Urteil des VG Düsseldorf vom 22.02.2010
VG Düsseldorf (kläger, mutter, verhältnis zwischen, in betrunkenem zustand, vater, körperliche unversehrtheit, höhe, bestattung, härte, wohnung)
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 23 K 3310/08
Datum:
22.02.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 K 3310/08
Normen:
==§§ 7 a Abs 1 Nr 11 11 Abs 2 Satz 1 u Satz 2 Nr 1 u Nr 7 KostO NRW
§§ 59 Abs 1 57 Abs 1 Nr 1 55 Abs 2 VwVG NRW § 8 Abs 1 Satz 2 BestG
NRW § 14 Abs 2 KostO NRW § 1579 BGB
Leitsätze:
1. Die Beitreibung von Bestattungskosten kann für den Angehörigen
eine unbillige Härte im Sinne des § 14 Abs.2 Kostenordnung NRW be-
deuten, wenn einer der in den §§ 1579, 1611 Absatz 1 Satz 2 BGB
normierten Beispielsfälle für grobe Unbilligkeit zwischen Ehegat-ten
oder Verwandten vorliegt. 2. Eine unbillige Härte liegt vor, wenn der
Verstorbene einen tätlichen Angriff auf den Kläger und dessen Mutter
verübt hat und beide dadurch, dass sie für finanzi-elle Forderungen
gegen den Verstorbenen in Anspruch genommen wur-den, an den Rand
des Existenzminimus getrieben worden sind. 3 Das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 1579 BGB setzt weder einen Strafantrag noch
eine strafrechtiche Verurteilung voraus.
Tenor:
Der Leistungsbescheid des Beklagten vom 4. April 2008 wird aufge-
hoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig volltreckbar. Der Beklagte kann die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutrei-benden
Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstre-ckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist der einzige Sohn des am 23. Januar 2008 tot aufgefundenen Herrn W.
Die Ehe des Verstorbenen war geschieden. Der Polizeipräsident E teilte dem Beklagten
am 25. Januar 2008 den Todesfall mit. Der Kläger hatte gegenüber der Polizei die
Übernahme der Bestattung abgelehnt. Der Beklagte beauftragte daraufhin das
Bestattungsinstitut G mit der Durchführung der Beisetzung. Hierfür stellte das
Bestattungshaus dem Beklagten einen Betrag von 351,05 Euro in Rechnung.
2
Mit Schreiben vom 28. Februar 2008 hört der Beklagte den Kläger zur Übernahme der
Bestattungskosten an. Mit Bescheid vom 4. April 2008 zog der Beklagte den Kläger zur
Zahlung eines Betrages von 1.874,98 Euro heran. Dieser Betrag setzt sich zusammen
aus den Kosten der Bestattung in Höhe von 1.747,16 Euro sowie einer
Verwaltungsgebühr in Höhe von 127,82 Euro. In den Kosten der Bestattung waren
neben den Kosten des Bestattungshauses in Höhe von 343,20 Euro noch
Friedhofsgebühren für eine Erdbestattung in Höhe von 1.390,00 Euro sowie Kosten für
eine Kühlzellenbenutzung in Höhe von 13,96 Euro enthalten.
3
Der Kläger hat am 5. Mai 2008 Klage erhoben.
4
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Die Heranziehung zu den Kosten der
Beisetzung seines verstorbenen Vaters würde für ihn eine unbillige Härte darstellen.
Sein Vater habe ab Mai 1984 für die gemeinsame Wohnung keine Mietzahlungen mehr
geleistet, was zur fristlosen Kündigung und Räumungsklage geführt habe. Am 28.
Februar 1985 sei die Zwangsräumung der Wohnung erfolgt. Er sei mit seiner Mutter in
die Istraße gezogen. Seine Mutter habe alte Mietzinsforderungen zurückzahlen müssen.
Weiter sei sie für alte Schulden des Vaters aufgekommen. Von Mai 1984 bis zum
Auszug sei es zu mehreren Übergriffen des Vaters auf ihn und seine Mutter gekommen.
In einer Nacht habe sein Vater in total betrunkenem Zustand die Küche verwüstet und
versucht, ihn und seine Mutter mit einem großen Fleischermesser zu verletzen. Es habe
sich um einen ernst zu nehmenden Tötungsversuch gehandelt. Seine Mutter und er
seien dann zu seiner Großmutter geflohen. Eine Strafanzeige hätten sie allerdings nicht
erstattet. In der Folgezeit sei es mehrfach zu ähnlichen Attacken des Vaters gegen ihn
und seine Mutter gekommen. Der Vater habe seine Mutter auch mehrfach vor seinen
Augen geschlagen und beschimpft. Im Sommer des Jahres 1984 sei der Vater in
betrunkenem Zustand mit einem Leichtkraftrad, dass er –der Kläger- von seinem
Großvater geschenkt bekommen habe, gefahren und habe es bei einem Unfall völlig
zerstört. Ab Mai 1984 habe der Vater keinerlei Unterhaltszahlungen für ihn und seine
Mutter mehr geleistet. Erst ab dem
5
1. Januar 1990 habe er von seinem eigenen Gehalt leben können, sodass sein Vater
sich sechs Jahre lang seinen Unterhaltsverpflichtungen entzogen habe. Weil Gläubiger
des Vaters an ihn herangetreten seien, habe er offene Rechnungen in nicht
unbeträchtlicher Höhe für seinen Vater beglichen.
