Urteil des VG Düsseldorf vom 26.03.2009

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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 11 K 1794/07
Datum:
26.03.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 1794/07
Schlagworte:
WKA
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit es hinsichtlich der Klägerin zu 1.)
für erledigt erklärt worden ist.
Die der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen erteilte Baugenehmi-gung
vom 12./22. Dezember 2003 zur Errichtung von 2 Windenergie-anlagen
in der Gemarkung G1, Flurstücke 715/717 und der
Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E vom 28. März 2007
werden aufgehoben.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je
zur Hälfte. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen die Be-klagte
und die Beigeladene jeweils selbst.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte und die Beigeladene dürfen die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutrei-
benden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstre-
ckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Am 8. April 2002 beantragte die N GbR T, die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, bei
der Beklagten die Genehmigung zur Errichtung von zwei Windenergieanlagen vom Typ
ENERCON E-66/18.70, Fertigteilturm mit 98 Meter Nabenhöhe, auf dem Grundstück G1,
Flurstücke 715/717.
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Ein Schall- sowie ein Schattengutachten der Firma T1 vom 20. Februar 2003 wurde
nachgereicht. In dem Schallgutachten wird ausgeführt, dass anhand der Prognose der
Schallimmissionen die Einhaltung der in der Nacht geltenden Richtwerte nach der TA-
Lärm überprüft worden sei. Die Werte lägen deutlich niedriger als die am Tag geltenden
Richtwerte; da die von Windkraftanlagen ausgehenden Geräusche tags und nachts
gleich laut seien, erübrige sich die Frage, ob auch die Tagrichtwerte eingehalten seien.
Unter Ansatz eines Schallleistungspegels von 98,3 dB(A) für den beantragten
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Windkrafttyp prognostiziert das Schallgutachten bei einer Leistungsbegrenzung auf
1.000 KW für den Immissionsort B 20 (SG 18; 479 m von der Anlage 1 und 700 m von
der Anlage 2 entfernt) einen Schallimmissionswert von 35,8 dB(A) und stellte diesen
dem für den Außenbereich maßgebenden Richtwert von 45,0 dB(A) gegenüber.
In dem Schattengutachten wird für den Aufpunkt B 20 (FR 24) für den Worst Case ein
Wert von 37:08 (Std/Jahr) sowie ein realer Wert von 03:58 (Std/Jahr) berechnet. Es wird
ausgeführt, dass es nach dem Stand der Technik möglich sei, Windkraftanlagen mit
einer für definierte Aufpunkte zu programmierenden automatischen
Schattenabschaltung auszustatten.
4
Das Vorhabengrundstück liegt im Außenbereich im Landschaftsschutzgebiet Ziffer 2.6.9
des Landschaftsplanes der Stadt N1 vom 1. Juni 1982. Der Flächennutzungsplan
beschreibt den Bereich als Fläche für die Landwirtschaft.
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Der Kläger zu 2. ist Eigentümer des nordwestlich gelegenen, etwa 480 bzw. 700 m von
den geplanten Anlagen entfernten Grundstücks B 20. Dort wohnt er gemeinsam mit der
Klägerin zu 1. Das Grundstück B 20 a gehörte den Klägern zu 1. und 2.
gemeinschaftlich; sie haben das Grundstück inzwischen verkauft. Beide Grundstücke
befinden sich ebenfalls im Außenbereich und in dem vorerwähnten
Landschaftsschutzgebiet.
