Urteil des VG Düsseldorf vom 01.12.2004

VG Düsseldorf: richterliche kontrolle, gebühr, grundstück, daten, stadt, fehlerhaftigkeit, abrechnung, ergänzung, satzung, vollstreckung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 16 K 7822/03
01.12.2004
Verwaltungsgericht Düsseldorf
16. Kammer
Urteil
16 K 7822/03
Die Heranziehungsbescheide des Beklagten vom 28. August 2002, 16.
September 2002 und 10. Januar 2003 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2003 werden aufgehoben,
soweit die Klägerin zu Straßenreinigungsgebühren in Höhe von mehr als
1.332,39 Euro herangezogen worden ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke Hstraße 155 (Flurstück 473) und B 17
(Flurstück 460) in E. Das Flurstück 473 grenzt mit rund 10 m direkt an die Hstraße und
verfügt über weitere im Hinterland verlaufende, der Hstraße zugewandte Grundstücksseiten
von zusammen rund 19 m Länge. Ferner liegt es mit insgesamt rund 100 m Länge hinter
den Grundstücken B 1 - 15 und mit 9 m hinter dem im Eigentum der Klägerin stehenden
o.g. Grundstück B 17. Der rückwärtige Teil des Grundstücks Hstraße 155 wird zum Teil als
Garagenhof genutzt, die Zufahrt erfolgt insoweit über das Grundstück B 17.
Mit Änderungsbescheiden vom 28. August 2002 und 16. September 2002 zog der Beklagte
die Klägerin für das Grundstück Hstraße 155 über die bis dahin für 10 Frontmeter
erhobenen Straßenreinigungsgebühren hinaus zu weiteren Straßenreinigungsgebühren
heran, und zwar für das Jahr 2001 in Höhe von 4.621,32 DM und für das Jahr 2002 in Höhe
von 2.334,-- Euro. Als Berechnungsgrundlage legte er 27 Hinterlieger-meter zur 7 mal
wöchentlich gereinigten Hstraße (Reinigungsklasse C 5) und 100 Hinterliegermeter zur 2
mal wöchentlich gereinigten Straße B (Reinigungsklasse C 2) zugrunde. Mit einem
weiteren Bescheid vom 10. Januar 2003 erhob der Beklagte für das Jahr 2003 für dieses
Grundstück Straßenreinigungsgebühren in Höhe von insgesamt 3.194,64 Euro.
Gegen diese Bescheide legte die Klägerin jeweils Widerspruch ein. Daraufhin korrigierte
der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2003 seine Berechnung;
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hinsichtlich der der Hstraße zugewandten Seite reduzierte er die Hinterliegermeter auf 19
m, hinsichtlich der Straße B erhöhte er die Zahl der Hinterliegermeter um weitere bislang
unberücksichtigt gebliebene 9 m für die an das Flurstück 460 angrenzende Seite. Für das
Jahr 2001 wurden demgemäß die Gebühren neu auf 5.001,48 DM, für das Jahr 2002 auf
2.526,00 Euro und für das Jahr 2003 auf 2.930,16 Euro festgesetzt.
Die Klägerin hat am 19. November 2003 Klage erhoben, soweit der Beklagte Gebühren für
die Hinterliegermeter berechnet hat. Sie macht geltend: Im Verfahren 16 L 1487/81 habe
der Vertreter der Stadt im Termin am 20. Januar 1982 verbindlich erklärt, dass die
Grundstücksparzelle 473 für das Jahr 1982 und die folgenden Jahre nur mit der unmittelbar
an der Hstraße liegenden Frontlänge bei der Straßenreinigungsgebührenheranziehung
berücksichtigt werde; der Garagenhof und das angrenzende Gartengelände würden in
Zukunft nur noch zur Straße B herangezogen. Darüber hinaus müsse nach § 6 Abs. 2 der
Straßenreinigungssatzung die der Straße nächst gelegene Grundstücksseite zur Ermittlung
der Straßenreinigungsgebühr herangezogen werden. Als nächst gelegene Seite könne
aber nur der hintere Teil der Parzelle 473 mit einer Länge von 31,12 m angesehen werden,
der vordere Teil dieser Parzelle mit einer Seitenlänge von 68,84 m könne nicht als
Hinterliegergrundstück der Parzelle 460 eingestuft werden. Soweit für die Berechnung der
Hinterliegermeter der Parzelle 460 diese weiteren 69 m in Ansatz gebracht worden seien,
sei eine solche Vorgehensweise unverhältnismäßig. Der tatsächlich erbrachten
Reinigungsleistung auf einer Strecke von 10 Frontmetern stehe ein Gebührenaufkommen
bezogen auf eine Strecke von 109 m gegenüber, somit fast das 11-fache. Ein derartiges
Missverhältnis zwischen erbrachter und abgerechneter Leistung verstoße gegen Art. 3 GG
und § 3 KAG NRW. Auch führe die Nichtberücksichtigung von ca. 147.000 gesondert
erfasster Front- und Hinterliegermeter zur Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Bescheide.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Heranziehungsbescheide des Beklagten vom 28. August 2002, 16. September 2002
und 10. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2003
aufzuheben, soweit darin Straßenreinigungsgebühren in Höhe von mehr als 1.332,39 Euro
festgesetzt worden sind.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Die Heranziehungsbescheide des Beklagten sind - soweit angefochten - rechtswidrig und
verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die in der Satzung über die Reinigung der öffentlichen Straßen in der Stadt E vom 14.
