Urteil des VG Düsseldorf vom 22.08.2003

VG Düsseldorf: serbien und montenegro, öffentliche sicherheit, gefahr, bundesamt, behandlung, abschiebung, behinderung, ausländer, hemiparese, datum

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 K 3218/03.A
Datum:
22.08.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3218/03.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens,
für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. Die Entscheidung über die
Kosten ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils
beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit
in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand: Der am 00. August 1989 in Vranje/Serbien und Montenegro geborene
Kläger ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, der Volkszugehörigkeit
Roma. Er beantragte bereits am 14. November 1991 unter dem Az.: 0 0000000-000 Asyl
in der Bundesrepublik Deutschland. Der Asylantrag wurde am 14. Februar 1992
abgelehnt; das Klageverfahren wurde am 19. Februar 1993 durch Beschluss des
erkennenden Gerichts eingestellt. Am 8. November 2001 stellte die Mutter des Klägers,
Frau T1, einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag).
Zur Begründung trug sie im Rahmen der informatorischen Anhörung vor, dass der
Kläger schwerbehindert sei und wegen unzureichendere Behandlungsmöglichkeiten in
Jugoslawien sterben müsse. Sie legte in diesem Zusammenhang eine Kopie eines im
Mai 2001 abgelaufenen Schwerbehindertenausweises des Klägers vor. Weitere
Unterlagen oder Atteste wurden nicht eingereicht. Der Schwerbehindertenausweis
führte einen Grad der Behinderung mit 50 aus. Mit Bescheid vom 4. April 2003 lehnte
das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag
auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab. Weiter stellte es fest, dass
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Außerdem forderte es den
Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen.
Anderenfalls drohte es die Abschiebung nach Serbien und Montenegro oder jeden
anderen ‚Staat, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme
verpflichtet ist, an. Nach Zustellung des Bescheides am 10. Mai 2003 hat der Kläger am
12. Mai 2003 Klage erhoben und einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.
Das erkennende Gericht hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss
vom 15. Mai 2003 abgelehnt.. Er legte in diesem Zusammenhang einen aktuellen
Schwerbehindertenausweis, ausgestellt vom Versorgungsamt E1 am 5. Mai 2003, vor,
der bis 06.2003 gültig sein sollte. Der Grad der Behinderung wird in diesem Ausweis mit
80 angegeben. Weiter legt der Kläger eine Patienteninformation vom 21. November
2001 der Dr. L, Ärzte für Chirurgie, aus H vor. Diese Patienteninformation bezieht sich
1
auf die Mutter des Klägers, Frau T1. Weiter legt der Kläger ein Rezept des Dr. med. T2,
Facharzt für Kinderheilkunde und Psychotherapie, aus H vom 27. April 2001 vor, in dem
dem Kläger sechs Mal Krankengymnastik auf neurophysiologischer Basis verschrieben
wird. Als Diagnose wird Hemiparese re. gestellt. Weiter reicht der Kläger ein Attest
desselben Arztes vom 19. Juni 2000 mit gleich lautendem Inhalt zu den Akten. Des
Weiteren wird eine ärztliche Bescheinigung des o.g. Arztes ohne Datum vorgelegt.
Danach ist der Kläger seit dem 13. Juli 1992 in seiner ärztlichen Behandlung und
Betreuung. Er leide an einer Hemiparese rechts und unter Intelligenzminderung. Mit
Bescheid des Versorgungsamtes E1 vom 30. April 2003 (Gz.: 00 0 0000000-0-00) wird
festgestellt, dass der Grad der Behinderung des Klägers 80 betreffe. Er erfülle die
gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkeichen g, b und h.; „g" bedeutet, dass
der Kläger ins einer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist,
„b" bedeutet, dass er bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ständiger Begleitung
bedarf, „h" bedeutet, dass er hilflos ist. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das
Merkzeichen „h" hat das Versorgungsamt unter Berücksichtigung des Alters des Klägers
bis zum 16. Lebensjahr angenommen. Weiter legt der Kläger ein Schreiben des Dr.
med. N aus H an den Kreis L, Fachbereich öffentliche Sicherheit und Ordnung
betreffend den Kläger ohne Datum vor. Darin wird ausgeführt, dass er am 1. April 2003
die Praxis des Dr. med. T2 übernommen habe. Es wird weiter ausgeführt, dass es
sicherlich völlig unstrittig sei, dass eine Zwangsausweisung für den schwerbehinderten
Kläger bei armbetonter Hemiparese rechts und Hirnmissbildung zu einer
Verschlechterung des Krankheitsbildes und wenn überhaupt schlechteren
medizinischen Betreuung sowie Therapie führe. Der Kläger leide zusätzlich an häufigen
Kopfschmerzen mit Erbrechen, die zu einer erheblichen Einschränkung der
Lebensqualität führe. Sicherlich sei die Compliance des Klägers und der Mutter nicht
gut, eine Abschiebung habe aber bezüglich des Gesundheitszustandes des Klägers
nicht absehbare Folgen. Mit Terminsladung vom 4. Juli 2003 wurde der Kläger gemäß §
87 b Abs. 1 und 2 VwGO aufgefordert, bis zum 14. August 2003 eine aktuelle ärztliche
Bescheinigung vorzulegen, in der u.a. auch die Therapie (Art, Dauer, Medikamentation,
Behandlung etc.) detailliert aufgezeigt wird. Dem ist er nicht nachgekommen. Zum
Termin zur mündlichen Verhandlung erschien trotz ordnungsgemäßer Ladung niemand.
