Urteil des VG Düsseldorf vom 31.05.2005

VG Düsseldorf: wider besseres wissen, treu und glauben, aufschiebende wirkung, beitragspflicht, entstehung, verwirkung, gemeinde, widmung, verkehr, vollziehung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 12 L 2718/04
Datum:
31.05.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 L 2718/04
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 155,08 Euro festgesetzt.
Gründe:
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I.
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Die Antragstellerin ist Miteigentümerin des in N1 gelegenen Grundstücks G1, mit der
postalischen Bezeichnung Cstraße 00/Kstraße 00.
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Mit Bescheid vom 11. Mai 2004 zog der Antragsgegner die Antragstellerin -
entsprechend der Höhe ihres Miteigentumsanteils - für die erstmalige Herstellung der
Erschließungsanlage „KStraße von Tweg bis Cstraße" - nach Berücksichtigung einer
Vorausleistung von 225,35 Euro - zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 620,34
Euro heran.
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Hiergegen erhob die Antragstellerin am 5. Juni 2004 Widerspruch. Den zugleich
gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides lehnte der
Antragsgegner mit Schreiben vom 5. Juli 2004 ab.
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Mit dem am 3. September 2004 bei Gericht eingegangenen Aussetzungsantrag macht
die Antragstellerin geltend: Die - im unbeplanten Innenbereich gelegene - KStraße sei
im Bereich von Tweg bis Cstraße, wie im Beitragsbescheid ausgeführt, bereits vor 1962
als öffentliche Straße vorhanden gewesen und dann von 1971 bis 1993 zu einer
Anwohnerstraße (Spielstraße) ausgebaut worden; 1993 sei die Erschließungsanlage
technisch endgültig hergestellt worden. Auf Grund der damaligen Fertigstellung der
Erschließungsanlage könne im Jahre 2004 kein Erschließungsbeitrag mehr erhoben
werden; der Beitragsanspruch sei verjährt, jedenfalls aber verwirkt. Es sei bereits
zweifelhaft, ob es sich bei dem Ausbau der KStraße zur Anwohner- /Spielstraße um
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eine erstmalige Herstellung handele; denn die Straße habe, wovon auch der
Antragsgegner ausgehe, schon vor 1962 dem öffentlichen Verkehr gedient. Jedenfalls
sei diese Erschließungsanlage spätestens 1993 endgültig hergestellt worden, so dass
die (Festsetzungs-)Verjährung am 31.12.1993 zu laufen begonnen habe. Der
Antragsgegner könne sich nicht darauf berufen, dass die Merkmale der endgültigen
Herstellung nach der EBS 1988 insoweit nicht erfüllt gewesen seien, als die KStraße
keine Gehwege "mit Abgrenzung gegen die Fahrbahn" aufgewiesen habe. Bei
Spielstraßen sei der "niveaugleiche Ausbau" die Regel und habe auch im konkreten
Fall dem Bauprogramm des Antragsgegners entsprochen. Die Baumaßnahme sei 1993
abgeschlossen worden. Der Antragsgegner sei auch bereits spätestens 1995 in
mehreren Verfahren vom Verwaltungsgericht darauf hingewiesen worden, dass die
seinerzeit geltende Erschließungsbeitragssatzung (EBS 1988) insoweit lückenhaft sei,
und dabei gleichsam aufgefordert worden, die Satzung in dieser Hinsicht zu verbessern.
Vor diesem Hintergrund erscheine es rechtsmissbräuchlich, dass der Antragsgegner
nicht zumindest zeitnah nach Beendigung der Bauarbeiten an der KStraße im Jahre
1993 die rechtlichen Grundlagen für die Abrechenbarkeit der entstandenen Kosten
geschaffen habe. Aus der Sicht eines objektiven Betrachters habe nach nunmehr 11
Jahren seit Abschluss der Bauarbeiten nicht mehr damit gerechnet werden müssen,
dass jetzt plötzlich Erschließungsbeiträge nacherhoben werden, zumal der
Antragsgegner es wider besseres Wissen jahrelang versäumt habe, seine offenbar
unzureichende Erschließungsbeitragssatzung nachzubessern. Vor den in der EBS 1988
eröffneten Möglichkeiten einer Kostenspaltung oder einer Abweichungssatzung habe
der Antragsgegner ebenfalls bis zum Inkrafttreten der neuen EBS am 1.1.2001 keinen
Gebrauch gemacht. Diese Untätigkeit des Antragsgegners gehe über das bloße
Unterlassen der Beitragseinforderung hinaus und wirke wie ein aktives Tun im Sinne
der Grundsätze über die Verwirkung von Ansprüchen. Wer etwas unterlasse, zu dem er
rechtlich verpflichtet sei, werde nach althergebrachten Grundsätzen so behandelt wie
der, der rechtswidrig eine Handlung vornehme, die er rechtlich nicht vornehmen dürfe.