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Mit Bescheid vom 12. bzw. 22. Dezember 2003 erteilte die Beklagte der
Rechtsvorgängerin der Beigeladenen unter Bezugnahme auf den Antrag vom 8. April
2002 die streitgegenständliche Genehmigung. In der Genehmigung heißt es, dass die
nachstehend oder in den Anlagen enthaltenen Auflagen (A) und Bedingungen (B) sowie
die Grüneintragungen Bestandteil sind und die Hinweise (H) bei der Ausführung zu
beachten sind. In der Genehmigung heißt es weiter, dass u.a. die Hinweise und
Auflagen des Staatlichen Umweltamtes E1 – die Nennung eines Datums oder
Aktenzeichens fehlt - Bestandteil der Genehmigung und bei der Ausführung zu
beachten sind. In den Verwaltungsvorgängen findet sich insoweit ein Beiblatt des
Staatlichen Umweltamtes E1 ohne Datum und ohne Zugehörigkeitsvermerk. Darin heißt
es unter anderem:
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1. Beide von der Baugenehmigung erfassten WKA sind schalltechnisch so zu
errichten und zu betreiben, dass die von diesen Anlagen verursachten
Geräuschimmissionen an den nächsten benachbarten Wohnhäusern keinen
Beitrag zur Überschreitung der dort maßgeblichen Lärmimmissionswerte zur
Nachtzeit (gemessen und beurteilt nach Ziffer 6 ff. TA Lärm 1998) liefern.
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Hinweise:
9
Die Immissionsorte und maßgeblichen Immissionswerte sind dem Bericht Nr. 009-
02-1306-03.01 vom 20. Februar 2003 zum Schallgutachten des Planungsbüros T1
zu entnehmen. Als Nachtzeit gilt die Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr.
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2. Bedingungen für den Nachtbetrieb: Zur Einhaltung der Anforderungen nach Ziffer
1 dürfen beide Anlagen zur Nachtzeit nur in "schallreduziertem Betrieb mit einer
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Leistungsbegrenzung auf 1000 kW" (entsprechend der Vermessung nach dem
Prüfbericht 25716-1.001 der Firma Kötter Consulting Engineers vom
30. November 2001) oder in einem Betriebsmodus mit nachgewiesenem gleich
hohen oder niedrigeren Lärmimmissionspotential gefahren werden.
3. Nach Erreichen des bestimmungsgemäßen Betriebes .... ist eine
Abnahmemessung zur Bestimmung des jeweiligen Schallleistungspegels (hier nur
reduziert auf jeweils 1000 kW) nach der FGW-Richtlinie ... als Nachweis dafür
durchzuführen, dass die Emissionsdaten der jeweiligen Anlage nicht höher sind
als diejenigen, die im Gutachtenbericht Nr. 009-02-1306-03.01 vom
20. Februar 2003 des Planungsbüros T1 zugrunde gelegt worden sind. ....
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3a. Sollte zum Zeitpunkt der Abnahmemessung der Anlagentyp bereits 3 mal
vermessen worden sein und der Nachweis über die Einhaltung der angesetzten
Emissionsdaten durch die Vorlage der vollständigen Messberichte erbracht worden
sein, dann kann von der Abnahmemessung nach Ziff. 3 abgesehen werden, wenn
durch eine Bescheinigung belegt wird, dass die errichteten Anlagen in ihren
wesentlichen Elementen und in ihrer Regelung mit denjenigen Anlagen
übereinstimmen, die der akustischen Planung sowie dem Gutachtenbericht Nr.
009-02-1306-03.01 vom 20. Februar 2003 zugrunde gelegt worden sind.
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4. Jede Windkraftanlage ist mit einer automatischen Schattenabschaltung
auszustatten. Die Abschaltautomatik ist auf die im Gutachtenbericht Nr. 010-02-
1306-05.01 des Planungsbüros T1 zum Schlagschattenwurf vom 20. Februar 2003
aufgeführten Aufpunkte so zu programmieren, dass dort
Schlagschattenbeaufschlagungen bei Witterungsverhältnissen mit entsprechender
anhaltender Sonneneinstrahlung nicht auftreten können. An Tagen mit
wechselnder Sonneneinstrahlung sind die einzelnen Anlagen automatisch dann
abzuschalten, wenn sie zu tatsächlichen Beaufschlagungszeiten an einem der
genannten Aufpunkte von mehr als 30 Minuten pro Tag beitragen können.
14
Hinweise:
15
... Unter "Aufpunkte" sind die im Gutachtenbericht ... genannten Wohnhäuser und
deren intensiv genutzten Gartenbereiche zu verstehen....
16
Auf den in Bezug genommenen Gutachten der Firma T1 finden sich keine
Zugehörigkeitsvermerke.
