Urteil des VG Düsseldorf vom 10.09.2003

VG Düsseldorf (aufschiebende wirkung, ordentliche kündigung, vorläufiger rechtsschutz, öffentlich, beendigung, benutzung, kündigung, sohn, träger, antrag)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 L 3143/03
Datum:
10.09.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24 Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
24 L 3143/03
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach §
123 VwGO verpflichtet, dem Sohn der Antragstellerin, X1, die Benutzung
der städtischen Tageseinrichtung für Kinder ​Schulkinderhaus N Straße"
bis zur vollziehbaren Beendigung des Benutzungsverhältnisses zu
gestatten.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
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Der am 14. August 2003 bei Gericht eingegangene, sinngemäß aus dem Tenor
ersichtliche Antrag der Antragstellerin hat Erfolg.
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Er ist zulässig.
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Für den Antrag ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn
es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art.
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Zwar streiten die Beteiligten um die Wirksamkeit der Kündigung des im Jahre 2002
geschlossenen Betreuungsvertrages zwischen der Antragstellerin und ihrem Mann
einerseits sowie der Antragsgegnerin andererseits betreffend die Betreuung des Kindes
X1 in der im Tenor genannten städtischen Tageseinrichtung für Kinder. Grund für die
von der Antragsgegnerin ausgesprochene Vertragskündigung ist die von der
Antragstellerseite verweigerte vertragliche Zustimmung zu einem höheren
Verpflegungsentgelt.
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Sowohl die Regelung des Verpflegungsentgelts als auch das Zustandekommen und die
Beendigung des Betreuungsvertrages sind dem Zivilrecht zuzurechnen.
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Im Gegensatz zu den Elternbeiträgen handelt es sich bei dem Entgelt für das
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Mittagessen nämlich nicht um eine öffentliche Abgabe. Das ergibt sich bereits daraus,
dass das Entgelt für das Mittagessen gem. § 17 Abs. 1 Satz 7 GTK vom Träger der
Tageseinrichtung verlangt werden kann, während die Elternbeiträge gem. § 17 Abs. 6
GTK vom örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe erhoben werden. Träger einer
Tageseinrichtung kann - anders als im vorliegenden Fall - auch ein Privater sein, dem
es verwehrt ist, hoheitlich durch die Festsetzung von öffentlichen Abgaben und Kosten
in grundrechtsrelevante Bereiche der Eltern einzugreifen,
vgl. Urteil der Kammer vom 29. Oktober 1998 - 24 K 10549/96 -; Beschluss der Kammer
vom 1. Februar 2000 - 24 L 339/00 -.
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Dass es sich bei dem in Frage stehenden Betreuungsvertrag um ein privatrechtliches
Vertragsverhältnis handelt, ist unter den Beteiligten unstreitig und bedarf hier keiner
Vertiefung,
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vgl. im Übrigen Beschluss der Kammer vom 14. August 2000 - 24 L 2323/00 - .
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Bei der von der Antragsgegnerin betriebenen Tageseinrichtung handelt es sich jedoch
um eine - den Eltern der Kinder als Benutzern offenstehende - gemeindliche öffentliche
Einrichtung im Sinne von § 8 GO NRW,
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vgl. Schulke, Zur Frage des Rechtswegs bei Nichtzulassung zum Kindergarten, BayVBl.
1981, 585; vom OVG NRW offengelassen im Beschluss vom 22. Oktober 1999 - 16 B
1677/99 -.
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Der Begriff der öffentlichen Einrichtung umfasst solche Gegenstände oder Gesamtheit
von Gegenständen, die von der Gemeinde für bestimmte öffentliche Zwecke gewidmet
sind und deren Benutzung durch die Einwohner bzw. durch einen in der
Zweckbestimmung festgelegten Personenkreis einer besonderen Zulassung bedarf,
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vgl. Rehn/Kronauge/von Lennep, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein- Westfalen,
2. Auflage, Band 1, § 8 Ziffer 3; OVG NRW, Urteil vom 21. August 1969, DVBl. 1971,
218.
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Der Begriff der öffentlichen Einrichtung ist weit zu verstehen und unabhängig von der
Rechtsform. Ausschlaggebend ist letztlich nur der gemeindliche Widmungsakt, der
wiederum an eine bestimmte Rechtsform nicht gebunden ist und auch durch schlichte
„Bereitstellung" der Einrichtung erfolgen kann,
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vgl. Achterberg/Püttner/Würtemberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, 2.