Der Antragsgegner habe durch seine überlange Untätigkeit bei ihr den Eindruck
erzeugt, dass keine Erschließungskosten für den Ausbau der vorhandenen Straße zur
Anwohnerstraße erhoben werden. Während der 11 Jahre sei auch keine
Zwischennachricht ergangen etwa des Inhalts, dass eine Satzungsänderung geplant sei
und danach eine Abrechnung erfolgen werde. Es sei auch keinerlei Grund dafür
ersichtlich, warum die neue Erschließungsbeitragssatzung oder der Erlass einer
Abweichungssatzung nicht früher in die Wege geleitet worden sei. Aufgrund dieser
Umstände sei der Beitragsanspruch verwirkt. Darüber hinaus müsse sich der
Antragsgegner deshalb aber auch so behandeln lassen, als sei der Beginn der
Festsetzungsverjährungsfrist mit Ablauf des Jahres der Fertigstellung der
Erschließungsanlage eingetreten; infolgedessen habe die Festsetzungsverjährungsfrist
am 31.12.1997 geendet. Im Übrigen werde die Richtigkeit der Ermittlung des
umlagefähigen Erschließungsaufwandes bestritten.
Die Antragstellerin beantragt,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Heranziehungsbescheid des
Antragsgegners vom 11. Mai 2004 anzuordnen.
8
Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Er führt - unter ergänzender Bezugnahme auf die Begründungen des
Heranziehungsbescheids und des Schreibens vom 5. Juli 2004 - im Wesentlichen aus:
Die abgerechnete Erschließungsanlage sei 1993 technisch endgültig hergestellt
worden. Einer förmlichen Widmung habe es nicht bedurft, da die Straße bereits vor 1962
vorhanden gewesen sei und dem öffentlichen Verkehr gedient habe (vgl. § 60 Abs. 2
StrWG). Wegen des niveaugleichen Ausbaus der Erschließungsanlage habe eine
Abrechnung erst nach dem Inkrafttreten der neuen EBS am 1.1.2001 erfolgen können,
weil die frühere EBS 1988 keine diesbezüglichen Herstellungsmerkmale enthalten
habe. Erst mit Inkrafttreten der EBS 2001 seien alle technischen und rechtlichen
Voraussetzungen erfüllt gewesen, um eine Verteilung der Ausbaukosten vorzunehmen.
Eine Verjährung des Beitragsanspruchs komme nicht in Betracht, da der Lauf der
Verjährungsfrist nicht nur die endgültige technische Herstellung voraussetze, sondern
das Entstehen des Beitragsanspruchs; die Verjährungsfrist ende daher erst am
31.12.2005. Auch eine Verwirkung sei nicht eingetreten; ein diesbezügliches aktives
Verhalten seitens des Beitragsgläubigers liege nicht vor.
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Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
12
II.
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Der zulässige Antrag ist nicht begründet, weil keine ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen, die es rechtfertigen, die
Antragstellerin entgegen der Grundregel des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorerst von der
Zahlungspflicht freizustellen (§ 80 Abs. 4, 5 VwGO), und die Vollziehung für die
Antragstellerin auch keine nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene
Härte zur Folge hätte.
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Ernstliche Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO bestehen, wenn auf Grund
summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage und vorrangig ausgehend von den
Einwänden des Antragstellers dessen Obsiegen im Hauptverfahren wahrscheinlicher ist
als sein Unterliegen.
15
Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 25. August 1988 (3 B 2564/85), DÖV 1990, 119, und
vom 17. März 1994 (15 B 3022/93).