17
Von den Antragsunterlagen sind der mit Eingangsvermerk vom 12. Mai 2003 versehene
Lageplan und Teile der Anlagenbeschreibung (Bl 14 a, 15, 21, 22 Beiakte Heft 2) mit
einem Zugehörigkeitsvermerk versehen, der aber eine Zugehörigkeit zu einem – nicht
vorliegenden - Bescheid vom 20. Oktober 2003 bestätigt. In dem Lageplan sind durch
Grüneintragungen die Standorte der Windkraftanlagen verschoben worden. In dem
Lageplan, der der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen mit der Genehmigung
übersandt wurde und der ebenfalls einen Grünstempel – allerdings ohne Datum –
aufweist, sind diese Änderungen nicht enthalten.
18
Unter dem 31. Dezember 2003 erhoben die Kläger Widerspruch und wiesen zunächst
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auf das Fehlen einer Befreiung nach § 69 LG NRW hin.
Eine Nachbarin, deren Wohnhaus von den geplanten Anlagen ca. 373 bzw. 412 Meter
östlich bzw. südöstlich entfernt gelegen ist, hat sich im einstweiligen Rechtsschutz
gegen die streitgegenständliche Genehmigung gewandt. Das Verwaltungsgericht
Düsseldorf hat den Antrag mit Beschluss vom 27. Mai 2004 – 9 L 111/04 – abgelehnt.
Die dagegen eingelegte Beschwerde blieb vor dem OVG NRW erfolglos (Beschluss
vom 3. Februar 2005 – 10 B 1291/04 –).
20
Die Bezirksregierung E wies den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchsbescheid
vom 28. März 2007 als unzulässig zurück, da die Kläger nicht Eigentümer eines
Grundstückes seien, das unmittelbar an die 300 Meter Schutzzone angrenze, so dass es
ihnen an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse fehle.
21
Die Kläger haben am 30. April 2007 Klage erhoben. Sie machen geltend, trotz der
Entfernung von etwas mehr als dem Dreifachen der Gesamthöhe der geplanten Anlagen
führe deren Errichtung zu einer unzumutbaren optischen Bedrängung. Insbesondere der
aufwendig gestaltete Außenbereich ihres Wohnhauses mit Sonnen- und Wohnterrasse
sei der Dominanz der Anlage ausgesetzt. Wegen der großen Fensterfront des
Wohnbereiches wären die Anlagen auch im Hausinnern ständig präsent. Weiter berufen
die Kläger sich auf das gesamte Vorbringen in den verwaltungsgerichtlichen
Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf 9 L 111/04 und im
Beschwerdeverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
10 B 1291/04. Schließlich führen die Kläger aus, Schatten- und Schallgutachten gingen
von falschen Eingangsdaten aus. Dies möge mit Blick auf die Schallimmissionen auf
dem Grundstück der Kläger zwar nicht zu erheblichen tatsächlichen Unterschieden
führen. Mit Blick auf die Nebenbestimmungen der Genehmigung zum Schattenschlag
seien derartige Differenzen aber nicht hinnehmbar. Die Abschaltautomatik sei wegen
der fehlerhaften Daten nicht exakt zu programmieren. Ferner reiche das alleinige
Abstellen auf die Immissionsprognose nicht aus. Es sei keineswegs unwahrscheinlich,
dass das Anlagengeräusch ton- oder impulshaltig sei. Die Rechtswidrigkeit der
Genehmigung ergebe sich auch aus dem gemäß Ziffer 3a der Nebenbestimmungen
möglichen Verzicht auf eine Abnahmemessung. Ohne eine solche könne das
tatsächliche Geräuschverhalten einer Anlage nicht überprüft werden. Schließlich sei
Ziffer 4 der Nebenbestimmung zu unbestimmt, da nicht klar sei, was Tage mit
"anhaltender Sonneneinstrahlung" gegenüber Tagen mit "wechselnder
Sonneneinstrahlung" seien.
22
Das Gericht hat die örtlichen Verhältnisse durch die Berichterstatterin als beauftragte
Richterin in Augenschein genommen. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das
Protokoll des Ortstermins vom 23. Oktober 2008, insbesondere auf die angefertigten
Lichtbilder verwiesen.
