Urteil des VG Düsseldorf vom 02.06.2004

VG Düsseldorf: politische verfolgung, marokko, evangelische kirche, anerkennung, gefahr, konversion, bundesamt, islam, christentum, abschiebung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 16 K 3113/04.A
Datum:
02.06.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 K 3113/04.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht
erhoben.
Tatbestand:
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Der am 00.00.1965 in C geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er kam
als Kind zusammen mit seinen Eltern in die Bundesrepublik Deutschland. Im Jahre
1987 war er zum letzten Mal in Marokko. Im Jahre 1986 heiratete er dort seine
marokkanische Ehefrau, von der er sich aber nach kurzer Zeit trennte. Diese lebt weiter
in Marokko. In den Jahren 1996, 1997 und 2000 wurde der Kläger nach eigenen
Angaben wegen Drogenkonsums zu Haftstrafen mit Bewährung verurteilt. In den Jahren
2001 und 2002 unterzog er sich zwei stationären Drogentherapien, die er aber abbrach.
Danach begab er sich in ambulante Drogentherapie.
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Als ihm die Abschiebung nach Marokko drohte, beantragte der Kläger am 4. März 2004
die Anerkennung als Asylberechtigter. Dazu machte er geltend: Er habe sich vom Islam
gelöst und sei deshalb von seinem in Deutschland lebenden Vater verstossen worden.
Außerdem habe er hier bei der Aufdeckung von Straftaten marokkanischer Landsleute
mit der Polizei zusammen gearbeitet und sei von den jetzt in Marokko lebenden
Landsleuten mit Totschlag bedroht worden. Seit 2001 befinde er sich in erfolgreicher
Drogenrehabilitation; die ihn in Marokko erwartenden Lebensbedingungen würden
deren Scheitern zur Folge haben.
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Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (Bundesamt ) gab er im Wesentlichen an: Er habe sich gegen den Willen
seines Vaters vom Islam gelöst, weil er, wie er diesem gesagt habe, in Deutschland lebe
und sich den hiesigen Umständen anpassen müsse. Er beabsichtige, in die
evangelische Kirche einzutreten. Den marokkanischen Behörden sei das bekannt. Er
sei, so könne man sagen, auch gegen Marokko eingestellt. Er habe Drogen von
Marokkanern erhalten. Diese hätten ihn später nicht in Ruhe gelassen und unterdrückt.
Sie hätten ihm den Wagen, das Geld und die Jacke weggenommen. Er habe dann
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mehrere Marokkaner bei der Polizei benannt und Razzien bei diesen verursacht, bei
denen große Geldbeträge sichergestellt worden seien. Im Jahre 2001 sei er von drei
Fremden zusammengeschlagen worden. Im gleichen Jahr sei er auch von einem der
Marokkaner bedroht worden, sein Bild sei schon an der Grenze, die würden ihn dort
fertig machen. Er sei hier in keiner Partei und keinem Verein gewesen, habe aber öfter
im Kreis von Landsleuten seinen Unwillen über die marokkanische Staatsführung
kundgetan. Mit Marokko habe er nichts mehr im Sinn. Er sei praktisch in Europa
aufgewachsen.
Mit Bescheid vom 28. April 2004, abgesandt am 29. April 2004, lehnte das Bundesamt
den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich
unbegründet ab und stellte zugleich fest, dass offensichtlich die Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG nicht erfüllt seien und keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG
vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb
einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls ihm die
Abschiebung nach Marokko oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder
der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht wurde.
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Der Kläger hat am 7. Mai 2004 Klage erhoben und trägt ergänzend vor: Ihm drohe
wegen seiner - inzwischen erfolgten - Konvertierung zum Christentum Verfolgung in
Marokko. Die Polarisierung zwischen der islamischen und der andersgläubigen Welt
habe sich inzwischen zugespitzt. Ihm drohe auch erneute Verurteilung wegen seiner
Drogendelikte und dadurch die Gefahr menschenunwürdiger Behandlung. Ferner
müsse er mit Vergeltungsmaßnahmen von Drogenhändlern rechnen, gegen die er hier
ausgesagt habe; der marokkanische Staat biete ihm davor keinen Schutz.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 28. April 2004 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten
anzuerkennen, ferner festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG,
hilfsweise Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Bundesamtes vom 28. April 2004 ist rechtmäßig.
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Der Kläger weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter noch auf die
Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, weil bei ihm
die Voraussetzungen dafür im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) nicht gegeben sind.
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Ein Anspruch nach Art. 16 a Abs. 1 GG besteht nur dann, wenn der Asylbewerber die
aus Tatsachen begründete Furcht hegen muss, in dem Land, dessen
Staatsangehörigkeit er besitzt bzw. in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat, wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt zu
werden, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann. Gemäß § 51
Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein
Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen
Überzeugung bedroht ist.
