Urteil des VG Darmstadt vom 23.03.2011

VG Darmstadt: örtliche zuständigkeit, rechtshängigkeit, stadt, satzung, vollstreckung, fax, kreis, adresse, hessen, rechtsmittelbelehrung

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Gericht:
VG Darmstadt 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 K 91/10.DA
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 17 Abs 1 S 2 GVG, § 17a Abs
2 S 2 GVG, § 52 Abs 3 S 2
VwGO, § 7 BGB
örtliche Zuständigkeit bei mehreren Wohnsitzen
Leitsatz
1. Besitzt ein Kläger mehrere Wohnsitze und trifft er keine Wahl über das örtlich
zuständige Gericht oder wählt er ein örtlich unzuständiges Gericht, bestimmt das
angerufene Gericht das örtlich zuständige Gericht (§ 17a Abs. 2 GVG).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten
abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben
Höhe leistet.
Tatbestand
Der Beklagte erhob mit Bescheid vom 02.02.2009 Säumniszuschläge gemäß § 30
Abs. 2 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande Hessen
auf rückständige Beiträge seit Juli 1998 in Höhe von 423,00 Euro. Der Beklagte
erhob ferner mit Bescheid vom 27.04.2009 Säumniszuschläge in Höhe von 324,00
Euro und mit Bescheid vom 06.08.2009 Säumniszuschläge in Höhe von 328,50
Euro. Zur Begründung und Berechnung wird auf die Bescheide verwiesen (Blatt
969 bis 973, 985 bis 989, 1021 bis 1025 der Behördenakte).
Der Kläger legte am 14.02.2009 Widerspruch gegen den Bescheid vom
02.02.2009, am 03.05.2009 Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.4.2009 und
am 30.08.2009 Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.08.2009 ein, da die
Bescheide trotz Kenntnis der Steuererklärungen Säumniszuschläge auf nicht
erzielte Einkommen auswiesen.
Der Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2009
zurück. Der Kläger sei mit seinen Beiträgen säumig gewesen, gemäß § 30 Abs. 2
der Satzung seien auf rückständige Beiträge Säumniszuschläge festzusetzen. Die
Berechnung der Säumniszuschläge sei fehlerfrei erfolgt. Ausweislich der dem
Widerspruchsbescheid beigefügten Rechtsmittelbelehrung war die Klage beim
Verwaltungsgericht Darmstadt zu erheben. Der Widerspruchsbescheid ging beim
Kläger am 24.12.2009 ein.
Der Kläger hat per Fax am 21.01.2010 um 19.26 Uhr beim erkennenden Gericht
Klage erhoben und vorab die örtliche Zuständigkeit gerügt, da sich seine Kanzlei in
Frankfurt befinde. Im Übrigen verweise er auf seine Begründung für die am
gleichen Tag zum gleichen Streitgegenstand erhobene Klage beim
Verwaltungsgericht Frankfurt.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide des Beklagten vom 02.02.2009, 27.04.2009 und 06.08.2009 in
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die Bescheide des Beklagten vom 02.02.2009, 27.04.2009 und 06.08.2009 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 18.12.2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist darauf, dass die Klage aufgrund doppelter Rechtshängigkeit
unzulässig sein dürfte. Im Übrigen hat er sich gegen die Klage gewandt.
Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 14.12.2010 auf die Berichterstatterin als
Einzelrichterin übertragen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte, insbesondere die Niederschrift über die mündliche Verhandlung
am 23.03.2011, die Gerichtsakten 2 K 178/10.DA, 2 K 179/10.DA und 2 K
658/10.DA sowie zwei Aktenordner und einen Hefter Behördenvorgänge (Blatt 1
bis 1071) verwiesen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht
worden sind.
Entscheidungsgründe
Das Gericht erklärt sich nach § 17a Abs. 1 und 2 Satz 2 GVG für zuständig.