16
Die folglich im Aussetzungsverfahren durchzuführende Prognose zu den
Erfolgsaussichten des Rechtsmittels im Hauptverfahren kann dabei nur mit den Mitteln
des Eilverfahrens getroffen werden. Die gerichtliche Überprüfung des Streitstoffes im
Rahmen des Aussetzungsverfahrens findet jedoch ihre Grenze an den Gegebenheiten
des vorläufigen Rechtsschutzes, soll sie nicht Ersatz für das Hauptsacheverfahren
werden, das in erster Linie den Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG vermittelt. Dies
bedeutet zunächst, dass in dem summarischen Verfahren vordringlich nur die Einwände
berücksichtigt werden können, die der Rechtsschutzsuchende selbst gegen die
Rechtmäßigkeit des Erschließungsbeitragsbescheides vorbringt, es sei denn, dass sich
andere Fehler bei summarischer Prüfung als offensichtlich aufdrängen. Ferner folgt
hieraus, dass im vorläufigen Rechtsschutzverfahren weder schwierige Rechtsfragen
ausdiskutiert noch komplizierte Tatsachenfeststellungen getroffen werden können.
17
Vgl. OVG NW, a.a.O.
18
Hiervon ausgehend bestehen nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand keine
ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der erfolgten Heranziehung der
Antragstellerin zu Erschließungsbeiträgen für die Erschließungsanlage „KStraße von
Tweg bis Cstraße".
19
Soweit die Antragstellerin "bezweifelt", ob es sich - mit Blick darauf, dass diese Straße
(auch nach dem Vortrag des Antragsgegners) schon vor 1962 dem öffentlichen Verkehr
gedient habe - bei dem 1992/93 erfolgten Ausbau der KStraße zur Anwohner-
/Spielstraße um eine "erstmalige" Herstellung handele, ist dieser - nicht näher
substantiierte - Vortrag nicht geeignet, dem Aussetzungsantrag zum Erfolg zu verhelfen.
Dies gilt insbesondere auch, sofern das Vorbringen der Antragstellerin dahin zu
verstehen sein sollte, dass es auf die Annahme einer "vorhandenen Straße" im Sinne
von § 242 Abs. 1 BauGB abzielt, wonach für vorhandene Erschließungsanlagen, für die
eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vorschriften nicht
entstehen konnte, nach dem Baugesetzbuch kein Beitrag erhoben werden kann.
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Damit sind aus dem sachlichen Geltungsbereich der §§ 127 ff. BauGB sowohl die
vorhandenen Straßen im Sinne des früheren Preußischen Anliegerbeitragsrechts als
auch die im zeitlichen Geltungsbereich des Preußischen Fluchtliniengesetzes
programmgemäß hergestellten Straßen ausgeschlossen; vgl. BVerwG, Urteil vom 21.
September 1979 (4 C 22, 27, 29.78), ZMR 1980, 221 (224) = BRS 37 Nr. 134; OVG NW,
Urteil vom 9. Februar 1996 (3 A 743/92), OVGE 45, 254; Driehaus, Erschließungs- und
Ausbaubeiträge, 7. Aufl. 2004, § 2 Rdnr. 27, 29 ff. m.w.N.,
21
Die Prüfung der Frage, ob die abgerechnete Erschließungsanlage oder einzelne ihrer
Teileinrichtungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt programmgemäß ausgebaut
waren, setzt nämlich in der Regel umfangreiche tatsächliche Ermittlungen voraus, die
den Rahmen des summarischen Verfahrens überschreiten würden, mit der Folge, dass
auch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür nicht feststellbar ist, dass die
abgerechnete Straße eine vorhandene Straße im Rechtssinne ist.
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Vgl. OVG NW, Beschluss vom 30. März 1990 (3 B 2409/87),
Rechtsprechungssammlung des OVG NW im Erschließungs- und
Erschließungsbeitragsrecht (OVG NW RSE) § 180 BBauG/§ 242 BauGB „vorhandene
Erschließungsanlage".
23
Dies gilt auch im vorliegenden Verfahren, zumal in Anbetracht dessen, dass die
Antragstellerin ihren Vortrag insoweit nicht einmal substantiiert und für einen
"programmgemäßen" früheren Ausbauzustand der abgerechneten Erschließungsanlage
konkret nichts dargetan hat.
24
Hinsichtlich des Vorliegens der (sonstigen) allgemeinen Voraussetzungen für die
Entstehung der Erschließungsbeitragspflicht sind - bei summarischer Prüfung - keine
Bedenken ersichtlich und werden auch von der Antragstellerin dem Grunde nach nicht
erhoben. Soweit sie "die Richtigkeit der Ermittlung des umlagefähigen
Erschließungsaufwandes bestreitet", ist ein solches pauschales Bestreiten unerheblich;
insoweit sind bei summarischer Prüfung auch keine offensichtlichen Fehler erkennbar.