23
Hinsichtlich der Klägerin zu 1.) haben die Beteiligten das Verfahren in der mündlichen
Verhandlung mit Blick auf den erfolgten Verkauf des Grundstücks B 20 a
übereinstimmend für erledigt erklärt.
24
Die Beigeladene hat zu Protokoll erklärt, sie verpflichte sich, die beiden streitigen
Windkraftanlagen 1 und 2 nach Errichtung so zu betreiben, dass am Wohnhaus B 20
keinerlei Schlagschatten entsteht. Außerdem hat sie sich verpflichtet, die beiden
Windkraftanlagen so zu betreiben, dass am Wohnhaus der Kläger die Werte 60/45
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dB(A) eingehalten werden und dies durch entsprechende Vermessung nachzuweisen.
Der Kläger zu 2.) beantragt,
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die der Firma N GbR T als Rechtsvorgängerin der Beigeladenen erteilte
Genehmigung der Beklagten vom 12./22. Dezember 2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 28. März 2007 zur
Errichtung von zwei Windenergieanlagen in der Gemarkung G1, Flurstücke
715/717 aufzuheben.
27
Die Beklagte beantragt,
28
die Klage abzuweisen.
29
Sie weist auf die großen Entfernungen zwischen den Wohnhäusern und den geplanten
Anlagenstandorten und darauf hin, dass sich das Verwaltungsgericht und das
Oberverwaltungsgericht bereits mit den immissionsschutzrechtlichen Aspekten
auseinandergesetzt hätten und sich aus der Klagebegründung keine neuen Argumente
ergäben.
30
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
31
die Klage abzuweisen.
32
Sie führt insbesondere aus, nach ihrer zu Protokoll gegebenen Erklärung scheide eine
Nachbarrechtsverletzung des Klägers aus.
33
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der
Bezirksregierung E und die beigezogenen Gerichtsakten aus dem Verfahren 9 L 111/04
Bezug genommen.
34
Entscheidungsgründe:
35
Das Gericht stellt das Verfahren entsprechen § 92 Abs. 3 VwGO (deklaratorisch) ein,
soweit die Beteiligten es hinsichtlich der Klägerin zu 1.) übereinstimmend für erledigt
erklärt haben.
36
Das verbliebene Klagebegehren ist erfolgreich. Die angefochtene Baugenehmigung
vom 12./22. Dezember 2003 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger zu 2.) in eigenen
Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
37
Die Baugenehmigung ist unter Verstoß gegen § 37 Abs. 1 VwVfG unbestimmt und die
Unbestimmtheit bezieht sich gerade auf solche Merkmale des Vorhabens, deren genaue
Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarschützender Rechtsvorschriften
auszuschließen.
38
Eine Baugenehmigung muss inhaltlich bestimmt sein. Sie muss Inhalt, Reichweite und
Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit der Bauherr den
Umfang der für ihn legalen Nutzungen und Drittbetroffene das Maß der für sie aus der
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Baugenehmigung erwachsenden Betroffenheit zweifelsfrei feststellen können.
OVG NRW, Beschluss vom 20. September 2007 – 10 A 4372/05 -, mw.N., zitiert nach
Juris.
40
Maßgeblich für den Inhalt dessen, was baurechtlich genehmigt ist, ist in erster Linie die
Baugenehmigung selbst. Der Bauschein bestimmt insbesondere Art und Umfang des
genehmigten Vorhabens. Auch die mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen
müssen bei der Ermittlung des objektiven Erklärungsinhalts der Baugenehmigung
herangezogen werden. Somit wird der Inhalt der Baugenehmigung durch den
Bauschein und die dort in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstigen Anlagen
bestimmt, die nach dem objektiv zu ermittelnden Regelungsgehalt das betreffende
Vorhaben ausmachen sollen.
41
OVG NRW, Beschluss vom 30. Mai 2003 – 10 A 2017/03 – m.w.N., BRS 69, Nr. 163;
Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung NRW, II, Stand Juni 2008, § 75 Rn. 194.