Für Klagen von Rechtsanwälten wegen der Beiträge zu öffentlich-rechtlichen
berufsständischen Versorgungswerken ist nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO das
Gericht zuständig, an dem der Betroffene seinen Wohnsitz hat und nicht der Ort,
an dem er seine Kanzlei eingerichtet hat. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof
hat dazu in seinem Beschluss vom 07.05.1993 (AZ: 11 TH 1563/92; zitiert nach
juris) festgestellt:
„Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann für die Bestimmung des
Gerichtsstands hier nicht auf den Ort abgestellt werden, in dem der Antragsteller
seine Kanzlei im Sinne des § 27 Abs. 2 BRAO eingerichtet hat. Zum einen haben
natürliche Personen grundsätzlich keinen Sitz im Sinne des § 52 Nr. 3 Satz 2
VwGO, wie schon das Verwaltungsgericht festgestellt hat; deshalb ist bei
natürlichen Personen ohnehin stets auf den Wohnsitz abzustellen, zumal § 52 eine
Ausnahme von diesem Grundsatz nur für sogenannte "Beamtenklagen" im Sinne
des § 52 Nr. 4 VwGO vorsieht, bei denen es vorrangig auf den "dienstlichen
Wohnsitz" des Klägers ankommt. Zum anderen würde ein Abstellen auf den Ort
der Kanzlei eines Rechtsanwalts für die Bestimmung des Gerichtsstands nicht
immer zu eindeutigen Ergebnissen führen, da es bei sogenannten überörtlichen
Sozietäten, wie sie der Antragsteller eingegangen ist, unter Umständen mehrere
Kanzleien an verschiedenen Orten geben kann (vgl. hierzu BGH - Senat für
Anwaltssachen -, Beschluß vom 18. September 1989 - AnwZ (B) 30/89 -, BGHZ
108, 290 = MDR 1990, 150, unter Hinweis auf BVerfG NJW 1988, 191 <194, 196>).
Schließlich ist das Abstellen auf den bürgerlichen Wohnsitz hier auch deshalb
sachgerecht, weil letztlich um die soziale Absicherung des Antragstellers als
Privatperson gestritten wird, nicht um eigentliche Berufspflichten des Anwalts im
Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit.“
Dieser Auffassung schließt sich das erkennende Gericht an. Zuständig ist daher
nach § 52 Abs. 3 Satz 2 VwGO das Gericht, an dem der Kläger seinen Wohnsitz
hat. Wo der Kläger seinen Wohnsitz hat, richtet sich nach § 7 BGB. Danach wird ein
Wohnsitz durch ständige Niederlassung an einem Ort begründet, wobei ein
Wohnsitz gleichzeitig an mehreren Orten bestehen kann. Der Kläger hat in der
mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragen, dass sein Erstwohnsitz in Z. im
Kreis Lahn-Dill-Kreis ist, für den gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 HessAGVwGO das
Verwaltungsgericht in Gießen zuständig ist. Gleichzeitig hat der Kläger aber auch
einen Wohnsitz in der Stadt A-Stadt, für die das erkennende Verwaltungsgericht
zuständig ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 HessAGVwGO). Unter dieser Adresse seiner Ehefrau
hat der Kläger am 20.03.2009 eine eidesstattliche Versicherung abgegeben. Diese
Adresse war auch dem Beklagten als Wohnadresse des Klägers bekannt. Der
Kläger hat auch in diesem gerichtlichen Verfahren nie auf seinen Erstwohnsitz
hingewiesen und nicht bestritten, dass er auch in A-Stadt einen Wohnsitz hat.
Danach steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger zwei Wohnsitze
hat. Da der Kläger lediglich die Verweisung des Rechtsstreits an das VG Frankfurt
beantragt hatte, die aber aufgrund der Unzuständigkeit dieses Gerichts zulässig
ist, ansonsten aber auch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich kein Gericht
gewählt hat, bestimmt das erkennende Gericht seine Zuständigkeit vorliegend
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gewählt hat, bestimmt das erkennende Gericht seine Zuständigkeit vorliegend
nach § 17a Abs. 2 Satz 2 GVG.
Die Klage ist wegen doppelter Rechtshängigkeit (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG)
unzulässig. Der Kläger hat gegen die Bescheide des Beklagten vom 02.02.2009,
27.04.2009 und 06.08.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten
vom 18.12.2009 auch beim Verwaltungsgericht Frankfurt am 21.01.2010 per Fax
um 19.24 Uhr Klage erhoben. Die dort unter dem Aktenzeichen 12 K 150/10.F
geführte Klage wurde mit Beschluss vom 08.02.2010 an das erkennende Gericht
verwiesen und hier unter dem Aktenzeichen 2 K 178/10.DA weitergeführt. Durch
die Verweisung wurden die Verfahren nicht automatisch vereinigt, sondern es
waren weiterhin zwei Klagen wegen des gleichen Streitgegenstandes anhängig.
Trotz eines gerichtlichen Hinweises auf die doppelte Rechtshängigkeit der Klage
hat der Kläger weder die eine noch die andere Klage zurückgenommen. Da aber
während der Rechtshängigkeit eine Sache von keiner Partei anderweitig anhängig
gemacht werden kann (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG), ist die beim Verwaltungsgericht
Darmstadt direkt erhobene Klage, die zwei Minuten nach der Klageerhebung beim
VG Frankfurt vom Kläger an das erkennende Gericht gefaxt wurde, unzulässig.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger als Unterlegener zu tragen (§ 154 Abs. 1
VwGO).
Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird endgültig auf 1.075,50 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Streitwert wurde gemäß § 52 GKG festgesetzt. Eine etwaige vorläufige
Festsetzung des Streitwerts wird damit gegenstandslos.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.