25
Eine Verjährung der Beitragsforderung dürfte hier nicht in Betracht kommen, da die
Beitragspflicht - wie auch die Antragstellerin im Grunde einräumt - erst auf der
Grundlage der am 1.1.2001 in Kraft getretenen Erschließungsbeitragssatzung der Stadt
26
N entstehen konnte. Die frühere Erschließungsbeitragssatzung vom 21.1.1988 setzte
nämlich u.a. als Merkmal der endgültigen Herstellung von Erschließungsanlagen
"Gehwege mit Abgrenzung gegen die Fahrbahn und fester Decke" voraus (§ 13 Abs. 1
Buchst. b). Solche Gehwege bestanden und bestehen jedoch nach dem - von der
Antragstellerin nicht bestrittenen - Vorbringen des Antragsgegners bei der „KStraße von
Tweg bis Cstraße" nicht; vielmehr wurde ein sog. "niveaugleicher Ausbau" durchgeführt.
Eine Herstellung im Rechtssinne konnte deshalb, da seitens der Stadt N insoweit auch
keine besondere Satzungsregelung (Abweichungssatzung) beschlossen wurde, erst
aufgrund des § 9 Abs. 1 S. 2 der (am 1.1.2001 in Kraft getretenen)
Erschließungsbeitragssatzung vom 28. September 2000 erfolgen, worin bestimmt ist,
dass sich die "flächenmäßigen Bestandteile" aus dem Bauprogramm ergeben, welches
für die jeweilige konkrete Anlage verabschiedet wurde. Erst durch die Erfüllung dieser
Herstellungsmerkmale konnte die Beitragspflicht entstehen. Dass
Erschließungsbeiträge auch für die Kosten solcher Erschließungsanlagen erhoben
werden können, die bereits vor dem Inkrafttreten einer Erschließungsbeitragssatzung
technisch endgültig fertiggestellt worden sind, ist in der Rechtsprechung seit langem
anerkannt. Der Vertrauensschutz des Bürgers erstreckt sich allein darauf, dass eine
Inanspruchnahme erst nach Erlass einer Beitragssatzung erfolgt, an Hand deren er die
Herstellung der Anlage und die Berechnung des Beitrages überprüfen kann.
Vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. 2001, § 11 Rdnr. 5, 59
m.w.N. Aus der Rechtsprechung vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 21. September 1973 (IV
C 39.72), Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 46: "Mit einem Bescheid, der aufgrund
einer gültigen Beitragssatzung erlassen wird, können Erschließungsbeiträge auch für
Anlagen oder Teilanlagen gefordert werden, die (ganz oder teilweise) zu einer Zeit
gebaut worden sind, in der eine Beitragssatzung nicht vorhanden war."
27
Der somit am 1.1.2001 entstandene Beitragsanspruch war auf Grund der geltenden
Verjährungsregelungen (vierjährige Verjährungsfrist, vgl. §§ 1 Abs. 3, 12 Abs. 1 Ziffer 4
KAG i.V.m. §§ 169 Abs. 2, 170 Abs. 1 AO) im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides
offensichtlich nicht verjährt. Auf die Frage, aus welchen Gründen sich die Entstehung
der Beitragspflicht verzögert hat und ob diese etwa von der Gemeinde zu vertreten sind,
kommt es für die - allein an den objektiven Tatbestand der Forderungsentstehung
anknüpfende - Verjährung nicht an.
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Auch für eine Verwirkung bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Allein ein Zeitablauf von
etwa 10 Jahren zwischen der technischen Fertigstellung der Anlage und der
Beitragsabrechnung reicht als solcher nicht aus, um die Beitragserhebung als treuwidrig
erscheinen zu lassen. Im Übrigen kann eine Verwirkung erst nach der Entstehung eines
Rechts eintreten,
29
vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1975 (IV C 73.73), BVerwGE 48, 247 = BRS 37 Nr. 166
= Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 52, sowie OVG NW, Urteil vom 12. April 1989 (3 A
1637/88), NVwZ-RR 1990, 435 = NWVBl. 1990, 63,
30
mithin hier erst nach der 2001 erfolgten Entstehung des Beitragsanspruchs. Ein davor
liegendes Verhalten ist insoweit grundsätzlich unerheblich. Weder eine Verzögerung
der Entstehung der Beitragspflicht noch eine Verzögerung, die die Geltendmachung der
entstandenen Erschließungsbeitragsforderung betrifft, führen für sich allein zu einem
Rechtsverlust der Gemeinde nach dem Grundsatz von Treu und Glauben.