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In Anknüpfung an diese asylerheblichen Merkmale müssen dem Asylsuchenden dabei
ge-zielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die dem Heimatstaat zuzurechnen sind
und die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der
staatlichen Einheit ausgrenzen. Ob eine Verfolgung gerade in Anknüpfung an eines der
asylerheblichen Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der
erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den
subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten,
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Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000,
961/86 -, BVerfGE 80, 315, 333 ff.
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Eine Vorverfolgung in Marokko hat der Kläger nicht geltend gemacht. Sie ist auch nicht
ersichtlich. Hinsichtlich einer bei seiner Rückkehr nach Marokko drohenden politischen
Verfolgung ist ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden. Hiernach
ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass dem Kläger in Marokko politische
Verfolgung droht.
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Das gilt zunächst für die Gefahr einer erneuten Bestrafung wegen Drogendelikten, die er
in Deutschland begangen hat und für die er hier verurteilt worden ist. Selbst wenn man
eine solche - zweifelhafte - Doppelbestrafung unterstellte, würde diese keiner
politischen Verfolgung gleichkommen, weil sie der bloßen Strafverfolgung dienen würde
und keinen politischen Bezug hätte. Dass sie hiesigen rechtsstaatlichen Grundsätzen
widersprechen würde, ist dabei unerheblich.
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Auch die dem Kläger angeblich drohende Verfolgung durch von ihm denunzierte
Drogenhändler fiele nicht unter politische Verfolgung. Sie wäre dem marokkanischen
Staat nicht zuzurechnen. Dieser verbietet durch seine Strafgesetze die Bedrohung,
Misshandlung und Tötung durch Privatpersonen und würde mit den ihm zur Verfügung
stehenden Mitteln dagegen vorgehen, also dem Kläger Schutz gewähren. Dass dieser
nicht lückenlos wäre, ändert daran nichts. Keinesfalls würde mangelnder Schutz des
Klägers vor Anschlägen von Drogenhändlern dem marokkanischen Staat zuzurechnen
sein, erst recht nicht mit der Zielsetzung, den Kläger damit indirekt politischer Verfolgung
auszusetzen.
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Auch die Konvertierung eines Moslems zum christlichen Glauben führt in Marokko nicht
zu politischer Verfolgung. Der Islam ist in Marokko zwar Staatsreligion, die
Religionsfreiheit ist aber verfassungsrechtlich verankert. Marokko hält viel auf seine
religiöse Toleranz. Das marokkanische Strafgesetzbuch sieht keine Strafe für die
Konversion eines Moslems zum christlichen Glauben vor, auch wenn mit
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gesellschaftlichen Nachteilen im Falle des Bekanntwerdens der Konversion gerechnet
werden muss,
vgl. Lagebericht Marokko des Auswärtigen Amtes vom 17. November 2003 (Gz. 508-
516.80/3 MAR).
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Seit den Anschlägen von Casablanca geht die marokkanische Regierung zudem in
stärkerem Maße als bisher gegen Islamisten vor.
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Es bestehen auch keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG. Soweit dem
Kläger auf Grund Doppelbestrafung Inhaftierung in marokkanischen Gefängnissen
drohen sollte, würde dies nicht unter § 53 AuslG fallen, auch wenn § 53 Abs. 6 AuslG
die konkrete Gefahr für Freiheit einbezieht. Das ergibt sich aus § 53 Abs. 2 AuslG, der
für den Fall strafrechtlicher Verfolgung die Abschiebung nur im Falle der drohenden
Todesstrafe verbietet. Die gerichtsbekannt schlechten Verhältnisse in marokkanischen
Gefängnissen erreichen den Grad der in § 53 AuslG erfassten Nachteile nicht.
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Zur Gefahr einer Verfolgung des Klägers durch Drogenhändler ist bereits oben
ausgeführt worden. Ihm steht der Schutz des Staates gegen deren Übergriffe zur
Verfügung.
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Die dem Kläger möglicherweise drohende gesellschaftliche Benachteiligung wegen
seiner Konversion zum Christentum - wenn sie, was vom Verhalten der Klägers selbst
abhängt, dort überhaupt bekannt würde - erfüllt ebenfalls nicht die Tatbestände des § 53
AuslG, zumal der Kläger insbesondere in den marokkanischen Großstädten hinsichtlich
seiner Religion in ausreichendem Maße anonym bleiben kann. Im Übrigen hat der
Kläger in der mündlichen Verhandlung erkennen lassen, dass seine Hinwendung zum
Christentum nicht eindeutig ist. So hat er behauptet, bereits seit 1987 „praktisch Christ"
zu sein, hat sich aber erst im Jahre 2004 taufen lassen. Seine Kenntnisse über
rudimentäre Dinge der christlichen Religion waren sehr lückenhaft. So konnte er zwar
das Vaterunser mit Fehlern aufsagen, hatte aber nur mangelhafte Kenntnisse über die
Evangelisten. Mit den „Jüngern Jesu" vermochte er überhaupt nichts anzufangen.
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Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung entsprechen den
gesetzlichen Vorschriften (§§ 34 und 36 Abs. 1 AsylVfG) und sind rechtlich nicht zu
beanstanden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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