42
Die zum Bauschein gehörenden Bauvorlagen sind gemäß § 75 Abs. 1 Satz 3 BauO
NRW mit einem Genehmigungsvermerk ("Grünstempel") zu versehen. Es ist insoweit
ausreichend aber auch erforderlich, dass der Vermerk die Verbindung von bezeichneter
Unterlage und Bauschein zweifelsfrei kennzeichnet.
43
Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, BauO NRW, 11. Auflage, § 75 Rn. 138, 139.
44
Wurden Bauvorlagen zwar eingereicht, aber nicht mit dem Zugehörigkeitsvermerk
versehen, so sind sie nicht Bestandteil der Baugenehmigung geworden und können
schon daher an ihrer Regelungswirkung nicht teilnehmen.
45
OVG NRW, Beschluss vom 29. April 2004 – 10 B 545/04 -, zitiert nach Juris;
Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung NRW, II, Stand Juni 2008, § 75 Rn.
Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, BauO NRW, 11. Auflage, § 75 Rn. 131.
46
Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 12./22 Dezember 2002 ist unbestimmt.
Es fehlt bereits die genaue Typenbezeichnung der Windenergieanlagen und die
Festlegung der Standorte der beiden Windkraftanlagen. Ebenso fehlt jede Regelung
zum zulässigen Anlagenbetrieb.
47
Aus dem (einseitigen) Bauschein selbst ergibt sich lediglich, dass 2
Windenergieanlagen des Typs Enercon E-66 in der Gemarkung G1, Flurstücke 715/717
errichtet werden sollen. Die Typenbezeichnung ist unbestimmt, da es 3 Anlagen des
Typs Enercon E-66, nämlich: E-66/15.66, E-66/18.70 und E-66/20.70 mit
unterschiedlichem Rotordurchmesser und unterschiedlicher Nennleistung gibt. Ferner
fehlt eine Angabe zu den genauen Standorten der Anlagen auf den Flurstücken. Im
Übrigen enthält der Bauschein lediglich Verweise.
48
Mit Zugehörigkeitsvermerk zu der streitgegenständlichen Baugenehmigung versehene
Unterlagen existieren nicht. Der in den Verwaltungsvorgängen befindliche Lageplan ist
mit einem Zugehörigkeitsvermerk zu einer nicht (mehr) existierenden Genehmigung vom
20. Oktober 2003 versehen. Mit Blick auf die Zugehörigkeit zu eben dieser
Genehmigung sind auch die vorgenommenen Grüneintragungen zu verstehen, die die
Koordinaten der Anlagenstandorte ändern. Die Standorte der hier zur Genehmigung
49
gestellten Anlagen sind damit indes nicht festgelegt. Insoweit ist auch zu
berücksichtigen, dass der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen seinerzeit mit der
Genehmigung ein widersprüchlicher Lageplan übersandt wurde, auf dem ein
Zugehörigkeitsvermerk angebracht, das Datum des zugehörigen Bescheides aber
entfernt ist und der überdies keine Änderung der Koordinaten durch Grüneintragungen
enthält.
Auch die in der Genehmigung vorhandene Bezugnahme auf den Antrag vom 8. April
2002 führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn aus dieser Bezugnahme ist schon
nicht erkennbar, welche Anlagen von der Bezugnahme umfasst sein sollen. Es wurden
nämlich nicht alle Unterlagen zeitgleich eingereicht. So ist der Lageplan (wohl mit der
Anlagenbeschreibung) ausweislich des eingetragenen Eingangsvermerks erst am 12.
Mai 2003 bei der Beklagten eingegangen; das Schall- und das Schattengutachten sind
am 22. April 2003 bei der Beklagten eingegangen.
50
Es fehlt ferner jegliche Regelung zur Betriebsweise und damit zum Immissionsschutz.