Dezember 1991 in den Fassungen der für die Gebührenjahre 2001 - 2003 jeweils
maßgeblichen Änderungssatzungen (SRS) festgesetzten Gebührensätze sind auch unter
Berücksichtigung der vom Rat der Stadt am 25. März 2004 beschlossenen Ergänzung der
Kalkulationen fehlerhaft und damit nichtig.
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Dabei kann offen bleiben, ob die nachträgliche Kalkulationsergänzung, mit der die nicht
pauschal auf alle Gebührenpflichtigen umlegbaren Winterdienstkosten in den städtischen
Eigenanteil verschoben worden sind, wegen eines Verstoßes gegen den nach § 6 Abs. 3
KAG NRW geltenden Grundsatz der Gebührengerechtigkeit zur Unwirksamkeit der
Satzung führt, weil hierdurch die an wintergewarteten Strecken liegenden Grundstücke
begünstigt werden. Denn die Fehlerhaftigkeit der Gebührensätze folgt daraus, dass die
hierzu aufgestellten Berechnungen auf Ansätzen beruhen, die unzureichend ermittelt
wurden. Bei Benutzungsgebühren nach § 6 KAG NRW kommt es für die richterliche
Kontrolle des Gebührensatzes ausschließlich darauf an, dass das vom Satzungsgeber
veranschlagte Gebührenaufkommen die voraussichtlichen Kosten der gebührenpflichtigen
Einrichtung im Ergebnis nicht übersteigen soll. Dabei muss die Prognose des
Gebührenaufkommens im Ergebnis nicht genau sein, dem Satzungsgeber sind insoweit
gewisse Schätzungs- und Beurteilungsspielräume eingeräumt, er hat das zu erwartende
Gebührenaufkommen lediglich gewissenhaft zu prognostizieren,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Januar 1991 - 9 A 765/88 -.
Eine gewissenhafte Prognose setzt aber voraus, dass absehbare Veränderungen der
maßgeblichen Berechnungsgrundlagen Berücksichtigung finden.
Diesen Grundsatz hat der Beklagte nicht hinreichend berücksichtigt. Nach seinen
Darlegungen in dem ebenfalls die Straßenreinigungsgebühren für die Jahre 2001 - 2003
betreffenden Verfahren 16 K 5353/03 war bereits im Jahr 1998 bekannt, dass es bei den -
auch für die Gebührenkalkulation wesentlichen - Frontmeterzahlen einen erheblichen, ca.
