Urteil des VG Düsseldorf vom 10.10.2008

VG Düsseldorf: auflösende bedingung, verwaltungsakt, rückzahlung, rücknahme, rahm, begünstigter, vollstreckbarkeit, beratung, vertrauensschutz, unterkunftskosten

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 21 K 2620/08
Datum:
10.10.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
21. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 K 2620/08
Tenor:
Soweit der Kläger die Klage hinsichtlich des Rückforderungszeit-raums
April 2008 in Höhe eines Rückforderungsbetrages von 212,00 Euro
zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Im übrigen wird der Bescheid des Beklagten vom 3. März 2008 für den
Rückforderungszeitraum 1. Mai 2007 bis 31. März 2008 aufge¬hoben.
Die Kosten des Verfahren tragen der Kläger zu 1/12 und der Beklagte zu
11/12.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der je-
weilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Si-
cherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Der Kläger stellte am 18. April 2007 einen Antrag auf Bewilligung von Wohngeld nach
dem Wohngeldgesetz (WoGG). Der Beklagte bewilligte dem Kläger mit
Wohngeldbescheid vom 1. Juni 2007 für den Zeitraum vom 1. April 2007 bis zum 31.
März 2008 ein monatliches Wohngeld in Höhe von 212,00 Euro.
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Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 26. November 2007 mit, dass der
Wohngeldbescheid ab dem 1. April 2007 gemäß § 30 Abs. 4 WoGG unwirksam sei. Es
habe sich herausgestellt, dass der Kläger bis zum 30. April 2007 Leistungen nach dem
SGB II (Arbeitslosengeld II) erhalten und deshalb vom Wohngeldbezug ausgeschlossen
gewesen sei. Die Wohngeldzahlung wurde daraufhin eingestellt.
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Der Beklagte nahm mit
Bescheid vom 3. März 2008
1. Juni 2007 auf der Grundlage des § 45 SGB X zurück und forderte gemäß § 50 Abs. 1
SGB X überzahltes Wohngeld für acht Monate in Höhe von 1.696,- Euro zurück. Zur
Begründung führte er aus, der Kläger habe in seinem Wohngeldantrag grob fahrlässig
unrichtige Angaben gemacht und nicht mitgeteilt, dass er im Monat April 2007 noch
Arbeitslosengeld II bezogen habe. Da er nicht rechtzeitig einen Wiederholungsantrag
gestellt habe, müsse er das gesamte Wohngeld zurückzahlen.
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Der Kläger hat
am 4. April 2008 die vorliegende Klage
die Aufhebung des Wohngeldbescheides und die Rückzahlung überzahlten
Wohngeldes wendet. Er führt aus, er habe gemäß Bescheid der ARGE X vom
26. September 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit bis
zum 30. April 2007 erhalten. Er sei dahingehend beraten worden, dass Wohngeld für ihn
vorteilhafter sei. Deshalb habe er gegen Ende April 2007 einen Wohngeldantrag beim
Beklagten gestellt. Ihm sei klar gewesen, dass er nicht beide Leistungen gleichzeitig
erhalten könne. Er habe vielmehr ab Mai 2007 Wohngeld beantragen wollen.
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Der Kläger hat die Klage insoweit zurückgenommen, als Wohngeld für den Monat
April 2007 in Höhe von 212,- Euro zurückgefordert wurde.
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Der Kläger beantragt nunmehr,
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den Bescheid des Beklagten vom 3. März 2008 im übrigen für den
Rückforderungszeitraum 1. Mai 2007 bis 31. März 2008 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht kann durch den Einzelrichter entscheiden, nachdem ihm der Rechtsstreit
durch Beschluss der Kammer vom 23. Juni 2008 zur Entscheidung übertragen worden
ist (§ 6 Abs. 1 VwGO).
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Soweit der Kläger die Klage hinsichtlich des Rückforderungszeitraums April 2008 in
Höhe von 212,00 Euro zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt (§ 92
Abs. 3 VwGO).
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Die Klage im übrigen hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 3. März 2008 ist – soweit er noch angefochten ist –
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dieser muss die Aufhebung des
Wohngeldbewilligungsbescheides für den Zeitraum vom 1. Mai 2007 bis zum
31. März 2008 und die damit einhergehende Rückforderung überzahlten Wohngeldes
für sieben Monate in Höhe von 1.484,00 Euro nicht hinnehmen (§ 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO).
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Allerdings hat der Beklagte seinen Bescheid zutreffend nicht gemäß § 30 Abs. 4 WoGG
auf den Eintritt der gesetzlichen Bedingung (hier: Erhalt von sog. Transferleistungen –
Arbeitslosengeld II –), die zur Unwirksamkeit des früheren Wohngeldbescheids führt,
abgestellt, sondern auf der Grundlage des § 45 SGB X einen besonderen
Aufhebungsverwaltungsakt, den angegriffenen Rücknahmebescheid, erlassen.