Regelungen zum Umfang des zulässigen Anlagenbetriebes finden sich einzig in einem
undatierten "Beiblatt" des Staatlichen Umweltamtes E1 (das seinerseits auf das Schall-
und das Schattengutachten Bezug nimmt). Dies Beiblatt des Staatlichen Umweltamtes
E1 ist aber nicht Bestandteil der Baugenehmigung. Es ist nicht mit einem
Zugehörigkeitsvermerk versehen. In dem Bauschein heißt es zwar, dass u.a. die
Hinweise und Auflagen des Staatlichen Umweltamtes E1 Bestandteil der Genehmigung
sind. Zum einen lässt eine Bezugnahme nicht die Notwendigkeit eines
Zugehörigkeitsvermerks entfallen. Zum anderen lässt sich aus der Bezugnahme nicht
erkennen, welche "Hinweise und "Auflagen" in Bezug genommen werden, zumal
gerade nicht auf das "Beiblatt" Bezug genommen wird, ferner kein Datum und kein
Aktenzeichen genannt werden. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es neben dem
"Beiblatt" noch eine Stellungnahme des Staatlichen Umweltamtes E1 vom 27. Juni
2002 zu dem Vorhaben gibt und es offenbar auch ein – nicht mehr in den
Verwaltungsvorgängen befindliches - weiteres Beiblatt des Staatlichen Umweltamtes
gab. Ausweislich einer Kurzmitteilung des Staatlichen Umweltamtes vom 11. Juni 2003
(Blatt 141 Beiakte Heft 2) ist das Beiblatt nämlich überarbeitet worden und sollte
ausgetauscht werden. Welche Fassung des Beiblattes (heute noch) in den
Verwaltungsvorgängen vorhanden ist, ist unklar.
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Ohne Regelung der zulässigen Betriebsarten der Windkraftanlagen könnten die
Anlagen tags- wie nachts und unabhängig von etwaiger Sonneneinstrahlung dauerhaft
mit Vollleistung – deren Höhe mangels ausreichend bestimmter Typenbezeichnung
auch offen ist - betrieben werden.
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Die Unbestimmtheit der Baugenehmigung führt im vorliegenden Fall zu ihrer
Aufhebung. Eine Baugenehmigung ist als nachbarrechtswidrig aufzuheben, wenn
Bauschein und genehmigte Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter
Baumaßnahmen unbestimmt sind und infolgedessen bei der Ausführung des
Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist.
53
OVG NRW, Beschluss vom 30. Mai 2005 – 10 A 2017/03 , BRS 69 Nr. 163; OVG
NRW, Beschluss vom 29. September 1995 – 11 B 1258/95 -, BRS 57 Nr. 162.
54
Nachbarschützenden Charakter hat hier § 22 Abs. 1 BImSchG, wonach nicht
immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu
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betreiben sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem
Stand der Technik vermeidbar sind. Schädliche Umwelteinwirkungen liegen nach der
Legaldefinition des § 3 Abs. 1 BImSchG bereits bei Immissionen vor, die nach Art,
Ausmaß und Dauer geeignet sind, erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft
herbeizuführen. Hierzu gehören unter anderem Schallimmissionen und
Schlagschattenwurf. Es ist bei Anlagen, die keiner immissionsschutzrechtlichen
Genehmigung bedürfen, Aufgabe der Bauaufsicht, die Einhaltung der
Immissionsschutzvorschriften zu überwachen, da § 22 BImSchG zu den nach § 75 Abs.
1 Satz 1 BauO NRW zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften gehört.
OVG NRW, Beschluss vom 13. Mai 2002 – 10 B 671/02, NVwZ 2002,1131.
56
Die Betriebsart führt zu differierenden Emissionen und damit zu unterschiedlich hohen
Immissionen an den jeweiligen Immissionsorten; ihre Festlegung hat
nachbarschützenden Charakter. Nach der streitgegenständlichen Baugenehmigung
können die Windkraftanlagen mangels Regelung auch nachts mit Vollleistung, deren
Höhe nicht einmal geregelt ist, betrieben werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der
Kläger im Falle eines Anlagenbetriebes in Vollleistung in seinen Rechten verletzt wird.