8.000 Fälle betreffenden Überprüfungsbedarf gab, der dann schließlich im Jahr 2003 zu
Nachveranlagungen und einer Steigerung der Frontmeter (einschließlich Hinterliegermeter)
um zusätzliche 147.042 Meter führte. Diese zusätzlichen Frontmeter sind aber weder in die
früheren Gebührenkalkulationen aufgenommen worden noch in der Ergänzung der
Kalkulationen bei der ​Berechnung der Gebühr je Leistungseinheit" berücksichtigt worden,
obwohl der Beklagte hierzu in der Lage gewesen wäre. Denn bei Erstellung der
Gebührenbedarfsberechnung für die hier betroffenen Jahre (2001 - 2003) war der Umstand
schon längst bekannt, dass bei den angesetzten Frontmeterzahlen eine Vielzahl von
Straßen nicht zutreffend erfasst war, auch lagen die diesbezüglichen Daten bereits vor,
waren nur noch nicht ausgewertet. Da es sich um eine Vielzahl von Fällen handelte, lag es
auf der Hand, dass eine Auswertung der Daten zu einer Erhöhung der Frontmeterzahlen in
nicht unerheblichem Maße führen und sich daher auf die Höhe des Gebührensatzes
auswirken könnte. Wenn bei dieser Sachlage eine Datenauswertung und Anpassung an
den für die Gebührenkalkulation maßgeblichen Datenbestand unterbleibt, obwohl sie
erkennbar möglich und auch nötig gewesen wäre, dann kann von einer gewissenhaften
Prognose nicht mehr ausgegangen werden. Zu einer sachgerechten und gewissenhaften
Prognose gehört auch ein gewissenhafter Umgang mit vorhandenen Daten sowie deren
unverzügliche Verwertung, und zwar selbst bei personellen Engpässen. Rund 140.000
zusätzliche Meter machen gegenüber den in den Gebührenkalkulationen mal als
Faktorwerte", mal als ​berechnete Reinigungsmeter" bezeichneten Metern in den Jahren
2001 und 2002 ca. 4,6 % und im Jahr 2003 ca. 4,5 % mehr aus; sie erreichen damit eine
Größenordnung, die keinesfalls als unerheblich eingestuft und deshalb auch nicht
vernachlässigt werden kann.
Die von der Klägerin für die Jahre 2001- 2003 erhobenen Straßenreinigungsgebühren sind
auch noch unter einem weiteren Aspekt fehlerhaft. Der Beklagte hat (erstmals für das Jahr
2000) die errechneten Gebührensätze so gerundet, dass eine Teilbarkeit der Jahresgebühr
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durch 12 erzielt wurde, und zwar ausweislich seiner Begründung zu den
Gebührenkalkulationen, weil dies die monatliche Abrechnung erleichtere. Diese Rundung
fällt pro Reinigungsklasse ganz unterschiedlich aus: In der Reinigungsklasse C im Jahr
2001 wurde der Gebührensatz pro m von errechneten 11,8061 DM auf 11,88 DM gerundet
und lag mithin um 7 Pfennig/m über der eigentlich errechneten Jahresgebühr, wohingegen
die durch Rundung für die Reinigungsklasse B festgesetzte Gebühr um 2 Pfennig/m
niedriger als die errechnete Jahresgebühr lag. Im Jahr 2002 lag die Gebühr für die
Reinigungsklasse C aufgrund der Rundung zwar unter dem ursprünglich errechneten Wert
(- 8 Cent/m), zwischen den Reinigungsklassen ergaben sich aber wiederum erhebliche
Unterschiede, so lag die Gebühr für die Reinigungsklasse G in diesem Jahr weitere 6 Cent
niedriger, also insgesamt 14 Cent unter der hierfür ursprünglich errechneten Jahresgebühr.
Im Jahr 2003 lag die Gebühr für die Reinigungsklasse C mit 6,96 Euro/m um 9 Cent/m über
dem ermittelten Wert (6,8734) wohingegen die für die Reinigungsklasse G nach Rundung
festgesetzte Gebühr 8 Cent/m niedriger ausfiel als der hierfür ermittelte Wert. Diese
Rundungsdifferenzen erreichen eine nicht unerhebliche Größenordnung und führen zu
einer deutlichen Ungleichbehandlung der Gebührenzahler, je nach dem in welche
Reinigungsklasse die ihre Grundstücke erschließenden Straßen eingestuft wurden. Diese
Ungleichbehandlung lässt sich mit sachlichen Gesichtspunkten wie etwa dem Grundsatz
der Verwaltungspraktikabilität nicht rechtfertigen. Denn es handelt sich bei den
Straßenreinigungsgebühren um Jahresgebühren, die üblicherweise gerade nicht monatlich
abgerechnet werden. Auch die quartalsweise erfolgenden Abschlagszahlungen
rechtfertigen diese Rundungsdifferenzen nicht, zumal die bei einer Pfennig- bzw. Cent-
genauen Abrechnung ggfs. erforderlichen Rundungen keine besonderen mathematischen
Kenntnisse erfordern und ohne Schwierigkeiten jederzeit durchgeführt werden können.
Außerdem sind durch diese Rundungsdifferenzen in den Jahren 2001 und 2003
Überdeckungen in Höhe von 202.777,-- DM (2001) und 97.316,-- Euro (2003) bewusst in
Kauf genommen worden, was ebenfalls bedenklich erscheint.
Angesichts dessen kommt es auf die übrigen von der Klägerin in ihrer Klagebegründung
angesprochenen Fragen nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen
nicht vor.