31
OVG NW, Urteil vom 12. April 1989 (3 A 1637/88), NVwZ-RR 1990, 435 = NWVBl. 1990,
63.
32
Selbst ein jahrelanges Unterbleiben der Beitragserhebung kann für sich genommen
nicht zur Verwirkung der Beitragsforderung führen. Es muss vielmehr zu einem als
unangemessen erscheinenden Zeitablauf (sog. Zeitmoment) ein positives Verhalten der
Gemeinde hinzukommen, aufgrund dessen der Beitragspflichtige berechtigterweise
darauf vertrauen darf, er werde auf die Zahlung eines Erschließungsbeitrags nicht mehr
in Anspruch genommen (sog. Umstandsmoment, z.B. eine Verzichtshandlung oder eine
entsprechende Auskunft).
33
OVG NW, Beschluss vom 30. März 2005 (3 E 1323/04).
34
Dafür ist hier nichts ersichtlich. Im Übrigen ist auch nichts dafür dargetan, dass sich die
Antragstellerin im Vertrauen darauf, dass die Gemeinde den Beitrag nicht mehr
verlangen wird, auf die Nichterhebung eingerichtet hat und auch Anlass hatte, sich
darauf einstellen zu dürfen (sog. Vertrauensdisposition).
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Vgl. dazu Driehaus, a.a.O., § 19 Rdnr. 46-47.
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Soweit die Antragstellerin geltend macht, es erscheine "rechtsmissbräuchlich", wenn
der Antragsgegner sich darauf berufe, die in der EBS 1988 vorausgesetzten
Herstellungsmerkmale seien insoweit nicht erfüllt gewesen seien, als die "niveaugleich
ausgebaute" KStraße keine "Gehwege mit Abgrenzung gegen die Fahrbahn"
aufgewiesen habe, jedoch trotz wiederholter Hinweise des Verwaltungsgerichts in
mehreren Verfahren (Mitte der 90er Jahre) auf die diesbezügliche "Lücke" in der EBS
1988 keine "Nachbesserung" jener Satzung (bis zum Inkrafttreten der EBS 2001)
vorgenommen und deshalb die Verzögerung der Abrechung zu vertreten habe, ist diese
Rechtsauffassung nicht zutreffend. Der Einzelne hat weder einen Anspruch darauf, dass
eine Erschließungsmaßnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen wird,
noch darauf, dass die entsprechende Beitragsabrechnung "zeitnah" oder gar
"unverzüglich" erfolgt. Auch besteht keine Pflicht der Behörde, eine Straße nach ihrer
(technischen) Herstellung unverzüglich dem öffentlichen Verkehr zu widmen; dem
Einzelnen steht weder ein Anspruch auf Widmung zu noch auf eine fehlerfreie
Ermessensentscheidung darüber, ob und wann eine Straße gewidmet werden soll.
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Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 1992 (2 S 1369/90, JURIS): keine
"unzulässige Rechtsausübung" durch Beitragserhebung in einem solchen Fall, da sich
"die Annahme einer pflicht- oder gesetzwidrigen Unterlassung ... verbietet".
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Entsprechendes gilt hinsichtlich des Erlasses einer (den Anforderungen des
Beitragsrechts genügenden) Erschließungsbeitragssatzung durch die Gemeinde. Auch
insoweit besteht kein subjektiver Anspruch der Beitragspflichtigen, schon gar nicht auf
ein Inkrafttreten zu einem bestimmten Zeitpunkt. Gleiches gilt hinsichtlich des Einsatzes
des Mittels einer Kostenspaltung (§ 127 Abs. 3 BauGB).
39
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 26. September 1983 (8 C 47.82, 8 C 67-69.82), BVerwGE
68, 48 (56); Driehaus, a.a.O., § 20 Rdnr. 2; Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB,
Kommentar, 8. Aufl. 2002, § 127 Rdnr. 44 m.w.N.
40
Eine (finanzielle) Belastung ergibt sich hieraus für die Beitragspflichtigen in allen diesen
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Fällen im Übrigen nicht, da ihre Zahlungspflicht bis zum Vorliegen aller
beitragsrechtlichen Voraussetzungen hinausgeschoben und insoweit ihre Liquidität
geschont wird.