Auflage, Kommunalrecht, Seite 44, 45.
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Danach kann die Bereitstellung der hier in Frage stehenden Kindertagesstätte für die
Einwohnerschaft von S nicht zweifelhaft sein. Sie steht nicht im Gemeingebrauch und ist
aus dem Kreis der öffentlichen Einrichtungen auch nicht als ausschließlich im
Verwaltungsgebrauch stehend oder erwerbswirtschaftlichen Zwecken der Gemeinde
dienend ausgenommen,
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vgl. Achterberg/Püttner/Würtemberger, a.a.O. Seite 45.
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Demgemäß werden in Rechtsprechung und Literatur als öffentliche Einrichtungen z.B.
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Schulen, Theater, Büchereien, Stadthallen, Versorgungs- und Verkehrsbetriebe,
Friedhöfe, Sparkassen, Leihhäuser, Feuerwehren, Obdachlosenunterkünfte,
Schützenfeste, Zirkusveranstaltungen
vgl. hierzu Rehn/Kronauge/von Lennep, a.a.O., § 8 Ziffer I 1,
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und auch Alten- und Kinderheime
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vgl. Achterberg/Püttner/Würtemberger, a.a.O., Seite 45
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angesehen.
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Dass für die vorliegende Tageseinrichtung für Kinder etwas anderes gelten könnte, ist
weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Ob die Antragsgegnerin für diese Einrichtung das Benutzungsverhältnis öffentlich oder
privatrechtlich geregelt hat, bedarf keiner Vertiefung. Für letzteres spricht allerdings der
mit der Antragstellerseite geschlossene Betreuungsvertrag.
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Auch im Falle einer privatrechtlichen Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses darf
der aus § 8 Abs. 2 GO NRW folgende öffentlich-rechtliche Anspruch auf Zulassung und
Benutzung der Einrichtung nicht über eine zivilrechtliche Regelung unterlaufen werden.
Wird der privatrechtliche Vertrag mit einer für die öffentlich- rechtliche Zulassungs- und
Benutzungsentscheidung relevanten Begründung verweigert oder gekündigt, ist damit
die Frage des „Ob" der Benutzung und damit das öffentlich-rechtliche
Benutzungsverhältnis selbst berührt, sodass auch insoweit die Verwaltungsgerichte zur
Entscheidung berufen sind,
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vgl. Bayrischer VGH, Urteil vom 16. September 1994 - 4 B 94.1496 -, NVwZ 1995, 812.
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So liegt der Fall hier. Denn mit der von der Antragsgegnerin ausgesprochenen
Kündigung wird der Antragstellerseite bzw. deren Kind die weitere Benutzung der
öffentlichen Einrichtung „Schulhaus N Straße" versagt. Dies ergibt sich ausdrücklich aus
dem im Schreiben der Antragsgegnerin vom 13. Juni 2003 enthaltenen Hinweis,
wonach X1 ab dem 1. August 2003 die Einrichtung nicht mehr besuchen könne.
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Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt. Sie ist als Elternteil des betroffenen Kindes
Benutzerin der Einrichtung
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 1999 - 16 B 1677/99 -.
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Aus dem Umstand, dass die Eltern das Kind gem. § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB
gemeinschaftlich vertreten folgt nichts anderes. Denn es entspricht der
Lebenserfahrung, dass in einem Fall wie dem vorliegenden der eine Elternteil mit der -
keiner besonderen Form bedürfenden - Vollmacht des anderen Elternteils handelt.
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Der Antrag ist auch begründet. Denn die Antragstellerin hat sowohl einen
Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§§ 123,
Abs. 1, Abs. 3 VwGO, 920 ZPO).
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Der Anordnungsgrund folgt aus dem Umstand, dass der Sohn der Antragstellerin die
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Einrichtung ausweislich des Schreibens vom 13. Juni 2003 ab dem 1. August 2003 nicht
mehr besuchen darf.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 8 Abs. 2 GO NRW i.V.m. dem fortdauernden
Benutzungsverhältnis zwischen der Antragstellerseite und der Antragsgegnerin.