Denn das vorliegende Schallgutachten der Firma T1 hat lediglich den
leistungsreduzierten Anlagenbetrieb mit 1.000 kW von Anlagen des Typs E-66/18.70
und den damit einhergehenden Schallleistungspegel von 98,3 dB(A) untersucht und
insoweit für das Grundstück des Klägers zu 2.) einen Immissionswert von 35,8 dB(A)
nachts errechnet. Welcher Schallimmissionswert sich für die anderen Typen E-66/15.66
bzw. E-66/20.70 nachts bei Vollleistung - ggf. bei 2.000 kW - am Grundstück B 20 (SG
18) ergäbe, lässt sich dem Schallgutachten nicht entnehmen. Es ist insbesondere nicht
ausgeschlossen, dass der zulässige Nachtrichtwert von 45 dB(A) dann überschritten
würde. Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Gutachten nur für die dort genannten
Koordinaten der Anlagen Immissionswerte errechnet hat, die Anlagen nach dem
Genehmigungsinhalt aber überall auf den bezeichneten Flurstücken errichtet werden
könnten, wodurch die Anlagenstandorte um bis zu ca. 150 m näher an das klägerische
Grundstück verlagert werden könnten, was nicht unerheblichen Einfluss auf die
Immissionswerte hätte.
57
Da die Genehmigung (auch) keine Regelung zum Schlagschatten trifft, insbesondere
keine Abschaltautomatik vorgesehen ist, ist sie auch insoweit in
nachbarrechtsrelevanten Belangen unbestimmt. Die Verletzung von Nachbarrechten ist
nicht ausgeschlossen, da aus dem Schattengutachten schon bei den dort zugrunde
gelegten Standorten hervorgeht, dass für den Aufpunkt B 20 (FR 24) für den Worst-Case
37:08 (Std/Jahr) Schlagschatten möglich sind und dieser Wert über das hinnehmbare
Maß hinaus geht.
58
Die Nachbarrelevanz ist durch die Erklärung der Beigeladenen in der mündlichen
Verhandlung nicht entfallen. Denn die Erklärung beinhaltet jedenfalls hinsichtlich der
Geräuschimmissionen bloße Zielvorgaben, die als solche nicht geeignet sind, den
ausreichenden Nachbarschutz sicherzustellen. Ausreichender Nachbarschutz ist nur
dann sichergestellt, wenn gewährleistet ist, dass die Anlagen die maßgeblichen
Lärmgrenzwerte schon ab dem Beginn ihrer Inbetriebnahme einhalten.
59
OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2002 – 10 B 939/02 -, m.w.N., zitiert nach Juris
m.w.N.
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Dies kann hier indes nicht beurteilt werden. Nach der zu Protokoll gegebenen Erklärung
bleibt offen, in welchem Betriebsmodus (1.800 oder 1.000 kW) die genannten Werte
eingehalten werden sollen. Dessen Festlegung ist aber erforderlich, weil die jeweilige
Betriebsweise wegen der differierenden Emissionen auch zu unterschiedlich hohen
Immissionen führen und damit für die Genehmigungsfähigkeit der Windkraftanlagen
erheblich sind.
61
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2002 10 B 939/02 -, zitiert nach Juris.
62
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3, 155 Abs. 1 Satz 4, 159, 162 Abs.
3 VwGO, § 100 ZPO.
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Hinsichtlich des in der Hauptsache erledigten Teils des Verfahrens war nach § 161 Abs.
2 VwGO lediglich nach billigem Ermessen über die Kosten zu entscheiden. Da die
Beteiligung der Klägerin zu 1.) ebenso wie die geltend gemachten Auswirkungen auf
das nunmehr verkaufte Grundstück B 20 a für die Bemessung des Streitwertes
unberücksichtigt bleiben, fällt auch die insoweit erklärte Erledigung kostenmäßig nicht
ins Gewicht - § 155 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Mit Blick auf das Unterliegen der Beklagten
und der Beigeladenen, waren diesen die Kosten je zur Hälfte aufzuerlegen. Der
Beigeladenen konnten Kosten auferlegt werden, weil sie einen Antrag gestellt hat, mit
dem sie unterlegen ist. Ein Kostenerstattung der Beigeladenen kommt nicht in Betracht,
weil sie zum "unterliegenden Teil" gehört.
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Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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