Abs. 3 AsylVfG fehlt es zudem an der erforderlichen unbeabsichtigten
Regelungslücke. Gegen die Annahme einer solchen spricht schon die Existenz einer
‚Auffangvorschrift' in § 38 Abs. 1 AsylVfG („In den sonstigen Fällen..."). Außerdem
spricht die Regelungssystematik gegen ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen.
Der Gesetzgeber hat durch das Zuwanderungsgesetz vom 30.07.2004 mit § 14 AsylVfG
eine neue Regelung über die Familieneinheit in das Asylverfahrensgesetz eingefügt.
Darin hat er korrespondierend zu der Fiktion des Asylantrages (Absätze 1 und 2) in
Absatz 3 den neuen Beendigungstatbestand des Verzichts auf die Durchführung eines
Asylverfahrens geschaffen. Durch Folgeregelungen in §§ 32 und 71 Abs. 1 AsylVfG hat
er diese neue Verfahrensvariante in die bisherige Verfahrenssystematik eingegliedert.
Hinsichtlich des Entscheidungsprogramms des Bundesamtes sieht er in § 32 AsylVfG
ausdrücklich eine einheitliche Regelung für die Fälle der Antragsrücknahme und die
des Verzichts auf die Verfahrensdurchführung vor. In § 71 Abs. 1 AsylVfG hat er in Satz
2 in Anlehnung an dessen bisherigen, auf § 32a Abs. 1 Satz 4 AuslG bezogenen
Regelungsinhalt ausdrücklich klargestellt, dass der Verzicht auf die Durchführung eines
Asylverfahrens nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG im Hinblick auf einen späteren Asylantrag
dieselben verfahrensrechtlichen Konsequenzen nach sich zieht wie die sonstigen, ohne
Asylanerkennung eingetretenen Verfahrensbeendigungen. Lassen diese Regelungen
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erkennen, dass der Gesetzgeber ausdrückliche und eindeutige Entscheidungen über
die Einordnung der Verfahrensbeendigung durch Verzicht nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG in
die asylrechtliche Verfahrenssystematik getroffen hat, spricht nichts dafür, dass der
Gesetzgeber die Frage, welche Ausreisefrist bei dieser Form von Verfahrensabschluss
gelten soll, übersehen hat.
Schließlich lässt auch die hinter der Schaffung einer verfahrensrechtlichen
Sonderregelung für Familienverbände erkennbare Zielrichtung des Gesetzgebers
keinen Schluss darauf zu, das Eingreifen der Auffangregelung des § 38 Abs. 1 AsylVfG
mit der Folge einer einmonatigen Ausreisefrist und der aufschiebenden Wirkung einer
Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach § 75 AsylVfG sei keinesfalls gewollt
gewesen. Zwar gehört die allgemeine Verfahrensbeschleunigung auch zu den Zielen
des Zuwanderungsgesetzes,
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vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 15/249, S. 61, 65,
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jedoch nimmt die Gesetzesbegründung insoweit nicht Bezug auf die neugeschaffene
Verfahrensregelung des § 14 a AsylVfG. Vielmehr soll mit dieser Vorschrift die
sukzessive Asylantragstellung der Familienmitglieder zum Zwecke der Verlängerung
der Aufenthaltszeiten für sämtliche Mitglieder des Familienverbandes verhindert
werden.
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Vgl. BT-Drs. 15/249, S. 108, zu Nummer 10.
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Dieses Ziel wird durch die Antragsfiktion in § 14 a Abs. 1 und 2 AsylVfG und die
Gleichsetzung eines Verfahrensverzichts nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG mit einem negativ
abgeschlossenen Asylerstverfahrens in § 71 Abs. 1 AsylVfG erreicht. Dass das nach §
14 a Abs. 1 oder 2 AsylVfG automatisch in Gang gesetzte, durch Verzicht nach § 14 a
Abs. 3 AsylVfG beendete Asylverfahren darüber hinaus den erschwerten Bedingungen
einer verkürzten Ausreisefrist und einer sofortigen Vollziehbarkeit der
Abschiebungsandrohung unterworfen sein soll, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht
entnehmen.
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Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Zur Begründung wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffenden Darlegungen in
dem angegriffenen Bescheid verwiesen, denen das Gericht folgt.
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Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11
ZPO.
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