6
Er sei finanziell nicht in der Lage, die Kosten der Beisetzung zu begleichen. Er habe erst
im Klageverfahren erfahren, dass die Möglichkeit der Kostenübernahme durch das
Sozialamt bestehe.
7
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Vernehmung der
Mutter des Klägers. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
8
Der Kläger beantragt,
9
den Leistungsbescheid des Beklagten vom 4. April 2008 aufzuheben.
10
Der Beklagte beantragt,
11
die Klage abzuweisen.
12
Er macht hierzu geltend: Die geltend gemachten Unterhaltsverfehlungen bezögen sich
auf den Zeitraum von 1985 bis 1989. Hier sei zu berücksichtigen, dass der Kläger in
diesem Zeitraum Leistungen der Bundeswehr sowie eine Ausbildungsvergütung
bezogen habe. Der vom Kläger geschilderte Angriff sei nicht zu Anzeige gebracht
worden. Vielmehr sei der Kläger dem Vater finanziell immer wieder behilflich gewesen.
Es bestehe die Möglichkeit, die Kostenübernahme beim Sozialamt zu beantragen.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Stellung
genommen.
14
Entscheidungsgründe:
15
Die Klage hat Erfolg.
16
Der angegriffene Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 4. April 2008 ist
rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
17
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 11 Abs. 2 Nr. 7 der
Kostenordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (KostO NRW) in Verbindung mit
§§ 77 Abs. 1, 59 Abs. 1, 57 Abs. 1, 55 Abs. 2 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes
für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) und § 8 Abs. 1 des Gesetzes über das
Friedhofs- und Bestattungswesen (Bestattungsgesetz - BestG NRW). Nach diesen
Normen ist die Ordnungsbehörde grundsätzlich berechtigt, von den
bestattungspflichtigen Angehörigen die bei der Durchführung der Ersatzvornahme
angefallenen Bestattungskosten zu verlangen, sofern die Angehörigen ihrer
Bestattungsverpflichtung nicht oder nicht rechtzeitig nachgekommen sind. Die
Voraussetzungen dieser Normen sind im Fall des Klägers dem Grunde nach erfüllt (I).
Die Beitreibung ihrer Kosten bedeutet für den Kläger aber eine unbillige Härte im Sinne
des § 14 Abs. 2 KostO NRW (II)
18
I.
19
Die Durchführung der Ersatzvornahme war rechtmäßig. Insbesondere bedurfte es nicht
des vorherigen Erlasses eines Verwaltungsaktes (§ 55 Abs. 2 VwVG NRW) und der
Androhung und Festsetzung des Zwangsmittels (§§ 63 Abs. 1 Satz 1 und 3, 64 VwVG
NRW). Denn die Ersatzvornahme war zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr
notwendig. Der Vater des Klägers war am 23. Januar 2008 in seiner Wohnung tot
aufgefunden worden. Gemäß § 13 Abs. 3 BestG sind Leichen innerhalb von 8 Tagen
nach dem Tod zu bestatten. Der Sterbefall wurde dem Beklagten am 25. Januar 2008
mitgeteilt. Zugleich teilte die Kriminalpolizei mit, dass der Kläger die Übernahme der
Bestattung abgelehnt hatte. Die verbliebene Zeit hätte nicht ausgereicht, um den Kläger
unter Androhung und Festsetzung der Ersatzvornahme zur Bestattung zu verpflichten
und die Bestattung bei Nichtvornahme noch innerhalb des Zeitraumes des § 13 BestG
zu veranlassen.
20
Erforderlich für die Rechtmäßigkeit eines entsprechenden Leistungsbescheides ist
weiter, dass der Beklagte berechtigt gewesen wäre, einen Verwaltungsakt, mit dem die
Durchführung der Bestattung auferlegt wird, gegenüber dem Kläger zu erlassen, wenn
er unter normalen Umständen Zeit und Gelegenheit dazu gehabt hätte. Dies ist hier der
Fall. Der Beklagte hätte dem Kläger die Durchführung der Bestattung aufgeben können,
21
da er zu den nach § 8 Abs. 1 BestG bestattungspflichtigen Angehörigen zählt. Für die
Rechtmäßigkeit der Heranziehung spielt der vom Kläger geltend gemachte fehlende
persönliche Kontakt zum Verstorbenen keine Rolle. Da die öffentlich-rechtliche
Bestattungspflicht aus § 8 BestG in Verbindung mit §§ 1, 14 des
Ordnungsbehördengesetzes (OBG) der Gefahrenabwehr dient, ist es grundsätzlich nicht
zu beanstanden, dass das Bestattungsgesetz losgelöst vom persönlichen Kontakt
zwischen den Angehörigen im Einzelfall allein an das abstrakte verwandtschaftliche
Verhältnis anknüpft.