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Denn die Antragsgegnerin hat das öffentlich-rechtliche Benutzungsverhältnis nicht
wirksam beendet. Die ausgesprochene Kündigung des Betreuungsvertrages reicht
hierzu nicht aus. Die Beendigung des öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnisses ist
nämlich nicht durch eine privatrechtliche Willenserklärung möglich. Hierzu bedarf es
vielmehr einer hoheitlichen Regelung in Gestalt eines Verwaltungsakts. Ein das
Benutzungsverhältnis beendender Verwaltungsakt ist gegenüber der Antragstellerseite
nicht ergangen. Das Kündigungsschreiben der Antragsgegnerin vom 13. Juni 2003
kann nicht als solcher angesehen werden. Hierfür spricht zunächst die äußere Form des
Schreibens, insbesondere das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung. Vor allem der
Inhalt macht deutlich, dass die Antragsgegnerin mit der Kündigung nicht gleichzeitig
eine hoheitliche Regelung in Bezug auf das Benutzungsverhältnis getroffen hat oder
auch nur hat treffen wollen. Denn es heißt in dem Schreiben ausdrücklich, dass es sich
um eine ordentliche Kündigung im Sinne des § 621 BGB handele. Auch sonst ist dort
nur von dem Betreuungsvertrag, nicht aber vom Benutzungsverhältnis die Rede. Es
spricht viel dafür, dass sich die Antragsgegnerin der öffentlich-rechtlichen Bedeutung
ihres Handelns gar nicht bewusst war, was die Notwendigkeit einer klar erkennbaren
Regelung im Sinne des § 35 VwVfG unterstreicht.
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Fehlt es an der Beendigung des Benutzungsverhältnisses, besteht der Anspruch der
Antragstellerseite auf weitere Benutzung der öffentlichen Einrichtung fort, § 8 Abs. 2 GO
NRW.
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Selbst wenn man mit Rücksicht auf das vermutlich nur konkludent begründete
Benutzungsverhältnis in dem Kündigungsschreiben vom 13. Juni 2003 konkludent auch
einen das Benutzungsverhältnis beendenden Verwaltungsakt sähe, würde im Ergebnis
nichts anderes gelten. Denn in diesem Fall würde die der Antragsgegnerin unter
Beachtung der Frist des § 58 Abs. 2 VwGO zugegangene Antragsschrift, in der die
Antragstellerin der Beendigung des Benutzungsverhältnisses zumindest konkludent
widerspricht, als Widerspruch im Sinne von § 69 VwGO zu werten sein. Dieser hätte
gem. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung, weil kein Fall des § 80 Abs. 2
VwGO vorläge, der die aufschiebende Wirkung entfallen ließe.
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Wenn auch in diesem Fall nicht nach § 123 VwGO, sondern nach § 80 Abs. 5 VwGO
(unter Berücksichtigung von §§ 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, 5 Abs. 2 AGVwGO analog)
vorläufiger Rechtsschutz durch Feststellung der aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs zu gewähren wäre, weil es sich im Hinblick darauf, dass die
Antragsgegnerin davon ausgeht, dem Sohn der Antragstellerin den weiteren Aufenthalt
im Schulkinderhaus versagen zu können, um einen Fall der faktischen Vollziehung
handeln würde, könnte die Antragstellerin auch dann im Ergebnis beanspruchen, die
öffentliche Einrichtung „Schulkinderhaus N Straße" weiter zu benutzen.
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Ohne dass es in diesem Verfahren noch darauf ankäme, weist das Gericht darauf hin,
dass die Antragsgegnerin allein wegen der von der Antragstellerseite verweigerten
Zustimmung zu einem Verpflegungsentgelt kaum zur Beendigung des
Benutzungsverhältnisses berechtigt sein dürfte. Die (Nicht-)Zahlung des (vollständigen)
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Verpflegungsentgelts dürfte wohl nur die Frage berühren, ob der Sohn der
Antragstellerin noch Anspruch auf Teilnahme an der Mittagsverpflegung hat. Denn wie
sich aus § 17 Abs. 1 Satz 6 und 7 GTK, aber auch aus den Regelungen des
Elternbeitrags ergeben dürfte, ist die Teilnahme am Mittagessen wohl kein integrativer
Bestandteil des mit der Betreuung in Kindertagesstätten einhergehenden
Benutzungsverhältnisses.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1. Die Streitwertfestsetzung ist nach §§
13, 20 GKG erfolgt und entspricht dem halben Regelwert.
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