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§ 30 Abs. 4 WoGG lautet wie folgt:
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"Der Bewilligungsbescheid nach § 26 wird unwirksam, wenn in einem
Bewilligungszeitraum ein bei der Berechnung des Wohngeldes berücksichtigtes
Familienmitglied nach § 1 Abs. 2 vom Wohngeld ausgeschlossen ist. Die
Unwirksamkeit des Bescheides tritt zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, bei
Änderungen im Laufe eines Monats zum auf die Änderung folgenden nächsten Ersten
eines Monats ein. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt der Beginn des
Zeitraums, in dem das Familienmitglied nach § 1 Abs. 2 vom Wohngeld
ausgeschlossen ist. Der Wohngeldempfänger ist von der Unwirksamkeit des
Bewilligungsbescheides zu unterrichten."
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Die Bestimmung des § 30 Abs. 4 WoGG regelt ausschließlich – wie seine Sätze 2 und 3
und § 30 Abs. 5 zeigen (Änderung der Verhältnisse) – die Fälle nachträglicher, d.h. nach
Bescheiderlass eingetretener Umstände. Nach § 30 Abs. 4 Satz 1 WoGG "wird" ein
Wohngeldbewilligungsbescheid unwirksam, wenn in dem Bewilligungszeitraum ein bei
der Berechnung des Wohngeldes berücksichtigtes Familienmitglied nach § 1 Abs. 2
WoGG vom Wohngeld ausgeschlossen ist. Diese Regelung erfasst nach ihrem Wortlaut,
nach ihrem Sinn und Zweck sowie nach den Gesetzesmaterialien ausschließlich
Änderungen nach Erlass des Wohngeldbescheides und stellt den
Bewilligungsbescheid insofern unter eine auflösende Bedingung. Wenn der
Gesetzgeber mit dieser Bestimmung auch den Fall, dass bereits zum Zeitpunkt des
Erlasses des Bewilligungsbescheides ein Familienmitglied Leistungen nach dem SGB
II einschließlich Unterkunftskosten bezieht und damit nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 WoGG vom
Wohngeld ausgeschlossen ist, hätte erfassen wollen, so hätte er die Formulierung "ist
unwirksam" gewählt.
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Vgl. Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 24. April 2008 - 4 PA
113/08 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 22. September 2008 – 21 K 3276/08 -;
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17. November 2006 – 11 K 2398/06 , juris; Stadler
/ Gutekunst / Forster / Wolf / Rahm / Fröba, WoGG (Stand Juni 2007), § 30, Rdnr. 34;
a.A. VG Berlin, Urteil vom 23. November 2006 – 21 A 391/05 -, juris.
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Hier ist der Bescheid der ARGE X vom 26. September 2006 mit der darin enthaltenen
Bewilligung von Arbeitslosengeld II bis zum 30. April 2007 bereits vorhanden gewesen
mit der Folge, dass § 30 Abs. 4 Satz 1 WoGG insoweit nicht zur Anwendung gelangen
konnte und der Beklagte den angefochtenen Rückforderungsbescheid nicht auf § 50
Abs. 2 SGB X stützen durfte. Die Mitteilung des Beklagten an den Kläger vom
26. November 2007 hinsichtlich der Unwirksamkeit der Wohngeldbewilligung war
deshalb unrichtig.
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Der Beklagte hat nach diesen Ausführungen den angefochtenen Bescheid zu Recht auf
§ 45 SGB X gestützt, dessen Voraussetzungen indes nicht erfüllt sind.
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Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, nach näherer Maßgabe der Absätze 2 bis 4 aufgehoben
werden, soweit er rechtswidrig ist. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein
rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit
der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen
unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.
Bei dem Bewilligungsbescheid des Beklagten handelte es sich um einen
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begünstigenden Verwaltungsakt, da er Geldleistungen gewährte.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X ist in diesen Fällen das Vertrauen in der Regel
schutzwürdig, wenn – wie hier – der Kläger als Begünstigter erbrachte Leistungen
verbraucht hat.
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Der Vertrauensschutz des Klägers ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht
ausgeschlossen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X kann sich der Begünstigte auf
Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der
Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder
unvollständig gemacht hat. Zwar hat der Kläger insoweit unrichtige Angaben gemacht,
als er in dem Wohngeldantrag nicht angegeben hat, dass er im Monat April 2007 noch
Leistungen des Arbeitslosengeldes II erhält. Dies war aber aus seiner Sicht auch nicht
notwendig, denn der Kläger wollte aufgrund einer Beratung durch die ARGE statt der
Leistungen nach dem SGB II danach das höhere Wohngeld beantragen. Er wollte das
Auslaufen des Arbeitslosengeldes II zum 30. April 2007 abwarten und ab dem 1. Mai
2007 Wohngeld beantragen. Dabei war ihm bewusst, dass er nicht beide Leistungen
gleichzeitig erhalten konnte, nicht jedoch, dass der Wohngeldantrag ab dem 1. April
2007 gilt. Vielmehr wollte er mit dem am 18. April 2007 gestellten Wohngeldantrag ab
dem 1. Mai 2007 Wohngeld beantragen. Dies ergibt sich aus den vorgelegten
Verwaltungsvorgängen und aus der glaubhaften Aussage des Klägers in der
mündlichen Verhandlung, die auch vom Beklagten nicht in Frage gestellt wird. Der
Kläger durfte deshalb auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertrauen, wobei sein
Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme auch
deshalb schutzwürdig ist, weil er ab dem 1. Mai 2007 einen materiell-rechtlichen
Anspruch auf Wohngeld hat.
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Eine Verpflichtung zur Rückzahlung nach § 50 Abs. 1 SGB X besteht mithin nicht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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