II.
22
Der Beklagte musste aber nach § 14 Abs. 2 KostO NRW von der Beitreibung der
Bestattungskosten für den Vater des Klägers absehen.
23
Ein unbillige Härte im Sinne von § 14 Abs. 2 KostO NRW kann dann gegeben sein,
wenn in Anlehnung an die unterhaltsrechtlichen Bestimmungen in § 1611 Abs. 1 BGB in
Verbindung mit § 1579 BGB der Verstorbene sich eines schweren Vergehens gegen
den Pflichtigen schuldig gemacht hat oder längere Zeit hindurch seine Pflicht, zum
Familienunterhalt beizutragen, gröblich verletzt hat und damit eine Inanspruchnahme
grob unbillig wäre,
24
vgl. OVG NRW Beschlüsse vom 15. Oktober 2001 –19 A 571/00-, NVwZ 2002, 996
und vom 31. Juli 2006 – 19 E 371/05 -; Urteil vom 30. Juli 2009 – 19 A 448/07 -.
25
Die in § 1579 BGB normierten Beispielsfälle für die grobe Unbilligkeit im Verhältnis
zwischen geschiedenen Ehegatten sind - neben § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB – zugleich
auch Beispielsfälle für die grobe Unbilligkeit im Verhältnis zwischen Verwandten in
gerader Linie nach § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB zu verstehen,
26
vgl. OVG NRW Urteil vom 30. Juli 2009 a.a.O.
27
Nach diesen Maßstäben besteht eine in der Person des Klägers begründete unbillige
Härte im Sinne des § 14 Abs. 2 KostO NRW.
28
Dabei kann offen bleiben, ob die vom Kläger geltend gemachten
Unterhaltspflichtverletzungen eine unbillige Härte im Sinne dieser Vorschrift begründen.
Denn jedenfalls begründet das sonstige Verhalten des Verstorbenen gegenüber dem
Kläger und seiner Mutter ein unbillige Härte.
29
Gemäß § 1579 BGB liegt eine grobe Unbilligkeit vor, wenn der Berechtigte sich eines
Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Verpflichteten
oder einen nahen Angehörigen des Verpflichteten schuldig gemacht hat (Nr.3) oder ein
anderer Grund vorliegt, der ebenso schwer wiegt wie die in § 1579 Nr. 1 bis Nr. 7 BGB
aufgeführten Gründe (Nr.8). Wie sich aus dem Vortrag des Klägers, der durch die
Zeugenaussage seiner Mutter bestätigt worden ist, ergibt, hat der Verstorbene einen
ernst zu nehmenden Angriff mit einem Messer auf ihn und seine Mutter verübt. In dessen
Folge sind beide aus der gemeinsamen Wohnung geflohen. Nach der Überzeugung des
Gerichts kam es neben diesem tätlichen Angriff mehrfach zu Vorfällen, bei denen der
Kläger und seine Mutter um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten mussten, auch
wenn es letztlich nur zu Sachbeschädigungen kam. Wie die Zeugin eindringlich
geschildert hat, blieb ihr oft keine andere Wahl, als mit ihrem Sohn aus der Wohnung zu
30
ihren Eltern zu fliehen. Als Konsequenz hat sie dann eine eigene Wohnung gesucht und
im Februar 1985 gemeinsam mit dem Kläger die Familienwohnung verlassen. Daneben
hat der Verstorbene in erheblichem Maße die finanziellen Interessen des Klägers und
seiner Mutter verletzt. Er hinterließ Miet- und Kreditschulden, die Gehaltspfändungen bei
der Mutter des Klägers zur Folge hatten und beide an den Rand des Existenzminimums
führten. Der Verstorbene hat darüberhinaus mehrfach erhebliche Sachwerte zerstört u.a.
ein Leichtkraftrad des Klägers. Nach der Schilderung des Klägers und seiner Mutter, an
deren Wahrheitsgehalt das Gericht keine Zweifel hat und der es daher folgt, war die
gesamte Familiensituation, insbesondere während der letzten Zeit des
Zusammenlebens, so unerträglich, dass jedenfalls die Voraussetzungen des § 1579 Nr.
8 BGB erfüllt sind. Unerheblich ist, dass gegen den Vater keine Strafanzeige erstattet
und er nicht strafrechtlich verurteilt worden ist. Ebenso wie die gröbliche Verletzung der
Unterhaltspflicht im Sinne des § 1579 Nr. 6 BGB setzt auch das Vorliegen eines
Verbrechens oder Vergehens im Sinne des § 1579 Nr. 3 BGB nach dem Wortlaut dieser
Regelung weder einen Strafantrag noch eine strafrechtliche Verurteilung voraus. Erst
recht gilt dies für den Auffangtatbestand des § 1579 Nr. 8 BGB,
vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. Februar 2009 – 19 A 4574/06- und vom 15.
Dezember 2009 – 19 E 893/09.
31
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr.11, 711
ZPO.
32