Der Kläger beantragt schriftlich, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 4.
April 2003 zu verpflichten, ihn, den Kläger, als Asylberechtigten anzuerkennen und
festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 AuslG vorliegen, hilfsweise,
festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. Die Beklagte
beantragt schriftsätzlich, die Klage abzuweisen. Wegen der weiteren Einzelheiten des
Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten sowie
auf die Auskünfte, auf die der Kläger hingewiesen worden ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe: Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers und seiner
gesetzlichen Vertreterin ohne sie verhandeln und zur Sache entscheiden, da der Kläger
auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO. Die
Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 4. April 2003 ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO). Das Bundesamt hat nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrages des
Klägers zu Recht kein weiteres Asylverfahren durchgeführt § 71 Abs. 1 AsylVfG. Die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens
liegen nicht vor. Der Kläger hat keine neuen Beweismittel vorgelegt, die eine für ihn
günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Die
Sachlage hat sich auch nicht nachträglich zu seinen Gunsten geändert (§ 51 Abs. 1 Nr.
1 VwVfG). Diesbezüglich sieht das Gericht von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe ab, da es der Begründung in dem angefochtenen Bescheid des
Bundesamtes folgt, § 77 Abs. 2 AsylVfG. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung
liegen auch die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses
gemäß § 53 Abs. 6 AuslG nicht vor. Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der
Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort
für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Die Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG setzt die Feststellung einer konkreten
Gefahr für eines der dort genannten Rechtsgüter voraus, die dem Betreffenden bei einer
Abschiebung persönlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen muss; hierbei
kommt es nicht darauf an, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen
wird. Allgemeine Gefahren, die dem Betreffenden nicht persönlich, sondern zugleich der
gesamten Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe drohen, unterfallen hingegen §
53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, der im Regelfall die Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG
ausschließt. Allgemeine Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG können auch
dann nicht Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen, wenn
sie den Ausländer konkret und in individualisierter Weise betreffen. Trotz bestehender
konkreter erheblicher Gefahr ist die Anwendbarkeit des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG
„gesperrt", wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im
Abschiebezielstaat droht. Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 -,
NVwZ 1999, S. 666 (667 m.w.N.). Derartige allgemeine Gefahren führen nach der von
den Verwaltungsgerichten zu respektierenden Entscheidung des Gesetzgebers nur
dann zu einem Abschiebungshindernis, wenn auf Grund einer politischen
Leitentscheidung ein genereller Abschiebestopp durch das Innenministerium verfügt
wird (§ 53 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 54 AuslG). Darüber hinaus ist Abschiebungsschutz
unter verfassungskonformer Auslegung von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ausnahmsweise
dann zu gewähren, wenn dem Ausländer kein Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1
bis 4 und Abs. 6 Satz 2 AuslG zusteht, er aber gleichwohl im Lichte der Grundrechte der
Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG wegen einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, das
heißt einer Lage, die ihn gleichsam „sehenden Auges" dem sicheren Tod oder
schwersten Verletzungen aussetzen würde, nicht abgeschoben werden darf. Vgl. z.B.
BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9/95 -, DVBl. 1996, S. 203, und vom 8.
Dezember 1998 - 9 C 4/98 -, DVBl. 1999, S. 549 . Nach diesen Maßstäben ist ein
Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG in der Person der Antragstellerin nicht
ersichtlich. Den allgemein einem vierzehnjährigem Jugendlichen drohenden Gefahren,
die mit den allgemein nicht zufrieden stellenden Lebensbedingungen verbunden sind,
ist diese gesamte Bevölkerungsgruppe in Serbien und Montenegro ausgesetzt. Ein
Abschiebestopp im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 54 AuslG besteht nicht. Es ist
auch nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Serbien und
Montenegro landesweit einer extremen allgemeinen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.
Diesbezüglich verweist das Gericht auf die zutreffenden Ausführungen in dem Bescheid
des Bundesamtes, denen es folgt, § 77 Abs. 2 AsylVfG. Umstände, die darüber
hinausgehend auf ihm konkret-individuell drohende Gefahren gemäss § 53 Abs. 6 Satz
1 AuslG führten, liegen ebenfalls nicht vor. Zwar ist der Kläger zu 80 % schwerbehindert
wegen einer Hemiparse (inkomplette Lähmung einer Körperhälfte infolge einer
zentralen Läsion, Pschyrembel. 259. Aufl. , S. 671) und einer Intelligenzminderung. Es
ist aber weder vorgetragen noch ersichtlich, warum sich aus dieser Behinderung für ihn
eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben ergibt. Die Erkrankung des Klägers, deren
Behandlung laut den vorgelegten Attesten zurzeit nur in einer Krankengymnastik
besteht, ist in Serbien und Montenegro ohne weiteres behandelbar. Die Behandlung
des Klägers wäre auch kostenfrei, da zum einen Angehörige der Volksgruppe der Roma
keine Versicherungsbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zahlen und
zweitens eine zerebrale Paralyse grundsätzlich kostenfrei behandelt wird. Vgl. Bericht
des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) vom 28. Juli 2003 - Az.: 508-
516.80/3 SCG -, S. 27 ff.. Hat das Bundesamt zu Recht kein weiteres Asylverfahren
durchgeführt, ist der Kläger nach § 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylVfG zur Ausreise
binnen einer Frist von einer Woche verpflichtet. Die Kostenentscheidung folgt aus §§
154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711