Darauf, ob die endgültige Herstellung im Rechtssinne „verzögert" erfolgt, d.h. erst
längere Zeit nach der technischen Fertigstellung, kommt es daher für die Entstehung der
Beitragspflicht nicht an. Insofern kommt allenfalls - unter der weiteren Voraussetzung
des Fehlens eines sachlich vertretbaren Grundes für die Verzögerung - in Betracht, dass
eine Überwälzung der durch dieses Unterlassen bzw. die Verzögerung entstandenen
Mehrkosten auf die betroffenen Bürger unzulässig ist und insoweit die
Fremdfinanzierungskosten (teilweise) als nicht „erforderlicher" Aufwand im Sinne von §
129 Abs. 1 BauGB anzusehen sind.
42
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2000 (11 C 3.99), BVerwGE 110, 344 =
Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 51 = KStZ 2000, 213; eingehend Driehaus, a.a.O., §
13 Rdnr. 29 und § 15 Rdnr. 21.
43
Der Antragsgegner hat indes - mit Rücksicht auf einen "nicht angemessenen zeitlichen
Zusammenhang" zwischen der technischen Herstellung und der Erfüllung der
rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht (vgl. Bl. 12 der
Abrechnungsakte) - in der Beitragsabrechnung Fremdfinanzierungszinsen lediglich bis
zum 31.12.1997 angesetzt. Insoweit dürfte kein Widerspruch zu der obergerichtlichen
Rechtsprechung und der Praxis der Kammer bestehen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts sind nur solche durch die ungerechtfertigte Verzögerung
entstandene Mehrkosten als nicht „erforderlicher" Aufwand im Sinne des § 129 Abs. 1
BauGB anzusehen, die nach Ablauf eines bestimmten „Vertretbarkeits"-Spielraums
nach technischer Fertigstellung der Erschließungsanlage entstanden sind. Dieser
Rahmen dürfte hier jedenfalls bis zum Ende des zugrundegelegten
Zinsberechnungszeitraums (31.12.1997) nicht überschritten worden sein.
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Vgl. BVerwG, a.a.O., worin beim gegebenen Sachverhalt die Grenze im Jahr der - fünf
Jahre nach technischer Fertigstellung erfolgten - Widmung eines zugehörigen
Verbindungswegs gesehen wurde. Nach dem Urteil der Kammer vom 9. Dezember
2002 (12 K 4868/99) wird eine über vier Jahre hinausgehende Verzögerung einer
Widmung nur unter besonderen Umständen gerechtfertigt sein.
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Weitere Gesichtspunkte, aus denen sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
angegriffenen Bescheides herleiten ließen, hat die Antragstellerin nicht vorgebracht.
Solche Zweifel drängen sich bei summarischer Prüfung durch die Kammer auch nicht
offensichtlich auf.
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Die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung erscheint im Übrigen auch unter
dem Gesichtspunkt der unbilligen Härte im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht
gerechtfertigt. Eine solche liegt nämlich nur vor, wenn in einem offenkundig nicht
aussichtslosen Verfahren der Abgabenpflichtige durch die sofortige Vollziehung einen
selbst durch spätere Rückzahlung nicht wieder gut zu machenden Nachteil solchen
Grades erleiden würde, dass demgegenüber das vom Gesetzgeber vorausgesetzte
Interesse an der schnellen Entrichtung der Abgaben zurücktreten müsste.
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Vgl. OVG NW, Beschlüsse vom 25. Januar 1950 (III B 121/49), OVGE 1, 77, und vom 8.
Januar 1990 (2 B 2565/89).
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Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin durch die Vollziehung der
Beitragsbescheide solche nicht wieder gut zu machenden Nachteile drohen, die
insbesondere einer Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz gleichkommen würden,
sind nicht ersichtlich und auch von ihr selbst nicht geltend gemacht worden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG i.d.F. des KostRMoG vom 5. Mai 2004. Dabei schätzt
die Kammer das Interesse an der vorläufigen Regelung der Zahlungspflicht in der Regel
auf ein Viertel des zu zahlenden Betrags. Dies entspricht dem im Streitwertkatalog für
die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung 2004; NVwZ 2004, 1327) unter Abschnitt II
Ziffer 1.5 vorgesehenen Ansatz.
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